Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 21

1 bis 4. Bändchen
Einleitung
XVIII.
Abschied von Taverney

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Ehe Nicole zu ihrer Gebieterin zurückkehrte, blieb sie auf der Treppe stehen, um das letzte Geschrei des Zornes, der in ihrem Innern toste, zu bewältigen.

Der Baron traf sie unbeweglich, nachdenkend, das Kinn in ihrer Hand und die Augbrauen zusammengezogen, und als er sie so schön sah, küßte er sie, so beschäftigt er auch war, wie es Herr von Richelieu in seinem dreißigsten Jahre gethan hätte.

Durch diesen Muthwillen des Barons ihrer Träumerei entzogen, ging Nicole hastig zu Andrée hinauf, die eben einen Koffer vollends schloß.

»Nun!« sagte Fräulein von Taverney, »hast Du Dir die Sache überlegt?«

»Gewiß, mein Fräulein,« antwortete Nicole mit einer sehr entschiedenen Miene.

»Du heirathest?«

»Nein, im Gegentheil.«

,Ah bah! und die große Liebe?«

»Wird nie für mich den Werth haben, den die Güte hat, mit der mich das Fräulein zu jeder Stunde überhäuft. Ich gehöre dem Fräulein und will ihm immer gehören. Ich kenne die Herrin, die ich mir gegeben, würde ich auch ebenso gut den Herrn kennen, den ich mir gäbe?«

Andrée war gerührt von dieser Offenbarung von Gefühlen, welche sie entfernt nicht bei der unbesonnenen Nicole zu finden glaubte.

Sie wußte, wie es sich von selbst versteht, nicht, daß Nicole einen »schlimmsten Fall« aus ihr machte.

Sie lächelte und war glücklich, daß sie ein menschliches Geschöpf besser fand, als sie es gehofft hatte.

»Du thust wohl daran, daß Du mir anhänglich bleibst, Nicole,« sagte sie, »ich werde es nicht vergessen. Vertraue mir Dein Schicksal, mein Kind und wenn mir irgend ein Glück zufließt, so sollst Du Deinen Theil daran haben, das verspreche ich Dir.«

»Oh! mein Fräulein, es ist entschieden, ich folge Ihnen.«

»Ohne Bedauern?«

»Blindlings.«

»Das heißt nicht antworten. Du sollst mir nicht eines Tages vorwerfen können, Du seist mir blindlings gefolgt.«

»Ich werde nur mir Vorwürfe zu machen haben, mein Fräulein.«

»Du hast Dich also mit Deinem Bräutigam verständigt?«

Nicole erröthete.

»Ich?« sagte sie.

»Ja, Du, ich habe Dich mit ihm sprechen sehen.«

Nicole biß sich auf die Lippen. Es gab ein Fenster parallel mit dem von Andrée und sie wußte wohl, daß man von diesem Fenster das von Gilbert sah.

»Es ist wahr, mein Fräulein,« antwortete Nicole.

»Und Du hast ihm gesagt? . . .«

»Ich habe ihm gesagt,« erwiederte Nicole, welche zu bemerken glaubte, daß Andrée sie ausforsche, und, durch dieses falsche Manoeuvre des Feindes zu ihrem ersten Verdacht zurückgeführt, feindlich zu antworten versuchte, »ich habe ihm gesagt, ich wolle nichts mehr von ihm.«

Es war entschieden, daß diese zwei Frauen, die eine mit der Reinheit des Diamants, die andere mit ihrer natürlichen Hinneigung zum Laster sich nie verstehen sollten.

Andrée nahm fortwährend die Bitterkeiten von Nicole für Schmeichelei.

Während dieser Zeit vervollständigte der Baron die verschiedenen Theile seines Gepäckes. Ein alter Degen, den er in Fontenoy trug, Pergamente, die sein Recht, in dem Wagen Seiner Majestät zu fahren, begründeten, eine Sammlung der Gazette und gewisse Correspondenzen bildeten den umfangreichsten Theil seiner Habe. Wie Bias trug er Alles dies unter einem Arm.

La Brie gab sich das Ansehen, als schwitzte er auf dem Wege, gebeugt unter einem beinahe leeren Koffer.

Man fand in der Allee den Herrn Gefreiten, der während aller dieser Vorbereitungen seine Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert hatte.

Der artige Mann hatte die so feine Taille, das so runde Bein von Nicole wahrgenommen und schweifte beständig zwischen dem kleinen See und den Kastanienbäumen hin und her, um die reizende Dirne abermals zu sehen, die eben so schnell, als er sie unter dem Gebüsch erblickt, wieder verschwunden war.

Herr von Beausire, so hieß er erwähntermaßen, wurde seiner Beschauung durch den Baron entzogen, der ihn aufforderte, den Wagen zu rufen. Er sprang auf, verbeugte sich vor Herrn von Taverney, und befahl dem Kutscher mit schallender Stimme, in die Allee zu fahren.

Die Carrosse erschien. La Brie legte den Koffer mit einer unbeschreiblichen Mischung von Freude und Stolz auf die Federn.

»Ich werde also in den Carrossen des Königs fahren,« murmelte er, fortgerissen von seiner Begeisterung und im Glauben allein zu sein.

»Dahinter, mein schöner Freund,« versetzte Beausire mit einem Protectorslächeln.

»Wie! Sie nehmen La Brie mit?« sagte Andrée zu dem Baron; »und wer wird Taverney bewachen?«

»Bei Gott! dieser Taugenichts von einem Philosophen«

»Gilbert?«

»Allerdings, hat er nicht ein Gewehr?«

»Aber womit wird er sich nähren?«

»Mit seiner Flinte, und dabei wird er gut gefüttert sein, sei unbesorgt; an Drosseln und Amseln fehlt es in Taverney nicht.«

Andrée schaute Nicole an, diese lachte.

»So beklagst Du ihn, böses Herz?« sagte Andrée.

«Oh! er ist sehr geschickt, mein Fräulein,« entgegnete Nicole, »seien Sie ruhig, er wird nicht Hungers sterben.«

»Man muß ihm ein paar Louis d’or zurücklassen,« sagte Andrée zu dem Baron

»Um ihn zu verderben? Gott behüte mich, er ist schon zu lasterhaft.«

»Nein, damit er leben kann!«

»Man schickt ihm etwas, wenn er schreibt.«

»Bah!« sagte Nicole, »glauben Sie mir, er wird nicht schreiben, mein Fräulein.«

»Gleichviel,« versetzte Andrée, »laß ihm drei oder vier Pistolen zurück.«

»Er wird sie nicht annehmen.«

»Er wird sie nicht annehmen? er ist also sehr stolz, Dein Herr Gilbert?«

»Oh! mein Fräulein, es ist nicht mehr der meine, Gott sei Dank.«

»Vorwärts, vorwärts,« sagte Taverney um allen diesen Einzelheiten, deren seine Selbstsucht überdrüßig war, ein Ende zu machen, »vorwärts, vorwärts, zum Teufel mit Herrn Gilbert! der Wagen erwartet uns, steigen wir ein, meine Tochter«

Andrée erwiederte nichts, sie nahm mit dem Blicke von dem kleinen Schlosse Abschied und stieg in die schwere, plumpe Carrosse.

Herr von Taverney nahm seinen Platz neben ihr; La Brie, immer noch in seine prächtige Livree gekleidet, und Nicole, welche Gilbert nie gekannt zu haben schien, setzten sich auf den Bock. Der Kutscher nahm eines von den Pferden als Postillon zwischen die Beine.

»Doch wo sitzt der Herr Gefreite?« rief Taverney.

»Zu Pferde, Herr Baron, zu Pferde,« antwortete Beausire und blinzelte dabei Nicole an, welche vor Vergnügen erröthete, daß sie so schnell einen plumpen Bauern durch einen zierlichen Cavalier ersetzt hatte.

Bald wurde der Wagen unter der Anstrengung von vier kräftigen Pferden erschüttert, und die Bäume der Allee, dieser Andrée so wohlbekannten Allee, fingen an auf beiden Seiten der Carrosse hinzugleiten und einer nach dem andern zu verschwinden, traurig unter dem Ostwinde gebeugt, als wollten sie den Gebietern, die sie verließen, ein letztes Lebewohl sagen. Man gelangte zum Thore.

Gilbert hatte sich gerade, unbeweglich an dieses Thor gestellt. Den Hut in der Hand, schaute er nicht mehr und sah dennoch Andrée.

Andrée suchte, auf die andere Seite des Schlages geneigt, so lange als möglich ihr liebes Haus zu sehen.

»Haltet ein wenig,« rief Herr von Taverney dem Postillon zu. Dieser hielt seine Pferde an.

»He da, Herr Taugenichts,« sagte der Baron zu Gilbert, »Sie werden sich sehr glücklich fühlen; Sie sind nun allein, wie es ein wahrer Philosoph sein muß  . . . nichts zu thun, keinen Zank auszuhalten. Seien Sie wenigstens bemüht, daß kein Feuer entsteht, während Sie schlafen, und sorgen Sie für Mahon.«

Gilbert verbeugte sich ohne zu antworten. Es war ihm, als lastete der Blick von Nicole mit einem unerträglichen Gewichte auf ihm; er befürchtete, den triumphirenden, höhnischen Blick des Mädchens zu sehen, und er befürchtete dies, wie man nur die Verletzung eines glühenden Eisens fürchten kann.

»Vorwärts !« rief Herr von Taverney.

Nicole hatte nicht gelacht, wie es Gilbert befürchtet; es bedurfte sogar bei ihr mehr als ihrer gewöhnlichen Kraft, mehr als ihres persönlichen Muthes, um nicht laut den armen Jungen zu beklagen, den man ohne Brod, ohne Zukunft, ohne Trost zurückließ; sie mußte Herrn von Beausire anschauen, der auf seinem tänzelnden Pferde so vortrefflich aussah. Da aber Nicole Herrn von Beausire anschaute, so konnte sie nicht sehen, wie Gilbert Andrée mit den Augen verschlang.

Andrée sah nichts durch ihre von Thränen befeuchteten Augen, als das Haus, wo sie geboren und ihre Mutter gestorben war.

Der Wagen verschwand. Gilbert, einen Augenblick vorher bereits so wenig für die Reisenden, fing an gar nichts mehr für sie zu sein.

Taverney, Andrée. Nicole und La Brie traten in dem Augenblick, wo sie das Thor des Schlosses hinter sich ließen, in eine neue Welt.

Jedes hatte seinen Gedanken.

Der Baron berechnete, daß man ihm in Bar-le-Duc leicht fünf- bis sechstausend Livres auf den vergoldeten Service von Balsamo leihen würde.

Andrée sprach ganz leise ein kleines Gebet, welches sie ihre Mutter gelehrt hatte, um den Dämon des Stolzes und der Eitelkeit von ihr zu entfernen.

Nicole schloß ihr Halstuch, das der Wind zu wenig nach dem Gefallen von Herrn von Beausire in Unordnung brachte.

La Brie zählte in der Tiefe seiner Tasche die zehn Louis d’or der Königin und die zwei Louis d’or von Balsamo.

Herr von Beausire galoppirte.

Gilbert schloß das große Thor von Taverney, dessen Flügel wie gewöhnlich, in Ermanglung von Oel, ächzten.

Hierauf lief er in seine kleine Stube und zog seine eichene Commode vor, hinter der er ein Päckchen bereit fand. Er band dieses Päckchen, das in einer Serviette eingeschlossen war, an das Ende seines Stockes von Cornelkirschenholz. Dann deckte er sein Gurtbett auf, dessen Hauptbestandthell eine Heumatratze war, die er ausleerte. Seine Hände trafen bald ein zusammengefaltetes Papier, dessen er sich bemächtigte. Dieses Papier enthielt einen glatten, glänzenden Sechs-Livres-Thaler. Dies waren die Ersparnisse von Gilbert seit vielleicht drei bis vier Jahren.

Er öffnete das Papier, schaute den Thaler an, um sich zu überzeugen, daß er sich nicht verwandelt hatte, und steckte ihn, immer noch beschützt durch sein Papier, in die Hosentasche.

Mahon heulte und sprang in der ganzen Länge seiner Kette; das arme Thier stöhnte, daß es sich so nach und nach von allen seinen Freunden verlassen sehen mußte, denn mit seinem bewunderungswürdigen Instinkte errieth es, daß sich auch Gilbert von ihm trennen würde.

Es heulte also immer stärker.

»Schweig,« rief ihm Gilbert zu, »schweig, Mahon!«

Dann fügte er, wie über die Parallele lächelnd, die sich seinem Geiste bot, bei:

»Hat man mich nicht wie einen Hund verlassen? Warum sollte ich Dich nicht wie einen Menschen verlassen?«

Nach kurzem Nachdenken fuhr er fort:

»Aber man ließ mich wenigstens frei, frei, meinen Unterhalt zu suchen, wie ich es verstünde. Gut, es sei, Mahon, ich werde für dich thun, was man für mich gethan hat, nicht mehr, nicht minder.«

Und er lief nach der Nische und machte die Kette von Mahon los.

»Nun bist du frei,« sagte er, »suche deinen Unterhalt, wie du es verstehst.«

Mahon sprang gegen das Haus, dessen Thüren er verschlossen fand; dann lief er nach den Ruinen und Gilbert sah ihn, in dem Gemäuer verschwinden.

»Gut« sagte er, »nun wollen wir sehen, wer mehr Instinkt hat, der Hund oder der Mensch«

Hienach entfernte sich Gilbert durch das kleine Thor, schloß dieses doppelt und warf den Schlüssel über die Mauer bis in den kleinen See, mit der Geschicklichkeit, welche die Bauern im Schleudern der Steine besitzen.

Da indessen die Natur, eintönig in der Erzeugung der Gefühle, wechselreich in ihrer Offenbarung ist, so empfand Gilbert, als er Taverney verließ, etwas dem ähnlich, was Andrée empfunden hatte. Nur war es bei Andrée das Beweinen einer vergangenen Zeit, bei Gilbert die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

»Lebe wohl,« sagte er sich umwendend, um zum letzten Male das kleine Schloß zu sehen, das man verloren in dem Blätterwerk der Sycomoren und in den Blüthen der Bohnenbäume erblickte; »lebe wohl, Haus, wo ich so viel gelitten, wo mich Jeder verabscheute, wo mir Jeder das Brod mit der Behauptung, ich stehle es, zuschleuderte, lebe wohl und sei verflucht. Mein Herz hüpft vor Freude und fühlt sich frei, seitdem mich deine Mauern nicht mehr umschließen, lebe wohl, Kerker, Hölle, Tyrannennest, ich scheide für immer von dir!«

Und nach dieser Verwünschung, welche vielleicht minder poetisch sein mag, aber nicht weniger bezeichnend ist, als so viele andere, setzte Gilbert an, um dem Wagen nachzulaufen, dessen entferntes Geräusch noch in der Luft erscholl.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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