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aa) Der Machtverlust des nationalen Parlaments

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Mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische Ebene ist ein beträchtlicher Machtverlust des nationalen Parlaments einhergegangen. Ein derartiges Phänomen hat erhebliche Auswirkungen auf die Demokratiestruktur innerhalb der nationalen Rechtsordnung, weil die nationale Regierung auf Grund der zentralen Rolle des Rats in der Architektur der europäischen Institutionen auf Kosten des Parlaments deutlich an Macht gewonnen hat. Das Parlament behält natürlich in einer parlamentarischen Demokratie – wie der italienischen – die Möglichkeit, die politische Verantwortung der Regierung in Bezug auf ihre Stellungnahmen in den europäischen Institutionen bzw. Organen geltend zu machen; die Frage ist aber zunächst, wie das Parlament in den europäischen Angelegenheiten ex ante – d.h. im Vorfeld des europäischen Entscheidungsprozesses – eine angemessene Rolle spielen kann.

(1) Beteiligung am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft („fase ascendente“)

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Die Antwort des Parlaments auf diese Frage war nicht – wie z.B. in Deutschland (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3 GG) – eine Verfassungsänderung, sondern der Erlass einfacher Gesetze, nämlich des Gesetzes Fabbri Nr. 183 vom 16.3.1987 und des Gesetzes La Pergola Nr. 86 vom 9.3.1989, die die Beteiligung des Parlaments am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft geregelt haben. Die gesamte Materie ist durch das Gesetz Buttiglione Nr. 11 vom 4.2.2005 neu geregelt worden.

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Nach der aktuellen Rechtslage hat die Regierung die Pflicht, die Kammern zu unterrichten über: 1) alle Entwürfe von Rechtsakten der Gemeinschaft und der Europäischen Union, 2) alle Maßnahmen zur Vorbereitung dieser Rechtsakte (einschließlich der Grün- bzw. Weißbücher und der Mitteilungen der EU-Kommission), 3) die Themen auf der Tagesordnung des Rats der Europäischen Union, 4) alle Stellungnahmen, die die Regierung im Europäischen Rat vertreten will, und 5), jedoch nur auf Anfrage der Kammern, die Stellungnahmen, die die Regierung im Rat der Europäischen Union abgeben will.[57] Auf dieser Grundlage haben die Kammern das Recht, Bemerkungen und politische Stellungnahmen zu allen Entwürfen europäischer Akte bzw. allen vorbereitenden Akten abzugeben.[58] In diesem Zusammenhang hat das Gesetz Buttiglione den „Vorbehalt der parlamentarischen Prüfung“ (riserva d’esame parlamentare), die dem britischen „scrutiny reserve“ ähnelt, eingeführt. Danach ist die Regierung verpflichtet, im Rat der Europäischen Union erst nach der Prüfung der entsprechenden Akte durch die Kammern Stellung zu nehmen.[59] Weiter haben die Kammern das Recht, 1) innerhalb von 15 Tagen über die Ergebnisse der einzelnen Sitzungen des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rats[60] und 2) alle 6 Monate über die wichtigsten Themen, die auf europäischer Ebene diskutiert worden sind oder gerade diskutiert werden, von der Regierung unterrichtet zu werden;[61] 3) die Regierung muss darüber hinaus den Kammern einen Jahresbericht vorlegen (bis zum 31. Januar jeden Jahres), der die Gemeinschaftspolitik des vergangenen Jahres und die Politik, die die Regierung im laufenden Jahr verfolgt, darlegt.[62]

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Somit stellt das Gesetz dem Parlament zwar Instrumente zur Wahrnehmung der Beteiligung am Willensbildungsprozess der Gemeinschaft zur Verfügung, die praktische Wahrnehmung der politischen Kontrollfunktion hängt jedoch zweifellos von der Abstimmung der Arbeit der Kammern mit der europäischen Agenda ab.

(2) Das Verhalten nach Erlass des Gemeinschaftsrechts („fase discendente“)

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Italien war bis in die 1980er Jahre hinein mit der Umsetzung der europäischen Richtlinien ständig in Verzug; dasselbe gilt ganz allgemein für die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an das Gemeinschaftsrecht. Dies lag vor allem daran, dass die Regierung die entsprechenden Gesetzentwürfe bzw. im Fall der Ermächtigung die gesetzesvertretenden Verordnungen nur langsam erarbeitete. Hinzu kam weiter die erhebliche Dauer der parlamentarischen Verfahren. Um diesem Missstand abzuhelfen, hat der Gesetzgeber mit den bereits erwähnten Gesetzen Fabbri, La Pergola und letztendlich Buttiglione die gesamte Materie neu geregelt und die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die europäischen Verpflichtungen im Wege eines jährlich zu verabschiedenden Gesetzes (der sog. „legge comunitaria“, „Gemeinschaftsgesetz“) geregelt. Danach verabschiedet das Parlament jedes Jahr ein Gesetz, in dem es alle Normen erlässt, die für die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die aus der Mitgliedschaft in der EU fließenden Verpflichtungen erforderlich sind. Das Instrument des „Gemeinschaftsgesetzes“ hat zwar dazu beigetragen, die jahrelange Verspätung bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht durch Italien zu beenden, es hat aber damit zugleich eine weitere Aushöhlung der Zuständigkeiten des Parlaments zugunsten der Regierung (die den entsprechenden Gesetzentwurf erstellt) nach sich gezogen, da die Umsetzung zahlreicher Gemeinschaftsverpflichtungen in einem einzigen Akt es praktisch unmöglich macht, die einzelnen Aspekte genau zu überprüfen und detailliert zu diskutieren.[63]

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