Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 32

5 bis 8. Bändchen
XXIX.
Frau von Béarn

Оглавление

Der erste Gegenstand aller dieser wüthenden Gemüthsbewegungen, der Stein des Anstoßes aller dieser bei Hof gewünschten oder gefürchteten Scandale, Frau von Béarn reiste, wie Chon ihrem Bruder gesagt hatte, rasch gegen Paris.

Diese Reise war das Resultat von einer jener wunderbaren Eingebungen, welche in seinen Augenblicken der Verlegenheit dem Vicomte Jean zu Hülfe kamen.

Als er unter den Frauen des Hofes die so sehr ersehnte und so notwendige Pathin nicht fand, warf er, da die Vorstellung von Madame Dubarry nicht ohne eine solche statthaben konnte, die Augen auf die Provinz, untersuchte die Stellungen, durchforschte die Städte und fand, was er brauchte, an den Ufern der Maas, in einem ganz gothischen, aber wohl unterhaltenen Hanse.. Was er suchte, war eine alte Prozeßkrämerin und ein alter Prozeß.

Die alte Prozeßkrämerin war die Gräfin von Béarn.

Der alte Prozeß war eine Angelegenheit, von der ihr ganzes Vermögen abhing, und dessen Entscheidung Herrn von Maupeou anheimgegeben war; dieser aber war kurz zuvor mit Madame Dubarry in Verbindung getreten, mit der er einen bis dahin unbekannten Verwandtschaftsgrad entdeckt hatte, weshalb er sie seine Cousine nannte. Herr von Maupeou hatte in der Voraussicht der Kanzlerei für die Favoritin die ganze Inbrunst einer Freundschaft vom vorhergehenden Tage und eines Interesses vom nächstfolgenden, und wegen dieser Freundschaft und dieses Interesses war er vom König zum Vicekanzler ernannt worden, in einer Abkürzung aber nannte ihn die ganze Welt den Vice.19

Frau von Béarn war wirklich eine alte Prozeßkrämerin, sehr ähnlich der Gräfin d’Escarbagnas oder Frau von Pimbeche, den zwei guten Typen jener Zeit, führte übrigens, wie man sieht, einen herrlichen Namen.

Flink, mager, eckig, stets aufmerksam, stets Augen, denen einer erschrockenen Katze ähnlich, unter den grauen Brauen in ihren Höhlen wälzend, hatte Frau von Béarn die Tracht der Damen ihrer Jugend beibehalten, und da die Mode, so launisch sie auch sein mag, sich herbeiläßt, zuweilen wieder vernünftig zu werden, so war das Costume der Mädchen von 1740 zufällig das Kleid einer Alten im Jahre 1770.

Weite Guipures, Spitzenmäntelchen, ungeheurer Kopfputz, unermeßliche Taschen, colossaler Sack und eine Halsbinde von geblümter Seide, dies war die Tracht, unter der Chon, die vielgeliebte Schwester und Vertraute von Madame Dubarry, Frau von Béarn fand, als sie sich dieser unter dem Namen von Mademoiselle Flageot, das heißt, als die Tochter ihres Advokaten vorstellte.

Die alte Gräfin trug sie (es ist natürlich von der Kleidung die Rede) ebensowohl aus Geschmack, als aus Sparsamkeit. Sie gehörte nicht zu den Leuten, welche über ihre Armuth erröthen, denn diese Armuth rührte nicht von einen Fehler von ihr her. Sie bedauerte nur, nicht reich genug zu sein, um ihrem Sohn ein seines Namens würdiges Vermögen zu hinterlassen; dieser Sohn war ein ganz provinzmäßiger junger Mensch, schüchtern wie ein Mädchen und viel mehr den Süßigkeiten des materiellen Lebens, als den Gunstbezeugungen des Ruhmes zugethan.

Es blieb ihr übrigens das Hülfsmittel, meine Güter die Güter zu nennen, die ihr Advokat den Saluces streitig machte; da es indessen eine Frau von großem Verstande war, so fühlte sie wohl, daß ihr, wenn sie auf diese Ländereien entlehnen müßte, kein Wucherer, und es gab deren sehr kühne in Frankreich zu jener Zeit, kein Anwalt, und es fanden sich sehr verschlagene zu allen Zeiten, auf diese Garantien etwas leihen, oder die geringste Summe in der Hoffnung ans Wiederersatz aus dem streitigen Object vorschießen würde.

Beschränkt auf eine Rente aus der nicht in den Prozeß verwickelten Grundbesitzungen und auf ihre Gülten, floh deshalb Frau von Béarn, welche ein Einkommen von ungefähr tausend Thalern hatten den Hof, wo man zwölf Livres im Tag nur für die Miethe der Carrosse ausgab, welche die Frau Sollicitantin zu den Herren Richtern und zu den Herren Advokaten führte.

Sie floh ihn besonders, weil sie daran verzweifelte, ihren Actenfascikel von vier bis fünf Jahr aus dem Fache ziehen zu sehen, wo er wartete, bis die Reihe an ihn käme. Heut zu Tage dauern die Prozesse lang; doch ohne das Alter eines Patriarchen zu erreichen, kann derjenige, welcher einen Prozeß anfängt, hoffen, ihn auch zu Ende gehen zu sehen, während in frühern Zeiten ein Prozeß zwei bis drei Generationen durchmachte und wie jene fabelhaften Pflanzen in Tausend und eine Nacht nur am Ende von zwei bis dreihundert Jahren blühte.

Frau von Béarn wollte aber nicht den Rest ihres Vermögens dadurch verschlingen lassen, daß sie die im Prozeß begriffenen zehn Zwölftel wieder zu erlangen suchte; sie war das, was man in jeder Zeit eine Frau der alten Zeit nennt, nämlich vorsichtig, klug, stark und geizig.

Sie hätte sicherlich ihre Angelegenheit selbst geführt, selbst vor Gericht geladen, plaidirt und exekutirt. und zwar besser als irgend ein Advokat, Anwalt oder Huissier, aber sie trug den Namen Béarn, und dieser Name setzte vielen Dingen ein Hinderniß entgegen. Daraus ging hervor, daß. verzehrt von Kummer und Angst, sehr ähnlich dem göttlichen Achill, der unter sein Zelt zurückgezogen tausend Tode litt, wenn die Trompete erscholl, gegen die er taub zu sein sich stellte, Frau von Béarn, die Tage damit hinbrachte, daß sie, die Brille auf der Nase, alte Pergamente entzifferte, und ihre Nächte, daß sie sich in ihren persischen Schlafrock drapirte und mit flatternden grauen Haaren vor ihrem Kopfkissen den Prozeß der von den Saluces zurückgeforderten Erbschaft plaidirte, einen Prozeß, den sie stets mit einer Beredtsamkeit gewann, mit welcher sie so sehr zufrieden. war, daß sie dieselbe unter ähnlichen Umständen ihrem Advokaten gewünscht hätte.

Man begreift bei dieser Lage der Dinge, daß die Ankunft von Chon, die sich unter dem Namen von Mademoiselle Flageot vorstellte, eine sanfte Erschütterung bei Frau von Béarn hervorbrachte.

Der junge Graf war beim Heer.

Man glaubt so gern, was man wünscht. Frau von Béarn ließ sich auch ganz natürlich von der Erzählung der jungen Frau einnehmen.

Es war indessen wohl ein Schatten von Verdacht zu fassen; die Gräfin kannte seit zwanzig Jahren Meister Flageot, sie hatte ihn zweihundertmal in der Rue du Petit-Lion-Saint-Sauveur besucht, und nie hatte sie auf dem viereckigen Teppich, der ihr so winzig für das ungeheure Cabinet vorkam, nie hatte sie, sagen wir, auf diesem Teppich die Spiele eines Kindes wahrgenommen, das auf eine geschickte Weise die Pastillen in den Büchsen der Clienten und Clientinnen suchte.

Aber es handelte sich wohl darum, an den Teppich des Anwalts zu denken, es handelte sich darum, das Kind wieder zu finden, das darauf spielen konnte. es handelte sich darum, seine Erinnerungen zu durchwühlen: Mademoiselle Flageot war Mademoiselle Flageot, und alles Andere Nebensache.

Ueberdies war sie verheirathet und, was den letzten Wall gegen jeden schlimmen Gedanken bildete, sie kam nicht ausdrücklich nach Verdun, sondern sie begab sich zu ihrem Gatten nach Straßburg.

Vielleicht hätte Frau von Béarn Mademoiselle Flageot nach dem Briefe fragen müssen, der sie bei ihr beglaubigte; doch wenn ein Vater seine Tochter, seine eigene Tochter nicht ohne einen Brief schicken kann, wem soll man dann eine Vertrauenssendung geben? Und dann noch einmal, wozu solche Befürchtungen? Wozu ein solcher Verdacht? In welcher Absicht sollte man sechzig Lieues machen, um eine solche Erzählung preiszugeben?

Wäre sie reich gewesen, hätte sie wie die Frau eines Banquier, eines Generalpächters oder eines Parteigängers Equipagen, Silbergeschirr und Diamanten mitnehmen müssen, so hätte sie denken können, es sei ein von Dieben angezetteltes Komplott. Aber Frau von Béarn lachte. wenn sie zuweilen an die Täuschung dachte, welche Diebe erfahren würden, die so schlecht unterrichtet wären, das, sie bei ihr zu stehlen versuchten.

Als Chon mit ihrer bürgerlichen Toilette und mit ihrem schlechten, einspännigen Cabriolet, das sie auf der vorletzten Post, wo sie ihre Chaise zurückließ, genommen hatte, verschwunden war, stieg Frau von Béarn, überzeugt, der Augenblick, ein Opfer zu bringen, wäre gekommen, selbst in eine alte Carrosse und trieb die Postillons dergestalt zur Eile an, daß sie eine Stunde vor der Dauphine durch Lachaussée kam, und kaum fünf bis sechs Stunden nach Mademoiselle Dubarry die Barrière Saint-Denis erreichte.

Da die Reisende sehr wenig Gepäcke hatte und da es das Dringendste für sie war, die gerichtliche Verhandlung zu betreiben, so ließ Frau von Béarn ihren Wagen in der Rue du Petit-Lion vor der Thüre von Herrn Flageot anhalten.

Dies geschah, wie man sich leicht denken kann, nicht ohne daß eine große Anzahl Neugieriger, und die Pariser sind es insgesammt, vor dieser ehrwürdigen Kutsche stehen blieb, welche aus den Remisen von Heinrich IV. zu kommen schien, an dessen Lieblingsgefährt sie durch ihre Solidität, durch ihren monumentalen Bau und ihre schneckenförmig gewundenen ledernen Vorhänge erinnerte, die mit einem abscheulichen Aechzen auf einer Stange von grünlichem Messing liefen.

Die Rue du Petit-Lion ist nicht breit. Frau von Béarn verstopfte sie majestätisch, bezahlte die Postillons und befahl ihnen, den Wagen nach dem Wirthshause zu bringen, wo sie gewöhnlich abstieg, nämlich nach dem tränenden Hahne in der Rue Saint-Germain-des-Prés. Sie stieg, sich an dem fettigen Seile haltend, die schwarze Treppe von Herrn Flageot hinauf; es herrschte hier eine Kühle, welche der durch die Schnelligkeit und den Eifer der Reise angegriffenen. Alten nicht mißfiel.

Als ihn seine Dienerin Marguerite die Frau Gräfin von Béarn meldete, zog Meister Flageot seine Hose, die er der Hitze wegen tief hatte hinabfallen lassen, in die Höhe, drückte eine Perrücke, welche immer im Bereiche seiner Hand lag, auf den Kopf, und schlüpfte in einen Schlafrock von Basin. So geschmückt schritt er lächelnd auf die Thüre zu. Aber in diesem Lächeln drang eine so scharf ausgeprägte Nuance des Erstaunens durch, daß die Gräfin ihm sagen zu müssen glaubte:

»Nun, mein lieber Herr Flageot, ich bin es.«

»Ah! ja wohl’’ erwiederte Herr Flageot, »das sehe ich, Frau Gräfin.«

Dann schloß der Advokat schamhaft seinen Schlafrock und führte die Gräfin zu einem Lehnstuhle in dem hellsten Winkel des Cabinets, wobei er indessen kluger Weise Papiere von seinem Schreibtisch entfernte, denn er kannte ihre Neugierde.

»Erlauben sie nur nun gütigst, Madame, daß ich meine Freude über eine so angenehme Ueberraschung ausdrücke,« sagte artiger Weise Meister Flageot.

Im Hintergrunde ihres Lehnstuhles sitzend, hob Frau von Béarn in diesem Augenblick die Füße auf, um zwischen der Erde und ihren Schuhen von brochirtem Atlaß den nöthigen Zwischenraum für ein ledernes Kissen zu lassen, das Marguerite vor sie legte. Bei den Worten des Advokaten richtete sie sich aber rasch auf, drücke ihre Nase mit der Brille zusammen, die sie aus ihrem Etui gezogen hatte, um Herrn Flageot besser zu sehen, und rief:

»Wie, Ueberraschung?«

»Allerdings, ich glaubte, Sie wären auf Ihren Gütern, Madame,« antwortete der Advokat, der sich hier einer liebenswürdigen Schmeichelei bediente, um die drei Morgen Gemüsegarten von Frau von Béarn zu bezeichnen.

»Ich war dort, wie Sie sehen; aber auf Ihr erstes Signal verließ ich meine Güter.«

»Auf mein erstes Signal?« erwiederte der Advokat erstaunt.

»Auf Ihr erstes Signal, auf ihre erste Nachricht, auf Ihren ersten Rath, wie Sie wollen.«

Die Augen von Herrn Flageot wurden groß wie die Brillengläser der Gräfin.

»Ich hoffe, daß ich Eile angewendet habe, und daß Sie mit mir zufrieden sein werden,« fuhr die Gräfin fort.

»Entzückt, Madame, wie immer; doch erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß ich auf keine Weise sehe, was ich hierin zu thun habe.«

»Wie!« rief die Gräfin, »was Sie zu thun haben? Alles, oder vielmehr Sie haben Alles gethan.«

»Ich?«

»Gewiß, Sie  . . . Nun! es gibt also Neuigkeiten hier?«

O! ja, Madame, man sagt, der König sinne auf einen Staatsstreich gegen das Parlament. Doch darf ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?«

»Es handelt sich wohl um den König, es handelt sich wohl um einen Staatsstreich?«

»Um was handelt es sich denn, Madame?«

»Es handelt sich um meinen Prozeß. In Beziehung auf meinen Prozeß fragte ich Sie, ob es nichts Neues hier gebe.«

»Oh! was das betrifft,« versetzte Herr Flageot, traurig den Kopf schüttelnd, »nichts, Madame, durchaus nichts.«

»Das heißt nichts  . . .«

»Nein, nichts.«

»Nichts, seitdem ich Ihre Tochter gesprochen habe.« Da dies aber vorgestern der Fall gewesen ist, so begreife ich, daß sich nichts Großes seit diesem Augenblick ereignet haben kann.«

»Meine Tochter, Madame?«

»Ja.«

»Sie haben gesagt, meine Tochter?«

»Allerdings Ihre Tochter, diejenige, welche Sie zu mir schickten.«

»Verzeihen Sie, Madame, ich kann Ihnen unmöglich meine Tochter geschickt haben.«

»Unmöglich!«

»Aus einem äußerst einfachen Grunde, ich habe nämlich keine.«

»Sind Sie dessen gewiß?« rief die Gräfin.

»Madame, ich habe die Ehre, Junggeselle zu sein,« antwortete Herr Flageot.

»Gehen Sie doch!« versetzte die Gräfin.

Herr Flageot wurde unruhig; er rief Marguerite, daß sie die der Gräfin angebotenen Erfrischungen bringe, und besonders, daß sie diese bewache.

»Arme Frau,« dachte er, »ihr Kopf ist in Verwirrung gerathen.«

»Wie,« sagte die Gräfin, »Sie haben keine Tochter?«

»Nein, Madame.«

»Eine in Straßburg verheirathete Tochter?«

»Nein, Madame, nein, tausendmal nein.«

»Und Sie haben diese Tochter nicht beauftragt,« fuhr die Gräfin ihren Gedanken verfolgend fort, »Sie haben diese Tochter nicht beauftragt, mir auf der Durchreise mitzutheilen, mein Prozeß sei in die Liste eingetragen.«

»Nein.«

Die Gräfin geberdete sich auf das Heftigste in ihrem Lehnstuhl, und schlug mit beiden Händen auf ihre Kniee.

»Trinken Sie ein wenig, Frau Gräfin,« sagte Herr Flageot, »es wird Ihnen wohl thun.«

Zu gleicher Zeit machte er Marguerite ein Zeichen, und diese näherte« sich Frau von Béarn mit zwei Gläsern Bier auf einer Platte; doch die alte Dame hatte keinen Durst und stieß Platte und Gläser so ungestüm zurück, daß sich Mademoiselle Marguerite, welche einiger Vorrechte im Hause theilhaftig zu sein schien, dadurch verletzt fühlte.

»Sprechen Sie, sprechen Sie,« sagte die Gräfin, indem sie Herrn Flageot unter ihrer Brille hervor anschaute, »erklären wir uns ein wenig, wenn’s beliebt.«

»Mit Vergnügen,« antwortete der Advokat; »bleiben Sie, Marguerite, Madame hat vielleicht sogleich die Güte zu trinken; erklären wir uns.«

»Ja, erklären wir uns, wenn es Ihnen gefällig ist, denn Sie sind heute unbegreiflich, mein lieber Herr Flageot; bei meinem Ehrenwort, man sollte glauben, es wäre seit der Hitze in Ihrem Kopfe nicht richtig.«

»Aergern Sie sich nicht, Madame,« sprach der Advokat, und ließ seinen Lehnstuhl auf den zwei Hinterfüßen manoeuvriren, »ärgern Sie sich nicht, und lassen Sie uns plaudern.«

»Ja, plaudern wir. Sie sagen, Sie haben keine Tochter, Herr Flageot?«

»Nein, Madame, und ich bedaure es aufrichtig, weil Ihnen dies, wie es scheint, angenehm wäre, obgleich . . .«

»Obgleich . . .« wiederholte die Gräfin.

»Obgleich ich meines Theils einen Knaben vorziehen würde, die Knaben gedeihen besser, oder nehmen vielmehr weniger eine schlimme Richtung in diesen Zeitläufen.«

Frau von Béarn faltete ihre beiden Hände mit einer tiefen Unruhe.

»Wie,« sagte sie, »Sie haben mich nicht durch irgend eine Schwester, eine Nichte, eine Base nach Paris beschieden?«

»Ich habe nicht daran gedacht, Madame, da ich wohl weiß, wie kostspielig der Aufenthalt in Paris ist.«

»Aber mein Prozeß?«

»Ich behalte mir vor, Sie zu benachrichtigen, wenn er zur Verhandlung kommt, Madame.«

»Wie, wenn er zur Verhandlung kommt?«

»Ja.«

»Es ist dies also nicht bereits der Fall?«

»Nicht, daß ich wüßte, Madame.«

»Mein Prozeß ist nicht dem Gericht vorgelegt?«

»Nein.«

»Es ist nicht die Rede von einer baldigen Apellation?«

»Nein, Madame, mein Gott, nein.«

»Dann hat man mich hintergangen, man hat unwürdig seinen Spott mit mir getrieben,« rief die alte Dame aufstehend.

Herr Flageot hißte seine Perücke oben auf seine Stirne und murmelte:

»Ich befürchte beinahe, Madame.«

»Meister Flageot!« rief die Gräfin.

Der Advokat sprang von seinem Stuhle auf und machte Marguerite, welche sich bereit hielt, ihrem Herrn beizustehen, ein Zeichen.

»Meister Flageot,« fuhr die Gräfin fort, »ich werde diese Demüthigung nicht dulden, und mich an den Herrn Polizeilieutenant wenden, daß man das Weibsbild aufsucht, welches mir diese Beleidigung zugefügt hat.«

»Bah!« machte Herr Flageot, »das ist sehr unsicher.«

»Ist das Weib einmal gefunden,« rief die Gräfin, vom Zorn fortgerissen, »so werde ich eine Klage erheben.«

»Abermals ein Prozeß,« sagte traurig der Advokat.

Diese Worte machten, daß die Prozeßkrämerin von der Höhe ihrer Wuth herabfiel: der Sturz war hart.

»Ach! ich kam so glücklich hierher,« rief sie.

»Aber was hat Ihnen denn diese Frau gesagt, Madame?«

»Erstens, sie komme in Ihrem Auftrag.

»Abscheuliche Intrigantin!«

»Und in Ihrem Auftrag kündige sie mir die Verhandlung meines Prozesses an; das war dringend, ich konnte nicht genug eilen, denn ich lief Gefahr, zu spät zu kommen.«

»Ach,« sprach Herr Flageot, »wir sind weit davon entfernt, zur Verhandlung vorgefordert zu werden, Madame.«

»Nicht wahr, wir sind vergessen?«

»Vergessen, begraben, beerdigt, Madame, und wenn nicht ein Wunder geschieht, und Sie wissen, die Wunder sind selten  . . .«

»Oh! ja,« murmelte die Gräfin mit einem Seufzer.

Herr Flageot antwortete mit einem andern Seufzer, der nach dem der Gräfin modulirt war.

»Hören Sie, Herr Flageot,« fuhr Frau von Béarn fort, »soll ich Ihnen Eines sagen?«

»Sprechen Sie, Madame.«

»Ich werde dies nicht überleben.«

»Oh! was das betrifft . . . Sie hätten Unrecht.«

»Mein Gott! mein Gott!« sprach die arme Gräfin, »meine Kräfte sind völlig erschöpft.«

»Muth, Madame, Muth!« rief Herr Flageot.

»Haben Sie mir keinen Rath zu geben?«

»Oh! doch wohl: ich rathe Ihnen, auf Ihre Güter zurückzukehren und denjenigen, welche sich in meinem Auf trag bei Ihnen einfinden, nicht mehr zu glauben, wenn sie nicht eine Zeile von mir mitbringen.

»Ich werde wohl auf meine Güter zurückkehren müssen.«

»Das wird vernünftig sein.«

»Aber glauben Sie mir, Herr Flageot,« seufzte die Gräfin, »wir werden uns nicht wiedersehen, wenigstens nicht auf dieser Welt.«

»Welche Verworfenheit!«

»Ich habe also grausame Feinde?«

»Ich wollte schwören, es ist ein Streich der Saluces.«

»Dieser Streich ist in jedem Fall sehr gemein.«

»Ja, das ist schwach.«

»Oh! die Justiz! die Justiz! mein lieber Herr Flageot, es ist die Höhle des Cacus.«

»Warum?« versetzte der Advokat, »weil die Justiz nicht mehr sie selbst ist, weil man das Parlament bearbeitet! weil Herr von Maupeou Kanzler werden wollte, statt Präsident zu bleiben.«

»Herr Flageot, ich würde jetzt trinken.«

»Marguerite!« rief der Advokat.

Marguerite kehrte zurück. Sie hatte sich entfernt, als sie sah, welche friedliche Wendung das Gespräch nahm.

Sie kehrte zurück, sagen wir, die Platte mit den zwei Gläsern, die sie weggetragen, in den Händen haltend. Frau von Béarn trank langsam ihr Glas Bier, nachdem sie ihren Advokaten mit einem Anstoßen beehrt hatte, machte ihm eine traurige Verbeugung und ging in das Vorzimmer.

Herr Flageot folgte ihr, seine Perrücke in der Hand.

Frau von Béarn war auf dem Ruheplatz und suchte bereits den Strick, der als Geländer diente, als sich eine Hand auf die ihrige legte und ein Kopf auf ihre Brust stieß.

Diese Hand und dieser Kopf gehörten einem Schreiber, der zu vier und vier die steilen Stufen der Treppe hinaufsprang.

Die alte Gräfin richtete unter Brummen und Verwünschungen ihre Röcke wieder zurecht, und setzte ihren Weg die Treppe hinab fort, während der Schreiber, ebenfalls auf dem Ruheplatz angelangt, die Thüre aufstieß und mit einem lustigen, treuherzigen Tone der Leute seines Standes ausrief:

»Hier, Meister Flageot, hier, das ist für den Béarn Prozeß.«

Und er reichte ihm ein Papier.

Bei diesem Namen die Treppe hinaufsteigen, den Schreiber zurückstoßen, sich auf Meister Flageot werfen, ihm das Papier entreißen, den Advokaten in seinem Cabinet blockiren, das war von der alten Gräfin geschehen, ehe der Schreiber zwei Ohrfeigen erhalten, die ihm Marguerite als Erwiederung auf zwei Küsse versetzte, oder zu versetzen sich den Anschein gab.

»Nun!« rief die alte Dame, »was sagt man denn hierin, Meister Flageot?«

»Meiner Treue, ich weiß es noch nicht, Frau Gräfin; doch wenn Sie mir das Papier geben wollen, so werde ich es Ihnen sagen.«

»Es ist wahr, mein lieber Herr Flageot, lesen Sie, lesen Sie geschwinde.«

Dieser betrachtete die Unterschrift des Billets.

»Es ist von Meister Guildon, unserem Procurator,« sagte er.

»Oh! mein Gott.«

»Er ladet mich ein,« fuhr Meister Flageot mit wachsendem Erstaunen fort, »er ladet mich ein, mich bereit zu halten, nächsten Dienstag zu plaidiren, weil unsere Angelegenheit zur Verhandlung bezeichnet ist.«

»Zur Verhandlung bezeichnet!« rief die Gräfin aufspringend. »Oh! nehmen Sie sich in Acht, Meister Flageot, scherzen wir diesmal nicht, denn ich würde mich nicht mehr erheben.«

»Madame,« erwiederte Meister Flageot, ganz verblüfft über diese Nachricht, »wenn Jemand scherzt, so ist es wohl nicht Herr Guildon, denn es wäre das erste Mal in seinem Leben.«

»Ist der Brief aber auch gewiß von ihm?«

»Er hat ihn unterzeichnet, sehen Sie.«

»Es ist wahr!  . . . Diesen Morgen vorgeladen, Dienstag plaidirt. Oh! Meister Flageot, die Dame, welche bei mir gewesen, war also keine Intrigantin?«

»Es scheint nicht.«

»Aber da sie nicht von Ihnen geschickt worden ist  . . . sind Sie sicher, daß sie nicht von Ihnen geschickt wurde?«

»Bei Gott! ob ich sicher bin!«

»Von wem kann sie dann geschickt worden sein?

»Ja, von wem?

»Denn Jemand muß sie doch geschickt haben.«

»Ich verliere mich in Vermuthungen.«

»Und ich gehe darin unter. Ah! lassen Sie mich noch einmal lesen, mein lieber Herr Flageot: vorgeladen, plaidirt, so steht es geschrieben; plaidirt vor dem Herrn Präsidenten Maupeou.«

»Teufel! heißt es so?«

»Allerdings.«

»Das ist ärgerlich.«

»Warum?«

»Weil der Herr Präsident Maupeou ein vertrauter Freund der Saluces ist.«

»Wissen Sie das?«

»Er ist unablässig in ihrem Hause.«

»Das ist schön, nun sind wir mehr in Verlegenheit, als je. Ich habe Unglück.«

»Und dennoch ist nichts dagegen einzuwenden,« sprach Meister Flageot, »Sie müssen ihn besuchen.«

»Aber er wird mich furchtbar empfangen.«

»Sehr wahrscheinlich!«

»Oh! Meister Flageot, was sagen Sie mir da?«

»Die Wahrheit, Madame.«

»Wie! Sie verlieren nicht allein Ihren Muth, sondern Sie benehmen mir sogar den, welchen ich hatte.«

»Von Herrn von Maupeou kann Ihnen nichts Gutes widerfahren.«

»Schwach in diesem Grade, Sie, ein Cicero!«

»Cicero würde den Proceß von Ligarius verloren haben, hätte er vor Verres plaidirt, statt vor Cäsar zu sprechen,« antwortete Meister Flageot, der in seiner Bescheidenheit nur dieses zu erwiedern wußte, um die ausgezeichnete Ehre zurückzuweisen, die ihm seine Clientin hatte widerfahren lassen.

»Sie rathen mir also, ihn nicht zu besuchen?«

»Oh! Gott soll mich behüten, Madame, daß ich Ihnen eine Ungereimtheit dieser Art rathe; ich beklage Sie nur, weil Sie zu einer solchen Zusammenkunft genöthigt sind.«

»Sie sprechen da, Herr Flageot, wie ein Soldat, der seinen Posten zu verlassen gedenkt. Man sollte glauben, Sie fürchten sich, diesen Prozeß zu betreiben.«

»Madame, ich habe einige in meinem Leben verloren, bei denen mehr Hoffnung auf einen Gewinn war, als bei diesem.«

Die Gräfin seufzte, raffte aber ihre ganze Energie zusammen und sprach mit einer Würde, welche einen seltsamen Contrast mit der komischen Physiognomie dieser Unterredung bildete:

»Ich werde bis zum Ende gehen; man soll nicht sagen, ich sei, während das Recht auf meiner Seite steht, vor der Kabale zurückgewichen. Ich werde meinen Prozeß verlieren, aber ich habe dann den Pflichtvergessenen die Stirne einer Frau von Stand gewiesen, wie nicht viele mehr an dem heutigen Hofe übrig sind. Wollen Sie mir den Arm geben, Herr Flageot, um mich zu dem Herrn Vicekanzler zu begleiten?«

»Madame,« sprach Meister Flageot, der ebenfalls eine ganze Würde zu Hülfe rief, »wir Oppositionsmitglieder des Parlaments von Paris haben uns geschworen, außerhalb der Audienzen jeden Zusammenhang mit denjenigen zu vermeiden, welche die Parlamente in der Angelegenheit von Herrn d’Aiguillon verlassen haben. Einigkeit bildet die Kraft, und da Herr von Maupeou in dieser ganzen Angelegenheit lavirt hat, da wir uns über ihn zu beklagen haben, so werden wir in unserem Lager bleiben, bis er eine Fahne aufgezogen.«

»Mein Prozeß nimmt eine schlimme Wendung, wie ich sehe,« seufzte die Gräfin; ..Advokaten mit ihren Richtern entzweit, Richter mit ihren Clienten entzweit  . . . Gleichviel, ich werde ausharren.«

»Gott stehe Ihnen bei, Madame!« sprach der Advokat, und warf seinen Schlafrock auf seinen linken Arm, wie es ein römischer Senator mit seiner Toga gemacht hätte.

»Das ist ein trauriger Advokat.« murmelte Frau von Béarn für sich. »Ich befürchte weniger Glück mit ihm vor dem Parlament zu haben, als ich dort vor meinem Kopfkissen hatte.«

Dann sagte sie laut, und mit einem Lächeln, unter dem sie ihre Unruhe zu verbergen suchte:

»Leben Sie wohl, Meister Flageot, ich bitte Sie, studiren Sie den Prozeß gut, man kann nicht wissen, was geschieht.«

»Oh! Madame,« erwiederte Meister Flageot, »es ist nicht die Vertheidigungsrede, was mich in Verlegenheit setzt. Ich glaube, sie wird schön sein, um so schöner, als ich furchtbare Anspielungen einzumischen im Sinne habe.«

»Auf was, mein Herr, auf was?«

»Auf die Verdorbenheit von Jerusalem, Madame, das ich mit den verfluchten Städten vergleiche, und auf welches ich das Feuer des Himmels herabrufen werde. Sie begreifen, Madame, Niemand wird sich täuschen, Jerusalem wird Versailles sein.«

»Herr Flageot,« rief die alte Dame, »gefährden Sie sich nicht, oder gefährden Sie vielmehr meinen Prozeß nicht.«

»Ei! Madame, Ihr Prozeß ist mit Herrn von Maupeou verloren; es handelt sich also nur darum, ihn vor unsern Zeitgenossen zu gewinnen, und da man uns keine Gerechtigkeit widerfahren läßt, so wollen wir Scandal machen.

»Herr Flageot . . .«

»Madame, lassen Sie uns Philosophen sein, lassen Sie uns donnern.«

»Der Teufel donnere dir,« brummte die Gräfin, ,.abscheulicher Rabulist, der du in Allem dem nur ein Mittel siehst, dich in deine philosophischen Fetzen zu hüllen. Ich gehe zu Herrn von Maupeou, er ist kein Philosoph, und ich habe bei ihm vielleicht wohlfeileren Kauf, als bei dir.«

Hienach verließ die alte Gräfin Meister Flageot und entfernte sich aus der Rue du Petit-Lion-Saint-Sauveur, nachdem sie in zwei Tagen alle Stufen der Leiter der Hoffnungen und der Täuschungen durchlaufen hatte.

19

 Leider ist der Doppelsinn des Wortes »le vice« daß Laster und »vice« gleichbedeutend mit dem auch in unserer Sprache ein: heimisch gewordenen »vice« nicht wiederzugeben

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

Подняться наверх