Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 7

1 bis 4. Bändchen
Einleitung
IV.
Gilbert

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Es war dies der Schrei, sagten wir, der die Aufmerksamkeit des Reisenden erregte.

Er sprang hastig aus dem Kasten, schloß diesen sorgfältig, und schaute sodann unruhig umher.

Das Erste, was er erblickte, war der junge Mann, der erschrocken auf der Straße stand. Ein zu gleicher Zeit erscheinender Blitz erlaubte ihm denselben vom Kopf bis zu den Füßen prüfend zu betrachten, eine Prüfung, welche Gewohnheit des Reisenden zu sein schien, so oft sein Blick einer neuen Person oder einer neuen Sache begegnete.

Es war ein Jüngling von kaum sechzehn bis siebenzehn Jahren, klein, mager und nervig; seinen schwarzen Augen, die er kühn auf den Gegenstand heftete, welcher ihn in Anspruch nahm, mangelte es an Sanftheit, aber nicht an einem gewissen Reize; seine schmale, gebogene Nase, seine feinen Lippen und seine hervorspringenden Backenknochen deuteten Schlauheit und Behutsamkeit an, während sich die Entschlossenheit bei ihm durch das kräftige Hervorragen eines runden Kinnes enthüllte.

»Haben Sie so eben geschrieen?« fragte er ihn.

»Ja, mein Herr, ich,« antwortete der junge Mann.

»Und warum haben Sie geschrieen?«

»Weil  . . .«

Der junge Mann hielt unentschlossen inne.

»Weil?« wiederholte der Reisende.

»Mein Herr,« sprach der junge Mann, »es war eine Dame im Cabriolet?«

»Ja.«

Und die Augen von Balsamo richteten sich auf den Kasten, als hätten sie die Dicke der Wände durchdringen wollen.

»Es war ein Pferd an den Federn des Wagens angebunden?«

»Ja, doch wo des Teufels ist es?«

»Mein Herr, die Dame vom Cabriolet ist auf dem Pferde, das an die Federn angebunden war, weggeritten.«

Der Reisende gab keinen Ausruf von sich, sprach kein Wort, sondern sprang nach dem Cabriolet und zog die ledernen Vorhänge aus einander: ein Blitz, der in diesem Augenblick den Himmel entzündete, zeigte ihm, daß das Cabriolet leer war.

»Heiliges Blut Christi!« rief er mit einem Gebrülle ähnlich dem Donner, der demselben als Begleitung diente.

Dann schaute er umher, als wollte er ein Mittel suchen, um nachzusetzen; doch er erkannte bald die Unzulänglichkeit der vorhandenen Mittel, und sprach den Kopf schüttelnd:

»Es versuchen, mit einem dieser Pferde Dscherid einzuholen, wäre gerade so gut, als wenn man eine Schildkröte zur Verfolgung einer Gazelle abschicken würde. Doch ich werde immerhin erfahren, wo sie ist, insofern nicht  . . .«

Und er fuhr rasch und voll Angst mit der Hand nach seiner Westentasche, zog ein kleines Portefeuille hervor und öffnete dasselbe. In einer von den Taschen dieses Portefeuille war ein zusammengefaltetes Papier und in dem Papier fand sich eine schwarze Haarlocke.

Bei dem Anblick dieser Haare erheiterte sich das Gesicht des Reisenden und sein ganzes Wesen wurde, wenigstens scheinbar, wieder ruhig.

»Vorwärts,« sagte er, mit einer Hand, die alsbald von Schweiß troff, über die Stirne fahrend, »es ist gut; und sie hat Ihnen bei ihrem Abgang nichts gesagt?«

»Doch, mein Herr.«

»Was hat sie Ihnen gesagt?«

»Ich soll Ihnen melden, sie verlasse Sie nicht aus Haß, sondern aus Furcht; sie sei eine würdige Christin, während Sie im Gegentheil  . . .«

Der junge Mann zögerte.

»Während ich im Gegentheil?« wiederholte der Reisende.

»Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen wiedersagen soll?«

»Ei! sagen Sie es immerhin!«

»Während Sie im Gegentheil ein Atheist und ein Ungläubiger seien, dem Gott diesen Abend eine letzte Warnung habe geben wollen; sie habe diese Warnung begriffen und fordere Sie auf, dieselbe ebenfalls zu begreifen.«

Ein Lächeln der Verachtung schwebte über die Lippen des Reisenden.

»Ist das Alles, was sie Ihnen gesagt hat?« fragte er.

»Das ist Alles.«

»Gut, so sprechen wir von etwas Anderem.«

Die letzten Spuren der Unruhe und der Unzufriedenheit schienen von der Stirne des Reisenden zu entfliehen.

Der junge Mann betrachtete alle diese Gemüthsbewegungen, die sich auf dem Antlitz wiederspiegelten, mit einer Neugierde, welche andeutete, daß er ebenfalls mit einer gewissen Dose Beobachtungsgabe ausgestattet war.

»Wie heißen Sie, mein junger Freund?« sprach der Reisende.

»Gilbert, mein Herr.«

»Gilbert kurzweg? das ist ein Taufname, wie mir scheint.«

»Es ist mein Familienname.«

»Nun, mein lieber Gilbert, die Vorsehung führt Sie auf meinen Weg, um mich einer Verlegenheit zu entreißen.«

»Zu Ihren Befehlen, mein Herr, und Alles, was ich zu thun vermag  . . .«

»Werden Sie thun; ich danke. Ja, in Ihrem Alter ist man gefällig, um das Vergnügen zu haben, gefällig zu sein, ich weiß es wohl; übrigens ist das, um was ich Sie bitten will, nicht sehr schwierig: Sie sollen mir einfach ein Obdach für die Nacht angeben.«

»Einmal ist hier dieser Fels, unter dem ich mich vor dem Sturme verborgen habe,« sprach Gilbert.

»Ja,« versetzte der Reisende, »doch etwas wie ein Haus, wo ich ein gutes Abendbrod und ein gutes Bett finden würde, wäre mir lieber.«

»Das ist schwieriger.«

»Sind wir weit entfernt von dem ersten Dorfe?«

»Von Pierresitte?«

»Pierresitte heißt es?«

»Ja, mein Herr, wir sind ungefähr anderthalb Lieues davon entfernt.«

»Zu anderthalb Lieues in dieser Nacht, bei diesem Wetter, nur mit diesen zwei Pferden, brauchen wir zwei Stunden. Denken Sie wohl nach, gibt es keine Wohnung in der Gegend?«

»Das Schloß Taverney liegt höchstens dreihundert Schritte von hier.«

»Nun! also  . . .« versetzte der Reisende.

»Was, mein Herr?« fragte der junge Mann, die Augen weit aufsperrend.

»Warum sagten Sie das nicht sogleich?«

»Das Schloß Taverney ist kein Wirthshaus.«

»Es ist bewohnt?«

»Allerdings.«

»Von wem?«

»Von dem Baron von Taverney.«

»Wer ist der Baron von Taverney?«

»Der Vater von Fräulein Andrée, mein Herr.«

»Es macht mir großes Vergnügen, dies zu erfahren,« sprach lächelnd der Reisende, »doch ich fragte Sie, was für ein Mensch der Baron sei?«

»Mein Herr, es ist ein alter Edelmann von sechzig bis fünf und sechzig Jahren, der einst reich gewesen sein soll.«

»Ja, und nun arm ist; es ist die Geschichte von allen diesen Leuten. Mein Freund, ich bitte Sie, führen Sie mich zu dem Baron von Taverney.«

»Zu dem Baron von Taverney?« rief der junge Mann beinahe erschrocken.

»Weigern Sie sich, mir diesen Dienst zu leisten?«

»Nein, mein Herr; aber er  . . .«

»Nun?«

»Er wird Sie nicht aufnehmen.«

»Er wird einen verirrten Edelmann, der Gastfreundschaft von ihm verlangt, nicht aufnehmen? Ihr Baron ist also ein Bär?«

»Bei Gott!« rief der junge Mann mit einem Tone, der wohl sagen wollte: »Das hat ziemlich viel Aehnlichkeit.«

»Gleichviel,« sprach der Reisende, »ich werde es wagen.«

»Ich rathe es Ihnen nicht,« entgegnete Gilbert.

»Bah!« versetzte der Reisende, »so sehr der Baron auch Bär sein mag, so wird er mich doch nicht lebendig auffressen.«

»Nein; doch vielleicht verschließt er Ihnen seine Thüre.«

»Dann trete ich sie ein; und wenn Sie sich nicht etwa weigern, mir als Führer zu dienen  . . .«

»Ich weigere mich nicht, mein Herr.«

»So zeigen Sie mir den Weg.«

»Gern.«

Der Reisende stieg wieder in das Cabriolet und nahm eine kleine Laterne.

Da die Laterne erloschen war, so hoffte der junge Mann einen Augenblick, der Fremde würde in das Innere des Wagens zurückkehren, und er dürfte durch die Oeffnung der Thüre sehen, was dieses Innere enthielt.

Doch er näherte sich nicht einmal der Thüre des Kastens.

Der Reisende gab die Laterne Gilbert in die Hände.

Dieser drehte sie in allen Richtungen hin und her und fragte:

»Was soll ich mit dieser Laterne thun?«

»Sie sollen die Straße beleuchten, während ich die Pferde führe.«

»Aber Ihre Laterne ist ausgelöscht.«

»Wir zünden sie wieder an.«

»Oh! ja,« sagte Gilbert, »Sie haben Feuer im Innern des Wagens.«

»Und in meiner Tasche,« entgegnete der Reisende.

»Es wird schwierig sein, Schwamm bei diesem Regen anzuzünden.«

Der Reisende lächelte und erwiederte:

»Oeffnen Sie die Laterne.«

Gilbert gehorchte.

»Halten Sie Ihren Hut über meine beiden Hände.«

Gilbert gehorchte abermals; man sah ihn diese Vorbereitungen mit der größten Neugierde verfolgen. Gilbert kannte kein anderes Mittel, sich Feuer zu verschaffen, als Zunder, Stahl und Stein.

Der Reisende zog aus seiner Tasche ein silbernes Etui und aus diesem Etui ein Zündhölzchen; dann öffnete er den unteren Theil des Etui und tauchte das Zündhölzchen in einen Teig, der ohne Zweifel entflammbar war, denn sogleich fing das Zündhölzchen mit einem leichten Geknister Feuer.

Diese Wirkung war so plötzlich und so unerwartet, daß Gilbert bebte.

Der Reisende lächelte bei seinem Erstaunen, das indessen zu einer Zeit, wo nur die Chemiker den Phosphor kannten und dieses Geheimniß für ihre persönlichen Experimente bewahrten, ganz natürlich war.

Der Reisende theilte die magische Flamme dem Dochte seiner Kerze mit, verschloß sodann das Etui wieder und steckte es in seine Tasche.

Der junge Mann folgte dem kostbaren Gefäße mit Augen, die vor Gierde glühten. Er hätte offenbar viel für den Besitz eines solchen Schatzes gegeben.

»Nun, da Sie Licht haben, wollen sie mich führen?« fragte der Reisende.

»Kommen Sie, mein Herr,« sprach Gilbert.

Und der junge Mann marschirte voran, während sein Gefährte das Pferd am Gebiß faßte und so fortzugehen zwang.

Das Wetter war übrigens erträglicher geworden, der Regen hatte beinahe aufgehört und der Sturm entfernte sich brummend.

Der Reisende fühlte zuerst das Bedürfniß, das Gespräch wieder aufzunehmen.

»Sie scheinen den Baron von Taverney gut zu kennen, mein Freund?« sagte er.

»Ja, mein Herr, und das ist ganz einfach, denn ich bin seit meiner Kindheit bei ihm,«

»Es ist vielleicht Ihr Verwandter?«

»Nein, mein Herr.«

»Ihr Vormund?«

»Nein.«

»Ihr Gebieter?«

Der junge Mann bebte bei dem Worte Gebieter, und eine lebhafte Röthe färbte seine gewöhnlich bleichen Wangen.

»Ich bin kein Diener, mein Herr,« sagte er.

»Aber Sie sind doch irgend Etwas,« versetzte der Reisende.

»Ich bin der Sohn von einem ehemaligen Meier des Barons; meine Mutter ist die Amme von Fräulein Andrée gewesen.«

»Ich verstehe; Sie sind in dem Hause unter dem Titel eines Milchbruders der jungen Person, denn ich setze voraus, die Tochter des Barons ist jung.«

»Sie ist sechzehn Jahre, mein Herr.«

Gilbert escamotirte eine von den zwei Fragen, wie man sieht: die, welche ihn persönlich betraf.

Der Reisende schien dieselbe Betrachtung anzustellen, wie wir; er lenkte jedoch sein Verhör auf einen andern Punkt.

»Durch welchen Zufall waren Sie bei einem so abscheulichen Wetter auf der Straße?«

»Ich war nicht auf der Straße, sondern unter einem Felsen am Wege.«

»Und was machten Sie unter dem Felsen?«

»Ich las.«

»Sie lasen?«

»Ja.«

»Und was lasen Sie?«

»Den Contrat social von Jean Jacques Rousseau.«

Der Reisende schaute den jungen Mann mit einem gewissen Erstaunen an.

»Sie haben das Buch aus der Bibliothek des Barons genommen?« fragte er.

»Nein, mein Herr, ich habe es gekauft.«

»Wo dies? In Bar-le-Duc?«

»Nein, mein Herr, bei einem durchreisenden Hausirer: es kommen seit einiger Zeit viele Hausirer mit guten Büchern auf das Land.«

»Wer sagte Ihnen, der Contrat social sei ein gutes Buch?«

»Ich sah es beim Lesen, mein Herr.«

»Haben Sie denn schlechte Bücher gelesen, daß Sie einen solchen Unterschied feststellen können?« »Ja.«

»Und was nennen Sie schlechte Bücher?«

»Den Sofa, Tanzai und Neadarne, und andere Bücher dieser Art.«

»Wo Teufels haben Sie diese Bücher gefunden?«

»In der Bibliothek des Barons.«

»Wie verschafft sich der Baron solche Neuigkeiten in einem Loche, wie er es bewohnt?«

»Man schickt sie ihm von Paris.«

»Wie kommt es, mein Freund, daß der Baron, wenn er arm ist, wie Sie sagen, sein Geld auf solche Fadheiten verwendet?«

»Er kauft sie nicht, man schenkt sie ihm.«

»Ah! man schenkt sie ihm?«

»Ja, mein Herr.«

»Wer dies?«

»Einer von seinen Freunden, ein vornehmer Herr.«

»Ein vornehmer Herr, wissen Sie den Namen dieses vornehmen Herrn?«

»Der Herzog von Richelieu.«

»Wie! der alte Marschall?«

»Ja, der Marschall, so ist es.«

»Aber ich setze voraus, er läßt solche Bücher nicht vor Fräulein Andrée liegen?«

»Im Gegentheil, er läßt sie überall liegen.«

»Ist Fräulein Andrée auch Ihrer Ansicht, daß diese Bücher schlechte Bücher sind?« fragte der Reisende mit einem hinterhältischen Lächeln.

»Fräulein Andrée liest sie nicht, mein Herr,« antwortete Gilbert trocken

Der Reisende schwieg einen Augenblick. Diese seltsame Natur, eine Mischung von Gutem und Schlechtem, von Schüchternheit und Keckheit, interessirte ihn offenbar unwillkührlich.

»Und warum haben Sie diese Bücher gelesen, da Sie wußten, daß sie schlecht sind?« fuhr derjenige fort, welchen der alte Gelehrte unter dem Namen Acharat bezeichnet hatte.

»Weil ich bei dem Oeffnen derselben ihren Werth nicht kannte.«

»Sie haben dies jedoch leicht ergründet?«

»Ja, mein Herr.«

»Und Sie fuhren nichtsdestoweniger fort zu lesen?«

»Ich fuhr fort.«

»In welcher Absicht?«

»Sie lehrten mich Dinge, die ich nicht wußte.«

»Und der Contrat social?«

»Er lehrt mich Dinge, die ich errathen hatte.«

»Welche?«

»Daß alle Menschen Brüder, daß die Gesellschaften, welche Leibeigene oder Sklaven haben, schlecht organisirt sind; daß eines Tages alle Menschen gleich sein werden.«

»Ah! ah!« machte der Reisende.

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein; Gilbert und sein Gefährte marschirten mittlerweile vorwärts; der Reisende zog das Pferd am Zügel, Gilbert hielt die Laterne in der Hand.

»Sie haben also große Lust, zu lernen, mein Freund?« sagte leise der Reisende.

»Ja, mein Herr, es ist mein größter Wunsch.«

»Und was möchten Sie gern lernen?«

»Alles,« antwortete der junge Mann.

»Und warum wollen Sie lernen?«

»Um mich zu erheben.«

»Bis wohin?«

Gilbert zögerte. Er hatte offenbar ein Ziel in seinem Geiste; doch dieses Ziel war sein Geheimniß und er wollte es nicht nennen.

»Wohin der Mensch gelangen kann,« erwiederte er.

»Doch Sie haben wenigstens etwas studirt?«

»Nichts. Wie soll ich studiren, da ich nicht reich bin und in Taverney wohne?«

»Wie! Sie wissen nicht ein wenig von der Mathematik?«

»Nein.«

»Von der Physik?«

»Nein.«

»Von der Chemie?«

»Nein. Ich kann nur lesen und schreiben; doch ich werde Alles dies verstehen.«

»Wann?«

»Einst.«

»Durch welches Mittel?«

»Ich weiß es nicht; aber ich werde es verstehen.«

»Seltsames Kind!« murmelte der Reisende.

»Und dann  . . .« sagte Gilbert mit sich selbst sprechend.

»Nun?«

»Ja.«

»Was?«

»Nichts.«

Gilbert und derjenige, welchem er als Führer diente, marschirten indessen seit ungefähr einer Viertelstunde; der Regen hatte gänzlich aufgehört und die Erde fing an den scharfen Wohlgeruch auszudünsten, der im Frühjahr die glühenden Ausströmungen des Sturmes ersetzt.

Gilbert schien in ein tiefes Nachdenken versunken zu sein.

»Mein Herr,« sagte er plötzlich, »wissen Sie, was der Sturm ist?«

»Allerdings weiß ich es.«

»Sie?«

»Ja, ich.«

»Sie wissen was der Sturm ist? Sie wissen was den Blitz verursacht?«

Der Reisende lächelte und sprach:

»Es ist die Combination von zwei Electricitäten, der Electricität der Wolken und der Electricität des Bodens.«

Gilbert stieß einen Seufzer aus.

»Ich verstehe nicht,« sagte er.

Vielleicht war der Reisende im Begriff, dem armen jungen Manne eine verständlichere Erklärung zu geben, aber leider glänzte in diesem Augenblick ein Licht durch das Blätterwerk.

»Ah! ah! was ist das?« rief der Unbekannte.

»Das ist Taverney.«

»Wir sind also an Ort und Stelle?«

»Hier ist das Hofthor.«

»Oeffnen Sie.«

»Oh! mein Herr, das Thor von Taverney öffnet sich nicht nur so.«

»Taverney ist also ein Kriegsplatz? Klopfen Sie immerhin.«

Gilbert näherte sich dem Thore und klopfte einmal mit dem Zögern der Schüchternheit.

»Oh! oh!« sagte der Reisende, »man wird Sie nie hören, mein Freund; klopfen Sie stärker.«

Es deutete in der That nichts an, daß die Aufforderung von Gilbert gehört worden war; Alles blieb stille.

»Sie nehmen die Sache auf sich?« sagte Gilbert.

»Haben Sie nicht bange.«

Gilbert zögerte nicht länger; er verließ den Klopfer und hing sich an die Glocke, welche einen so scharfen, mächtigen Ton von sich gab, daß man sie hätte auf eine Stunde hören können.

»Meiner Treue! wenn Ihr Baron diesmal nicht gehört hat, so muß er taub sein.«

»Ah! Mahon bellt,« sprach der junge Mann.

»Mahon!« versetzte der Reisende; »das ist ohne Zweifel eine Artigkeit Ihres Barons gegen seinen Freund den Herzog von Richelieu.«

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, mein Herr.«

»Mahon ist die letzte Eroberung des Marschalls.«

Gilbert stieß einen zweiten Seufzer aus und sprach:

»Ach! ich habe Ihnen bereits gestanden, daß ich nichts weiß, mein Herr.«

Diese zwei Seufzer faßten für den Fremden eine Reihenfolge verborgener Leiden und unterdrückter, wenn nicht getäuschter Bestrebungen zusammen.

In diesem Augenblick ließ sich ein Geräusch von Tritten hören.

»Endlich!« rief der Fremde.

»Es ist der gute La Brie,« sagte Gilbert.

Die Thüre wurde geöffnet; doch bei dem Anblick des Fremden und seines seltsamen Gefährtes wollte der überrumpelte La Brie, der nur Gilbert zu öffnen glaubte, wieder schließen.

»Verzeiht, verzeiht, Freund,« sprach der Reisende, »wir kommen absichtlich hierher, und Ihr müßt uns nicht die Thüre vor der Nase zuschlagen.«

»Mein Herr, ich muß den Herrn Baron benachrichtigen, daß ein unerwarteter Besuch  . . .«

»Es ist nicht der Mühe werth, ihn zu benachrichtigen .. . glaubt mir! Ich will mich der Gefahr eines bösen Gesichtes aussetzen, und wenn man mich fortjagt, so geschieht es nur, dafür stehe ich Euch, nachdem ich mich erwärmt, getrocknet und gefüttert habe. Ich hörte sagen, der Wein sei hier gut; Ihr müßt etwas davon wissen, wie?«

Statt diese Frage zu beantworten, suchte La Brie Widerstand zu leisten; doch der Reisende war fest entschlossen und ließ die Pferde und den Wagen in die Allee einrücken, während Gilbert das Thor wieder zumachte, was in einem Augenblick geschehen war. Als La Brie sich besiegt sah, glaubte er nichts Besseres thun zu können, als seine Niederlage selbst anzukündigen: er setzte seine alten Beine in Thätigkeit, stürzte nach dem Hause und schrie mit der ganzen Gewalt seiner Lunge:

»Nicole Legay! Nicole Legay!«

»Was ist das, Nicole Legay?« fragte der Fremde, während er mit derselben Ruhe nach dem Schlosse zuschritt.

»Nicole, mein Herr?« versetzte Gilbert mit einem leichten Zittern.

»Ja, Nicole, diejenige, welche Meister La Brie ruft.«

»Es ist die Kammerfrau von Fräulein Andrée, mein Herr.«

Auf das Geschrei von La Brie erschien indessen ein Licht unter den Bäumen und beleuchtete ein reizendes Mädchengesicht.

»Was willst Du von mir, La Brie?« fragte das Mädchen, »warum dieses Lärmen?«

»Geschwinde, geschwinde, Nicole,« rief die scheiternde Stimme des Greises; »melde dem Herrn einen Fremden, der vom Sturme überfallen worden ist, bitte ihn um Gastfreundschaft für diese Nacht.«

Nicole ließ sich das nicht wiederholen, sie lief so leicht nach dem Schlosse, daß man sie in einem Augenblick aus dem Gesichte verloren hatte.

La Brie, der nun gewiß war, daß der Baron nicht überfallen werden würde, erlaubte sich einen Augenblick Athem zu holen.

Bald brachte die Botschaft ihre Wirkung hervor, denn man hörte eine scharfe, gebieterische Stimme auf der Thürschwelle und von der Freitreppe herab, die man unter den Akacien erblickte, mit wenig gastfreundlichem Tone rufen:

»Ein Fremder  . . . wer dies? Wenn man so unversehens zu den Leuten kommt, so nennt man sich wenigstens.«

»Das ist der Baron?« fragte La Brie derjenige, welcher die ganze Verwirrung veranlaßte.

»Ach! ja, mein Herr,« antwortete der arme Mensch ganz zerknirscht; »Sie hören, was er fragt?«

»Nicht wahr, er fragt nach meinem Namen?«

»Ganz richtig. Und ich, der ich vergaß, Sie darum zu bitten!«

»Meldet den Baron Joseph Balsamo,« sprach der Reisende; »die Aehnlichkeit des Titels wird Euren Herrn vielleicht entwaffnen.«

La Brie machte seine Meldung, einigermaßen ermuthigt durch den Titel, den sich der Unbekannte beigelegt hatte.

»Es ist gut,« brummte die Stimme, »er mag eintreten, da er einmal hier ist  . . . Treten Sie ein, mein Herr, wenn es Ihnen beliebt: hier  . . . gut; hieher  . . .«

Der Fremde schritt rasch vor; als er aber an die erste Stufe der Freitreppe kam, faßte ihn die Lust, sich umzudrehen, um zu sehen, ob ihm Gilbert folgte.

Gilbert war verschwunden.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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