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5 bis 8. Bändchen
XXV.
Die Salle des Pendules

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In einem weiten Saale des Palastes von Versailles, den man die Salle des Pendules nennt, schritt ein junger Mann mit rosiger Gesichtsfarbe, sanften Augen und etwas gemeinem Gange, die Arme hängend, den Kopf gebeugt, auf und ab.

Auf seiner Brust funkelte, hervorgehoben durch den violetten Sammet seines Kleides, ein Stern von Diamanten, während das blaue Band auf seine Hüfte herabfiel und mit dem Kreuze, das es trug, eine mit Silber gestickte, weiße Atlaßweste zerknitterte.

Niemand hätte dieses zugleich ernste und gute, majestätische und lachende Profil zu mißkennen vermocht, das den charakteristischen Typus der Bourbonen der ersten Linie bildete und dessen zugleich lebhaftester und übertriebenster Ausdruck der junge Mann war, den wir unsern Lesern vor Augen fuhren; nur hätte man, wenn man die seit Ludwig XIV. und Anna von Oesterreich vielleicht entartende Fortpflanzung dieser edlen Gesichter sah, glauben sollen, derjenige, von welchem wir sprechen, könne seine Züge nicht an einen Erben übertragen, ohne eine gewisse Veränderung des ursprünglichen Typus, ohne daß sich die angeborene Schönheit dieses Typus, dessen letzte gute Probe er war, in ein Gesicht mit überladenen Zügen verwandelte, ohne endlich, daß die Zeichnung eine Caricatur würde.

Ludwig August, Herzog von Berry, Dauphin von Frankreich, nachmals Ludwig XVI., hatte eine längere und adlerartigere Nase, als die Männer seines Stammes, seine leicht gedrückte Stirne fiel noch mehr zurück als die von Ludwig XV. und das Doppelkinn seines Großvaters hatte sich bei ihm so stark ausgeprägt, daß das Kinn, ob gleich er damals noch mager war, bereits ungefähr ein Drittheil seines Gesichtes einnahm.

Dabei war sein Gang langsam und unbeholfen; wenn auch gutgewachsen, schien er doch in der Bewegung der Beine und Schultern gehemmt. Nur seine Arme und besonders seine Finger hatten die Thätigkeit, die Behendigkeit, die Kraft und so zu sagen jene Physiognomie, welche bei Andern auf die Stirne, auf den Mund und in die Augen geschrieben ist.

Der Dauphin ging also stillschweigend in dem Saale auf und ab, in welchem acht Jahre früher Ludwig XV. Frau von Pompadour den Spruch des Parlaments, der die Jesuiten aus dem Königreich verbannte, übergeben hatte, und während er auf- und abging, träumte er.

Endlich war er aber müde, zu warten, oder vielmehr an das zu denken, was ihn beschäftigte, und er betrachtete abwechselnd die Pendeluhren und belustigte sich wie Karl V. damit, daß er die stets unbesiegbaren Verschiedenheiten beobachtete, welche die regelmäßigsten Uhren unter sich beibehalten  . . . eine bizarre, aber scharf ausgedrückte Kundgebung der Ungleichheit der materiellen, von der Hand des Menschen geregelten oder nicht geregelten Dinge.

Er blieb bald vor der großen Uhr stehen, welche damals , wie heut zu Tage, ihren Standpunkt im Hintergrunde des Saales hatte und durch eine geschickte mechanische Zusammensetzung die Tage, die Monate, die Jahre, die Wandlungen des Mondes, den Lauf der Planeten, kurz Alles das bezeichnet, was diese andere noch viel überraschendere Maschine, die man den Menschen nennt, in der stufenweisen Bewegung ihres Lebens gegen den Tod interessirt.

Der Dauphin schaute als Liebhaber diese Pendeluhr an, die er stets bewundert, und neigte sich bald rechts, bald links, um dieses oder jenes Räderwerk zu untersuchen, dessen Zähne, so scharf wie feine Nadeln, in eine andere, noch feinere Feder eingriffen. Hatte er die Uhr von der Seite betrachtet, so fing er wieder an, sie von vorne zu beschauen und mit dem Auge dem Gange der raschen Nadel zu folgen, welche über die Sekunden glitt, wie jene Wasserfliegen, die über die Teiche und Brunnen mit ihren langen Füßen hinlaufen, ohne den flüchtigen Krystall, auf ’dem sie sich unablässig bewegen, nur im Geringsten zu runzeln.

Von dieser Betrachtung zur Erinnerung an die abgelaufene Zeit war es nicht weit. Es fiel dem Dauphin ein, daß er seit vielen Sekunden wartete. Allerdings war eine große Anzahl verlaufen, ohne daß er es gewagt hatte dem König sagen zu lassen, er warte. Plötzlich blieb der Zeiger, auf den der junge Prinz seine Augen geheftet hatte, stille stehen.

In demselben Augenblick unterbrachen die messingenen Räder wie durch einen Zauber ihren gemessenen Kreislauf, die stählernen Achsen ruhten, in ihren Rubinlöchern und ein tiefes Stillschweigen trat in dieser Maschine ein, in der kurz zuvor noch Lärmen und Bewegung stattgefunden. Keine Stöße, kein Schaukeln, kein Leben der Glöckchen, kein Lauf der Zeiger und der Räder mehr.

Die Maschine stand stille, die Pendeluhr war todt.

War irgend ein Sandkorn, so zart wie ein Atom, in den Zahn eines Rades gefallen, oder war es ganz einfach der Geist dieser wunderbaren Maschine, der, der ewigen Bewegung müde, nun ausruhte?

Bei dem Anblicke dieses plötzlichen Todes vergaß der Dauphin, warum er gekommen war und seit einiger Zeit wartete; er vergaß besonders, daß die Stunde nicht durch die Stöße eines sonoren Schwängels in die Ewigkeit geschleudert, oder auf dem Abhange der Zeit durch die Hemmung eines metallenen Gehwerks zurückgehalten wird, sondern vielmehr auf der ewigen Uhr, die den Welten vorhergegangen, und diese überleben muß, durch den ewigen und unveränderlichen Finger des Allmächtigen bezeichnet worden ist.

Er fing nun damit an, daß er die krystallene Thüre der Pagode öffnete, worin der Geist schlief, und streckte seinen Kopf in das Innere der Pendeluhr, um hier schärfer zu sehen.

Aber er wurde bei seiner Beobachtung von Ansang durch den großen Schwängel gehemmt.

Dann schlüpfte er zart mit seinen so gewandten Fingern durch die messingene Oeffnung und machte den Schwängel los.

Das war nicht genug; der Dauphin mochte immerhin nach allen Seiten schauen, die Ursache dieser Lethargie blieb seinen Augen unsichtbar.

Der Prinz dachte nun, der Uhrmacher des Schlosses habe die Pendeluhr aufzuziehen vergessen und diese sei auf eine natürliche Weise stehen geblieben. Er nahm den an dem Sockel hängenden Schlüssel und fing an, die Uhr mit der Geschicklichkeit eines geübten Mannes aufzuziehen. Aber nach Verlauf von drei Drehungen mußte er anhalten, was zum Beweis diente, daß der Mechanismus einem. unbekannten Anhalte unterworfen war, und das Werk functionirte, obgleich gespannt, nicht weiter.

Der Dauphin zog aus seiner Tasche ein kleines Radirmesser von Schildpatt mit stählerner Klinge und gab mit dem Ende dieser Klinge einem Rade den Impuls. Das Räderwerk knarrte nun eine Sekunde lang und blieb dann abermals stehen.

Die Krankheit der Pendeluhr wurde ernst.

Ludwig fing nun an mit der Spitze seines Radirmessers mehrere Stücke herauszuheben, deren Schrauben er sorgfältig auf einem Tischchen ausbreitete.

Sein Eifer riß ihn immer weiter fort und er zerlegte die complicirte Maschine und untersuchte ihre geheimsten, verborgensten Winkel.

Plötzlich stieß er einen Freudenschrei aus, er entdeckte, daß eine Druckschraube, in ihrer Spirale spielend, eine Feder losgelassen und das bewegende Rad angehalten hatte,

Er fing nun an, die Schraube festzumachen.

Dann steckte er, ein Rad in der linken Hand, sein Radirmesser in der rechten, den Kopf wieder in das Gehäuse,

So weit war er in seiner Arbeit, ganz in die Betrachtung des Mechanismus versunken, als die Thüre sich öffnete und eine Stimme ausrief:

»Der König!«

Doch Ludwig hörte nichts, als das melodische Ticktack, das unter seiner Hand geboren wurde, wie das Schlagen eines Herzens, welches ein geschickter Arzt dem Leben zurückgibt.

Der König schaute nach allen Seiten, ohne Anfangs den Dauphin zu gewahren, von dem man nur die Beine sehen konnte, denn sein Rumpf war in der Pendeluhr verborgen und der Kopf in der Oeffnung verloren.

Er näherte sich lächelnd und schlug seinen Enkel auf die Schulter,

»Was Teufels machst Du da?« fragte er ihn.

Ludwig zog sich hastig zurück, jedoch mit aller erforderlichen Vorsicht, um nichts an dem schönen Geräthe zu beschädigen, dessen Wiederherstellung er unternommen hatte.

»Sire, Eure Majestät sieht es,« sprach der junge Mann vor Scham erröthend, daß man ihn bei einer solchen Beschäftigung ertappt hatte, »ich belustigte mich in Erwartung Ihrer Ankunft.«

»Ja, mit der Mißhandlung meiner Pendeluhr. Eine schöne Belustigung!«

»Im Gegentheil, Sire, ich stellte sie wieder her. Das Hauptrad arbeitete nicht mehr, es war gehemmt durch die Schraube, welche Eure Majestät hier sieht. Ich befestige die Schraube und die Uhr geht nun wieder.«

»Aber Du wirst Dich dadurch, daß Du hineinschaust, blind machen. Nicht um alles Geld der Welt würde ich meinen Kopf in ein solches Wespennest stecken.«

»O nein, Sire. Ich verstehe die Sache. Die bewunderungswürdige Uhr, welche mir Eure Majestät an dem Tage, wo ich vierzehn Jahre alt wurde, geschenkt hat, lege ich aus einander, setze ich wieder zusammen und reinige ich gewöhnlich.«

»Es mag sein, doch laß Deine Mechanik für den Augenblick ruhen. Du willst mit mir sprechen?«

»Ich, Sire?« versetzte der junge Mann erröthend.

»Allerdings, da Du mir hast sagen lassen, Du erwartest mich.«

»Das ist wahr, Sire,« sprach der Dauphin und schlug die Augen nieder.

»Nun! was wolltest Du von mir, antworte? Wenn Du mir nichts zu sagen hast, so gehe ich nach Marly ab.«

Und schon suchte Ludwig XV., seiner Gewohnheit gemäß, zu entschlüpfen.

Der Dauphin legte sein Radirmesser und sein Räderwerk auf einen Lehnstuhl, was andeutete, daß er dem König wirklich etwas von Bedeutung zu sagen hatte, da er das wichtige Geschäft, in welchem er begriffen war, unterbrach.

»Brauchst Du Geld?« fragte rasch der König, »wenn dies der Fall ist, warte, ich werde Dir schicken.«

Und Ludwig XV. machte abermals einen Schritt gegen die Thüre.

»O nein, ich habe noch tausend Thaler von der Pension des laufenden Monats.«

»Was für ein Haushälter!« rief, der König, »wie gut hat ihn mir Herr de la Vauguyon erzogen. In der That, ich glaube er hat ihm alle Tugenden beigebracht, die ich nicht besitze.«

Der junge Mann machte eine heftige Anstrengung gegen sich selbst und sprach:

»Sire, ist die Frau Dauphine noch sehr fern?«

»Weißt Du das nicht so gut wie ich?«

»Ich?« fragte der Dauphin verlegen.

»Allerdings; man hat uns gestern das Reisebulletin vorgelesen; sie sollte letzten Montag durch Nancy kommen und muß nun ungefähr fünf und vierzig Lieues von Paris entfernt sein.«

»Sire,« fuhr der Dauphin fort, »findet Eure Majestät nicht, daß die Frau Dauphine sehr langsam reist?«

»Nein, nein,« sprach Ludwig XV., »ich finde im Gegentheil, daß sie für eine Frau, und in Betracht aller der Feste, der Empfangsfeierlichkeiten, sehr schnell reist; sie macht wenigstens zehn Lieues alle zwei Tage, einen in den andern gerechnet.«

»Sire, das ist sehr wenig,« versetzte schüchtern der Dauphin.

König Ludwig XV. ging von einem Erstaunen zum andern bei der Offenbarung dieser Ungeduld über, von der er keine Ahnung gehabt hatte.

»Ah bah!« machte er mit einem spöttischen Lächeln, »Du hast also große Eile?«

Der Dauphin erröthete noch mehr als zuvor und stammelte:

»Ich versichere Sie, Sire, es ist nicht der Grund, den Eure Majestät voraussetzt.«

»Desto schlimmer; ich wollte, es wäre dieser Grund. Was Teufels! Du bist sechzehn Jahre alt; man sagt, die Prinzessin sei hübsch, und es ist wohl erlaubt, ungeduldig zu werden. Sei ruhig, Deine Dauphine wird kommen«

»Sire, könnte man die Ceremonien auf dem Wege nicht etwas abkürzen?« fuhr der Dauphin fort.

»Unmöglich, Sie ist bereits ohne anzuhalten durch mehrere Städte gefahren, wo sie hätte verweilen sollen.«

»Das wird also ewig währen. Und dann glaube ich Eines, Sire,« äußerte der Dauphin schüchtern.

»Was glaubst Du? sprich, laß hören,«

»Ich glaube, daß der Dienst schlecht versehen wird, Sire.«

»Wie? welcher Dienst?«

»Der Reisedienst.«

»Gehe doch! ich habe dreißigtausend Pferde, dreißig Carrossen, sechzig Fourgons und ich weiß nicht wie viele Caissons auf den Weg geschickt; würde man Caissons, Fourgons, Carrossen und Pferde in einer Linie an einander stellen, so ginge es von Paris bis Straßburg. Wie kannst Du glauben, bei allen diesen Mitteln werde der Dienst schlecht versehen?«

»Wohl, Sire, trotz aller Güte Eurer Majestät habe ich beinahe die Gewißheit von dem, was ich sage; nur bediente ich mich vielleicht eines ungeeigneten Ausdrucks’ und hätte, statt zu sagen, der Dienst werde schlecht versehen, sagen sollen, der Dienst sei schlecht organisirt.«

Der König erhob bei diesen Worten das Haupt und heftete seine Augen auf die des Dauphin, er fing an zu begreifen, daß sich viele Dinge unter den wenigen Worten verbargen, welche Seine Königliche Hoheit ausgesprochen.

»Dreißigtausend Pferde,« wiederholte der König, »dreißig Carrossen, sechzig Fourgons, zwei Regimenter zu diesem Dienst verwendet.  . . . Ich frage Dich, mein Herr Gelehrter, hast Du je eine Dauphine in Frankreich mit einem solchen Geleite einziehen sehen?«

»Ich gestehe, Sire, die Sachen sind königlich gemacht, und so wie sie Eure Majestät zu machen weiß; doch hat Eure Majestät auch eingeschärft, daß diese Pferde, diese Carrossen, kurz dieses ganze Material einzig und allein im Dienste der Dauphine und ihres Gefolges verwendet werde?«

Der König schaute Ludwig zum dritten Male an; ein unbestimmter Verdacht regte sich in seinem Innern, eine kaum faßbare Erinnerung fing an seinen Geist zu erleuchten; zugleich durchzog eine verworrene Aehnlichkeit zwischen dem, was der Dauphin sagte, und etwas Unangenehmem, das er so eben erfahren, seinen Kopf.

»Was für eine Frage!« sprach der König; »sicherlich ist Alles dies für die Frau Dauphine, und deßhalb sage ich Dir, daß sie unfehlbar sehr schnell ankommen muß; doch warum schaust Du mich so an? Laß hören,« fügte er mit einem festen Tone bei, der dem Dauphin drohend erschien; »solltest Du Dich zufällig damit belustigen, meine Züge wie die Federn Deines Uhrwerks zu studiren?«

Der Dauphin, der eben den Mund öffnete, um zu sprechen, schwieg plötzlich bei dieser Anrede.

»Nun!« fuhr der König rasch fort, »es scheint mir Du hast mir nichts mehr zu sagen  . . . wie?  . . . Du bist zufrieden, nicht wahr? Deine Dauphine kommt, ihr Dienst wird vortrefflich versehen, Du bist reich wie Krösus durch Deine Privatkasse, das steht auf das Beste. Da Dich nun nichts mehr beunruhigt, so mache mir das Vergnügen und setze nur meine Pendeluhr wieder zusammen.«

Der Dauphin rührte sich nicht.

»Weißt Du wohl, daß ich Lust habe Dir das Amt des ersten Uhrmachers vom Schlosse zu geben, wohl verstanden mit einem Gehalt?« sagte lachend Ludwig XV.

Der Dauphin neigte das Haupt und nahm, eingeschüchtert durch den Blick des Königs, wieder von dem Lehnstuhle das Radirmesser und das Rad.

Ludwig XV. erreichte mittlerweile ganz sachte die Thüre.

»Was Teufels wollte er mit seinem schlecht versehenen Dienste sagen?« sprach der König, den Dauphin anschauend, zu sich selbst. »Gut, gut, abermals eine Scene vermieden; er ist unzufrieden.«

Gewöhnlich so geduldig, stampfte der Dauphin in der That mit dem Fuß auf den Boden.

»Das verschlimmert sich,« murmelte Ludwig XV. lachend, »ich habe offenbar nur Zeit, zu fliehen.«

Doch plötzlich fand er, als er die Thüre öffnete, auf der Schwelle Herrn von Choiseul, der sich tief verbeugte.

Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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