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IV. Schlussbemerkungen

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Aus den bisherigen Darlegungen lassen sich aus der Perspektive der Verfassung einige Schlussfolgerungen für die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die Gemeinschaftsrechtsordnung und an die EMRK ziehen. In einer ersten Phase wurden beide Systeme, das der Gemeinschaft und das der Grundfreiheiten der EMRK, dem Völkerrecht zugeordnet, da ihre Grundlage ein völkerrechtlicher Vertrag ist. In der Praxis ist die Entwicklung jedoch dahin gegangen, dass die Verfassungsnormen über die Beziehungen zwischen nationalem Recht und Völkervertragsrecht auf der Grundlage der Verfassungsrechtsprechung auf die Beziehungen zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht nicht mehr angewendet wurden, während sie für die Beziehungen zwischen nationalem Recht und dem EMRK-System weiter anwendbar sind. Die Abweichungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

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Der erste Unterschied liegt darin, dass nach der Verfassungsnovelle des Jahres 2001 unbestreitbar ist, dass die nationalen Normen zur Umsetzung internationaler Verträge Bezugsnormen für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von einfachen Gesetzen darstellen, die später erlassen wurden und den Vertragsnormen widersprechen. Die beim Verfassungsgericht konzentrierte Überprüfung der Vereinbarkeit von einfachen (früheren oder späteren) Gesetzen mit Gemeinschaftsrecht findet jedoch nur begrenzte Anwendung, wenn es sich um direkt anwendbares oder bindendes Gemeinschaftsrecht handelt; in diesem Fall hat jeder Richter und die Verwaltung die Pflicht, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts durch Nichtanwendung des entgegenstehenden nationalen Rechts zu gewährleisten. Auf die Normen zur Umsetzung der EMRK sind hingegen weiter die allgemeinen Regeln über die Beziehung zwischen nationalem Recht und Völkervertragsrecht anwendbar: Für die Feststellung eines Widerspruchs zwischen der EMRK und einem späteren Gesetz ist das Verfassungsgericht zuständig, das die Rechtswidrigkeit des späteren Gesetzes feststellen kann.

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Zweitens wurde gezeigt, dass die Normen zur Umsetzung völkerrechtlicher Verträge nach der Verfassungsnovelle von 2001 zwar den Status einer Bezugsnorm bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit, jedoch nicht den Rang einer Verfassungsbestimmung haben. Die Normen zur Umsetzung von Völkervertragsrecht nehmen in der Normenhierarchie weiterhin nur den Rang der Umsetzungsnorm ein, d.h. in der Regel den Rang eines einfachen Gesetzes, das den Anwendungsbefehl enthält und folglich der Verfassung nicht widersprechen darf. Für das Gemeinschaftsrecht gilt dies jedoch nicht, seit das Verfassungsgericht dem Gemeinschaftsrecht Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich Verfassungsrecht, zuerkannt hat, mit der Ausnahme eines „änderungsfesten Kerns“, der in der sog. „controlimiti-Doktrin“ Ausdruck findet. Das EMRK-Recht hingegen bleibt, trotz der Bemühungen der Doktrin und der Rechtsprechung, „normales“ nationales Recht aus völkerrechtlicher Quelle, das der Verfassung und anderen Quellen mit Verfassungsrang untersteht, denen es nicht widersprechen und die es nicht abändern kann. Auch die wachsende Rolle der EMRK und des „lebenden Rechts“ bei der Auslegung von Grundrechten der Verfassung durch das Verfassungsgericht berührt, wie gezeigt, weder die Stellung der Verfassung an der Spitze der nationalen Normenhierarchie noch die Rolle der Corte costituzionale als Garant dieser Ordnung. Das „Phänomen EMRK“ fällt demnach nicht aus der verfassungsrechtlichen Regelung über die Beziehung zwischen nationalem Recht und Völkervertragsrecht heraus.

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Ein weiterer Unterschied zwischen der verfassungsrechtlichen Regelung mit Bezug auf das Gemeinschaftsrecht und das Völkervertragsrecht ergibt sich aus dem Status, den das europäische Sekundärrecht im nationalen Recht im Vergleich zum Sekundärrecht anderer internationaler Organisationen einnimmt. Während letzteres, außer im Fall der vertraglich bestimmten direkten Anwendbarkeit, jeweils nationale Umsetzungsakte erfordert, da der Anwendungsbefehl des Gründungsvertrages der Organisation nicht als ausreichend angesehen wird, wird Gemeinschaftsrichtlinien, die nicht in der vorgesehenen Frist umgesetzt werden, unter bestimmten Bedingungen die sog. Direktwirkung zuerkannt, d.h. die Anwendbarkeit in der nationalen Rechtsordnung, wenn auch nur auf vertikaler Ebene. Das Institut der Direktwirkung von nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien stellt demnach eine Sonderregelung für das Gemeinschaftsrecht dar, die aus der Übernahme der Auffassung des EuGH durch die Corte costituzionale folgt. Die Direktwirkung von Richtlinien kann auch nicht mit dem self-executing-Charakter gleichgesetzt werden, der Völkervertragsrecht (wie z.B. der EMRK oder den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften) zuerkannt wird, da hierfür immer ein Anwendungsbefehl vorausgesetzt ist, der die völkerrechtlichen Regeln in nationale Regeln umwandelt, was bei Richtlinien nicht der Fall ist, die, obwohl nicht „umgesetzt“, Wirkung in der nationalen Rechtsordnung entfalten. Ein derartiges Phänomen gibt es mit Bezug auf das EMRK-System nicht, das, wie bereits erwähnt, in die Verfassungsbestimmungen über die Beziehungen zwischen nationalem Recht und Völkerrecht eingebettet bleibt.

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Schließlich ist abermals hervorzuheben, dass es bis heute in der italienischen Verfassung keine Bestimmung gibt, die klare Voraussetzungen und Grenzen für die Integration Italiens in die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union enthält; die sehr allgemeine Bestimmung in Art. 11 Cost. hat daher auf Seiten des italienischen Verfassungsgerichts im Wege eines „Dialogs auf Entfernung“ mit dem Luxemburger Gerichtshof in Ermangelung normativer Bestimmungen zur Anerkennung einer bedeutenden „Ersatzrolle“ der Verfassungsrechtsprechung im Bereich der Beziehungen zwischen nationaler Rechtsordnung und Gemeinschaftsordnung bei formal unveränderter Verfassungslage geführt.

Erster Teil Offene Staatlichkeit§ 18 Offene Staatlichkeit: Italien › Bibliographie

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