Читать книгу 7 Kriminalromane für lange Dezember-Nächte - A. F. Morland - Страница 54
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Es war ein wunderschöner Abend wie aus dem Bilderbuch: Die Manhatties schlenderten einen Gang langsamer über die Bürgersteige als sonst, so wollte mir scheinen. Das Abendlicht hing flirrend über dem Asphalt und in den Baumwipfeln des Washington Square Parks. Gelächter an den Tischen der Straßencafés, Kids mit Inlinern und Kickboards flitzten über die Straßen. Die Luft war mild, und Schwalben kreisten hoch über dem Park.
Ich glaube, es war ein Dienstag, vielleicht auch ein Mittwoch. Ich hatte mich später als geplant aus der Federal Plaza losgeeist. So ganz gelassen war ich nicht, als ich den Parkplatz der New York University verließ und den Washington Square East überquerte. Um halb sieben war ich mit Linda verabredet gewesen, inzwischen war es Viertel nach acht.
»Blue Prince« hieß das Bistro, in dem wir uns treffen wollten. »Blue Prince« - der Ort unseres ersten Rendezvous. Die Straßentische waren alle besetzt. Klar - ein Abend wie ein letzter Gruß des Sommers vor raueren Tagen, wer wollte sich da in einen muffigen Schankraum verkriechen? Zum Wochenende hatte der Wetterbericht eine Tiefdruckzone und einen Temperatursturz angekündigt.
Meine Augen suchten die Tische ab. Nach einer Frau, die allein saß. Nach einer blonden Löwenmähne und einem schmalen, fein geschnittenen Gesicht. Nach Linda. Fehlanzeige.
Vor der ersten Tischreihe blieb ich stehen. Wieder wanderten meine Augen von Tisch zu Tisch. Und dann sah ich sie. Linda saß nicht allein am Tisch. Der Typ ihr gegenüber war groß und breitschultrig und trug einen hellen Anzug. Ein Afroamerikaner. Eine Flasche Bier und ein leeres Glas stand vor ihm. Linda nippte an einem Glas Rotwein. Meine Stimmung sank blitzartig gegen null.
Okay - ich hatte mich ein wenig verspätet, wie gesagt. Um eine Stunde oder zwei. Kein Grund, sich gleich einen anderen Kerl an den Tisch zu holen. Oder?
Ich drängte mich durch die dicht stehenden Tische und ließ mich auf dem Stuhl neben Linda nieder. »Hi, Baby! Schön, dass du gewartet hast. Unsere Kundschaft ist so verdammt anhänglich, ich konnte nicht früher kommen. Echt nicht.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dem schwarzen Adonis fielen fast die Augen aus dem Kopf.
Ich nickte ihm zu und gab mir Mühe, dabei ein freundliches Gesicht zu machen. »Nett, dass Sie meiner Freundin ein bisschen Gesellschaft geleistet haben, Sir.« Ratlos wanderten seine Augen zwischen Linda und mir hin und her. »Linda kommt jetzt ohne Sie zurecht, wollte ich damit sagen. Einen schönen Abend noch.«
Seine breite Gestalt straffte sich, er stützte seine großen, schwarzen Hände auf die Tischplatte, als wollte er sich zum Sprung über den Tisch abstoßen.
»Das ist Ben Goodwell, Jesse«, sagte Linda im nächsten Moment. Sie sprach den Namen sehr betont aus. Als müsste er mir was sagen. Und tatsächlich war mir, als hätte ich den Namen schon irgendwo gehört.
»Und das ist Jesse Trevellian.« Sie lächelte den schwarzen Hünen an. »Der Gentleman, den ich hier treffen wollte.« Sie blickte auf die Uhr. »Oh! Gleich halb neun! Zwei Stunden sitzen wir schon hier zusammen!« Ein zynischer Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen traf mich. »Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging!« Ihn dagegen lächelte sie ausgesucht verführerisch an. »Habe lange nicht mehr so angenehm geplaudert.« Sie griff über den Tisch und legte ihre Hand auf seine. »Danke, Ben.«
Mein Verdruss schlug in Wut um. Ich spürte plötzlich das dringende Bedürfnis, den Tisch umzuwerfen. Oder wenigstens Lindas Rotwein in das breite Gesicht des Adonis zu gießen. Stattdessen betrachtete ich Lindas Hand auf seiner und ihren nackten Arm. Ich starrte darauf und kämpfte die Wut nieder.
»Übrigens, Jesse - Ben ist Basketball-Profi. Du hast sicher von ihm gehört.«
Ich blitzte ihn an. Natürlich hatte ich - jetzt fiel es mir wieder ein. In der vergangenen Saison hatte er bei den Chicago Bulls gespielt.Vielleicht wechselte er jetzt zu den New York Knights.
Sein schwarzes Gesicht war in den letzten Wochen öfter in den Zeitungen und im Fernsehen zu sehen gewesen. Irgendein Skandal, ein Prozess oder was - ich hatte vergessen, worum genau es ging. Nur dass er ein Schweinegeld verdiente und einen die Nation empörenden Frauenverschleiß hatte, das wusste ich noch. Und mehr wollte ich nicht wissen.
»Wir sind eigentlich schon gar nicht mehr hier«, fuhr Linda in ihrer unnachahmlichen Gelassenheit fort. Nur wer sie näher kannte, hörte den spöttischen Unterton heraus. Ich kannte sie näher, weiß Gott, das tat ich. »Ben erzählte von einem Jazzkeller in Harlem. Da wollen wir hingehen. Jetzt, wo du doch noch gekommen bist, können wir uns ja zu dritt auf den Weg machen.«
Sie wandte sich an Mr. Schwerathlet. Der kannte Linda noch nicht näher. Und ahnte nicht, dass sie am gefährlichsten war, wenn ihre Stimme milde und ihre Bernsteinaugen sanft wirkten. »Du hast doch nichts dagegen, wenn Jesse mitgeht, oder, Ben?«
Jedes Wort ein Peitschenhieb. Ich kochte, riss mich aber zusammen.
»Wie könnte ich?« Der Sportsmann sprach mit dumpfem Bass. »Nur bin ich nicht ganz sicher, ob der Gentleman Wert auf meine Gegenwart legt.«
»Hören Sie zu, Goodwell«, sagte ich leise. »Linda und ich kennen uns seit knapp zwei Monaten. Sie steht auf mich, ich steh auf sie. Wir haben nur ein kleines Problem: unsere Jobs.«
»Dein Job«, warf Linda ein.
»Ich hab wenig Zeit, und sie wohnt praktisch in ihrer Redaktion.«
»Was man nicht alles über sich erfahren kann ...« Linda lächelte spöttisch.
»Folge: Es kommt hin und wieder zu kleinen Verstimmungen.« Ich stellte Lindas Weinglas beiseite und beugte mich über den Tisch. »Und Sie, Goodwell, haben das Glück, eine solche mitzuerleben leben. Oder das Pech, denn was hier im Augenblick abgeht, ist doch klar: Linda benutzt Sie, um mir eins auszuwischen. Das merkt doch ein Idiot! Sie sind die Knute in ihrer Hand!«
Unwillige Falten erschienen auf seinem Gesicht.
»Nun gucken Sie nicht so einfältig! Wollen Sie mir vielleicht erzählen, Linda ist die erste Frau, die Sie aus der Nähe erleben?« Ich verdrehte die Augen. »Sie kennen doch Frauen! Sie haben doch sicher das eine oder andere Wort geredet mit den Frauen, die sie gevögelt haben!«
Abrupt stand Linda auf. Zorn loderte in ihren Bernsteinaugen. Und trotzdem lächelte sie. Ein Lächeln wie eine Ohrfeige. »Ich habe es mir überlegt«, sagte sie. »Zu dritt könnte der Abend problematisch werden. Ich hatte genug Probleme in der Redaktion heute. Ben war zuerst da, Ben hat Zeit - also fahre ich heute Abend mit Ben nach Harlem.« Sie blickte auf mich herab. »Einen schönen Abend noch, Jesse. Wir hören voneinander. Wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten.« Sie zog ihre Lederjacke von der Stuhllehne. »Es sei denn, du machst den gleichen Fahler ein zweites Mal und wirst auch im nächsten Leben Polizist.« Sie rauschte davon.
Goodwell schnellte vom Stuhl hoch. Die Sache hatte sich flotter entwickelt, als er denken konnte. »Mein Spiel, Trevellian. Nichts für ungut.« Er hatte Mühe, ihr zu folgen.
»Bullshit!«, knurrte ich. Ich verliere nicht gern. Und so ganz uneitel bin ich auch nicht. »Bullshit! Bullshit! Bullshit ...!« Gläser und Flasche auf dem Tisch klirrten, als ich die Tischplatte mit der Faust bearbeitete. Ich kann mich nicht erinnern, von einer Frau schon mal dermaßen aufs Kreuz gelegt worden zu sein.
Ein Kellner tauchte neben mir auf. Und präsentierte mir die Rechnung für Lindas Rotwein und Goodwells Bier. Zwei Flaschen hatte er geleert.
Ich bezahlte Lindas Rotwein. »Die Rechnung für die Zeche des Gentleman schicken Sie an die Chicago Bulls.« Er machte ein begriffsstutziges Gesicht. »Das ist ein Basketball-Club, Mann, spielt in der National-Liga. Und jetzt bringen Sie mir einen doppelten Bourbon!«
Ich muss ein ziemlich unfreundliches Gesicht gemacht haben, denn der Kellner wich einen Schritt zurück.
Später nippte ich an meinem Whisky und dachte nach. Ich war selbst schuld - natürlich. Man lässt eine Frau nicht fast zwei Stunden lang warten. Eine Frau wie Linda schon gar nicht. Du solltest dich schämen, Jesse, dachte ich mir, und ich schämte mich. Jedenfalls ein bisschen.
Vor zwei Monaten hatten wir uns kennengelernt. Eigentlich war nur eines klar zwischen uns: Dass sie mich liebte, und dass ich sie liebte. Ansonsten nur Chaos, ein einziges Hin und Her.
Sie war Chefredakteurin eines Frauenblattes mit dem bezeichnenden Titel »Female«, ein Magazin voller Sex, Kult und Mode. Weiblich eben von der ersten bis zur letzten Seite. Weiblich wie Linda.
Lindas Vater war Polizist gewesen wie ich. FBI-Agent unten in Miami. Als sie sechzehn war, wurde er im Dienst erschossen. Ironie des Schicksals.
Sie sagte nie, dass sie Angst um mich hätte, so wie sie um ihren Vater Angst gehabt hatte. Umso häufiger beklagte sie sich über meinen chronischen Zeitmangel. »Warum muss ich mich in einen Bullen verlieben!«, schimpfte sie bei solchen Gelegenheiten. »Genau wie mein Vater bist du mit deinem Job verheiratet!«
In den zwei Monaten hatten wir uns drei- oder viermal getrennt - jedem von uns war klar, dass wir nicht miteinander leben können. Und drei- oder viermal hatten wir wieder neu angefangen - ohne einander zu leben war fast noch schwerer.
Die letzte Versöhnung lag erst eine Woche zurück. Nach dem Kampf gegen die Terrororganisation »Domäne« hatten Linda und ich ein verlängertes Wochenende in Florida verbracht. Ein atemberaubend schöner Honeymoon. »Wo ist das Problem?«, hatten wir uns danach gefragt. Wir sahen keines. Aber nun war wieder Alltag angesagt. Und die lieben Problemchen waren wieder da.
Herzlichen Glückwunsch, dachte ich und kippte meinen Whisky hinunter.
Ich zahlte und ergriff die Flucht. Auf dem Parkplatz neben der Universität vibrierte das Handy in meiner Jackentasche »Trevellian!«, meldete ich mich..
»Laramie Stone.« Ich hörte eine sonore Männerstimme. »Wir hatten noch nie das Vergnügen miteinander, Mister Trevellian.« Schon wieder ein Name, der mir bekannt vorkam. »Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Worum geht es, Mister Stone?« Ein Gesicht tauchte auf meiner inneren Bühne auf. Ein schwarzes Gesicht - schon wieder.
»Ich glaube, jemand will mich töten«, sagte die Männerstimme, und sie klang sehr ernst.
»Dann wenden Sie sich an die Polizei. Oder sind Sie zufällig Beamter?«
»Leider nicht - dann wären Sie zuständig, nicht wahr? Wenn ich die Cops rufe, steht morgen in allen Zeitungen, dass Laramie Stone Angst um sein Leben hat - so eine Publicity wäre das Letzte, was ich brauchen kann ...«
Plötzlich wusste ich, mit wem ich telefonierte. Das schwarze Gesicht auf meiner inneren Bühne war das Gesicht eines Filmstars. Laramie Stone - natürlich! Der Mann aus Harlem hatte im letzten Jahr zwei Kinohits gelandet. Im letzten spielte er einen äußerlich knallharten Cop, der weder Tod noch Teufel fürchtete, doch innerlich butterweich war.
»Bitte lachen Sie nicht, Mister Trevellian, wenn ich Ihnen gestehe, dass Sie mein großes Vorbild sind. Als kleiner Junge wollte ich immer Polizist werden. Jetzt spiele ich den Bullen auf der Leinwand. Ich hab alle Filmarchive der Nachrichtensender durchforsten lassen, um Aufnahmen zu finden, auf denen Sie zu sehen sind. Und alle Zeitungsartikel der letzten sechs Jahre hab ich gesammelt, in denen Sie erwähnt werden. Ich habe meine letzte Rolle nach Ihrem Vorbild gestaltet, Mister Trevellian, ob Sie es glauben oder nicht.«
Ich bin ganz ehrlich: Nach dem Tiefschlag mit Linda, den ich gerade zu verdauen hätte, ging mir das runter wie alter Cognac. »Wie kommen Sie darauf, dass man Sie töten will, Mister Stone?«
»Eine Falle«, sagte die Männerstimme. »Man hat eine Falle im Garten meiner Villa gebaut. Es ist ein Wunder, dass ich noch lebe. Aber Rainbow hat’s erwischt.«
»Rainbow?«
»Mein Hund. Kommen Sie, und schauen Sie sich die Schweinerei an. Ich bitte Sie, Mister Trevellian, kommen Sie!«