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1 bis 4. Bändchen
Einleitung
I.
Der Donnersberg

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Auf dem linken Rheinufer, ein paar Stunden von der kaiserlichen Stadt Worms, unfern von der Stelle, wo der Selzbach entspringt, beginnen die ersten Kettenglieder von mehreren Bergen, deren Höhen sich gegen Norden zu flüchten scheinen, wie eine Heerde erschrockener Büffel, welche im Nebel verschwinden würde.

Diese Berge beherrschen schon von ihrer Böschung an eine beinahe öde Landschaft, scheinen das Gefolge des höchsten derselben zu bilden und tragen jeder einen ausdrucksvollen Namen, der eine Form bezeichnet oder an eine Tradition erinnert: der eine ist der Königsstuhl, der andere der Rosenstein, der dritte der Falkenfels, der vierte der Schlangenkopf.

Derjenige, welcher am höchsten, seine Granitstirne mit einem Trümmerkranze umgürtend, zum Himmel emporragt, ist der Donnersberg.

Wenn der Abend den Schatten der Eichen verdichtet, wenn die letzten Sonnenstrahlen hinsterbend die hohen Gipfel dieser Riesenfamilie vergolden, so ist es, als steige allmälig die Stille von diesen erhabenen Stufen des Himmels bis zur Ebene herab und ein unsichtbarer, mächtiger Arm entwickle, um ihn über die durch das Geräusch und die Arbeiten des Tages ermüdete Welt auszubreiten, den langen, bläulichen Schleier, auf dessen Grunde die Sterne funkeln. Dann geht Alles unmerklich vom Wachen zum Schlafe über; Alles entschlummert auf der Erde und in der Luft.

Allein mitten in diesem Stillschweigen, verfolgt der bereits von uns erwähnte Selzbach, wie man ihn im Lande nennt, seinen geheimnißvollen Lauf unter den Tannen des Ufers, und obgleich ihn weder Tag noch Nacht aushalten, denn er muß sich in den Rhein werfen, der seine Ewigkeit ist, obgleich ihn nichts aufhält, sagen wir, ist doch der Sand seines Bettes so frisch, sind seine Schilfrohre so biegsam, seine Felsen so gut mit Moos und Steinbrech wattirt, daß keine seiner Wellen rauscht von Morsheim, wo er beginnt, bis Freiweinheim, wo er endigt.

Etwas oberhalb seines Ursprungs, zwischen Albisheim und Kirchheim-Bolanden, führt eine gekrümmte, zwischen zwei abschüssigen Wänden ausgehöhlte und von tiefen Geleisen durchfurchte Straße nach Dannenfels. Jenseits Dannenfels wird die Straße ein Fußpfad, dann nimmt der Fußpfad ab, verschwindet, verliert sich, und das Auge sucht vergebens auf dem Boden etwas Anderes, als den ungeheuren Abhang des Donnersbergs, dessen geheimnißvoller Gipfel, so oft vom Feuer des Herrn heimgesucht, das ihm seinen Namen gegeben hat, sich hinter einem Gürtel von grünen Bäumen wie hinter einer undurchdringlichen Mauer birgt.

Ist der Reisende einmal unter diesen Bäumen angelangt, welche so blätterreich, so buschreich sind, wie die Eichen der alten Dodona, so kann er seinen Weg fortsetzen, ohne daß man ihn, selbst am hellen Tage, von der Ebene aus gewahr wird, und wäre sein Pferd mit Schellen behängt, wie ein spanisches Maulthier, so würde man sein Geräusch doch nicht hören; wäre es mit Sammet und Gold bedeckt, wie das Roß eines Kaisers, so würde doch kein Strahl von Gold oder Purpur das Blätterwerk durchdringen, so sehr erstickt die Dichtheit des Waldes das Geräusch, so sehr tilgt die Dunkelheit seines Schattens die Farben.

Noch heute, wo die höchsten Berge einfache Beobachter geworden sind, noch heute, wo die poetischen Legenden des furchtbarsten Inhalts nur ein Lächeln des Zweifels auf den Lippen des Reisenden hervorrufen, noch heute erschreckt diese Einsamkeit und macht diesen Theil der Gegend so ehrwürdig, wo nur einzelne Häuser von gebrechlichem Aussehen, verlorene Schildwachen der benachbarten Dörfer, allein in einiger Entfernung von dem Zaubergürtel zum Vorschein kommen, um die Anwesenheit des Menschen in dieser Landschaft zu bezeugen.

Die Bewohner der in der Einsamkeit verlorenen Häuser sind Müller, welche lustig den Fluß ihr Korn zermalmen lassen, dessen Mehl sie nach Rockenhausen und Alzey bringen, oder Hirten, die ihr Vieh auf die Waide in den Bergen führen, und zuweilen sammt ihren Hunden bei dem Geräusche einer hundertjährigen Tanne beben, welche aus Altersschwäche in die unbekannten Tiefen des Waldes niederstürzt.

Denn die Erinnerungen der Gegend sind düsterer Natur und der Fußpfad, der sich jenseits Dannenfels mitten unter dem Heidekraut des Gebirges verliert, hat nicht immer, wie die Muthigsten sagen, ehrliche Christen in den Hafen des Heils geführt.

Vielleicht hat einer von den heutigen Bewohnern einst von seinem Vater oder von seinem Großvater erzählen hören, was wir jetzt selbst zu erzählen versuchen wollen.

Am 6. Mai 1770, in der Stunde, wo die Wasser des großen Flusses sich mit einem rosig weißen Reflexe färben, das heißt in dem Augenblick, wo für das ganze Rheingau die Sonne hinter der Thurmspitze des Münsters von Straßburg untergeht, das sie in zwei feurige Hemisphären zerschneidet, erschien ein Mann, nachdem er durch Alzey und Kirchheim-Bolanden geritten war, jenseits des Dorfes Dannenfels, folgte dem Fußpfade, so lange derselbe sichtbar blieb, stieg sodann, als jede Spur des Weges verschwand, von seinem Pferde, nahm es beim Zügel und band es ohne Zögern an die erste Tanne des furchtbaren Waldes.

Das Thier wieherte sehr unruhig und der Wald schien bei diesem ungewohnten Geräusch zu beben.

»Gut! gut!« murmelte der Reisende; »beruhige dich, mein guter Dscherid; wir haben zwölf Stunden zurückgelegt und du bist wenigstens am Ziele deines Laufes angelangt.«

Und der Reisende suchte mit dem Blicke die Tiefe des Blätterwerks zu ergründen; aber die Schatten waren bereits so undurchsichtig, daß man nur die schwarzen Massen unterschied, welche sich von andern, noch dichter schwarzen Massen abhoben. Nach dieser unfruchtbaren Forschung wandte sich der Reisende zu dem Thiere um, dessen arabischer Name zugleich seinen Ursprung und seine Schnelligkeit bezeichnete, nahm es mit beiden Händen unten am Kopfe, näherte die rauchenden Nüstern desselben seinem Munde und sprach:

»Lebe wohl, mein braves Pferd; wenn ich dich nicht wiedersehe, lebe wohl.«

Diese Worte waren von einem raschen Rundblicke begleitet, als hätte der Reisende gehört zu werden befürchtet oder gewünscht.

Das Pferd schüttelte seine seidene Mähne, stampfte mit dem Fuße auf den Boden, und wieherte mit jenem Wiehern, wie es dieses Thier bei Annäherung des Löwen in der Wüste hören lassen mußte.

Der Reisende bewegte diesmal nur den Kopf von oben nach unten, mit einem Lächeln, als wollte er sagen:

»Du täuschest dich nicht, Dscherid, die Gefahr ist hier.«

Ohne Zweifel zum Voraus entschlossen, die Gefahr nicht zu bekämpfen, nahm der abenteuerliche Unbekannte aus seinem Sattelbogen zwei schöne Pistolen mit ciselirten Läufen und mit Kolben von Vermeil, zog mit dem Krätzer die Ladung heraus, warf den Pfropf und die Kugel weg und schüttete das Pulver auf den Boden

Als dies bewerkstelligt war, steckte er die Pistolen in die Holfter.

Das ist noch nicht Alles.

Der Reisende trug an seinem Gürtel einen Säbel mit stählernem Griffe; er schnallte die Kuppel los, wickelte sie um den Säbel, schob das Ganze unter den Sattel und befestigte es mit dem Steigriemen so, daß die Spitze des Säbels nach der Weiche des Pferdes und der Griff nach der Schulter sah.

Nachdem diese seltsamen Förmlichkeiten erfüllt waren, schüttelte der Reisende seine staubigen Stiefeln, zog seine Handschuhe aus, suchte in seinen Taschen, fand darin eine Scheere und ein Federmesser mit einem Schildkrothefte, und warf Beides über seine Schulter, ohne nur zu schauen, wohin es fiel.

Sobald dies geschehen war, fuhr der Reisende zum letzten Male über das Kreuz von Dscherid, athmete, als wollte er seiner Brust den vollen Grad der Ausdehnung geben, den sie erlangen konnte, suchte dann vergebens irgend einen Fußpfad und trat, als er keinen sah, auf Zufall in den Wald.

Es ist unserer Ansicht nach der Augenblick, unsern Lesern einen genauen Begriff von dem Reisenden zu geben, den wir ihnen vor Augen gestellt haben, und der eine wichtige Rolle im Verlauf unserer Geschichte zu spielen bestimmt ist.

Derjenige, welcher, nachdem er vom Pferde gestiegen, sich so kühn in den Wald wagte, war ein Mann von etwa dreißig bis zwei und dreißig Jahren, von mehr als mittlerem Wuchse, aber so bewunderungswürdig gebaut, daß man zugleich die Kraft und die Gewandtheit in seinen geschmeidigen, nervigen Gliedern kreisen fühlte. Er trug eine Art von Reiserock von schwarzem Sammet mit goldenen Knopflöchern. Die zwei Enden einer gestickten Jacke erschienen unterhalb der letzten Knöpfe dieses Rockes, und eine anliegende Lederhose hob Beine hervor, die als Modell für einen Bildhauer hätten dienen können, und deren zierliche Formen man durch die gefirnißten Stiefeln errieth.

Sein Gesicht hatte die ganze Beweglichkeit der südlichen Typen und war eine seltsame Mischung von Kraft und Feinheit: sein Blick vermochte alle Gefühle auszudrücken und schien, wenn er sich auf Jemand heftete, zwei Lichtstrahlen in denjenigen zu tauchen, welchem er galt, um die tiefste Tiefe seiner Seele zu erleuchten. Seine braunen Wangen waren, wie man dies sogleich sah, von einer heißeren Sonne als die unsrige verbrannt Ein großer, aber schön geformter Mund endlich öffnete sich, um eine doppelte Reihe herrlicher Zähne sehen zu lassen, welche die Wärme der Gesichtshaut noch weißer erscheinen ließ. Der Fuß war lang, aber fein, die Hand klein, aber nervig.

Der Mann, dessen Portrait wir entworfen, hatte kaum zehn Schritte unter den schwarzen Tannen gemacht, als er ein rasches Stampfen an der Stelle hörte, wo er sein Pferd gelassen.

Seine erste Bewegung, eine Bewegung, über deren Absicht man sich nicht täuschen konnte, war, zurückzukehren: aber er bemeisterte sich, konnte jedoch dem Verlangen, zu sehen, was aus Dscherid geworden, nicht widerstehen, erhob sich auf den Fußspitzen und schoß einen Blick durch die Lichtung: fortgezogen durch eine unsichtbare Hand, welche den Zaum losgemacht, war Dscherid bereits verschwunden.

Die Stirne des Unbekannten faltete sich leicht und etwas wie ein Lächeln zog seine vollen Wangen und seine Lippen mit den seinen Rändern zusammen.

Dann setzte er seinen Weg gegen den Mittelpunkt des Waldes fort.

Noch einige Schritte leitete ihn die durch die Bäume dringende düstere Abenddämmerung in seinem Marsche; aber bald hörte dieser schwache Reflex auf, und er befand sich in einer so dichten Nacht, daß er nicht mehr sah, wohin er den Fuß setzte, und ohne Zweifel aus Furcht, sich zu verirren, stehen blieb.

»Ich bin nach Dannenfels gekommen,« sagte er laut, »denn von Mainz nach Dannenfels führt eine Landstraße; ich bin von Dannenfels auf die Schwarzheide gelangt, weil sich von Dannenfels nach der Schwarzheide ein Fußpfad findet; ich bin von der Schwarzheide hierher gekommen, obgleich es dann weder mehr eine Landstraße noch einen Fußpfad gab, denn ich gewahrte den Wald; aber hier bin ich genöthigt, stille zu stehen; ich sehe nichts mehr.«

Kaum waren diese Worte in einem halb französischen, halb sicilianischen Dialecte gesprochen, als ein Licht ungefähr fünfzig Schritte vor dem Reisenden hervorsprang.

»Ich danke,« sagte er, »das Licht mag nun gehen, ich werde ihm folgen.«

Sogleich ging das Licht ohne Schwankung, ohne Erschütterung, gleichmäßig sich fortbewegend, wie auf unsern Theatern jene phantastischen Flammen hingleiten, deren Gang durch den Maschinisten und den Scenisten geordnet ist.

Der Reisende machte noch ungefähr hundert Schritte, dann glaubte er etwas wie einen Hauch an seinem Ohr zu vernehmen.

Er schauerte.

»Wende Dich nicht um, oder Du bist todt,« sagte eine Stimme rechts.

»Gut,« erwiederte der unempfindliche Reisende ohne eine Miene zu verziehen.

»Sprich nicht, oder Du bist todt!« sagte eine Stimme links.

Der Reisende verbeugte sich ohne zu sprechen.

»Aber wenn Du Furcht hast«, sagte eine dritte Stimme, welche, wie die von Hamlets Vater aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien, »wenn Du Furcht hast, so kehre zurück, Du wirst dadurch bezeichnen, daß Du Verzicht leistest, und man läßt Dich zurückkehren, wohin Du willst.«

Der Reisende beschränkte sich darauf, eine Geberde mit der Hand zu machen, und setzte seinen Weg fort.

Die Nacht war so finster und der Wald so dicht, daß der Reisende trotz des Scheines, der ihn leitete, nur strauchelnd vorrückte. Die Flamme marschirte ungefähr eine Stunde, und der Reisende folgte ihr, ohne ein Murren hören zu lassen, ohne ein Zeichen der Furcht von sich zu geben.

Plötzlich verschwand sie.

Der Reisende war außerhalb des Waldes. Er schlug die Augen auf; durch das düstere Azur des Himmels funkelten einige Sterne.

Er marschirte in der Richtung weiter, in der das Licht verschwunden war; aber bald sah er, daß sich eine Ruine, das Gespenst eines alten Schlosses, vor ihm erhob.

Zu gleicher Zeit stieß sein Fuß an Trümmer.

Alsbald klebte sich ein eisiger Gegenstand an seine Schläfe und vermauerte seine Augen. Von da an sah er nicht einmal mehr die Finsterniß.

Eine Binde von benetzter Leinwand umschloß seinen Kopf. Es war ohne Zweifel eine verabredete Sache, wenigstens war es eine Sache, die er erwartete, denn er versuchte es nicht, die Binde aufzuheben; er streckte nur schweigend die Hand aus, wie es ein Blinder thut, der nach einem Führer verlangt.

Diese Geberde wurde begriffen, denn in demselben Augenblick klammerte sich eine kalte, trockene, knochige Hand an die Finger des Reisenden an.

Er erkannte, daß es die fleischlose Hand eines Skelettes war; wäre aber diese Hand mit Gefühl begabt gewesen, so würde sie erkannt haben, daß die seinige nicht zitterte.

Dann fühlte sich der Reisende rasch durch einen Raum von ungefähr hundert Klaftern fortgezogen.

Plötzlich verließ die Hand die seinige, die Binde flog von seiner Stirne, und der Unbekannte blieb stehen: er war auf dem Gipfel des Donnersbergs angelangt.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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