Читать книгу 7 Kriminalromane für lange Dezember-Nächte - A. F. Morland - Страница 56

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Ganz bewusst hatte er an diesem Abend die Uniform anbehalten. Sie sollte keine Angst vor ihm haben, sie sollte sehen, dass er ein anderer Mensch geworden war. Einer, der jetzt auf der richtigen Seite des Gesetzes stand.

Er hatte die Kneipe eines Kinocenters in der Westside vorgeschlagen. Sie hatte akzeptiert. Ein halbes Jahr hatte er ihr geschrieben und mit ihr telefoniert. Am Anfang hatte sie einfach den Hörer aufgeknallt, dann wenigstens zugehört, und jetzt hatte er sie endlich überreden können, sich mit ihm zu treffen.

Ständig blickte er zur Tür, Schweiß stand auf seiner Stirn, seine Rechte spielte mit der Dienstmütze, die neben ihm auf dem Tisch lag. Erst wenn sie im Gedränge des Kino-Foyers auftauchte, würde er es glauben.

Seit einer halben Stunde saß Chester Bronson am hintersten Tisch des Kino Bistros. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sie sich verfehlten. Er hatte seinen Captain extra um eine halbe Stunde Beurlaubung gebeten.

Chester Bronson war Sergeant der New York Police. Er arbeitete für das 6. Polizeirevier.

Eine auffällige Erscheinung, wenn man ihn so in einer Kneipe sitzen oder durch einen Supermarkt laufen sah: Sein üppiges, schwarzes Haar stand ihm störrisch nach allen Seiten ab, er trug einen Schnurrbart. Besonders groß war er nicht, aber ziemlich kräftig gebaut. Seine Haut hatte die Farbe eines kräftigen Milchkaffees. Die Gene seiner mexikanischen Mutter hatten sich bei ihm durchgesetzt. Chester Bronson war Ende zwanzig.

Er zuckte zusammen und hielt für einen Moment den Atem an, als er die zierliche Frau im Gedränge vor den Kassen entdeckte. »Das ist sie«, flüsterte er. »Oh Gott, das ist sie.«

Sie bewegte sich tänzelnd. Der Versuch, keinem der vielen Menschen allzu nahe zu kommen, veranlasste sie zu einem leichtfüßigen Zickzackkurs. Sie trug Turnschuhe, weite blaue Hosen und einen weiten Pullover darüber, ebenfalls blau. Ihr rotblondes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten.

Im Eingangsbereich der Kneipe - der Gastraum ging praktisch türlos in das Kino-Foyer über - blieb sie stehen und sah sich um. Zwei- oder dreimal glitten ihre Blicke über Bronsons Gesicht. Jedes Mal stockte ihm der Atem, aber sie erkannte ihn nicht. Es war zu lange her. Hoffentlich lange genug, dachte Bronson. Endlich hob er den Arm und winkte.

Zögernd näherte sie sich. Bronson sah, dass ihre blauen Hosen Jogginghosen waren. Er stand auf und wusste nicht, ob er ihr die Hand reichen sollte oder nicht. Er tat es nicht - die Angst, sie mit einer solchen Geste zu vertreiben, hielt ihn ab.

Sie nickte kurz und setzte sich dann, nahm ihm gegenüber Platz und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Sie ... Sie glauben gar nicht ...« Bronson schluckte. Die junge Frau betrachtete ihn mit großen blauen Augen. »Sie glauben gar nicht, wie dankbar ich bin, dass Sie gekommen sind, Miss O’Brian.«

»Nennen Sie mich Suzy - warum tragen Sie diese Uniform?«

»Ich bin Cop. Seit sechs Jahren. Suzy, ich wollte ...«

»Ein Mann wie Sie ist Cop?« Sie schüttelte den Kopf. »Das glaub ich einfach nicht.«

Bronson meinte etwas wie Spott in ihren ernsten Augen auf blitzen zu sehen. Oder war es Zorn?

Für Sekunden musterten sie sich schweigend. Es fiel ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten.

»Sie haben recht, Suzy«, sagte Bronson schließlich, und seine Stimme klang brüchig und heiser, als er das sagte. »Wenn ich morgens, bevor ich mein Apartment verlasse, noch einmal in den Spiegel schaue und meine Uniform sehe, denke ich das auch oft: Ein Mann wie du ist Cop geworden, ich glaub's einfach nicht ...«

»In den Zeitungen stand damals, dass Sie der Anführer der Jugendgang gewesen wären«, sagte Suzy leise.

»Das stimmt nicht«, widersprach Bronson. »Houston war der Anführer, der älteste der Taylor-Brüder. Und Larry war seine rechte Hand gewissermaßen. Aber es stimmt schon, ich spielte eine wichtige Rolle in der Gang, das ist richtig. Ich war der Stärkste und konnte am besten schießen.«

»Und wie wird ein Straßenrowdy wie Sie Polizist?«

»Ich wurde nie verurteilt. Und ich war damals ja noch ziemlich jung. Jedenfalls steht nichts über die Sache von damals in meiner Akte. Niemand weiß davon. Und falls sich doch jemand daran erinnern sollte, ich würde sagen: Das muss ein anderer Chester Bronson gewesen sein. Und das stimmt auch.«

»Wie meinen Sie das?«

»Es war etwa ein Jahr nach dem Prozess damals ...« Bronson war heilfroh, endlich das loswerden zu können, was er der jungen Frau seit Jahren sagen wollte. »Die Lower Eastside lag unter einer Schneedecke, und es war lausig kalt. Burschen einer feindlichen Gang trafen mich am Hamilton Fish Park, als ich von Crack und Alkohol zugedröhnt war. Sie schlugen mich mit Fäusten, Totschlägern und Ketten. Wenn nicht zufällig vier Heilsarmisten vorbeigekommen wären, hätten sie mich erschlagen wie einen kranken Hund.«

»Und dann?«

Ihre Augen blickten ihn aufmerksam an. Er spürte ihre Neugier. Das machte ihm Mut. »Die frommen Männer und Frauen von der Heilsarmee haben mich in eine Klinik gebracht und jeden Tag besucht. Eines Tages brachten sie den Pastor einer Baptistengemeinde aus SoHo mit. Der Mann hat sich zwei Jahre lang um mich gekümmert. Mir eine Wohnung beschafft, mir Geld gegeben, eine Arbeit für mich gesucht und so weiter, und so weiter. Tja ...« Als wäre er ratlos, breitete er die Arme aus. »So begegnete mir die Liebe Gottes in der Gestalt von Menschen. Da widerstehe wer will - ich jedenfalls hab mich bekehren lassen.«

Suzy runzelte die Stirn. »Sie haben was?!« Verblüffung und Skepsis drückte ihre Miene aus. Bronson hatte nichts anderes erwartet.

»Ich bin Christ geworden. Das hat mein Leben auf den Kopf gestellt.«

»Und der liebe Gott hat Ihnen alles verziehen ...« Bitterkeit lag in ihrer Stimme. Bitterkeit und Spott.

»Mein Pastor sagt, Jesus wäre am Kreuz für alle meine Sünden gestorben.« Bronson nickte und seufzte tief. »Ja, das sagt er. Aber er sagt auch, ich solle so viel wiedergutmachen, wie ich kann. Das ist nicht einfach, ich habe eine Menge verbrochen ...« Die Stimme brach ihm.

»Das Schlimmste habe ich an Ihnen verbrochen ...« Jetzt konnte er ihrem Blick nicht mehr standhalten, er senkte den Kopf. »Ich wage es nicht, Sie um Verzeihung zu bitten, das wäre zu viel verlangt ...«

»Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen«, sagte Suzy kühl. »Die anderen waren es. Sie standen dabei, als sie mich ...« Sie unterbrach sich und presste die Lippen zusammen. »Ich hätte mich nicht mit Ihnen treffen können, wenn Sie mich auch ...«

»Eben - ich stand dabei. Ich hätte es verhindern können. Ich habe es nicht verhindert.Von mir kam auch die Idee. Es fallt mir schwer, es einzugestehen, aber es ist die Wahrheit ... Von mir kam die Idee, Sie unter Drogen zu setzen und ...«

»Und warum haben Sie nicht selbst zugegriffen?« Suzy beugte sich vor. Ihr Blick hatte jetzt etwas Lauerndes. »Ich war vollkommen wehrlos. Die Drogen hatten mich willenlos gemacht. Alle haben sich bedient. Warum Sie nicht?« Die Art, wie sie redete, erinnerte Bronson an die Verhöre, die er damals, vor neun Jahren über sich ergehen lassen musste.

»Ich ... ich konnte nicht ...« Er kam ins Stammeln. »Sie taten mir so leid ... ich hatte mich ein bisschen ... in sie verguckt ... ich kam mir plötzlich vor wie ein Schwein ...«

»Dann hätten Sie mir helfen müssen!«, sagte Suzy scharf.

»Ich weiß, bitte ... wenn ich irgendwie ...«

»Meine Mutter ist krank geworden nach dem Prozess. Ein Jahr danach ist sie gestorben!« Suzy stieß ein bitteres Lachen aus. »Ungefähr zu der Zeit, als Sie sich bekehren ließen, wie Sie das nennen. Mein Vater hat es nicht verkraftet - erst die ... die Vergewaltigung seiner einzigen Tochter, dann das Gerede der Leute, und schließlich der Tod meiner Mutter. Er spinnt seitdem.« Sie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Er ist verrückt geworden, verstehen Sie? Und ich ... und ich ...« Sie winkte ab, legte die Hand auf den Mund und schloss die Augen.

Bronson sah, dass sie mit den Tränen kämpfte. »Es tut mir so leid, Suzy ...«

»Das habt ihr angerichtet, ihr verdammten Scheißkerle«, flüsterte sie.

»... es tut mir so leid ...«

»Keiner von euch musste bezahlen. Ihr lebt weiter, als wäre nichts geschehen. Bekehrt euch, werdet Polizisten und bettelt um Entschuldigung.« Blitzartig beugte sie sich über den Tisch. Auf einmal stand Hass in ihren Augen. »Nur ich allein zahle die Rechnung!« Ihr schönes Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Ich allein zahle die Rechnung für das, was ihr mir angetan habt! Ich und meine Familie!«

»Sie haben so recht, Suzy ...« Er rieb die Hände, als würde er sie waschen, sein Adamsapfel tanzte auf und ab, der Stuhl unter seinem Hintern schien zu brennen. »Ich kann's nicht ungeschehen machen. Aber ich steh in Ihrer Schuld - ich werde alles tun, was Sie wollen, ich bezahle die Arztrechnungen für Ihren Vater, ich ...«

»... und ich kotze gleich!« Suzy sprang auf und rannte aus der Kneipe.

Wie gelähmt blieb Bronson auf seinem Stuhl sitzen. Er sah ihr nach, bis sie im Gedränge der Menschen verschwand.


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