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1 bis 4. Bändchen
Einleitung
XIX.
Der Thaler von Gilbert

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Nach einer Stunde unbändigen Laufes stieß Gilbert einen Freudenschrei aus; er hatte auf eine Viertelslieue vor sich den Wagen des Barons erblickt, der im Schritt einen Berg hinan fuhr.

Gilbert fühlte jetzt in seinem Innern eine wahre Regung des Stolzes, denn er sagte sich, einzig und allein mit dm Mitteln seiner Jugend, seiner Kraft und seines Verstandes werde er in das Gleichgewicht mit den Mitteln des Reichthums, der Macht und der Aristokratie treten.

Nun hätte Herr von Taverney Gilbert einen Philosoph nennen können, wenn er ihn auf der Straße gesehen, seinen Stock in der Hand, sein dünnleibiges Päckchen an einem Knopfloch befestigt, wie er rasch einherlief, über Gräben und Böschungen sprang, um Boden zu gewinnen, und auf jeder Steige anhielt, als wollte er verächtlich zu den Pferden sagen:

»Ihr geht mir nicht schnell genug, und ich bin genöthigt, auf euch zu warten.«

Philosoph! O ja, gewiß, er war es damals, wenn man Philosophie Verachtung jedes Genusses, jeder Behaglichkeit nennt. Sicherlich war er nicht an ein weichliches Leben gewöhnt, aber wie viele Menschen verweichlicht nicht die Liebe!

Man muß gestehen, er bot ein schönes Schauspiel, ein Schauspiel würdig Gottes, des Vaters der thatkräftigen und verständigen Geschöpfe, dieser Mensch, wie er ganz bestaubt und rothglühend ein paar Stunden einherlief , bis er den Wagen beinahe eingeholt hatte, und dann voll Lust anhielt, als die Pferde nicht mehr konnten. Gilbert hätte an diesem Tage Jedem Bewunderung einflößen müssen, der ihm, wie wir ihm folgen, mit dem Geiste zu folgen im Stande gewesen wäre; und wer weiß sogar, ob nicht die stolze Andrée, wenn sie ihn gesehen, gerührt worden wäre, und ob nicht die Geringschätzung, die sie in Beziehung auf sein träges Wesen kundgegeben, sich in Achtung vor seiner Energie verwandelt hätte?

So ging der erste Tag vorüber. Der Baron blieb eine Stunde in Bar-le-Duc, wodurch Gilbert die erforderliche Zeit gewann, um ihn nicht nur einzuholen, sondern auch, um ihm zuvorzukommen. Gilbert ging um die Stadt, denn er hatte gehört, daß man Befehl gegeben, bei einem Goldschmiede anzuhalten; als er sodann den Wagen kommen sah, warf er sich in ein Gebüsch, und sobald die Carrosse vorüber war, folgte er ihr wieder wie vorher.

Gegen Abend holte der Baron die Wagen der Dauphine in dem Dörfchen Brillou ein, dessen Bewohner, auf einem Hügel zusammengedrängt, Freudengeschrei und Glückwünsche hören ließen.

Gilbert hatte den ganzen Tag nichts, als ein wenig Brod, das er von Taverney mitgenommen, gegessen, dagegen hatte er aber nach Belieben Wasser aus einem herrlichen Bache getrunken, dessen Lauf so rein, so frisch, so mit Kresse und gelben Nympheen besetzt war, daß der Wagen auf das Verlangen von Andrée anhielt, diese selbst ausstieg und ein Glas voll von dem Wasser in der goldenen Schale, dem einzigen Stücke schöpfte, das der Baron auf die Bitte seiner Tochter behalten hatte.

Hinter einer von den Ulmen. an der Straße verborgen, hatte Gilbert Alles dies gesehen.

Sobald sich die Reisenden entfernt, kam Gilbert auf dieselbe Stelle, setzte den Fuß auf die kleine Erderhöhung, auf welche er Andrée hatte steigen sehen, und trank Wasser mit der Hand, wie Diogenes, aus denselben Wellen, aus denen Fräulein von Taverney ihren Durst gestillt hatte.

Gut gestärkt setzte er sodann seinen Marsch wieder fort.

Nur Eines beunruhigte Gilbert, er hatte um sein Leben gern gewußt, ob die Dauphine unter Wegs Nachtlager halten würde. Blieb die Dauphine über Nacht, wie sich voraussetzen ließ, denn bei der Müdigkeit, über die sie sich in Taverney beklagt hatte, bedurfte sie sicherlich der Ruhe, blieb die Dauphine über Nacht, sagen wir, so war Gilbert gerettet. Man würde ohne Zweifel in diesem Fall in Saint-Dizier anhalten. Zwei Stunden Schlaf in einer Scheune würden seinen Beinen, welche steif zu werden anfingen, genügen, um wieder Elasticität zu erlangen; nach Ablauf dieser zwei Stunden könnte er sich abermals auf den Weg begeben, und während der Nacht müßte er, mit kurzen Schritten marschirend, leicht einen Vorsprung von fünf bis sechs Lieues vor ihnen gewinnen. Man marschirt so gut mit achtzehn Jahren in einer schönen Nacht im Monat Mai!

Es kam der Abend und umhüllte den Horizont mit seinem Schatten, der sich immer mehr näherte, bis dieser Schatten den Weg erreicht hatte, auf welchem Gilbert wanderte. Bald sah er nichts mehr von dem Wagen, als die große Laterne, welche auf der linken Seite der Carrosse angebracht war, und deren Reflex auf der Straße aussah, wie ein weißes, beständig am Rande des Weges erschrocken hinlaufendes Gespenst.

Nach dem Abend kam die Nacht. Man hatte zwölf Lieues zurückgelegt und gelangte nach Combles; die Equipagen schienen einen Augenblick anzuhalten. Gilbert glaubte, der Himmel sei entschieden für ihn. Er näherte sich, um die Stimme von Andrée zu hören. Die Carrosse stand still; er schlüpfte in die Vertiefung eines großen Thores. Er sah Andrée bei dem Schimmer der Fackeln und hörte sie fragen, wie viel Uhr es sei. Eine Stimme antwortete: »Eilf Uhr.« In diesem Augenblick war Gilbert nicht feig, und er hätte mit Verachtung das Anerbieten, in einen Wagen zu steigen, zurückgewiesen.

Dies war so, weil vor den glühenden Augen seiner Einbildungskraft Versailles golden, glänzend erschien; Versailles, die Stadt der Adeligen und der Könige. Sodann jenseits Versailles Paris, schwarz, düster, ungeheuer; Paris, die Stadt des Volkes.

Und für diese Visionen, welche seinen Geist ergötzten und erquickten, hätte Gilbert nicht alles Gold von Peru genommen.

Zwei Dinge entzogen ihn seiner Strafe, das Geräusch, das die Wagen machten, als sie wieder aufbrachen, und ein heftiger Stoß, den er sich an einem auf der Straße stehen gebliebenen Pfluge gab.

Auch fing sein Magen an über Hunger zu schreien.

»Zum Glück,« sagte Gilbert zu sich selbst, »zum Glück habe ich Geld, bin ich reich.«

Man weiß, daß Gilbert einen Thaler besaß.

Die Wagen rollten bis Mitternacht fort.

Um Mitternacht kam man nach Saint-Dizier; hier, hoffte Gilbert, würde man Nachtlager halten.

Gilbert hatte sechzehn Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

Er setzte sich auf den Rand des Grabens.

Doch in Saint-Dizier spannte man nur um; Gilbert hörte das Geräusch der Schellen, die sich abermals entfernten. Die erhabenen Reisenden hatten nur mitten unter Fackeln und Blumen eine kleine Erfrischung zu sich genommen.

Gilbert bedurfte seines ganzen Muthes.

Er machte sich wieder auf seine Beine mit einer Willensenergie, welche ihn vergessen ließ, daß eben diese Beine zehn Minuten vorher unter ihm zu brechen drohten.

»Gut!« sagte er, »immer vorwärts! doch ich wette sogleich auch in Saint-Dizier anhalten, ich kaufe mir Brod und ein Stück Speck, ich trinke ein Glas Wein, gebe dafür fünf Sous aus und habe mich dadurch besser gestärkt, als die Gebieter.«

Gilbert sprach das Wort Gebieter, das wir zu diesem Behufe unterstreichen, mit seiner gewöhnlichen Emphase.

Gilbert ging, wie er es sich gelobt, nach Saint Dizier hinein, wo man, da die Escorte durchgezogen war, die Läden und Thüren der Häuser wieder zu schließen anfing.

Unser Philosoph erblickte ein Wirthshaus von gutem Aeußerem, geputzte Mägde, Knechte in Sonntagskleidern und mit Sträußen in den Knopflöchern, obgleich es noch sehr früh am Morgen war; er gewahrte auf großen Fayenceplatten mit Blumen Geflügel, von denen die Hungerigen des Gefolges einen starken Zehnten erhoben hatten.

Er trat entschlossen in das vornehmste Wirthshaus, man legte eben die letzten Stangen an die Läden, er bückte sich, um in die Küche zu schlüpfen.

Die Wirthin war da, überwachte Alles und zählte ihre Einnahme.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte Gilbert, »geben Sie mir, wenn es Ihnen beliebt, ein Stück Brod und Schinken.«,

»Es gibt keinen Schinken, mein Freund,« erwiederte die Wirthin, »wollen Sie Huhn?«

»Nein; ich habe Schinken verlangt, weil ich Schinken zu speisen wünsche; ich liebe das Huhn nicht.«

»Das ist ärgerlich, mein kleiner Mann,« versetzte die Wirthin, »denn es gibt nichts Anderes, Doch glauben Sie mir,« fügte sie lächelnd bei, »das Huhn wird nicht theurer für Sie sein, als Schinken; nehmen Sie eines zur Hälfte, nehmen Sie ein ganzes für zehn Sous, dann haben Sie Ihren Mundvorrath für morgen. Wir dachten, Ihre Königliche Hoheit würde bei dem Herrn Amtmann anhalten und wir konnten unsere Mundvorräthe an ihre Equipagen verkaufen, doch sie ist nur durchgefahren, und somit sind die Speisen verloren.«

Man könnte glauben, Gilbert habe, da sich eine so schöne Gelegenheit und eine so gute Wirthin zeigte, diese einzige Gelegenheit, die sich ihm bot, ein gutes Mahl zu machen, nicht versäumen wollen, doch das hieße seinen Charakter völlig verkennen.

»Ich danke,« sagte er, »ich begnüge mich mit weniger, ich bin weder ein Prinz, noch ein Lackei.«

»Dann schenke ich es Ihnen, mein kleiner Artaban, und Gott geleite Sie!« sagte die gute Frau.

»Ich bin auch kein Bettler, gute Frau,« sprach Gilbert gedemüthigt. »Ich kaufe und bezahle.«

Und um die Wirkung mit den Worten zu verbinden, versenkte Gilbert majestätisch seine Hand in seine Hosentasche, wo auch der Arm bis zum Ellenbogen verschwand. Doch er mochte immerhin erbleichend in dieser weiten Tasche suchen und wühlen, er zog nur das Papier heraus, in welchem der Sechs-Livres-Thaler enthalten gewesen war. Hin und hergeworfen hatte der Thaler zuerst seine alte, abgenutzte Umhüllung, sodann die mürbe Leinwand der Tasche durchbrochen, war in die Hose geschlüpft und von da durch das aufgeschnallte Knieband hinausgefallen.

Gilbert hatte nämlich seine Kniebänder aufgeschnallt, um seinen Beinen Elastizität zu geben.

Der Thaler war auf der Straße, ohne Zweifel am Rande des Baches, dessen Wellen Gilbert so sehr entzückten.

Das arme Kind hatte mit sechs Franken ein Glas Wasser bezahlt, das es mit seiner hohlen Hand geschöpft. Als Diogenes über das Unnöthige der hölzernen Näpfe philosophirte, hatte er wenigstens weder Taschen zu durchlöchern, noch Sechs-Livres-Thaler zu verlieren.

Die Blässe, das Zittern der Scham von Gilbert bewegten die gute Frau. Viele hätten triumphirt, einen Stolzen bestraft sehen zu können, sie aber litt unter dem auf den verstörten Zügen des jungen Mannes so gut ausgeprägten Leiden.

»Auf, mein armes Kind,« sagte sie, »speisen Sie zu Nacht und schlafen Sie hier, morgen mögen Sie sodann, wenn Sie durchaus weiter reisen müssen, Ihren Marsch fortsetzen.«

»Oh! ja, ja, ich muß,« sagte Gilbert, »ich muß, nicht morgen, sondern auf der Stelle.«

Uno er nahm wieder sein Päckchen, ohne mehr hören zu wollen, und stürzte aus dem Hause, um in der Finsterniß seine Scham und seinen Schmerz zu verbergen.

Der Laden schloß sich wieder. Das letzte Licht erlosch in dem Städtchen, selbst die Hunde hörten, durch den Tag ermüdet, auf zu bellen.

Gilbert blieb allein, sehr allein auf der Welt; denn Niemand ist mehr vereinzelt auf der Erde, als der Mensch, der so eben sich von seinem letzten Thaler getrennt hat, besonders wenn dieser letzte Thaler der einzige war, den er je besessen! Die Nacht war dunkel um ihn her; was thun? Er zögerte. Zurückkehren, um seinen Thaler zu suchen, hieß sich vor Allem einer sehr zweifelhaften Nachforschung hingeben, und dann trennte ihn diese Nachforschung für immer, oder wenigstens für lange Zeit von den Wagen, die er nicht mehr einholen konnte. Er beschloß, seinen Lauf fortzusetzen und begab sich wieder aus den Weg; doch kaum hatte er eine Stunde zurückgelegt, als ihn der einen Augenblick durch das moralische Leiden beschwichtigte, oder vielmehr eingeschläferte Hunger auf’s Neue packte. Er erwachte schmerzlicher als je, sobald sein rascher Lauf das Blut des Unglücklichen zu peitschen wiederangefangen hatte.

Zu gleicher Zeit mit dem Hunger begann die Müdigkeit, seine Gefährtin, sich der Glieder von Gilbert zu bemächtigen. Mit einer unerhörten Anstrengung holte er noch einmal die Carrossen ein, doch es war, als fände eine Verschwörung gegen ihn statt. Die Wagen hielten nur an, um umzuspannen, und spannten so rasch um, daß der arme Reisende auf der ersten Station nur fünf Minuten Ruhe gewann.

Er setzte indessen seinen Marsch wieder fort. Der Tag fing an am Horizont hervorzubrechen. Die Sonne erschien über einem großen Streifen düsterer Dünste im ganzen Glanze und in der ganzen Majestät eines Herrschers; sie versprach einen von den glühenden Maitagen, welche dem Sommer um zwei Monate vorangehen. Wie sollte Gilbert die Hitze des Mittags ertragen können?

Gilbert hatte einen Augenblick den für seine Eitelkeit tröstlichen Gedanken, die Pferde, die Menschen und selbst Gott seien gegen ihn verbunden. Aber wie Ajax zeigte er dem Himmel die Faust, und wenn er nicht, wie er sagte: »Ich werde entkommen, trotz der Götter,« so war dies der Fall, weil er besser seinen Contrat social, als seine Odyssee kannte.

Es kam, wie Gilbert vorhergesehen, ein Augenblick, wo er die Unzulänglichkeit seiner Kräfte und die Mißlichkeit seiner Lage erkannte. Es war ein furchtbarer Augenblick, der Augenblick dieses Kampfes des Stolzes gegen die Ohnmacht; einen Moment verdoppelte sich die Energie von Gilbert durch die ganze Kraft seiner Verzweiflung. Durch einen letzten Aufschwung näherte er sich wieder den Wagen, die er aus dem Gesichte verloren hatte, und sah sie durch eine Staubwolke, der das Blut, mit dem seine Augen unterlaufen waren, eine phantastische Farbe verlieh; ihr Rollen erscholl in seinen Ohren, vermischt mit dem Klingen seiner Arterien. Den Mund offen, den Blick starr, die Haare durch den Schweiß an die Stirne geklebt, sah er aus wie ein geschickter Automat, der ungefähr die Bewegungen des Menschen macht, aber mit mehr Starrheit und Beharrlichkeit. Seit dem vorhergehenden Tage hatte er zwanzig bis zwei und zwanzig Lieues zurückgelegt; endlich kam der Augenblick, wo ihn seine gelahmten Beine länger zu tragen sich weigerten; seine Augen sahen nicht mehr, seine Ohren hörten nicht mehr; es war ihm, als würde die Erde beweglich und drehte sich um sich selbst; er wollte schreien und fand keine Stimme mehr, er wollte sich aufrecht halten, denn er fühlte, daß er zu fallen im Begriffe war, und schlug die Luft wie ein Wahnsinniger mit seinen Armen.

Endlich durchbrach die Stimme seine Kehle durch ein Wuthgeschrei, und er brüllte, sich gegen Paris wendend, oder vielmehr in der Richtung, wo er glaubte, daß Paris sein müßte, gegen die Besieger seines Muthes und seiner Kräfte eine Reihe furchtbarer Verwünschungen. Dann faßte er sich mit vollen Händen an seinen Haaren, drehte sich einige Male um sich selbst und fiel auf die Landstraße, mit dem Bewußtsein und folglich mit dem Tröste, wie ein Held des Alterthums bis zum letzten Augenblick gekämpft zu haben.

Er stürzte, die Augen noch drohend, die Fäuste noch geballt, nieder.

Hierauf schloßen sich seine Augen und seine Muskeln spannten sich ab. Er war ohnmächtig.

»Aufgepaßt, Wahnsinniger!« rief ihm in der Secunde, wo er gefallen war, eine heisere Stimme, begleitet von dem Knallen einer Peitsche, zu.

Gilbert hörte nicht.

»Aufgepaßt, alle Teufel! oder ich zermalmt Dich.«

Und ein kräftiger Peitschenschlag in Form eines Aufreizungsmittels ertheilt begleitete diesen Ruf.

Gilbert wurde von dem Peitschenriemen am Gürtel getroffen.

Aber er fühlte nichts mehr und blieb unter den Füßen der Pferde, welche, ohne daß er sie in seinem Wahnsinn sah oder hörte, von einem Seitenwege kamen, der zwischen Thieblemont und Vamiere mit der Hauptstraße zusammentraf.

Ein furchtbarer Schrei drang aus dem Wagen hervor, den die Pferde fortrissen, wie es der Sturm mit einer Feder thut.

Der Postillon machte eine übermenschliche Anstrengung; doch trotz dieser Anstrengung vermochte er das erste vorgespannte Pferd nicht zurückhalten, und dieses setzte über Gilbert weg. Aber es gelang ihm, die zwei andern zu bemeistern, die er mehr unter der Hand hatte, als das erste. Eine Frau legte sich mit dem halben Leibe aus der Chaise heraus.

»Oh mein Gott!« rief sie voll Angst, »ist denn der Unglückliche zermalmt?«

»Meiner Treue, Madame,« sagte der Postillon, der durch den Staub, den die Beine seiner Pferde auftrieben, etwas zu unterscheiden suchte, »meiner Treue, das sieht gerade so aus.«

»Armes Kind! Keinen Schritt mehr. Haltet an! haltet an!«

Und die Reisende öffnete den Schlag und sprang aus dem Wagen.

Der Postillon war bereits von seinem Pferde gestiegen und beschäftigt, unter den Rädern den Körper von Gilbert, den er blutig und todt glaubte, hervorzuziehen.

Die Reisende half dem Postillon mit allen ihren Kräften.

»Das ist ein Glück,« rief er, »nicht einmal die Haut geschunden, kein Fußtritt hat ihn getroffen.« »Aber er ist ohnmächtig.«

»Aus Angst ohne Zweifel. Wir wollen ihn an den Rand des Grabens legen und fortfahren, da Madame Eile hat.«

»Unmöglich; ich kann das arme Kind nicht in diesem Zustand verlassen.«

»Bah! es ist ihm nichts geschehen und es wird ganz allein zu sich kommen.«

»Nein, nein! So jung, armer Kleiner! es ist ein Flüchtling aus einem Colleg, der eine Reise, welche seine Kräfte überstiege unternehmen wollte. Seht, wie bleich er ist; er würde sterben. Nein, nein, ich werde ihn nicht verlassen. Lege ihn in die Berline, auf den Vordersitz.«

Der Postillon gehorchte. Die Dame war bereits wieder eingestiegen. Gilbert wurde quer auf ein gutes Kissen gelegt und man lehnte seinen Kopf an die ausgestopften Wände der Carrosse an.

»Nun vorwärts,« rief die junge Dame, »wir haben zehn Minuten verloren, eine Pistole für diese zehn Minuten.«

Der Postillon ließ seine Peitsche über seinem Kopfe knallen, und die Pferde, die dieses drohende Signal kannten, brachen im Galopp auf.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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