Читать книгу Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1 - Александр Дюма - Страница 23

1 bis 4. Bändchen
Einleitung
XX.
Worin Gilbert anfängt, nicht mehr so sehr zu bedauern, daß er seinen Thaler verloren

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Als Gilbert wieder zu sich kam, und dies geschah nach einigen Minuten, war er nicht wenig erstaunt, da er sich gleichsam quer zu den Füßen einer jungen Frau gelegt sah, die ihn aufmerksam betrachtete.

Es war eine Frau von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, mit grauen Augen, aufgestülpter Nase, und Wangen, welche die Sonne des Süden gebräunt hatte; ein kleiner Mund von launenhafter, zarter Zeichnung gab ihrer offenen, heiteren Gesichtsbildung einen feinen, umsichtigen Charakter. Sie hatte die schönsten Arme der Welt, die sich für den Augenblick in Aermeln von veilchenblauem Sammet mit goldenen Knöpfen modellirten. Die wellenförmigen Falten eines Kleides von grauer, großgeblümter Seide füllten beinahe den ganzen Wagen, Denn Gilbert bemerkte mit nicht weniger Erstaunen hierüber, als über alles Andere, daß er sich in einem Wagen befand, der im Galopp von drei Postpferden fortgezogen wurde.

Da das Antlitz der Dame lächelnd war und Theilnahme ausdrückte, so schaute sie Gilbert an, bis er sich überzeugt hatte, daß er nicht mehr träume.

»Nun, mein Kind,« sagte die Dame nach kurzem Stillschweigen, »es geht Ihnen besser?«

»Wo bin ich?« fragte Gilbert, der sich zu rechter Zeit dieser Phrase der Romane erinnerte, die er gelesen, welche aber nie an einem andern Orte, als in Romanen ausgesprochen wird.

»In Sicherheit, mein lieber, kleiner Herr,« antwortete die Dame mit einem sehr scharfen südlichen Accent. »Doch so eben liefen Sie in der That große Gefahr, unter den Rädern meiner Chaise zermalmt zu werden. Sprechen Sie, was ist Ihnen denn begegnet, daß Sie auf diese Art mitten auf die Landstraße gefallen sind?«

»Ich fühlte eine Schwäche, Madame.«

»Wie! eine Schwäche! und woher kam diese Schwäche?«

»Ich war zu viel marschirt.«

»Sind Sie schon lange unter Weges?«

»Seit gestern Nachmittag um vier Uhr.«

»Und seit gestern Nachmittag haben Sie gemacht? . . .«

»Ich glaube sechzehn bis achtzehn Lieues.«

»In zwölf bis vierzehn Stunden?«

»Bei Gott! ich bin immer gelaufen.«

»Wohin gehen Sie denn?«

»Nach Versailles, Madame.«

»Und woher kommen Sie?«

»Von Taverney.«

»Was ist das, Taverney?«

»Es ist ein Schloß, das zwischen Pierresitte und Bar-le-Duc liegt.«

»Aber Sie hatten kaum Zeit, zu essen?«

»Ich hatte nicht nur nicht Zeit, Madame, sondern ich hatte auch keine Mittel.«

»Wie dies?«

»Ich verlor mein Geld auf dem Wege.«

»Sie haben seit gestern nichts gegessen?«

»Nichts als etwas Brod, das ich mitgenommen,«

»Armes Kind! doch warum haben Sie nicht irgendwo zu essen gefordert?«

Gilbert lächelte verächtlich.

»Weil ich stolz bin, Madame.«

»Stolz! es ist schön, stolz zu sein, doch wenn man vor Hunger stirbt  . . .«

»Besser sterben, als sich entehren.«

Die Dame schaute den spruchreichen jungen Menschen mit einer gewissen Bewunderung an.

»Doch wer sind Sie denn, daß Sie so sprechen, mein Freund?« fragte sie.

»Ich bin eine Waise.«

»Und Sie heißen?«

»Gilbert.«

»Gilbert, von was?«

»Von nichts.«

»Ah! ah!« machte die junge Frau, immer mehr erstaunt.

Gilbert sah, daß er einen gewissen Eindruck hervorbrachte und beglückwünschte sich, daß er sich in eine Stellung von Jean Jacques Rousseau versetzt hatte.

»Sie sind noch sehr jung, um so auf der Landstraße umherzulaufen?« fuhr die Dame fort.

»Ich blieb allein und verlassen in einem alten Schlosse, von dem sich seine Gebieter entfernt hatten. Ich machte es wie sie und verließ dasselbe ebenfalls.«

»Ohne Zweck?«

»Die Erde ist groß, und es gibt, wie man sagt, Platz für Alle unter der Sonne.«

»Gut,« murmelte ganz leise die Dame, »das ist irgend ein Bastard vom Lande, der von seinem Edelhofe entflohen.«

»Und Sie sagen, Sie haben Ihre Börse verloren?« fragte sie laut.

»Ich hatte nur einen Sechs-Livres-Thaler,« antwortete Gilbert, getheilt zwischen der Scham, sein Unglück zu gestehen, und der Gefahr, ein zu großes Vermögen anzugeben, von dem man hätte vermuthen können, er habe es auf schlechtem Wege erlangt.

»Einen Sechs-Livres-Thaler für eine so lange Reise? Sie hatten kaum genug, um Brod für zwei Tage zu kaufen! Und der Weg, guter Gott! welch ein Weg! Von Bar-le-Duc nach Paris, sagen Sie?«

»Ja.«

»Ich denke, etwa sechzig bis fünfundsechzig Lieues?«

»Ich zählte die Lieues nicht, ich sagte nur: ich muß ankommen, und damit genug.«

»Und hienach reisten Sie ab, armer Narr?«

»Oh! ich habe gute Beine.«

»So gut sie sein mögen, so werden sie doch am Ende müde; Sie haben den Beweis davon,«

»Oh! nicht die Beine haben mich verlassen, sondern die Hoffnung.«

»In der That, es scheint mir, Sie sahen verzweiflungsvoll aus.«

Gilbert lächelte bitter.

»Was ging denn in Ihrem Geiste vor? Sie schlugen sich vor den Kopf, Sie rauften sich die Haare aus.«

»Glauben Sie, Madame?« fragte Gilbert sehr verlegen.

»Oh!« ich bin dessen sicher, denn es mußte Ihre Verzweiflung sein, was Sie hinderte, den Wagen zu hören.«

Gilbert dachte, es dürfte nicht übel sein, wenn er sich durch die Erzählung der Wahrheit erhöhen würde. Sein Instinkt sagte ihm, seine Lage sei interessant, besonders für eine Frau.

»Ich war in der That in Verzweiflung,« sprach er.

»Und worüber?« fragte die Dame.

»Daß ich nicht mehr einem Wagen folgen konnte, dem ich nachlief.«

»Wahrhaftig!« sagte die junge Frau lächelnd; »es ist also ein Abenteuer? Sollte Liebe darunter sein?«

Gilbert war noch nicht genug seiner Herr, um nicht zu erröthen.

»Und was für ein Wagen war es, mein kleiner Cato?«

»Ein Wagen vom Gefolge der Dauphine.«

»Wie! was sagen Sie?« rief die junge Frau; »die Dauphine ist also vor uns?«

»Ganz gewiß.«

»Ich glaubte sie hinter uns, etwa in Nancy. Erweist man ihr denn keine Ehre auf dem Weg?«

»Doch wohl, aber es scheint, Ihre Hoheit hat Eile.«

»Eile, die Dauphine, wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ich setze es voraus.«

»Sie setzen es voraus?«

»Ja.«

»Und wie kommen Sie zu dieser Voraussetzung?«

»Sie sagte Anfangs, sie würde zwei bis drei Stunden im Schlosse Taverney verweilen.«

»Nun, und hernach?«

»Blieb sie kaum drei Viertelstunden,«

»Wissen Sie, ob ihr von Paris ein Brief zugekommen ist?«

»Ich sah mit einem Briefe in der Hand einen Herrn eintreten, dessen Kleid ganz mit Stickereien bedeckt war.«

»Hat man diesen Herrn in Ihrer Gegenwart genannt?«

»Nein, ich weiß nur, daß es der Gouverneur von Straßburg ist.«

»Herr von Stainville, der Schwager von Herrn von Choiseul. Vorwarts, Postillon, rascher.«

Ein kräftiger Peitschenschlag entsprach dieser Ermahnung, und Gilbert fühlte, daß der Wagen, obgleich bereits im Galopp fortgezogen, noch an Geschwindigkeit zunahm.

»Die Dauphine ist also vor uns?« sagte die junge Dame.

»Ja, Madame.«

»Aber sie wird anhalten, um zu frühstücken,« bemerkte die Dame, als spräche sie mit sich selbst, »und dann werden wir ihr vorankommen, wenn nicht diese Nacht  . . . Hat sie diese Nacht angehalten?«

»Ja, in Saint-Dizier.«

»Wie viel Uhr war es?«

»Ungefähr eilf Uhr.«

»Es geschah, um Abendbrod zu nehmen. Gut, sie muß frühstücken.« Postillon, was ist die erste etwas wichtige Stadt, die wir auf unserem Wege finden?«

»Vitry, Madame.«

»Und wie weit sind wir von Vitry entfernt?«

»Drei Lieues.«

»Wo wird umgespannt?«

»In Vauclère.«

»Gut. Vorwärts, und wenn Ihr eine Reihe von Wagen auf der Straße seht, so benachrichtigt mich.«

Während dieser paar Worte, welche die Dame des Wagens mit dem Postillon austauschte, war Gilbert beinahe abermals in seine Schwäche verfallen. Als die Reisende sich wieder setzte, sah sie, daß er sehr bleich war und die Augen geschlossen hatte.

»Ah! armes Kind, es ist ihm immer noch übel,« rief sie. »Es ist auch mein Fehler, ich lasse es sprechen, während es vor Hunger und Durst stirbt, statt ihm zu essen und zu trinken zu geben.«

Und um die verlorene Zeit wieder einzubringen, zog die Dame vor Allem aus der Tasche des Wagens ein ciselirtes Fläschchen, an dessen Hals an einer goldenen Kette ein kleiner Becher von Vermeil hing.

»Trinken Sie zuerst ein Tröpfchen von diesem La -Cote-Wein,« sagte sie, das Glas füllend, das sie nun Gilbert reichte,

Gilbert ließ sich diesmal nicht bitten. War es der Einfluß der hübschen Hand, die ihm den Becher bot? War das Bedürfniß dringender, als in Saint-Dizier?

»Gut,« sprach die Dame, »essen Sie nun einen Zwieback; in ein paar Stunden werde ich Ihnen ein solideres Frühstück vorsetzen.«

»Ich danke, Madame,« sprach Gilbert.

Und er aß den Zwieback, wie er den Wein getrunken hatte.

»Und nun, da sie ein wenig gestärkt sind,« fuhr die Dame fort, »nun sagen Sie nur, wenn Sie mich überhaupt zur Vertrauten nehmen wollen, sagen Sie mir, welches Interesse Sie dabei hatten, dem Wagen nachzulaufen, der, wie Sie erwähnten, der Frau Dauphine gehört.«

»Hören Sie die Wahrheit mit zwei Worten, Madame,« sprach Gilbert. »Ich war bei dem Herrn Baron von Taverney, als Ihre Hoheit ankam und Herrn von Taverney befahl, ihr nach Paris zu folgen. Er gehorchte. Da ich eine Waise bin, so dachte Niemand an mich, und man ließ mich ohne Geld und ohne Lebensmittel zurück. Nun schwur ich, da alle Welt mit Unterstützung von guten Pferden und guten Wagen nach Versailles gehe, so würde ich auch nach Versailles gehen, aber zu Fuße, mit meinen achtzehnjährigen Beinen, und ich würde mit diesen achtzehnjährigen Beinen ebenso bald ankommen, als sie mit ihren Pferden und ihren Wagen. Leider wurden meine Kräfte zu Verräthern an mir, oder das Mißgeschick nahm vielmehr Partei gegen mich. Hätte ich mein Geld nicht verloren, so hätte ich essen können; hätte ich diese Nacht gegessen, so wäre ich diesen Morgen im Stande gewesen, die Pferde wieder einzuholen.«

»Das gefällt mir, das nenne ich Muth!« rief die Dame, »und ich wünsche Ihnen Glück, mein Freund. Doch es scheint mir, es gibt ein Ding, das Sie nicht wissen.«

»Was?«

»Daß man in Versailles nicht vom Muth lebt.«

»Ich werde nach Paris gehen.«

»Paris hat aus diesem Gesichtspunkte betrachtet ungemein viel Aehnlichkeit mit Versailles.«

»Wenn man nicht vom Muth lebt, so lebt man wenigstens von der Arbeit, Madame.«

»Gut geantwortet, mein Kind. Doch von welcher Arbeit? Ihre Hände sind nicht die eines Taglöhners oder eines Lastträgers.«

»Ich werde studiren, Madame.«

»Sie scheinen mir bereits sehr gelehrt.«

»Ja, denn ich weiß, daß ich nichts weiß,« antwortete pathetisch Gilbert, der sich dieses Wortes von Sokrates erinnerte.

»Und darf ich Sie, ohne unbescheiden zu sein, fragen, welche Wissenschaft Sie vorzugsweise studiren werden, mein kleiner Freund?«

»Madame,« sprach Gilbert, »ich glaube die beste der Wissenschaften ist diejenige, welche dem Menschen seines Gleichen nützlich zu sein erlaubt. Andererseits ist dann der Mensch so wenig, daß er das Geheimniß seiner Schwäche studiren muß, um das seiner Stärke kennen zu lernen. Ich will eines Tags wissen, warum mein Magen meine Beine gehindert hat, mich diesen Morgen zu tragen; ich will endlich wissen, ob es nicht dieselbe Magenschwäche war, die in mein Gehirn den Zorn, das Fieber, den schwarzen Dunst brachte, wodurch ich niedergeschmettert worden bin.«

»Ah! es scheint mir, Sie werden dereinst ein vortrefflicher Arzt, denn Sie reden bereits bewunderungswürdig von der Medizin. In zehn Jahren verspreche ich Ihnen meine Kundschaft.«

»Ich werde mir Mühe geben, diese Ehre zu verdienen, Madame,« sagte Gilbert.

Der Postillon hielt an. Man hatte die Station erreicht, ohne einen Wagen zu sehen.

Die junge Dame erkundigte sich. Die Dauphine war vor einer Viertelstunde vorübergekommen; sie mußte in Vitry anhalten, um frische Pferde zu nehmen und zu frühstücken.

Der neue Postillon setzte sich in den Sattel.

Die junge Dame ließ ihn im gewöhnlichen Gange aus dem Dorfe fahren; als man aber in einiger Entfernung von dem letzten Hause angelangt war, sagte sie:

»Postillon, macht Ihr Euch anheischig, die Wagen der Frau Dauphine einzuholen?«

»Gewiß.«

»Ehe sie in Vitry sind?«

»Teufel! sie fuhren in starkem Trab.«

»Mir scheint, wenn wir im Galopp fahren würden?«

Der Postillon schaute sie an.

»Dreifache Trinkgelder« rief sie.

»Sie hätten mir das sogleich sagen müssen,« erwiederte der Postillon, »wir wären bereits eine Viertelslieue von hier.«

»Hier ist ein Sechs-Livres-Thaler auf Abschlag; bringen wir die verlorene Zeit wieder ein.«

Der Postillon neigte sich rückwärts, die junge Dame vorwärts, ihre Hände kamen endlich zusammen und der Thaler ging von der Hand der Reisenden in die des Postillon über.

Die Pferde erhielten ihren Gegenschlag. Die Chaise flog schnell wie der Wind fort.

Während des Umspannens war Gilbert ausgestiegen und hatte sein Gesicht und seine Hände an einem Brunnen gewaschen: sein Gesicht und seine Hände gewannen viel dabei; dann hatte er auch seine prächtigen Haare gekämmt.

»In der That,« sagte die junge Frau in ihrem Innern, »in der That, er ist nicht zu häßlich für einen zukünftigen Arzt.«

Und sie lächelte, während sie ihn anschaute.

Gilbert erröthete, als wüßte er, was seine Reisegefährtin lächeln machte.

Sobald das Zwiegespräch mit dem Postillon beendigt war, kehrte die Reisende zu Gilbert zurück, dessen Paradoxen, Ungereimtheiten und Sentenzen sie Ungemein belustigten.

Nur von Zeit zu Zeit unterbrach sie sich mitten in einem Gelächter, das durch irgend eine auf eine Meile nach Scheinphilosophie riechende Antwort hervorgerufen wurde, um nach der Straße hinaus zu schauen. Wenn dann ihr Arm das Gesicht von Gilbert streifte, wenn ihr rundes Knie an die Seite ihres Gefährten drückte, ergötzte sich die Reisende, die Röthe der Wangen des zukünftigen Arztes mit seinen gesenkten Augen contrastiren zu sehen.

So legte man ungefähr eine Lieue zurück. Plötzlich stieß die junge Frau einen Freudenschrei aus und warf sich mit so wenig Zurückhaltung auf den Vordersitz, daß sie diesmal Gilbert ganz und gar mit ihrem Leibe bedeckte.

Sie hatte die letzten Fourgons des Gefolges erblickt, welche mühsam einen langen Abhang hinanfuhren, auf dem sich zwanzig Carrossen aufreihten, aus denen die Reisenden beinahe insgesammt ausgestiegen waren.

Gilbert machte sich von den Falten des großgeblümten Kleides los, schlüpfte mit seinem Kopfe unter einer Schulter durch, kniete ebenfalls auf den Vordersitz und suchte mit glühenden Augen Fräulein von Taverney mitten unter diesen ansteigenden Pygmäen.

Er glaubte Nicole an ihrer Haube zu erkennen.

»Dort sind sie, Madame, sagte der Postillon, »was soll ich nun thun?«

»Ihr müßt an Allem dem vorüberfahren.«

»An Allem dem vorüberfahren, Madame? unmöglich. Man fährt nicht an der Dauphine vorüber.«

»Warum?«

»Weil es verboten ist. Pest! an den Pferden des Königs vorüberfahren! ich käme auf die Galeeren.«

»Höret, Freund, ordnet das, wie Ihr wollt, aber ich muß sie überholen.«

»Sie gehören also nicht zur Escorte?« fragte Gilbert, der bis jetzt die Carrosse der jungen Frau für einen verspäteten Wagen gehalten und in der ganzen Eile nichts Anderes gesehen hatte, als ein Verlangen, die Reihe wieder einzuholen.

»Der Wunsch, sich zu unterrichten, ist gut,« antwortete die junge Dame, »Indiscretion taugt nichts«

»Entschuldigen Sie, Madame,« versetzte Gilbert erröthend.

»Nun? was machen wir?« fragte die Reisende den Postillon.

»Verdammt! wir bleiben hinter ihnen bis Vitry. Dort, wenn Ihre Hoheit anhält, bitten wir um Erlaubniß, vorüberfahren zu dürfen.«

»Ja, doch man wird sich erkundigen, wer ich bin, und vernehmen  . . . Nein, nein, das taugt nichts; suchen wir etwas anderes.«

»Madame,« sprach Gilbert, »wenn ich Ihnen einen Rath zu geben wagte  . . .«

»Thun Sie dies immerhin, mein Freund, wenn er gut ist, wird man ihn befolgen.«

»Man sollte einen Seitenweg einschlagen, der um Vitry führte, und so käme man vor die Frau Dauphine, ohne sich gegen die Achtung verfehlt zu haben.«

»Das Kind spricht wahr!« rief die junge Frau. »Postillon, gibt es keinen Seitenweg?«

»Um wohin zu gehen?«

»Wohin Ihr wollt, wenn wir nur die Frau Dauphine hinter uns lassen.«

»Ah! ja wohl,« sagte der Postillon, »dort ist die Straße von Marolle, welche sich um Vitry windet und mit der Hauptstraße in Lachaussée wieder zusammentrifft.«

»Bravo!« rief die junge Frau, »das ist gut.«

»Ader Madame weiß, daß ich die Post verdoppele, wenn ich diesen Umweg mache,« entgegnete der Postillon.

»Zwei Louis d’or für Euch, wenn Ihr vor der Dauphine in Lachaussée seid.«

»Befürchtet Madame nicht, der Wagen könnte brechen?«

»Ich befürchte nichts. Bricht die Chaise, so setze ich meinen Weg zu Pferde fort.«

Und der Wagen wandte sich rechts, verließ die Hauptstraße, gelangte auf einen Seitenweg mit tiefen Fahrgeleisen, und folgte einem Flüßchen mit bleichem Wasser, das sich zwischen Lachaussée und Mutigny in die Marne wirft.

Der Postillon hielt Wort, er that Alles, was Menschen möglich, um die Chaise zu zerbrechen, aber auch um anzukommen.

Zwanzigmal wurde Gilbert auf seine Gefährtin geworfen, welche auch zwanzigmal in die Arme von Gilbert fiel.

Dieser wußte artig zu sein, ohne lästig zu werden. Er wußte seinem Mund zu befehlen, nicht zu lächeln, während seine Augen der jungen Frau sagten, sie sei sehr hübsch.

Die Vertraulichkeit entsteht rasch aus Stößen und aus der Einsamkeit. Nachdem man zwei Stunden auf dem Seitenwege gefahren war, kam es Gilbert vor, als kenne er seine Gefährtin seit zehn Jahren, und die junge Frau hätte geschworen, sie kenne Gilbert seit seiner Geburt.

Gegen eilf Uhr erreichte man wieder die Hauptstraße von Vitry nach Chalons. Ein Courrier, den man befragte, gab zur Antwort, die Dauphine frühstücke nicht nur in Vitry, sondern sie habe sich so müde gefühlt, daß sie ein paar Stunden ruhen werde. Er fügte bei, man habe ihn auf die nächste Station vorausgeschickt, um die Vorspannbeamten aufzufordern, sich gegen drei oder vier Uhr Nachmittags bereit zu halten.

Diese Nachricht erfüllte die Reisende mit Freude, sie gab dem Postillon die zwei versprochenen Louis d’or und sagte, sich gegen Gilbert wendend:

»Ah! bei meiner Treue, wir werden auf der nächsten Station auch zu Mittag speisen.

Doch es war entschieden, daß Gilbert auf dieser Station noch nicht speisen sollte.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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