Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Adam Tomkins - Страница 154

c) Die so genannte „controlimiti“-Lehre

Оглавление

34

Die Anerkennung des Vorrangs des Europarechts vor dem nationalen Recht durch das Verfassungsgericht im Urteil Frontini und noch deutlicher im Urteil Granital warf das Problem der Identifizierung von möglichen Grenzen – den so genannten „controlimiti“ – dieses Vorrangs auf. Das Fehlen eines Katalogs von Grundrechten in den europäischen Verträgen beinhaltete die Gefahr einer Verletzung der in der italienischen Verfassung garantierten Grundrechte durch das Gemeinschaftsrecht. Die Corte costituzionale hatte schon mit dem Urteil Acciaierie San Michele Nr. 98 vom 27.12.1965 festgestellt, dass Art. 11 Cost. nur Beschränkungen der Souveranität zulässt, die die unverletzlichen Menschenrechte des Art. 2 Cost. nicht verletzen. Die „controlimiti“-Lehre ist dann durch die Urteile Frontini, Granital und Fragd gegen Amministrazione delle Finanze Nr. 232 vom 21.4.1989 weiter entwickelt und präzisiert worden. Wenn eine europarechtliche Norm verfassungsrechtliche Grundprinzipien („principi fondamentali dell’ordinamento costituzionale“) oder unveräußerliche Menschenrechte („diritti inalienabili della persona umana“) verletzt, ist das Verfassungsgericht nach der „controlimiti-Lehre“ nicht nur befugt, sondern verpflichtet, den in dem einfachen Ausführungsgesetz zu dem entsprechenden europäischen Vertrag enthaltenen Rechtsanwendungsbefehl aufzuheben.[42] Um jedoch zu verhindern, dass die Aufhebung des Anwendungsbefehls die einschneidende Folge hat, die Mitgliedschaft Italiens in der Gemeinschaft in Frage zu stellen, betrifft die Aufhebung nicht den gesamten Anwendungsbefehl, sondern wird nur mit Bezug auf den Teil wirksam, der den Eingang der spezifischen, mit einem Verfassungsprinzip oder einem unverletzlichen Recht in Widerspruch stehenden Gemeinschaftsnorm in die nationale Rechtsordnung ermöglicht. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Feststellung der teilweisen Verfassungswidrigkeit des Anwendungsbefehls praktisch unbegrenzt zu wiederholen, nämlich jedes Mal für den Teil, der den Eingang einer bestimmten Norm in die italienische Rechtsordnung ermöglicht. Durch die Erfindung dieses Mechanismus hat sich die Corte costituzionale die Zuständigkeit verliehen, normative Akte der Gemeinschaft aufzuheben, allerdings nur mit auf das italienische Staatsgebiet begrenzter Wirkung und in praktisch nur seltenen Grenzfällen. Die Begründung für diese Zuständigkeit entnimmt das Verfassungsgericht Art. 11 Cost., der es zwar zulässt, die nationale Souveränität zu „beschränken“, nicht aber den Gemeinschaftsorganen die Zuständigkeit zu übertragen, den unantastbaren Kern der Verfassung zu verletzen, den die „grundlegenden Prinzipien der Verfassungsordnung“ und „die unverletztlichen Rechte des Menschen“ darstellen.[43]

35

Nach der Durchsetzung des Schutzes der Grundrechte in der Judikatur des EuGH durch die allgemeinen Grundsätze und vor allem nach der Einfügung von Art. F Abs. 2 (jetzt Art. 6 Abs. 2) des EU-V scheint eine Verletzung dieser Grundprinzipien bzw. Menschenrechte sehr unwahrscheinlich, und in der Tat ist die Nichtigerklärung (eines Teiles) des Rechtsanwendungsbefehls durch das Verfassungsgericht bislang noch nie vorgekommen.

36

Letztlich haben also die europarechtlichen Normen Vorrang vor allen nationalen, auch verfassungsrechtlichen Normen, mit der einzigen Ausnahme der Grundprinzipien der Verfassung und der unveräußerlichen Menschenrechte.

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх