Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 14

1 bis 4. Bändchen
Einleitung
XI.
Zofe und Gebieterin

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Der Zustand, in welchem Nicole in ihr Zimmer zurückkehrte, war nicht die Ruhe, die sie heuchelte. Von all der Grundsatzlosigkeit, von der sie eine Probe abgelegt zu haben glaubte, von all der Festigkeit, mit der sie Parade gemacht zu haben wähnte, besaß Nicole in der That nur eine Dose Prahlerei, welche hinreichend war, um sie gefährlich zu machen und verdorben erscheinen zu lassen. Nicole war eine von Natur ungeordnete Phantasie, ein durch schlechte Lecture verdorbener Geist. Das Zusammenwirken dieses Geistes und dieser Phantasie verlieh glühenden Sinnen Aufschwung; doch es war durchaus keine trockene Seele, und wenn es ihrer allmächtigen Eitelkeit auch zuweilen gelang, die Thränen in ihren Augen festzuhalten, so fielen diese Thränen, heftig zurückgestoßen, zerfressend wie Tropfen geschmolzenen Bleis auf ihr Herz.

Eine einzige Kundgebung war bei ihr bezeichnend und wahr gewesen. Dies war das Lächeln voll Verachtung, mit welchem sie die ersten Beleidigungen von Gilbert aufnahm. Dieses Lächeln verrieth alle Wunden ihres Herzens! Wohl war Nicole ein Mädchen ohne Tugend, ohne Grundsätze, aber sie hatte einen gewissen Preis auf ihre Niederlage gesetzt, und als sie sich hingab, glaubte sie, da sie sich ganz und gar hingab, ein Geschenk zu machen. Die Gleichgültigkeit und Abgeschmacktheit von Gilbert erniedrigten sie in ihren eigenen Augen. Sie war hart für ihren Fehler bestraft worden und empfand grausam den Schmerz dieser Strafe; aber sie erhob sich wieder unter der Peitsche und schwor sich selbst, Gilbert, wenn nicht alles Böse, doch wenigstens einen Theil des Bösen, das er ihr angethan, zurückzugeben.

Jung, kräftig, voll ländlichen Saftes, begabt mit der Fähigkeit zu gehorchen, welche, so kostbar ist für Jeden, der nicht darnach trachtet, denjenigen zu befehlen, welche ihn lieben, konnte Nicole schlafen, nachdem sie ihren kleinen Racheplan mit allen Dämonen, welche ihr die Ehre erwiesen, ihr siebzehnjähriges Herz zu bewohnen, verhandelt hatte.

Uebrigens kam ihr Fräulein von Taverney eben so oder noch viel mehr schuldig vor, als Gilbert. Eine junge Edeldame, ganz steif von Vorurtheilen, ganz aufgeblasen von Stolz, die im Kloster in Nancy die dritte Person den Prinzessinnen, das Sie den Herzoginnen, das Du den Marquisen gab; eine scheinbar kalte, aber unter einer marmornen Rinde fühlende, empfindende Statue; diese Statue kam ihr lächerlich, gemein vor, wenn sie sich zur Frau eines Dorf-Pygmalions, wie Gilbert, machte.

Denn es ist nicht zu leugnen, mit dem ausgesuchten Sinne, mit dem die Natur die Frauen begabt hat, fühlte sich Nicole im Geiste nur unter Gilbert, aber erhaben über alles Uebrige. Ohne diese Ueberlegenheit des Geistes, die ihr Geliebter durch fünf oder sechs Jahre der Lecture über sie errungen hatte, erniedrigte sie sich, sie, die Kammerjungfer eines ruinirten Barons, indem sie sich einem Bauern hingab.

Was machte folglich ihre Gebieterin, wenn sie sich Gilbert hingegeben hatte?

Nicole bedachte, daß das, was sie zu sehen geglaubt, aber wirklich gesehen zu haben sich einbildete, Herrn von Taverney zu erzählen, ein ungeheurer Fehler wäre: einmal wegen des Charakters von Herrn von Taverney, der darüber lachen würde, nachdem er zuvor Gilbert beohrfeigt und weggejagt hätte; sodann wegen des Charakters von Gilbert, der die Rache gemein und verächtlich finden dürfte.

Aber Gilbert in Andrée leiden lassen, ein Recht über Beide erlangen, sie unter ihrem, der Zofe, Blick erröthen und erbleichen machen, unumschränkte Gebieterin werden und Gilbert vielleicht die Zeit bedauern lassen, wo die Hand, die er küßte, nur an der Oberfläche rauh war; das schmeichelte ihrer Einbildungskraft und liebkoste ihren Stolz; das schien ihr wirklich vortheilhaft; hiezu entschloß sie sich, hiebei blieb sie stehen.

Es war Tag, als sie frisch, leicht, mit munterem Geiste erwachte. Sie verwendete die gewöhnliche Zeit, das heißt eine Stunde, auf ihre Toilette; denn um nur ihre langen Haare zu entwirren, hätte eine minder geschickte oder eine bedächtigere Hand, als die ihrige, das Doppelte dieser Zeit gebraucht; Nicole betrachtete ihre Augen in dem von uns erwähnten, verzinnten, dreieckigen Glase, das ihr als Spiegel diente; ihre Augen kamen ihr schöner vor, als je. Sie setzte die Prüfung fort und ging von ihren Augen auf ihren Mund über: ihre Lippen waren nicht erbleicht und rundeten sich wie eine Kirsche unter dem Schatten einer feinen, leicht aufgestülpten Nase; ihr Hals, den sie den Küssen der Sonne zu entziehen äußerst besorgt war, hatte eine Lilienweiße; und nichts vermochte sich Reicheres als ihre Brust und kecker Gebogeneres als ihre Taille zu bieten.

Als sie sich so schön sah, dachte Nicole, sie könnte leicht Andrée Eifersucht einflößen. Sie war nicht ganz und gar verdorben, wie man sieht, da sie nicht an eine Laune oder eine Phantasie dachte und ihr die Idee kam, Fräulein von Taverney könnte Gilbert lieben.

So physisch und moralisch bewaffnet, öffnete Nicole die Thüre des Zimmers von Andrée, gemäß der ihr von ihrer Gebieterin ertheilten Vollmacht, wenn diese um sieben Uhr noch nicht aufgestanden war.

Kaum in das Zimmer eingetreten, blieb Nicole stille stehen.

Bleich und die Stirne mit einem Schweiße bedeckt, in welchem ihre schönen Haare schwammen, war Andrée auf ihrem Bette ausgestreckt, athmete mühsam und krümmte sich zuweilen mit einem düsteren Ausdrucke des Schmerzes.

Unter ihr zusammengerollt und zerknittert, bedeckten ihre Tücher ihren Leib nicht, und in einer Unordnung, welche ihre Aufregung enthüllte, stützte sie eine ihrer Wangen auf ihren Arm und drückte ihre andere Hand auf ihre gesprenkelte Brust.

Ihr in Zwischenräumen unterbrochener Athem strömte sich von Zeit zu Zeit wie ein schmerzhaftes Röcheln aus, und sie ließ unartikulirte Seufzer vernehmen.

Nicole schaute sie einen Augenblick stillschweigend an und schüttelte dann den Kopf, denn sie ließ sich Gerechtigkeit widerfahren und sah ein, daß es keine Schönheit gab, welche mit der Schönheit von Andrée in den Kampf treten konnte.

Hierauf ging sie auf das Fenster zu und öffnete einen Laden.

Eine Lichtwoge überfluthete das Zimmer und machte die bläulichen Augenlider von Fräulein von Taverney zittern.

Sie erwachte und wollte sich erheben, aber sie fühlte eine so große Müdigkeit und zugleich einen so scharfen Schmerz, daß sie auf ihr Kopfkissen zurückfiel und einen Schrei ausstieß.

»Ei! mein Gott! was haben Sie denn, mein Fräulein?« sagte Nicole.

»Ist es spät?« fragte Andrée, sich die Augen reibend.

»Sehr spät; das Fräulein ist diesen Morgen eine Stunde mehr als gewöhnlich im Bette geblieben.«

»Ich weiß nicht, was ich habe,« sprach Andrée und schaute umher, um sich zu versichern, wo sie wäre. »Ich fühle mich ganz steif, meine Brust ist wie gelähmt.«

Nicole heftete ihre Augen auf Andrée, ehe sie antwortete.

»Das ist der Anfang von einem Schnupfen, den das Fräulein ohne Zweifel diese Nacht bekommen hat,« sprach sie.

»Diese Nacht?« entgegnete Andrée voll Erstaunen. »Oh! ich habe mich also nicht ausgekleidet?« sagte sie, als sie die Unordnung ihrer Toilette bemerkte. »Wie kommt das?«

»Das Fräulein mag sich erinnern.«

»Ich erinnere mich nicht,« sprach Andrée, indem sie ihre Stirne in ihre beiden Hände nahm; »was ist mir begegnet? bin ich verrückt?«

Und sie setzte sich in ihrem Bette auf und schaute zum zweiten Male mit einem beinahe irren Gesichte umher.

Dann fuhr sie mit einer gewissen Anstrengung fort:

»Ah! ja, ich erinnere mich: gestern war ich so müde, so erschöpft … ohne Zweifel dieser Sturm; hernach  . . .«

Nicole deutete mit dem Finger auf ihr zerknittertes, aber trotz seiner Unordnung bedecktes Bett.

Sie hielt inne; sie dachte an den seltsamen Fremden, der sie auf eine so sonderbare Weise angeschaut hatte.

»Hernach?  . . .« versetzte Nicole mit dem Anscheine der Theilnahme; »es war, als erinnerte sich das Fräulein  . . .«

»Hernach entschlummerte ich auf dem Tabouret vor meinem Klavier. Von diesem Augenblick an erinnere ich mich nicht mehr. Ich werde halb eingeschlafen in mein Zimmer heraufgegangen sein und mich auf mein Bett geworfen haben, ohne daß ich die Kraft besaß, mich auszukleiden.«

»Sie hätten mich rufen sollen, mein Fräulein,« sagte Nicole mit süßlichem Tone; »bin ich denn nicht des Fräuleins Kammerjungfer?«

»Ich habe wohl nicht daran gedacht, oder nicht die Kraft dazu gehabt,« sprach Andrée mit wahrer Unschuld.

»Heuchlerin!« murmelte Nicole.

Dann fügte sie bei:

»Aber das Fräulein ist also sehr lange beim Klavier geblieben, denn ehe das Fräulein in sein Zimmer zurückgekehrt war, ging ich hinab, da ich Lärm unten hörte.«

Hier hielt Nicole inne, in der Hoffnung, irgend eine Bewegung, ein Zeichen, eine Röthe bei Andrée wahrzunehmen; aber diese blieb ruhig und man konnte gewissermaßen durch den klaren Spiegel ihres Gesichtes bis in ihre Seele sehen.

»Ich ging hinab,« wiederholte Nicole.

»Nun?« fragte Andrée.

»Nun! das Fräulein war nicht an seinem Klavier.«

Andrée schaute empor; aber es ließ sich unmöglich in ihren schönen Augen etwas Anderes lesen, als das Erstaunen.

»Das ist seltsam!« sprach sie.

»Es ist so.«

»Du sagst, ich sei nicht im Salon gewesen? und ich habe mich doch nicht von der Stelle gerührt.«

»Das Fräulein wird mich entschuldigen,« versetzte Nicole.

»Wo war ich denn also?«

»Das Fräulein muß es besser wissen, als ich,« versetzte Nicole, die Achseln zuckend.

»Ich glaube, Du täuschest Dich, Nicole,« sagte Andrée mit der größten Sanftmuth. »Ich habe mein Tambouret nicht verlassen und erinnere mich nur, daß ich fror, daß meine Glieder ganz schwerfällig wurden, und daß ich nur mit großer Mühe gehen konnte.«

»Oh! als ich das Fräulein sah, ging es noch sehr gut,« entgegnete Nicole hohnlächelnd.

»Du hast mich gesehen?«

»Ja, gewiß.«

»Du sagtest doch so eben, ich sei nicht im Salon gewesen.«

»Es war auch nicht im Salon, wo ich das Fräulein gesehen habe.«

»Wo denn?«

»In der Hausflur, bei der Treppe.«

»Mich!« versetzte Andrée.

»Das Fräulein selbst, ich kenne doch wohl das Fräulein,« erwiederte Nicole mit einem Gelächter, das gutmüthig sein sollte.

»Ich weiß aber ganz gewiß, daß ich mich nicht aus dem Salon entfernt habe,« sagte Andrée, während sie voll Unschuld in ihren Erinnerungen suchte.

»Und ich,« entgegnete Nicole, »ich weiß, daß ich das Fräulein in der Hausflur gesehen habe, ich dachte sogar,« fügte sie, ihre Aufmerksamkeit verdoppelnd, bei, »ich dachte, das Fräulein käme von einem Spaziergange im Garten zurück. Es war schön Wetter gestern Nacht nach dem Sturme. Es ist so angenehm, bei Nacht spazieren zu gehen: die Luft ist frischer, die Blumen riechen besser, nicht wahr, mein Fräulein?«

»Du weißt wohl, daß ich es nicht wagen würde, bei Nacht spazieren zu gehen,« erwiederte Andrée lächelnd, »ich bin zu furchtsam.«

»Man kann mit irgend Jemand gehen und dann hat man keine Furcht.«

»Mit wem soll ich gehen?« entgegnete Andrée, weit entfernt, in allen diesen Fragen ihrer Kammerjungfer ein Verhör zu sehen.

Nicole hielt es nicht für geeignet, ihre Forschung weiter zu treiben. Diese Kaltblütigkeit, die ihr der höchste Grad der Verstellung zu sein schien, machte ihr bange.

Sie erachtete es für klug, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Das Fräulein sagte vorhin, es leide?« fragte sie.

»Ja, in der That, ich leide ungemein; ich bin angegriffen, müde, und zwar ohne alle Veranlassung. Ich habe gestern Abend gethan, was ich jeden Tag thue. Wenn ich krank würde!«

»Oh! mein Fräulein, man hat zuweilen Kummer . . .« bemerkte Nicole.

»Nun?« versetzte Andrée.

»Nun! der Kummer bringt dieselbe Wirkung hervor, wie die Anstrengung. Ich weiß das.«

»Du! hast Du Kummer, Nicole?«

Diese Worte wurden mit einer gewissen verächtlichen Gleichgültigkeit gesprochen, welche Nicole den Muth verlieh, ihre Zurückhaltung ein wenig zu überschreiten.

»Gewiß, mein Fräulein,« erwiederte sie, die Augen niederschlagend; »ja, ich habe Kummer.«

Andrée stieg nachlässig von ihrem Bette herab und sagte, während sie sich auskleidete, um sich wieder anzukleiden:

»Erzähle mir das.«

»In der That, ich kam gerade zu dem Fräulein, um ihm zu sagen  . . .« Sie schwieg wieder.

»Um ihm zu sagen, was? Guter Gott! wie bestürzt Du aussiehst, Nicole.«

»Ich sehe bestürzt aus, wie das Fräulein abgemattet aussieht; ohne Zweifel leiden wir Beide.«

Das Wir mißfiel Andrée, sie runzelte die Stirne und ließ den Ausruf: Ah! vernehmen.

Doch Nicole wunderte sich nicht über diesen Ausruf, obgleich der Ton desselben sie zur Ueberlegung hätte bringen sollen.

»Da das Fräulein durchaus will, so fange ich an,« sagte sie.

»Sprich.«

»Ich habe Lust, mich zu verheirathen,« fuhr Nicole fort.

»Bah!  . . .« machte Andrée, »Du denkst hieran und bist noch nicht siebenzehn Jahre alt?«

»Das Fräulein ist erst sechzehn.«

»Nun?«

»Nun! obgleich das Fräulein erst sechzehn ist, denkt es nicht auch zuweilen daran, sich zu verheirathen?«

»Woran siehst Du das?« fragte Andrée mit strengem Tone.

Nicole öffnete den Mund, um eine Ungezogenheit zu sagen, aber sie kannte Andrée, sie wußte, daß dadurch die Erklärung, welche noch nicht weit vorgerückt war, kurz abgebrochen gewesen wäre, und besann sich eines Besseren.

»In der That,« sprach sie, »ich kann nicht wissen, was das Fräulein denkt, ich bin eine Bäuerin und richte mich nach der Natur.«

»Das ist ein sonderbares Wort.«

»Wie! ist es nicht natürlich, Einen zu lieben und sich von ihm lieben zu lassen?«

»Es ist möglich; weiter?«

»Nun, ich liebe Einen.«

»Und dieser Eine liebt Dich?«

»Ich glaube es, mein Fräulein.«

Nicole begriff, daß die Vermuthung zu kraftlos war, und daß es in diesem Falle einer bestimmten Versicherung bedurfte.

»Nämlich ich bin dessen sicher,« fügte sie bei.

»Sehr gut; Mademoiselle benützt ihre Zeit in Taverney, wie ich sehe.«

»Man muß wohl an seine Zukunft denken. Sie, die Sie ein Fräulein sind, werden wohl ein Vermögen von irgend einem reichen Vetter bekommen; ich, die ich keine Verwandte habe, bekomme nichts, als was ich finde.«

Da Alles dies Andrée ziemlich einfach vorkam, so vergaß sie allmälig den Ton, mit dem die Worte, die sie unanständig gefunden, ausgesprochen worden waren; ihre natürliche Güte gewann die Oberhand und sie fragte:

»Sprich, wen willst Du heirathen?«

»Oh! Einen, den das Fräulein kennt,« antwortete Nicole, ihre schönen Augen auf die von Andrée heftend.

»Den ich kenne?«

»Vollkommen.«

»Wer ist es? Du läßt mich lange schmachten.«

»Ich fürchte, meine Wahl könnte dem Fräulein mißfallen.«

»Mir?«

»Ja.«

»Du hältst sie also selbst für nicht sehr passend?«

»Ich sage das nicht.«

»Nun, so sprich ohne Furcht, es ist die Pflicht der Herrschaft, sich für diejenigen von ihren Leuten, von welchen sie gut bedient wird, zu interessiren, und ich bin mit Dir zufrieden.«

»Das Fräulein ist sehr gut.«

»Sprich schnell, und schnüre mich vollends ein.«

Nicole raffte alle ihre Kräfte und ihre ganze Scharfsichtigkeit zusammen und antwortete:

»Nun, nun, es ist  . . . es ist Gilbert.«

Zum großen Erstaunen von Nicole ging nicht die geringste Veränderung in dem Gesichte von Andrée vor.

»Gilbert, der kleine Gilbert, der Sohn meiner Amme?«

»Er selbst, mein Fräulein.«

»Und er liebt Dich?«

Nicole glaubte, sie sei auf dem entscheidenden Punkte angelangt, und antwortete:

»Er hat es mir zwanzigmal gesagt.«

»Nun, so heirathe ihn,« sprach Andrée ruhig; »ich sehe kein Hinderniß. Du hast keine Verwandte; er ist Waise; Jedes von Euch ist Herr seines Schicksals.«

»Allerdings,« stammelte Nicole erstaunt, als sie die Sache einen Gang nehmen sah, der so wenig mit ihren Vorhersehungen im Einklang stand. »Wie! das Fräulein erlaubt . . .«

»Ganz gewiß; Ihr seid nur Beide noch etwas jung.«

»Wir werden desto länger mit einander zu leben haben.«

»Ihr seid weder das Eine, noch das Andere reich.«

»Wir werden arbeiten.«

»Was wird er arbeiten, er, der zu Nichts taugt?«

Nicole hielt es nicht länger aus, so viel Verstellung erschöpfte sie.

»Mein Fräulein, Sie werden mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Sie den armen Gilbert sehr schlecht behandeln,« antwortete sie.

»Bei Gott! ich behandle ihn, wie er es verdient, es ist ein träger Mensch.«

»Oh! mein Fräulein, er liest beständig und wünscht nur sich zu belehren.«

»Voll bösen Willens,« fuhr Andrée fort.

»Nicht immer gegen das Fräulein,« versetzte Nicole.

»Wie so?«

»Das Fräulein weiß es besser, als irgend Jemand, es befiehlt ihm für die Tafel zu jagen.«

»Ich!«

»Und es läßt ihn oft zehn Stunden machen, ehe er Wildpret findet.«

»Meiner Treue, ich gestehe, daß ich dieser Sache nie die geringste Aufmerksamkeit geschenkt habe.«

»Dem Wildpret?« sagte Nicole hohnlächelnd.

Andrée hätte vielleicht über dieses Wort gelacht und nicht errathen, wie viel Galle in den Sarkasmen ihrer Zofe lag, wäre sie in der gewöhnlichen Stimmung ihres Geistes gewesen. Aber ihre Nerven bebten, wie die Saiten eines Instrumentes, das man übermäßig anstrengt. Nervenschauer gingen jedem Akte ihres Willens, jeder Bewegung ihres Körpers voran. Die geringste Bewegung des Geistes war für sie eine Schwierigkeit, die sie besiegen mußte; im Style unserer Tage würden wir sagen, sie war agacée. Ein glückliches Wort, eine Eroberung der Philologie, welche an den Zustand eines schüttelnden Schauers erinnert, in den uns das Aussaugen einer herben Frucht, oder das Berühren gewisser knorriger Körper versetzt.

»Was soll dieser Witz bedeuten?« fragte Andrée, die sich plötzlich wiederbelebte und mit der Ungeduld wieder allen Scharfsinn gewann, den sie die Ermattung am Anfang dieser Scene anzuwenden gehindert hatte.

»Ich habe keinen Witz, mein Fräulein,« antwortete Nicole. »Der Witz ist gut für die vornehmen Damen. Ich bin ein armes Mädchen und sage nur ganz einfach was ist.«

»So sprich, was ist denn?’’

»Das Fräulein verleumdet Gilbert, der doch voll Aufmerksamkeit gegen dasselbe ist.«

»Er thut nur seine Pflicht als Dienstbote; hernach?«

»Gilbert ist kein Dienstbote, mein Fräulein; man bezahlt ihn nicht.«

»Er ist der Sohn unserer ehemaligen Meier; man gibt ihm Kost, Wohnung; er thut nichts für die Kost und die Wohnung, die man ihm gibt; desto schlimmer für ihn, denn er betrügt darum. Doch wo willst Du hinaus mit Deinen Bemerkungen und warum vertheidigst Du so warm diesen Burschen, den man nicht angreift?«

»Oh! ich weiß, daß ihn das Fräulein nicht angreift,« sprach Nicole mit einem Lächeln, das ganz mit Stacheln besetzt war, »im Gegentheil.«

»Abermals Worte, welche ich nicht verstehe.«

»Ohne Zweifel, weil sie das Fräulein nicht verstehen will.«

»Genug, Mademoiselle,« sprach Andrée mit strengem Tone, »erklären Sie mir sogleich, was Sie damit sagen wollen.«

»Das Fräulein weiß sicherlich besser als ich, was ich damit sagen will.«

»Nein, ich weiß es nicht, und errathe es besonders nicht, denn ich habe nicht Zeit, die Räthsel auszulösen, die Du mir vorlegst. Nicht wahr, Du ersuchst mich um meine Einwilligung zu Deiner Heirath?«

»Ja, mein Fräulein, und ich bitte das Fräulein, mir nicht zu grollen, weil mich Gilbert liebt.«

»Was geht es mich an, daß Gilbert Dich liebt oder nicht liebt? In der That, Du ermüdest mich.«

Nicole erhob sich auf ihren kleinen Füßen wie ein junger Hahn auf seinen Sporen. Der so lange zurückgehaltene Zorn brach endlich aus.

»Uebrigens hat das Fräulein vielleicht Gilbert bereits dasselbe gesagt,« versetzte sie.

»Spreche ich mit Deinem Gilbert? Laß mich in Ruhe, Du bist eine Thörin.«

»Wenn das Fräulein nicht mit ihm spricht, oder nicht mehr mit ihm spricht, so denke ich, es ist noch nicht lange her.«

Andrée ging auf Nicole zu, die sie mit einem bewunderungswürdigen Blicke der Verachtung gänzlich bedeckte.

»Du drehst Dich seit einer Stunde um irgend eine Frechheit. Mache ein Ende: ich will es haben.«

»Aber  . . .« versetzte Nicole ein wenig erschüttert.

»Du sagst, ich habe mit Gilbert gesprochen?«

»Ja, mein Fräulein, ich sage es.«

Ein Gedanke, den sie lange Zeit für unmöglich gehalten hatte, kam Andrée in den Kopf.

»Gott vergebe mir! diese Unglückliche ist eifersüchtig,« rief sie, in ein Gelächter ausbrechend. »Beruhige Dich, meine kleine Legay, ich schaue ihn nicht an, Deinen Gilbert, und ich wüßte nicht einmal zu sagen, von welcher Farbe seine Augen sind.«

Und Andrée fühlte sich ganz geneigt, das zu vergeben, was ihrer Ansicht nach nicht mehr eine Frechheit, sondern eine Tollheit war.

Das paßte nicht in die Rechnung von Nicole; sie betrachtete sich als die Beleidigte und wollte keine Verzeihung haben.

»Ich glaube es wohl,« versetzte sie, »ihn bei Nacht anzuschauen, ist nicht das Mittel, es zu erfahren.«

»Wie beliebt?« fragte Andrée, welche zu begreifen anfing, aber noch nicht glauben konnte.

»Ich sage, wenn das Fräulein Gilbert nur bei Nacht spreche, wie sie es gestern gethan, so sei dies nicht das Mittel, die Einzelnheiten seines Gesichtes genau kennen zu lernen.«

»Wenn Du Dich nicht auf der Stelle erklärst, so nimm Dich in Acht,« rief Andrée erbleichend.

»Oh! das wird ganz leicht sein  . . .« antwortete Nicole, von ihrem Klugheitsplane abweichend, »ich habe diese Nacht gesehen  . . .«

»Schweige, man spricht von unten mit mir,« sagte Andrée.

Es rief wirklich eine Stimme von dem Blumengärtchen herauf:

»Andrée! Andrée!«

»Es ist Ihr Herr Vater, mein Fräulein, mit dem Fremden, der die Nacht hier zugebracht hat,« sagte Nicole.

»Gehe hinab, sage, ich könne nicht antworten; sage, ich leide, ich habe eine Steife in den Gliedern, und komm’ dann zurück, damit ich diesen seltsamen Streit endige, wie es sich gebührt.«

»Andrée,« rief abermals der Baron, »es ist Herr von Balsamo, der Dir ganz einfach sein Morgenkompliment machen will.«

»Gehe, sage ich Dir,« wiederholte Andrée und wies Nicole die Thüre mit der Geberde einer Königin.

Nicole gehorchte, wie man Andrée gehorchte, wenn sie befahl, ohne eine Sylbe zu erwiedern, ohne eine Miene zu verziehen.

Als aber Nicole sich entfernt hatte, ging etwas Seltsames bei Andrée vor; so entschlossen sie auch war, so fühlte sie sich doch wie durch eine höhere, unwiderstehliche Macht nach dem Fenster gezogen, das Legay halb offen gelassen hatte.

Sie sah nun Balsamo, der seine Augen auf sie heftete und sich tief vor ihr verbeugte.

Sie wankte und hielt sich an den Läden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

»Guten Morgen, mein Herr,« antwortete sie auf seinen Gruß.

Sie sprach diese Worte gerade in dem Augenblick, wo Nicole dem Baron gemeldet hatte, seine Tochter würde nicht antworten; Nicole riß vor Erstaunen den Mund auf und begriff diesen seltsamen Widerspruch nicht.

Von allen ihren Kräften verlassen, sank Andrée beinahe unmittelbar hierauf in einen Lehnstuhl.

Balsamo schaute sie beständig an.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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