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b) Die Lage nach der Verfassungsnovelle des Jahres 2001

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Der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. weist – nach der hier vertretenen Meinung – den Umsetzungsnormen völkerrechtlicher Verträge Maßstabscharakter für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit nationaler Normen zu. Es scheint jedoch nicht haltbar, Umsetzungsnormen bestimmter völkerrechtlicher Verträge, die die Menschenrechte schützen, wie z.B. die EMRK, auf der Grundlage von Art. 117 Abs. 1 Cost. den besonderen Status von Rechtsquellen mit besonderer Bestandskraft gegenüber späteren einfachen Gesetzen zuzuerkennen, so dass jedes Gericht über die Nichtanwendung derartiger Gesetze entscheiden kann.[82] Das wäre unvereinbar mit dem italienischen Verfassungssystem, da damit die inzidente Kontrolle der Vereinbarkeit nationaler Gesetze mit der EMRK durch die Fachgerichte verbunden wäre, was die Zuständigkeit und die Rolle des Verfassungsgerichts untergraben und die der Fachgerichte ausweiten würde, die zudem mangels eines Vorlageverfahrens vor den EGMR zur Auslegung der Bestimmungen der Konvention über eine völlig unbestimmte Kontrollbefugnis verfügen würden. Außerdem würden damit die Umsetzungsnormen der EMRK in der nationalen Normenhierarchie eine Stellung erhalten, die zum Teil jener der europarechtlichen Normen vergleichbar wäre, jedoch ohne eine entsprechende überzeugende verfassungsrechtliche Grundlage, die allein eine solche Souveranitätsbeschränkung Italiens rechtfertigen könnte. Man muss vielmehr weiterhin davon ausgehen, dass der Status der Umsetzungsnormen der EMRK (und anderer völkerrechtlicher Verträge zum Schutz der Menschenrechte) derselbe ist wie der der Umsetzungsnormen jedes anderen Vertrages: Allein das Verfassungsgericht kann daher spätere nationale, im Widerspruch zum Umsetzungsgesetz der EMRK stehende Gesetze prüfen und dabei, soweit möglich und verfassungsmäßig, die vom Straßburger Gerichtshof vertretene Auslegung übernehmen.[83] Der einzige Fall, in dem ein nationales Gericht eine Vorschrift der EMRK direkt anwenden könnte anstelle des mit dem Umsetzungsgesetz kollidierenden nationalen, auch späteren, Gesetzes, ist der, in dem ein bestimmtes Recht der EMRK in einer früheren Entscheidung des EuGH als allgemeines Prinzip der Gemeinschaftsrechtsordnung verstanden wurde; in diesem Fall wäre es aber, genau betrachtet, nicht die EMRK-Norm oder die entsprechende nationale Umsetzungsnorm, sondern ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts, das, da es unmittelbar in der nationalen Rechtsordnung gilt, Grundlage für die Nichtanwendung des nationalen Rechts wäre.[84]

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