Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 11

1 bis 4. Bändchen
Einleitung
VIII.
Anziehungskraft

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Durch seine untergeordnete Stellung im Schlosse Taverney aus dem Salon ausgeschlossen, hatte Gilbert den ganzen Abend die Personen, denen ihr Rang sich darin zu bewegen gestattete, beobachtet.

Während des Abendbrods sah er Balsamo lächeln und sich geberden. Er gewahrte die Aufmerksamkeit, mit der ihn Andrée beehrte, die unerhörte Freundlichkeit des Barons gegen ihn, den ehrfurchtsvollen Eifer von La Brie.

Später, als man vom Tische aufstand, verbarg er sich in einem von den Gesträuchen, welche in der Nähe des Schlosses spanischer Flieder und Schneeballen bildeten, aus Furcht, Nicole könnte ihn, wenn sie die Läden schlöße oder in ihr Zimmer zurückkehrte, bemerken und in seiner Nachforschung, oder vielmehr in seiner Späherei stören.

Nicole machte wirklich ihre Runde, doch sie mußte einen von den Läden des Salon offen lassen, weil die halb losen Scharniere demselben sich nicht auf seinen Angeln zu drehen gestatteten.

Gilbert kannte diesen Umstand ganz wohl, und verließ auch, wie wir gesehen, seinen Posten nicht, sicher, daß er seine Beobachtungen, wenn Legay weggegangen war, fortsetzen konnte.

Beobachtungen haben wir gesagt; dieses Wort wird dem Leser vielleicht unbestimmt vorkommen. Welche Beobachtungen konnte Gilbert anstellen? Kannte er nicht das Schloß Taverney in allen seinen Einzelnheiten, da er hier erzogen worden war; die Personen, die es bewohnten, unter allen ihren Seiten, da er sie seit siebenzehn bis achtzehn Jahren jeden Tag sah?

An diesem Abend hatte Gilbert andere Absichten, als zu beobachten; er lauerte nicht nur, er wartete. Als Nicole den Salon, in welchem Andrée zurückblieb, verlassen, als sie, nachdem sie langsam und nachlässig die Thüren und Fenster geschlossen, auf dem Rasenstücke, wie es schien in Erwartung von irgend Jemand, umhergegangen war, als sie nach allen Seiten verstohlene Blicke geworfen, als sie endlich das gethan, was Gilbert gethan hatte und noch ferner thun wollte, entschloß sie sich zum Rückzuge und ging in ihr Zimmer.

Unbeweglich an den Stamm eines halbgebogenen Baumes angelehnt, kaum athmend, hatte Gilbert, wie man leicht begreift, keine von den Geberden von Nicole verloren; als sie verschwunden war, als er sah, wie sich das Fenster der Mansarden beleuchtete, durchschritt er den leeren Raum auf den Fußspitzen, gelangte zum Fenster, kauerte sich hier im Schatten, wartete, vielleicht ohne zu wissen, auf was er wartete, und verschlang dabei Andrée, welche nachläßig an ihrem Klavier saß, mit den Augen.

In dieser Minute geschah es, daß Joseph Balsamo in den Salon eintrat.

Gilbert bebte, als er ihn gewahrte, und sein glühender Blick drängte sich auf den zwei Personen der von uns erzählten Scene zusammen.

Er glaubte zu sehen, daß Balsamo Andrée Complimente über ihr Talent machte, daß diese ihm mit ihrer gewöhnlichen Kälte antwortete, daß er mit einem Lächeln auf seinen Artigkeiten beharrte, und daß sie ihr Studium unterbrach, um ihrem Gast zu antworten und ihn zu verabschieden. Er bewunderte die Anmuth, mit der sich dieser zurückzog. Von der ganzen Scene, die er zu begreifen geglaubt, hatte er durchaus nichts begriffen, denn die Wirklichkeit dieser Scene war das Stillschweigen.

Gilbert hatte nichts hören können, er hatte nur Lippen sich rühren und Arme sich bewegen sehen. Wie hatte er, ein so guter Beobachter er auch war, ein Geheimniß da erkennen sollen, wo Alles scheinbar so natürlich zuging?

Als Balsamo sich entfernt hatte, verharrte Gilbert nicht mehr in Beobachtung, sondern in Betrachtung vor Andrée, die so schön war in ihrer nachläßigen Haltung; bald aber bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß sie schlief. Er blieb noch einige Minuten in derselben Stellung, um sich bestimmt zu versichern, daß ihre Unbeweglichkeit Schlaf war. Sobald er sich überzeugt hatte, erhob er sich, seinen Kopf in seinen beiden Händen haltend, wie ein Mensch, der befürchtet, seine Hirnschale könnte unter der Woge der zufließenden Gedanken zerspringen; dann in einem Augenblicke des Willens, der einem Ausbruche der Wuth glich, sprach er:

»Oh! ihre Hand, nur meine Lippen ihrer Hand nähern; vorwärts, Gilbert, ich will es!«

Und als er so gesprochen, stürzte er, sich selbst gehorchend, in das Vorzimmer und erreichte die Thüre des Salon, die sich geräuschlos für ihn öffnete, wie sie sich für Balsamo geöffnet hatte.

Doch kaum war diese Thüre offen, kaum befand er sich dem Mädchen gegenüber, ohne daß ihn irgend Etwas mehr von derselben trennte, als er das ganze Gewicht der Handlung begriff, die er begehen wollte; er, Gilbert, der Sohn eines Meiers und einer Bäuerin, er, der schüchterne, wenn nicht ehrfurchtsvolle junge Mensch, der es kaum gewagt, aus seiner Dunkelheit die Augen zu dem stolzen, hochmüthigen Fräulein aufzuschlagen, er wollte mit seinen Lippen den Saum des Kleides, oder die Spitze der Finger dieser entschlummerten Majestät berühren, die ihn erwachend mit ihrem Blicke niederschmettern konnte! Bei diesem Gedanken zerstreuten sich alle die Wolken des Rausches, die seinen Geist verwirrt und sein Hirn verkehrt hatten. Er blieb stehen und hielt sich am Thürgesimse, denn seine Beine zitterten dergestalt, daß es ihm vorkam, als müßte er fallen.

Doch das Nachsinnen oder der Schlaf von Andrée war so tief, (Gilbert wußte noch nicht genau, ob sie schlief oder nachsann), daß sie nicht die geringste Bewegung machte, obgleich sie die Schläge des Herzens von Gilbert, die dieser vergebens in seiner Brust zurückzudrängen suchte, hätte hören können. Sanft auf ihre Hand gestützt, war sie mit ihren langen, ungepuderten Haaren, welche zerstreut auf ihren Hals und ihre Schultern herabfielen, so schön, daß die durch den Schrecken gedämpfte, aber nicht erloschene Flamme wieder erwachte. Ein neuer Schwindel erfaßte ihn; es war wie ein berauschender Wahnsinn; es war wie ein verzehrendes Bedürfniß, irgend Etwas zu berühren, was wiederum sie berührte; er machte abermals einen Schritt gegen sie.

Der Boden krachte unter seinem unsichern Fuße; bei diesem Geräusch perlte ein kalter Schweiß auf der Stirne des jungen Mannes, doch Andrée schien ihn nicht gehört zu haben.

»Sie schläft,« murmelte Gilbert. »Welch ein Glück! sie schläft.«

Doch nach drei Schritten blieb Gilbert abermals stehen; es schien ihn etwas zu erschrecken; dies war der ungewöhnliche Glanz der Lampe, welche, dem Erlöschen nahe, ihren letzten blitzartigen, der Finsterniß vorhergehenden Schimmer von sich gab.

Außerdem kein Geräusch, kein Hauch im ganzen Hause; der alte La Brie hatte sich niedergelegt und schlief ohne Zweifel. Das Licht von Nicole war erloschen.

»Vorwärts,« sagte er.

Und er schritt abermals weiter.

Seltsamer Weise krachte der Boden wieder und Andrée rührte sich ebenso wenig, als zuvor.

Gilbert staunte über diesen sonderbaren Schlaf.

»Sie schläft,« wiederholte er mit der Beweglichkeit des Gedankens, welche zwanzigmal in einer Minute den Entschluß eines Liebenden oder eines Feigen wanken macht. (Jeder wird feig, der nicht mehr Herr seines Herzens ist). »Sie schläft, o mein Gott! mein Gott!«

Doch mitten unter diesen fieberhaften Schwankungen zwischen Furcht und Hoffnung ging Gilbert immer weiter und fand sich am Ende nur noch zwei Schritte von Andrée entfernt. Von da an war es wie ein Zauber, die Flucht wäre ihm unmöglich gewesen, hätte er fliehen wollen; einmal in den Anziehungskreis getreten, dessen Mittelpunkt das Mädchen war, fühlte er sich gebunden, geknebelt, besiegt und sank auf seine Kniee.

Andrée blieb unbeweglich, stumm; man hätte glauben sollen, es wäre eine Bildsäule. Gilbert faßte den Saum ihres Kleides mit beiden Händen und küßte ihn.

Dann erhob er das Haupt langsam, ohne Athem, mit einer gleichmäßigen Bewegung; seine Augen suchten die Augen von Andrée.

Sie waren weit geöffnet, und dennoch sah Andrée nicht.

Gilbert wußte nicht, was er denken sollte, er war wie vernichtet unter dem Gewichte des Erstaunens. Einen Augenblick hatte er den furchtbaren Gedanken, sie sei todt. Um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen, wagte er es, ihre Hand zu ergreifen; sie war lau und die Pulsader schlug sachte. Doch die Hand von Andrée blieb unbeweglich in der Hand von Gilbert. Ohne Zweifel berauscht durch diesen wollüstigen Druck, bildete sich Gilbert ein, Andrée sehe, sie fühle, sie habe seine wahnsinnige Liebe errathen; mit seinem armen, geblendeten Herzen glaubte er, sie habe seinen Besuch erwartet, ihr Stillschweigen sei Einwilligung, ihre Unbeweglichkeit eine Gunst.

Da erhob er die Hand von Andrée bis zu seinen Lippen und drückte einen langen, fieberhaften Kuß darauf.

Plötzlich schauerte Andrée und Gilbert fühlte, daß sie ihn zurückstieß.

»Oh! ich bin verloren,« murmelte er, während er die Hand des Mädchens losließ und mit seiner Stirne auf den Boden stieß.

Andrée erhob sich, als ob sie eine Feder auf die Füße gestellt hätte, ihre Augen senkten sich nicht einmal auf den Boden, wo Gilbert halb niedergeschmettert vor Scham und Schrecken lag, Gilbert, der nicht mehr die Kraft hatte, eine Verzeihung zu erflehen, auf die er nicht rechnete.

Aber den Kopf hoch, den Hals gestreckt, als würde sie durch eine geheime Gewalt zu einem unsichtbaren Ziele fortgezogen, streifte Andrée die Schulter von Gilbert, ging vorbei und fing an mit einem gezwungenen, mühsamen Gange nach der Thüre zuzuschreiten.

Als Gilbert fühlte, daß sie sich entfernte, erhob er sich auf eine Hand, wandte sich langsam um und folgte ihr mit einem erstaunten Blicke.

Andrée setzte ihren Weg nach der Thüre fort, öffnete sie, durchschritt das Vorzimmer und gelangte an den Fuß der Treppe,

Bleich und voll Angst schleppte sich ihr Gilbert auf den Knieen nach.

»Oh!« dachte er, »sie ist sehr entrüstet, daß sie sich nicht einmal herabgelassen hat, mir einen Vorwurf zu machen; sie wird den Baron aufsuchen, sie wird ihm meine schmähliche Thorheit erzählen, und man wird mich wie einen Lackei fortjagen,«

Der Kopf des jungen Mannes verwirrte sich bei dem Gedanken, er würde Taverney verlassen, er würde aufhören, diejenige zu sehen, welche sein Licht, sein Leben, seine Seele war. Die Verzweiflung verlieh ihm Muth, er erhob sich wieder auf seine Füße und lief Andrée nach.

»Oh! Verzeihung, mein Fräulein, im Namen des Himmels, Verzeihung!« murmelte er.

Andrée schien nicht gehört zu haben; aber sie ging weiter und trat nicht bei ihrem Vater ein.

Gilbert athmete.

Andrée setzte den Fuß auf die erste Stufe der Treppe und dann auf die zweite.

»Oh! mein Gott! mein Gott!« murmelte Gilbert, »wohin kann sie denn gehen? diese Treppe führt nur zu dem rothen Zimmer, das der Fremde bewohnt, und zu der Mansarde von La Brie. Gälte es La Brie, so würde sie rufen, läuten. Sie ginge also  . . . Oh! das ist unmöglich!«

Gilbert ballte die Fäuste vor Wuth schon bei dem Gedanken, Andrée könnte zu Balsamo gehen.

Vor der Thüre des Fremden blieb sie stehen.

Kalter Schweiß floß von der Stirne von Gilbert; er klammerte sich an dem Geländer der Treppe an, um nicht zu fallen, denn er war fortwährend Andrée gefolgt. Alles, was er sah, was er zu errathen glaubte, erschien ihm als ungeheuerlich

Die Thüre von Balsamo war nur angelehnt. Andrée stieß sie auf, ohne zu klopfen. Das hervordringende Licht beleuchtete ihre so edlen, so reinen Züge und wirbelte in goldenen Reflexen in ihre weit geöffneten Augen. Mitten im Zimmer konnte Gilbert den Fremden erschauen, der, das Auge starr, die Stirne gefaltet und die Hand mit der Geberde des Befehls ausgestreckt, dastand.

Dann schloß sich die Thüre wieder.

Gilbert fühlte, wie seine Kräfte schwanden. Eine von seinen Händen ließ das Geländer los, die andere fuhr nach seiner brennenden Stirne; er drehte sich auf sich selbst, wie ein aus der Axe gegangenes Rad, und fiel betäubt auf den kalten Stein der ersten Stufe, während sein Auge noch auf die verfluchte Thüre geheftet war, welche den ganzen vergangenen Traum, das ganze gegenwärtige Glück, die ganze Hoffnung auf die Zukunft verschlungen hatte.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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