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Der Rat von Moran

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Die Oberste Rätin eröffnete die Sitzung. Chan war sich sicher, dass irgendetwas nicht stimmte, seit sie die Quartiere verlassen hatten. Sie sah sich um. Wo war Toshira? War sie bei ihnen gewesen? Alles war so schnell gegangen. Sie beschloss die anderen zu fragen. “Sag mal, Luri...” Weiter kam sie nicht.

“Verehrte Ratsmitglieder, die Legende der Sholo’Sa-Kriege, Luritri, bittet gemeinsam mit dem Strategen Araneon aus Lyrin-Mar vor dem Rat sprechen zu dürfen. Sie bringen Neuigkeiten aus Fort Fox. Ein Krieg steht uns bevor.”

Gemurmel erhob sich. Einer der Räte stand auf.

“Rat Ortega”, Finola Meda, starrte den grau melierten Ratsherren an. Eine steile Falte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet. “Ihr wünscht, vor den Ausführungen der Reisenden zu sprechen?”

“In der Tat”, antwortete Ortega. “Ich erhebe Einspruch gegen die Feststellung, diese da”, er wies auf Luritri, “sei die Zayao, die Thororn besiegt hat. Ich beantrage, die Hochstaplerin einzusperren.”

Luritri fauchte. Zwei Gardisten näherten sich ihr.

“Halt!”, rief die Oberste Rätin. “Das sind schwere Anschuldigungen, Rat Ortega. Seid Ihr sicher, dass ihr diese aufrechterhalten wollt? Falls ja, müsst ihr diese zunächst untermauern. Ein Versehen wird die Beziehungen zu den anderen Städten des Bundes schwer belasten.” “Ah”, erwiderte der Ratsherr gedehnt, “jetzt gilt das Wort einer Betrügerin schon mehr, als das eines Mitgliedes dieses Rates. Kann man das einem Kind durchgehen lassen, auch wenn es durch widrige Umstände dem Rat vorsteht?” Die Räte redeten aufgeregt durcheinander. Finola Meda bat um Ruhe. Niemand scherte sich darum, außer eine Frau und ein Mann. “Erienne Aday, die Anführerin des Aday-Clans. Einer der angesehensten Clans”, flüsterte Vendira Chan zu, die neben ihr saß, “und Adair Sardina. Seine Familie stellt die berühmten Handarmbrüste her. Wenigstens hat die Oberste Rätin einige der Clans überzeugen können.”

Schließlich zogen die Gardisten auf ein Zeichen der Obersten Rätin die Waffen. Das Geräusch brachte die Versammlung zum Verstummen. “Danke für Eure Aufmerksamkeit.” Finola Meda sprach die Worte kühl aus. “Ich werde nicht zulassen, dass Moran dafür berühmt wird, eine Volksheldin Elestrias zu beleidigen. Auch indirekte Beleidigungen gegen den Ratsvorsitz werden entsprechend geahndet.” Die Oberste Rätin ließ ihren Blick über die Versammlung schweifen. Das öffentliche Publikum, das den Saal bis zum letzten Platz füllte, folgte der Abwechslung vom Alltag gebannt. “Dennoch werde ich die jüngsten Ausfälle von einer Untersuchung ausnehmen. Es ist wichtig, dass der Rat den Ausführungen von Luritri und Araneon aus Lyrin-Mar unverzüglich Gehör schenkt. Ich bitte Euch, erstattet dem Rat von Moran Bericht.”

“Sehr wohl, Oberste Rätin Meda.” Araneon trat vor das Halbrund, in dem die Räte auf kunstvoll geschnitzten Holzbänken Platz genommen hatten. Er berichtete von der verschwundenen Patrouille, dem anschließenden Scharmützel am Drachenspeer, dem Überfall auf Fort Fox. Er erläuterte die Entführung und Rettung von Chan, Lormun und Vendira sowie den Tod Yadirs. Er schilderte die gefahrvolle Reise nach Moran und die Überfälle der Dæmonen. Die mysteriösen Fähigkeiten und Vorfälle, die Chan betrafen, ließ er aus. Ebenso das Rudel Reitkatzen, das Chans Panther folgte.

“Alles, was wir erbitten, ist Unterstützung. Ihr solltet Moran unverzüglich gegen einen Angriff der Gehörnten wappnen. Jeder in dieser Stadt sollte helfen, dieses Mädchen”, er streckte seinen Arm in Chans Richtung, “zu beschützen. Sie könnte der Schlüssel zur Verteidigung Elestrias sein. Fest steht, dass die Dæmonen ihrer habhaft werden wollen.”

Luritri fauchte. Chan pflichtete ihr in Gedanken bei. Sie hätte es ebenfalls lieber gesehen, wenn Araneon den letzten Punkt nicht erwähnt hätte.

Diesmal ergriff Rätin Miliani Torrez das Wort. “Das klingt nicht gut, Araneon.”

“Sie hat die Anrede Lador vergessen. Bestimmt nicht aus Versehen”, flüsterte Vendira.

Die Rätin fuhr fort. “Seien wir ehrlich. Eine angebliche Volksheldin, die um unser Gehör bittet, ein verwegen aussehender unbekannter Südstaatler”, Rätin Torrez spie das Wort förmlich aus, “der uns weismachen will, ein Fort sei zufällig voll und ganz abgebrannt. Dazu dieses Gör”, sie zeigte auf Chan, “das alles klingt mir zu sehr nach einem Konstrukt aus Lüge und Anmaßung. Ich beantrage hiermit eine Untersuchung der Vorfälle bei gleichzeitigem Arrest der Neuankömmlinge, bis ihre Schuld bewiesen ist.” “Oder ihre Unschuld”, warf die Oberste Rätin ein. “Oder ihre Unschuld”, bestätigte Rätin Torrez. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen.

“Dann bitte ich um Handzeichen, wer dem Vorschlag von Rätin Torrez zustimmt, die Volksheldin...”

“Diejenige, die sich als Volksheldin ausgibt”, unterbrach Torrez.

Finola Meda seufzte. “Wer dem Arrest der Reisegruppe bis zum Abschluss einer Untersuchung zustimmt, möge die Hand heben.”

Torrez hob sofort ihre Hand, gefolgt von einer älteren Frau.

“Ainsley Pereda”, flüsterte Vendira Chan zu. “Sie wird sehr wahrscheinlich in drei Jahren Oberste Rätin werden.”

Ortega, der als Erster Zweifel an Luritri geäußert hatte, hob ebenfalls die Hand. Drei von Sieben.

Ein weiterer Rat hob die Hand.

“O nein”, Vendira stöhnte auf. “Galyn Estacio. Als ich Moran verließ, hat er Finola noch unterstützt.”

Die Oberste Rätin hielt sich am Geländer ihres Podestes fest. Sie war blass. Mit schwacher Stimme verkündete sie: “Der Rat hat abgestimmt. Drei Stimmen, Erienne Aday, Adair Sardina und die Oberste Rätin Finola Meda haben sich gegen einen Arrest ausgesprochen.” Sie seufzte. “Pereda, Estacio, Ortega und Torrez fordern einen Arrest der Reisenden bis zum Abschluss der Untersuchung.” Entschuldigend sah die junge Oberste Rätin zu Vendira und ihren Gefährten. “Eine Stimme Mehrheit. Die Reisenden werden in Arrest bleiben. Ohne verschärfte Bedingungen. Ich werde unverzüglich Chai, den Obersten Schwertmeister, einbestellen, um die Identität Luritris zu bestätigen.”

“Dazu werdet Ihr einen weiteren Schwertmeister anfordern müssen”, entgegnete Rätin Torrez, “Wie ihr wisst, sind zur Bestätigung einer Identität immer zwei Zeugen notwendig. In diesem Fall müssen es Schwertmeister sein. Die vier Sei-Djin von Moran sind mit den Untersuchungen in Fort Fox beauftragt. Sie sind bereits unterwegs.”

“Hört uns wenigstens zur Invasion an”, rief Araneon.

“Eine Invasion?”, höhnte Rätin Torrez. “Moran ist gut gegen alle Gefahren gerüstet. Ich bin mir sicher, Ihr”, sie zeigte auf Araneon und Luritri, “steckt als Drahtzieher hinter einem gut eingefädelten Coup, bei dem selbst Fort Fox nicht verschont wurde. Darauf steht der Galgen!”

Araneons Protest ging in der aufkommenden Unruhe unter. Das Publikum rief durcheinander. Räte diskutierten, schrien sich an. Weitere Ratswachen strömten in den Saal. Chan wurde ergriffen. Vendira griff in einem Reflex an ihre Hüfte, aber die Waffen hatten sie in den Unterkünften lassen müssen. Luritri hatte die Hände zum Kampf erhoben. Ein Blick von Finola Meda ließ sie ihre Arme senken. Es waren zu viele Wachen. Tarodrim brüllte. Araneon befahl ihm, sich zu ergeben. Adriël verschwand in der Menge der Zuschauer. Lormun senkte die geballten Fäuste. Er hatte bereits eine Wache zu Boden geschickt. Seine Augen blitzten.

Chan sah sich um. Sie konnte Toshira immer noch nirgends entdecken.


Aetheris Band 1-3

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