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cc) Der Machtverlust der Regionen

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Die Übertragung von nach nationalem Recht den Regionen zustehenden Kompetenzen auf die europäische Ebene beinhaltet – wie in allen föderalen bzw. regionalisierten Mitgliedstaaten der EU – auch einen Machtverlust der Regionen. Auf dieses Problem hat das italienische Parlament mit der Regelung der Beteiligung der Regionen bei der Bildung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Verfassungsänderung von 2001 bzw. durch einfache Gesetze reagiert, die im Wesentlichen zu folgender Regelung geführt haben:

(1) Die Beteiligung der Regionen am Prozess der Entstehung von Gemeinschaftsrecht

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Nach dem 2001 in die Verfassung eingefügten Art. 117 Abs. 5 Cost. haben die Regionen das Recht, für die in ihre Zuständigkeit fallenden Materien an den Entscheidungen des Rechtsetzungsprozesses der EU teilzunehmen.[65]

(a) Die mittelbare Beteiligung

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Vorab ist zu erwähnen, dass es in Italien keine Kammer der Regionen gibt, die es, wie der deutsche Bundesrat, den Regionen gestattete, unter anderem bei der Setzung von Gemeinschaftsrecht eine bedeutende Rolle zu spielen. Mit Bezug auf in der Gemeinschaft diskutierte Entwürfe und Projekte genießen die Regionen nur weit reichende Informationsrechte gegenüber der Regierung hinsichtlich deren Stellungnahme und der Ergebnisse der Treffen des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rates.[66] Wenn in den europäischen Gremien Entwürfe und Vorschläge beraten werden, die in die Zuständigkeit der Regionen fallen, haben die Regionen das Recht, der Regierung ihre „Bemerkungen“ dazu zu übermitteln.[67] Handelt es sich um Entwürfe von Gemeinschaftsrechtsakten, die Materien der Regionalkompetenzen betreffen, haben die Regionen darüber hinaus die Möglichkeit, in der Konferenz Staat-Regionen Absprachen mit der Regierung herbeizuführen, um die Regierung zu einem bestimmten Verhalten auf europäischer Ebene zu verpflichten.[68] Wenn keine Absprache mit der Regierung zustande kommt, haben die Regionen allerdings keine Möglichkeit, die Regierung auf Gemeinschaftsebene zur Berücksichtigung der Mehrheitsmeinung der Regionen zu verpflichten. Erwähnenswert ist ebenfalls die Rolle der „Gemeinschaftssitzung“ der Konferenz Staat-Regionen, die mindestens alle sechs Monate stattfindet und unter anderem unverbindlich Stellung nimmt zu: 1) den allgemeinen Zielen der Ausarbeitung und Umsetzung der Gemeinschaftsakte im Bereich der Zuständigkeit der Regionen; 2) den Kriterien und Modalitäten zur Beachtung und Durchsetzung der Gemeinschaftsverpflichtungen in Wahrnehmung der regionalen Kompetenzen und 3) den Grundzügen des Entwurfs des „Gemeinschaftsgesetzes“[69].

(b) Die unmittelbare Beteiligung

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Die unmittelbare Beteiligung der Regionen an den Tätigkeiten der europäischen Institutionen ist völlig neu, verglichen mit der Rechtslage vor der Verfassungsnovelle des Jahres 2001. Gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes La Loggia Nr. 131 vom 5.6.2003 nehmen die Regionen im Rahmen der Ermächtigung durch die Regierung an den Beratungen des Rats sowie der Arbeitsgruppen und Ausschüsse von Rat und Kommission teil, wenn es um Materien geht, die im nationalen Bereich in ihre Gesetzgebungskompetenz fallen. Wenn es sich um Bereiche der ausschließlichen regionalen Gesetzgebung nach Art. 117 Abs. 4 Cost. handelt, kann sogar die Leitung der italienischen Delegation dem Präsidenten einer Regionalregierung übertragen werden.

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Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes La Loggia enthält darüber hinaus eine weitere bedeutende Neuerung, die den italienischen Regionen ein Klagerecht vor dem EuGH einräumt. Um zu verhindern, dass die Regionen wegen fehlender Aktivlegitimation für derartige Klagen nicht auf Rechtsakte der Gemeinschaft reagieren können, die zu Unrecht in ihre Gesetzgebungskompetenz eingreifen, ist nun vorgesehen, dass die Regierung auch auf Antrag nur einer Region beschließen kann, vor dem EuGH Rechtsakte der Gemeinschaft anzugreifen, während die Regierung in dem Fall, in dem die absolute Mehrheit der Regionen einen derartigen Antrag stellt, verpflichtet ist zu klagen. Ein weiterer Punkt verdient Erwähnung: Auch die Europäischen Verträge und ihre Änderungen scheinen – nach Art. 117 Abs. 5 Cost. – zu den Gemeinschaftsakten zu gehören, bei deren Ausarbeitung die Regionen beteiligt werden können. Auf diese Beteiligungsmöglichkeit nehmen die Durchführungsgesetze dieser Verfassungsbestimmung jedoch nicht Bezug, die nur die (direkte oder indirekte) Beteiligung der Regionen bei der Setzung von Sekundärrecht regeln. Dies ist von erheblicher Bedeutung: Während die deutschen Länder über den Bundesrat an Entscheidungen über die weitere Übertragung von Hoheitsrechten mitwirken (Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG), verfügen die italienischen Regionen nicht über eine entsprechende Kompetenz, nicht einmal dann, wenn es sich um die Übertragung ihrer eigenen Kompetenzen handelt.

(2) Die Regionen und die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts

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Da die Verfassung diesen Aspekt nicht regelt, war den Regionen noch bis zu Beginn der 1970er Jahre nicht das Recht zugestanden, Gemeinschaftsnormen in ihrem Kompetenzbereich umzusetzen, da – so die Begründung – allein der Staat für die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts der Gemeinschaft gegenüber verantwortlich sei und folglich der Staat nicht das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen Untätigkeit einer oder mehrerer Regionen eingehen könne.[70] Diese strikte Haltung wurde später gelockert. Die Zuständigkeit der Regionen zur Umsetzung von Gemeinschaftsnormen wurde durch einfaches Gesetz zunächst in einer gesetzesvertretenden Verordnung von 1977 anerkannt,[71] und dann im Gesetz Nr. 86 von 1989, das in diesem Punkt durch das Gesetz Nr. 128 vom 24.4.1998 geändert wurde. Erst durch die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 hat die Regionalkompetenz zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht ausdrücklich Anerkennung in der Verfassung gefunden. Art. 117 Abs. 5 Cost. sieht nun vor, dass die Regionen innerhalb der nationalen Rechtsordnung für die Anwendung und Durchführung der in ihre Zuständigkeiten fallenden Gemeinschaftsakte sorgen.[72] Nach der Verfassungsänderung des Jahres 2001 kann der Staat, der weiterhin allein für Untätigkeit gegenüber der EU verantwortlich ist, anstelle der Regionen und Gebietskörperschaften handeln, wenn diese ihrerseits untätig bleiben (siehe die neu eingefügten Art. 117 Abs. 5 und 120 Abs. 2 Cost.[73]).

(3) Die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Beziehungen zur Europäischen Union

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Die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 hat den Regionen eine Gesetzgebungskompetenz zur Regelung ihrer Beziehungen zur EU eingeräumt (siehe Art. 117 Abs. 3 Cost.). Es handelt sich um eine konkurrierende Zuständigkeit. Der staatliche Gesetzgeber ist also in diesem Bereich nur befugt, wesentliche Grundsätze für die Gesetzgebung der Regionen zu erlassen. Der Staat verfügt hingegen weiterhin über die ausschließliche Kompetenz zur Regelung der Beziehungen des Staates zur EU (siehe Art. 117 Abs. 2 lit. a Cost.).

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