Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 33

5 bis 8. Bändchen
XXX.
Der Vice

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Die alte Gräfin zitterte an allen Gliedern, als sie sich zu Herrn von Maupeou begab.

Es kam ihr indessen auf dem Wege ein Gedanke, der ganz geeignet war, sie zu beruhigen. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte die vorgerückte Stunde Herrn von Maupeou nicht erlauben, sie zu empfangen, und sie würde sich dann begnügen, ihren nahe bevorstehenden Besuch dem Schweizer anzukündigen.

Es mochte in der That sieben Uhr Abends sein, und obgleich es noch Tag war, so hatte sich doch die Gewohnheit, um vier Uhr zu speisen, bereits unter dem Adel verbreitet und unterbrach im Allgemeinen jedes Geschäft vom Mittagsbrod bis zum andern Morgen.

Frau von Béarn, welche den Vicekanzler sehnlichst zu treffen wünschte, fühlte sich jedoch getröstet bei dem Gedanken, sie würde ihn nicht finden. Es ist dies einer von den häufigen Widersprüchen des menschlichen Geistes, die man stets begreifen wird, ohne sie zu erklären.

Die Gräfin erschien also, fest darauf rechnend, der Schweizer würde sie zurückweisen. Sie hielt einen Drei-Livres-Thaler bereit, um den Cerberus zu besänftigen und ihn zu veranlassen, ihren Namen in der Liste der erbetenen Audienzen aufzunehmen.

Als sie vor das Hotel kam, sah sie den Schweizer mit einem Huissier sprechen, der ihm einen Befehl zu geben schien. Sie wartete bescheidener Weise, aus Furcht, die zwei Sprechenden zu stören; sobald sie aber der Huissier in ihrem Miethwagen erblickte, zog er sich zurück.

Der Schweizer näherte sich dem Wagen und fragte nach dem Namen der Sollicitantin.

»Oh!« sagte sie, »ich weiß, daß ich wahrscheinlich nicht die Ehre haben werde, Seine Excellenz zu sehen.«

»Gleichviel, Madame,« sprach der Schweizer, »erweisen Sie mir die Ehre, mir zu sagen, wie Sie heißen.«

»Gräfin von Béarn.«

»Monseigneur ist zu Hause.«

»Wie beliebt?« versetzte Frau von Béarn im höchsten Maße erstaunt.

»Ich sage, Monseigneur sei zu Hause,« wiederholte der Schweizer.

»Doch ohne Zweifel empfängt Monseigneur nicht?«

»Er wird die Frau Gräfin empfangen,« erwiederte der Schweizer.

Frau von Béarn stieg aus, ohne zu wissen, ob sie träumte oder wachte. Der Schweizer zog an einer Schnur, welche eine Glocke zweimal ertönen machte. Der Huissier erschien auf der Freitreppe, und der Schweizer machte der Gräfin ein Zeichen, daß sie eintreten könne.«

»Sie wollen mit Monseigneur sprechen? fragte der Huissier.

»Das heißt, mein Herr, ich wünsche diese Gunst, ohne daß ich sie zu hoffen wage.«

»Wollen Sie mir folgen, Frau Gräfin.«

»Man sagt so viel Schlimmes von diesem Beamten!« dachte die Gräfin, während sie dem Huissier folgte, »er hat jedoch eine große Eigenschaft, die, zu jeder Stunde zugänglich zu sein. Ein Kanzler!  . . . das ist seltsam.«

Und indeß sie vorwärts ging, zitterte sie bei dem Gedanken, einen um so herberen, um so unfreundlicheren Mann zu finden, als er sich dieses Vorrecht durch die beständige Ausübung seiner Pflichten gab.

Herr von Maupeou arbeitete, unter einer großen Perrücke begraben und in ein Kleid von schwarzem Sammet gehüllt, bei offenen Thüren in seinem Cabinet.

Als die Gräfin eintrat, warf sie einen raschen Blick umher, aber sie sah zu ihrem Erstaunen, daß sie allein war, und daß sich kein anderes Gesicht, als das ihrige und das des magern, gelben, geschäftigen Kanzlers in den Spiegeln wiederstrahlte.

Der Huissier meldete die Frau Gräfin von Béarn.

Herr von Maupeou stand rasch auf und fand sich mit derselben Bewegung an seinen Kamin angelehnt.

Frau von Béarn machte die drei durch die Etiquette vorgeschriebenen Verbeugungen.

Das kleine Kompliment, das auf die Verbeugungen folgte, war etwas verlegen. Sie erwartete diese Ehre nicht  . . . sie glaubte nicht, ein so sehr beschäftigter Minister würde den Muth haben, sich von seinen Ruhestunden abzubrechen  . . .

Herr von Maupeou erwiederte, die Zeit sei nicht minder kostbar für die Unterthanen Seiner Majestät, als für seine Minister. Es sei indessen ein Unterschied zwischen den Leuten zu machen, welche Eile haben, und er gebe stets seinen besten Rest denjenigen, welche diesen Unterschied verdienen.

Neue Verbeugungen von Frau von Béarn, dann verlegenes Stillschweigen, denn hier mußten die Komplimente aufhören und die Gesuche anfangen.

Herr von Maupeou wartete, indem er sich das Kinn streichelte.

»Monseigneur,« sagte die Gräfin, »ich nahm mir die Freiheit, vor Eurer Excellenz zu erscheinen, um derselben unterthänigst eine sehr wichtige Angelegenheit auseinanderzusetzen, von der mein ganzes Vermögen abhängt.«

Herr von Maupeou machte mit dem Kopfe ein leichtes Zeichen, welches sagen wollte: Sprechen Sie.

»In der That, Monseigneur,« fuhr sie fort, »Sie mögen erfahren, daß mein ganzes Vermögen, oder vielmehr das meines Sohnes bei dem Prozesse betheiligt ist, den wir in diesem Augenblick gegen die Familie Saluces führen.«

Der Vicekanzler streichelte fortwährend sein Kinn.

»Aber Ihre Rechtlichkeit ist mir so wohl bekannt, Monseigneur, daß ich, obgleich vertraut mit dem Interesse, ich sage sogar mit der Freundschaft Eurer Excellenz für meine Gegenpartie, nicht einen Augenblick zögerte, Eure Excellenz zu bitten, mir Gehör zu schenken.«

Herr von Maupeou konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als er seine Rechtlichkeit loben hörte, das glich zu sehr den apostolischen Vorzügen von Dubois, dem man fünfzig Jahre früher auch über seine Tugenden Komplimente machte.

»Frau Gräfin,« sprach er, »Sie haben Recht, wenn Sie sagen, ich sei ein Freund der Saluces, Sie haben aber auch Recht, wenn Sie glauben, daß ich bei Uebernahme der Siegel jede Freundschaft abgelegt habe. Ich werde Ihnen also abgesehen von jeder Privattheilnahme antworten, wie es sich für den obersten Chef der Justiz geziemt.«

»Oh! Monseigneur, seien Sie gesegnet,« rief die alte Gräfin.

»Ich prüfe daher Ihre Angelegenheit als ein einfacher Rechtsgelehrter,« fuhr der Kanzler fort.

»Und ich danke Eurer Excellenz, welche in solchen Materien so gewandt ist.«

»Ihr Prozeß kommt, glaube ich, bald zur Verhandlung.«

»Er ist für die nächste Woche anberaumt, Monseigneur.«

»Was wünschen Sie nun?«

»Daß Eure Excellenz von den Acten Kenntniß nehme.«

»Es ist geschehen.«

»Nun?« fragte zitternd die alte Gräfin, »was denken Sie davon, Monseigneur?«

»Von Ihrem Prozeß?«

»Ja.«

»Ich sage, daß kein Zweifel möglich ist.«

»Wie? über das Gewinnen?«

»Nein, über das Verlieren.«

»Monseigneur sagt, ich werde meinen Prozeß verlieren?«

»Unzweifelhaft. Ich will Ihnen also einen Rath geben.«

»Welchen?« fragte die Gräfin mit einer letzten Hoffnung.

»Haben Sie eine Zahlung zu leisten, wenn der Prozeß entschieden, der Ausspruch gethan ist  . . .«

»Nun!«

»Nun! so halten Sie Ihre Gelder bereit.«

»Aber, Monseigneur, wir sind dann zu Grunde gerichtet.«

»Frau Gräfin, Sie begreifen, daß die Gerechtigkeit nicht auf solche Betrachtungen eingehen kann.«

»Monseigneur, neben der Gerechtigkeit steht das Mitleid.«

»Gerade aus diesem Grunde, Frau Gräfin, hat man die Gerechtigkeit blind gemacht.«

»Aber Eure Excellenz wird mir doch einen Rath nicht verweigern?«

»Fragen Sie immerhin. Was für einen wollen Sie haben?«

»Ist es nicht möglich, einen Vergleich zu treffen, einen milderen Spruch zu erlangen?«

»Sie kennen keinen von Ihren Richtern?« sagte der Herr Vicekanzler.

»Keinen, Monseigneur.«

»Das ist ärgerlich! die Herren von Saluces stehen mit drei Vierteln des Parlaments in Verbindung.«

Die Gräfin bebte.

»Merken Sie wohl,« fuhr der Vicekanzler fort, «daß dies nichts thut, was den Grund der Sache betrifft, denn ein Richter läßt sich nicht durch Privateinflüsse bestimmen.«

Dies war eben so wahr, als die Rechtlichkeit des Kanzlers und die berühmten apostolischen Tugenden von Dubois. Die Gräfin sank beinahe in Ohnmacht.

»Aber,« fuhr der Kanzler fort, »neben Aufrechthaltung der Redlichkeit, denkt der Richter mehr an seinen Freund, als an den Gleichgültigen; das ist nur zu gerecht, wenn es gerecht ist, und da es gerecht sein wird, daß Sie Ihren Prozeß verlieren, Madame, so kann man Ihnen wohl die Folgen so unangenehm als nur möglich machen.«

»Aber, was Eure Excellenz zu sagen mir die Ehre erweist, ist furchtbar.«

»Ich, was mich betrifft, Madame, werde mich gern halten, wie Sie wohl denken können,« fuhr Herr von Maupeou fort; »ich habe den Richtern nichts zu empfehlen, und da ich selbst nicht urtheile, so kann ich sprechen.«

»Ach! Monseigneur, ich vermuthete wohl Eines.«

Der Vicepräsident heftete seine kleinen grauen Augen auf die Gräfin.

»Daß die Herren von Saluces, da sie in Paris wohnen, mit allen meinen Richtern in Verbindung stehen, daß die Herren von Saluces allmächtig sein würden.«

»Vor Allem, weil sie das Recht haben.«

»Wie grausam ist es, Monseigneur, solche Worte aus dem Munde eines Mannes kommen zu hören, der unfehlbar ist, wie Eure Excellenz.«

»Es ist wahr, ich sage Ihnen Alles dies, und dennoch,« versetzte Herr von Maupeou mit einer geheuchelten Gutmütigkeit, »und dennoch möchte ich Ihnen gern nützlich sein  . . . bei meiner Ehre.«

Die Gräfin bebte; es kam ihr vor, als sähe sie etwas Dunkles, wenn nicht in den Worten, doch wenigstens in dem Gedanken des Vizepräsidenten, und wenn sich diese Dunkelheit zerstreute, würde sie dahinter etwas Günstiges entdecken.

»Uebrigens,« fuhr Herr von Maupeou fort, »übrigens ist der Name, den Sie führen, einer der schönsten von Frankreich und dient bei mir als eine sehr wirksame Empfehlung.«

»Wird es aber nicht verhindern, daß ich meinen Prozeß verliere, Monseigneur.«

»Bei Gott! ich vermag nichts.«

»Oh! Monseigneur, Monseigneur, wie gehen die Dinge!« sagte die Gräfin, den Kopf schüttelnd.

»Sie scheinen anzudeuten, Madame, in unserer guten alten Zeit seien sie besser gegangen,« versetzte lächelnd Herr von Maupeou.

»Ach! ja, Monseigneur, so kommt es mir wenigstens vor, und ich erinnere mich mit Entzücken jener Zeit, wo Sie, ein einfacher Advokat des Königs beim Parlament, jene schöne Reden hielten, denen ich, damals eine junge Frau, voll Begeisterung Beifall klatschte. Welches Feuer! welche Beredtsamkeit! welche Tugend! Oh! Herr Kanzler, in jener Zeit gab es weder Kabalen, noch Begünstigungen, in jener Zeit hätte ich meinen Prozeß gewonnen.«

»Wir hatten wohl Frau von Phalaris, welche in den Augenblicken, wo der Regent schlief, zu regieren, suchte, und die Souris, die sich überall eindrängte, um wo möglich einen kleinen Gewinn für sich herauszuschlagen.«

»Oh! Monseigneur, Frau von Phalaris war eine so große Dame, und die Souris ein so gutes Mädchen.«

»Daß man ihnen nichts verweigern konnte.«

»Oder daß sie nichts zu verweigern wußten.«

»Ah! Frau Gräfin,« sagte der Kanzler, auf eine Weise lachend, welche die alte Dame immer mehr in Erstaunen setzte, so treuherzig, so natürlich war seine Miene, »machen Sie nicht, daß ich aus Liebe für meine Jugend schlimm von meiner Verwaltung spreche.«

»Aber Eure Excellenz kann mich doch nicht abhalten, mein verlorenes Vermögen, mein auf immer zu Grund gerichtetes Haus zu beweinen.«

»Das heißt nicht von seiner Zeit sein, Gräfin, opfern Sie den Götzen des Tags, opfern Sie ihnen.«

»Ach! Monseigneur, die Götzen des Tags wollen nichts von denjenigen wissen, welche mit leeren Händen kommen.«

»Was wissen Sie davon?«

»Ich?«

»Ja, Sie haben es, wie mir. scheint, nicht versucht?«

»Oh! Monseigneur, Sie sind so gut, daß Sie wie ein Freund mit mir sprechen.«

»Ei! wir sind von demselben Alter Gräfin.«

»Warum bin ich nicht zwanzig Jahre, Monseigneur, und warum sind Sie nicht noch einfacher Advokat! Sie würden für mich plaidiren, und es gäbe keine Saluces, welche gegen Sie Stand halten könnten.«

»Leider sind Sie nicht mehr zwanzig Jahre alt, Frau Gräfin,« sagte der Vicekanzler mit einem galanten Seufzer, »wir müssen also diejenigen anflehen, welche dies sind, da Sie selbst zugestehen, daß es das Alter des Einflusses ist  . . . Wie! Sie kennen Niemand bei Hofe?«

»Betagte Herren. welche sich ihrer ehemaligen Freundin schämen würden, weil sie arm geworden ist. Ich habe den Zutritt in Versailles und könnte dahin gehen, wenn ich wollte; doch, wozu soll es nützen? Ach! wenn ich wieder in den Besitz meiner zweimal hundert tausend Livres gelangte, würde man mich wohl abermals aufsuchen. Thun Sie dieses Wunder, Monseigneur.«

Der Kanzler gab sich den Anschein, als hörte er diese Worte nicht.

»An Ihrer Stelle,« sagte er, »würde ich die Alten vergessen, wie die Alten Sie vergessen, und ich würde mich an die Jungen wenden, welche Parteigänger zu rekrutiren suchen. Kennen Sie ein wenig Mesdames?«

»Sie haben mich vergessen.«

»Und dann vermögen sie nichts. Kennen Sie den Dauphin?«

»Nein.«

»Er ist auch zu sehr mit der Ankunft seiner Erzherzogin beschäftigt, um an etwas Anderes zu denken.« fuhr Herr von Maupeou fort; »doch sehen wir uns unter den Günstlingen um.«

»Ich weiß nicht einmal, wie sie heißen.«

»Herr d’Aiguillon.«

»Ein Geck, dem man unwürdige Dinge nachsagt, der sich in einer Mühle verborgen hat, während sich die Andern schlugen  . . . pfui!«

»Bah!« versetzte der Kanzler, »man muß immer nur die Hälfte von dem, was die Leute sagen, glauben. Suchen wir weiter.«

»Suchen Sie, Monseigneur, suchen Sie.«

»Warum nicht? Ja  . . . Nein  . . . Doch  . . .«

»Sprechen Sie, Monseigneur, sprechen Sie.«

»Warum wollen Sie sich nicht an die Gräfin selbst wenden?«

»An Madame Dubarry?« versetzte Frau von Béarn, indem sie ihren Fächer öffnete.

»Ja, sie ist im Grunde gut.«

»Wahrhaftig?«

»Und besonders dienstfertig.«

»Ich bin von zu altem Hause, um ihr zu gefallen, Monseigneur.«

»Ich glaube, Sie täuschen sich, Gräfin; sie sucht mit guten Familien in Verbindung zu treten.«

»Sie glauben?« sagte die alte Gräfin, welche bereits in ihrem Widerstande wankte.

»Kennen Sie Madame Dubarry?«

»Mein Gott, nein!«

»Oh! das ist schlimm! ich denke sie hat Kredit?«

Oh! ja, sie hat Kredit, aber ich habe sie nie gesehen.«

»Ihre Schwester Chon auch nicht?«

»Nein.«

»Ihre Schwester Bischi auch nicht?«

»Nein.«

»Ihren Bruder Jean auch nicht?«

»Nein.«

»Ihren Neger Zamore auch nicht?«

»Wie, ihren Neger?«

»Ja, ihr Neger ist eine Macht.«

»Das kleine Scheusal, dessen Portrait man auf dein Pont-Neuf verkauft, und das einem angekleideten Mops gleicht?«

»Ganz richtig.«

»Ich soll diesen schwarzen Kerl kennen, Monseigneur!« rief die Gräfin in ihrer Würde verletzt, »wie soll ich seine Bekanntschaft gemacht haben?«

»Ah! ich sehe, Sie wollen Ihre Güter nicht behalten, Gräfin.«

»Wie so?«

»Da Sie Zamore verachten.«

»Aber, was kann denn Zamore in Allem dem machen?«

»Er kann machen, daß Sie Ihren Prozeß gewinnen.«

»Dieser Mozambique kann machen, daß ich meinen Prozeß gewinne! Und wie dies, wenn ich bitten darf?«

»Indem er seiner Gebieterin sagt, es gewähre ihm Vergnügen, wenn Sie ihn gewinnen, Sie kennen die Einflüsse. Er macht Alles, was er will, mit seiner Gebieterin, und seine Gebieterin macht Alles, was sie will, mit dem König.«

»Zamore regiert also Frankreich?«

»Hm!« versetzte Herr von Maupeou, »Zamore ist sehr einflußreich, und ich wollte lieber mit  . . . mit der Dauphine, zum Beispiel, entzweit sein, als mit ihm.«

»Jesus!« rief Frau von Béarn, »wenn es nicht eine so ernste Person wie Eure Excellenz wäre, die mir solche Dinge sagte!«

»Ei! mein Gott, nicht ich allein werde Ihnen das sagen, sondern die ganze Welt. Fragen Sie die Herzoge und Pairs, ob sie, wenn sie nach Marly oder Luciennes gehen, die Dragées für den Mund oder die Perlen für die Ohren von Zamore vergessen. Ich, der ich mit Ihnen spreche, bin ich nicht Kanzler von Frankreich, oder beinahe dies? Nun, mit was glauben Sie, daß ich mich beschäftigte, als Sie eintraten? Ich schrieb für ihn seine Bestallung als Gouverneur.«

»Als Gouverneur?«

»Ja. Herr von Zamore ist zum Gouverneur des Schlosses Luciennes ernannt worden.«

»Derselbe Titel, mit dem man den Herrn Grafen von Béarn nach zwanzigjährigen Diensten belohnt hat?«

»Indem man ihn zum. Gouverneur des Schlosses Blois ernannte?«

»Ja, so ist es.«

»Mein Gott, welche Entartung!« rief die Gräfin; »die Monarchie ist also verloren?«

»Sie ist wenigstens sehr krank, Gräfin; doch Sie wissen, von einem Kranken, der dem Sterben nahe ist, erwirkt man, was man kann.«

»Allerdings, allerdings; aber man muß sich dem Kranken nähern können.«

»Wissen Sie, was geschehen müßte, damit Sie von Madame Dubarry gut aufgenommen würden?«

»Was?«

»Es müßte Ihnen gestattet sein, dieses Patent ihrem Neger zu überbringen.«

»Mir!«

»Welch eine schöne Gelegenheit, in die Sache selbst einzugehen.«

»Sie glauben, Monseigneur?« sagte die Gräfin ganz verblüfft.

»Ich bin dessen gewiß, doch  . . .«

»Doch  . . .?« wiederholte Frau von Béarn.

»Doch Sie kennen Niemand in ihrer Nähe.«

»Aber Sie, Monseigneur?«

»Ei! ich  . . .«

»Ja.«

»Ich  . . . ich wäre sehr verlegen.«

»Ah!« rief die arme alte Dame, ganz gelähmt durch alle diese Alternativen, »das Glück will offenbar nichts für mich thun. Eure Excellenz nimmt mich auf, wie ich nie aufgenommen worden bin, während ich nicht einmal auf die Ehre, Sie zu sehen, hoffte. Nun! es fehlt mir noch etwas: ich bin nicht nur geneigt, Madame Dubarry den Hof zu machen, ich, eine Béarn, bin sogar bereit, die Commissionairin dieses abscheulichen Negers zu werden, den ich nicht mit einem Fußtritt auf das Hintertheil beehrt haben würde, wenn ich ihn auf der Straße getroffen hätte, und nun kann ich nicht einmal bis zu diesem kleinen Ungeheuer gelangen.«

Herr von Maupeou fing wieder an sein Kinn zu streicheln, und schien zu suchen, als plötzlich der Huissier eintretend meldete:

»Der Herr Vicomte Jean Dubarry.«’

Bei diesen Worten schlug der Kanzler als Zeichen des Erstaunens in seine Hände, und die Gräfin sank ohne Puls und ohne Athem in einen Lehnstuhl.

»Sagen Sie nun, Sie seien vom Glück verlassen, Madame,« rief der Kanzler. »Ah! Gräfin, Gräfin, der Himmel kämpft im Gegentheil für Sie.«

Dann wandte er sich gegen den Huissier und sprach, ohne der armen Alten Zeit zu lassen, sich von ihrem Erstaunen zu erholen.

»Lassen Sie ihn eintreten.«

Der Huissier entfernte sich und kehrte nach einem Augenblick unserem alten Bekannten, Jean Dubarry, der mit gespanntem Knie und den Arm in der Schlinge eintrat, voranschreitend zurück.

Nach den gewöhnlichen Begrüßungen, und als die Gräfin unentschlossen und zitternd aufzustehen suchte, um Abschied zu nehmen, als sie bereits der Kanzler mit einer leichten Kopfbewegung begrüßte und durch dieses Zeichen andeutete, die Audienz sei vorüber, sagte der Vicomte:

»Verzeihen Sie, Monseigneur, verzeihen Sie, Madame, entschuldigen Sie, daß ich Sie störe, ich bitte, bleiben Sie, Madame  . . . Ich habe mit gütiger Erlaubniß Seiner Excellenz nur zwei Worte zu sprechen.«

Die Gräfin setzte sich, ohne sich bitten zu lassen, denn ihr Herz schwamm in Freude und schlug vor Ungeduld.

»Aber vielleicht bin ich Ihnen lästig, mein Herr?« stammelte die Gräfin.

»Oh! mein Gott, nein. Ich habe nur zwei Worte Seiner Excellenz zu sagen, nur zehn Minuten ihrer kostbaren. Arbeit zu entziehen; ich brauche nur die erforderliche Zeit, um eine Klage anzubringen.«

»Klage, sagen Sie?« rief der Kanzler.

»Mörderisch angefallen, Monseigneur, ja mörderisch angefallen! Sie begreifen, ich kann solche Dinge nicht hingehen lassen. Man begegne uns verächtlich, man mache Spottlieder auf uns; man schwärze uns an; Alles dies überlebt man, aber man erwürge uns nicht, bei Gott! daran stirbt man.«

»Erklären Sie sich, mein Herr,« sagte der Kanzler, der den Erschrockenen spielte.

»Das wird bald geschehen sein. Doch, mein Gott, ich unterbreche die Audienz dieser Dame.«

»Die Frau Gräfin von Béarn,« sprach der Kanzler, indem er die alte Dame dem Herrn Vicomte Jean Dubarry vorstellte.

Dubarry wich anmuthig zurück, um seine Verbeugung zu machen, die Gräfin that dasselbe, und Beide begrüßten sich mit so viel Ceremonie, als ob sie es bei Hof gethan hätten.

»Nach Ihnen, Herr Vicomte,« sagte sie.

»Frau Gräfin, ich wage es nicht, ein Verbrechen verletzter Galanterie zu begehen.«

»Thun Sie es, mein Herr, thun Sie es; bei mir handelt es sich nur um Geld, bei Ihnen handelt es sich uni die Ehre. Sie haben natürlich mehr Eile.«

»Madame,« sprach der Vicomte, »ich werde von Ihrer Artigkeit Gebrauch machen.«

Und er erzählte seine Angelegenheit dem Kanzler, der sehr ernsthaft zuhörte.

»Sie müssen Zeugen haben,« sprach Herr von Maupeou nach kurzem Stillschweigen.

»Ah!« rief Dubarry, »daran erkenne ich den redlichen Richter, der nur der unverwerflichen Wahrheit Einfluß auf sich gestatten lassen will. Nun wohl, man wird die Zeugen finden.«

»Monseigneur,« sagte die Gräfin, »einer ist gefunden.«

»Wer ist dieser Zeuge?« fragten gleichzeitig der Vicomte und Herr von Maupeou.

»Ich,« antwortete die Gräfin.

»Sie, Madame?« rief der Kanzler.

»Hören Sie, mein Herr: ist die Sache nicht in dem Dorfe Lachaussée vorgefallen?«

»Ja, Madame.«

»Auf der Poststation?«

,.Ja.«

»Nun, ich werde Ihr Zeuge sein. Ich kam nach dem Orte, wo das Attentat begangen wurde, zwei Stunden nach dem Attentat.«

»Wirklich, Madame?« versetzte der Kanzler.

»Ah! Sie machen mich sehr glücklich,« sagte der Vicomte.

»Bei meiner Ankunft sprach noch der ganze Flecken von dem Ereigniß,« fuhr die Gräfin fort.

»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der Vicomte, »nehmen Sie sich in Acht! Wenn Sie einwilligen, mir in dieser Sache zu dienen, so werden die Choiseul sehr wahrscheinlich ein Mittel finden, Sie dies bereuen zu lassen.«

»Oh!« sprach der Kanzler, »das wird ihnen um so leichter sein, als die Frau Gräfin in diesem Augenblick einen Prozeß hat, dessen Gewinn mir sehr zweifelhaft zu sein scheint.«

»Monseigneur, Monseigneur,« sprach die alte Dame, indem sie die Hände an ihre Stirne drückte, »ich stürze von Abgrund zu Abgrund.«

»Stützen Sie sich ein wenig auf diesen Herrn,« sagte der Kanzler halblaut, »er wird Ihnen einen starken Arm bieten.«

»Nur einen,« entgegnete Dubarry sich zierend, »doch ich kenne Jemand, der zwei gute und lange Arme hat und sie Ihnen anbietet.«

»Ah! Herr Vicomte,« rief die alte Dame, »ist dieses Anerbieten im Ernste gemeint?«

»Bei Gott! ein Dienst ist den andern werth, Madame; ich nehme die Ihrigen an, nehmen Sie die meinigen. Wollen Sie?«

»Ob ich sie annehme, mein Herr!  . . . Ah! das ist zu viel Glück.«

»Nun! Madame, ich begebe mich auf der Stelle zu meiner Schwester: haben Sie die Gnade, einen Platz in meinem Wagen zu nehmen.«

»Ohne Grund, ohne Vorbereitung. Oh! mein Herr, ich würde es nicht wagen.«

»Sie haben einen Grund, Madame,« sprach der Kanzler, und steckte der Gräfin das Patent von Zamore in die Hand.

»Herr Kanzler,« rief die Gräfin, »Sie sind mein Schutzgott. Herr Vicomte. Sie sind die Blume des französischen Adels.«

»Zu Ihren Diensten,« wiederholte abermals der Vicomte, indem er der Gräfin, welche wie ein Vogel enteilte, den Weg zeigt.

»Ich danke für meine Schwester,« sagte Jean leise zu Herrn von Maupeou; »ich danke, mein Vetter. Doch habe ich meine Rolle gut gespielt?«

»Vortrefflich,« antwortete Maupeou; »erzählen Sie dort auch ein wenig, wie ich die meinige gespielt habe. Nehmen Sie sich übrigens in Acht, die Alte ist schlau.«

In diesem Augenblick wandte sich die Gräfin um.

Die zwei Männer verbeugten sich zu einem ceremomösen Gruß.

Eine prachtvolle Carrosse mit königlichen Livreen wartete vor der Freitreppe. Die Gräfin setzte sich ganz aufgeblasen von Stolz hinein. Jean machte ein Zeichen und man fuhr ab.

Nachdem der König von Madame Dubarry weggegangen, nach einem kurzen und verdrießlichen Empfang, wie ihn Ludwig XV. den Höflingen angekündigt hatte, war die Gräfin allein mit Chon und ihrem Bruder geblieben, der sich Anfangs nicht gezeigt hatte, damit man den Zustand seiner, in Wirklichkeit sehr leichten, Wunde nicht ergründen könnte.

In Folge des Familienraths, welcher nun stattgefunden, war die Gräfin statt nach Luciennes, wie sie es dem König gesagt, nach Paris abgereist. Die Gräfin besaß hier in der Rue de Valois ein kleines Hotel, das der ganzen Familie, welche unabläßig unter Weges war, wenn es die Geschäfte oder die Vergnügungen heischten, als Absteigquartier diente.

Die Gräfin nahm in einem Zimmer des Hotel Play, ließ sich ein Buch geben, und wartete.

Während dieser Zeit errichtete der Vicomte seine Batterien.

Die Favoritin hatte indessen nicht den Muth gehabt, durch Paris zu fahren, ohne den Kopf von Zeit zu Zeit an den Kutschenschlag zu halten. Es gehört zu den Instinkten hübscher Frauen, sich zu zeigen, weil sie fühlen, daß sie gut anzuschauen sind. Die Gräfin zeigte sich also, so daß das Gerücht von ihrer Ankunft in Paris sich verbreitete, weshalb sie von zwei bis sechs Uhr mehr als zwanzig Besuche empfing.

Das war eine Wohlthat der Vorsehung für die arme Gräfin, welche vor Langweile gestorben wäre, wenn sie hätte allein bleiben müssen; doch in Folge dieser Zerstreuung ging die Zeit durch Nachsinnen, durch Thronen und Coquettiren hin.

Man konnte halb acht auf der großen Uhr lesen, als der Vicomte, die Gräfin von Béarn zu seiner Schwester führend, an der Saint-Eustache-Kirche vorüberkam.

Das Gespräch in der Carrosse drückte das ganze Zögern der Gräfin, von einem solchen Glücke Gebrauch zu machen, aus.

Von Seiten des Vicomte war es das Heucheln einer gewissen Protectorswürde und das unbegränzte Bewundern des seltsamen Zufalls, der Frau von Béarn die Bekanntschaft von Madame Dubarry verschaffte.

Frau von Béarn konnte ihrerseits nicht genug die Höflichkeit und Zuvorkommenheit des Vicekanzlers rühmen.

Trotz dieser gegenseitigen Lügen gingen die Pferde nicht minder schnell, und man gelangte zu der Gräfin, zehn Minuten vor acht Uhr.

»Erlauben Sie, Madame,« sprach der Vicomte, indem er die alte Dame in einem Wartesaal ließ, »erlauben Sie, daß ich Madame Dubarry von der Ehre unterrichte, die ihrer harrt.«

»Oh! mein Herr,« sprach die Gräfin, »ich dulde in der That nicht, daß man sie stört.«

»Oh! der reizende kleine Neger,« rief die Gräfin; »gehört er Ihrer Frau Schwester?«’

»Ja, Madame, es ist einer von ihren Lieblingen,« sagte der Vicomte.

»Ich mache ihr mein Kompliment dazu.« Beinahe in demselben Augenblick öffneten sich die zwei Flügel des Wartesaals und der Bediente führte die Gräfin von Béarn in den großen Salon ein, wo Madame Dubarry ihre Audienzen gab.

Während die Gräfin den Luxus dieser köstlichen Gemächer betrachtete, begab sich Jean Dubarry zu seiner Schwester.

»Ist sie es?« fragte die Gräfin.

»In Fleisch und Knochen.«

»Sie vermuthet nichts?«

»Durchaus nichts.«

»Und der Vice?«

»Vortrefflich. Alles conspirirt für uns, liebe Freundin.«

»Bleiben wir nicht länger beisammen, damit sie nichts vermuthet.«

»Sie haben Recht, denn sie sieht aus, wie eine feine Fliege. Wo ist Chon?«

»Sie wissen es wohl, in Versailles.«

»Sie soll sich nicht zeigen.«

»Ich habe es ihr eingeschärft.«

»So treten Sie ein, Prinzessin.«

Madame Dubarry öffnete die Thüre ihres Boudoir und trat ein.

Alle Zeremonien der Etiquette, welche man in einem solchen Falle in der Zeit entwickelte, in der die Ereignisse sich zutragen, die wir erzählen, wurden gewissenhaft von den zwei Schauspielerinnen vollzogen, welche ganz von dem Verlangen, sich einander zu gefallen, erfüllt waren.

Madame Dubarry nahm zuerst das Wort und sprach:

»Ich habe bereits meinem Bruder gedankt, daß er mir die Ehre Ihres Besuches verschaffte, ich danke nun Ihnen, daß Sie die Güte hatten und mir denselben zudachten.«

»Und ich, Madame,« antwortete Frau von Béarn entzückt, »ich finde keine Worte, um Ihnen meine ganze Dankbarkeit für den liebreichen Empfang auszudrücken, den Sie mir bereiten.«

»Madame,« erwiederte die Gräfin mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, »es ist meine Pflicht gegen eine Dame von Ihrem Rang, mich zu ihrer Verfügung zu stellen, wenn ich ihr zu irgend etwas dienlich sein dürfte.«

Und nachdem die drei Verbeugungen von beiden Seiten gemacht waren, bezeichnete die Gräfin Dubarry Frau von Béarn ein Fauteuil und nahm eines für sich selbst.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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