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Drittes bis Sechstes Bändchen
XIV.
Die Schmuggelwaare
ОглавлениеZwei Tage nach den von uns erzählten Ereignissen und während man jeden Augenblick in seinem Lager den General Monk erwartete, der nicht dahin zurückkehrte, ging eine kleine holländische Felucke mit einer Equipage von zehn Mann an der Küste von Scheveningen, ungefähr einen Kanonenschuß vom Lande, vor Anker. Es war stockfinstere Nacht, die See stieg in der Dunkelheit und die Stunde eignete sich vortrefflich, um Passagiere und Waaren auszuschiffen.
Die Rhede von Scheveningen bildet einen weiten Halbmond; sie ist durchaus nicht tief und ziemlich unsicher; man sah hier auch nur flämische Houques oder von jenen holländischen Barken liegen, welche die Fischer auf Rollen auf den Sand ziehen, wie es die Alten nach der Mittheilung von Virgil machten. Steigt die Woge und treibt gegen das Land, so ist es nicht klug, das Fahrzeug zu nahe an die Küste gelangen zu lassen, denn wenn der Wind frisch ist, versanden sich die Vordertheile und der Sand an dieser Küste ist schwammicht, er nimmt leicht, aber gibt nicht ebenso wieder. Aus diesem Grunde löste sich ohne Zweifel die Schaluppe vom Schiff, sobald dieses Anker geworfen hatte, und fuhr mit acht Leuten von der Mannschaft, unter denen man einen Gegenstand von länglicher Form unterschied, der ein Ballen oder eine Art von Korb sein mochte.
Das Ufer war verlassen, die paar Fischer, welche die Dünen bewohnen, hatten sich schlafen gelegt. Die einzige Schildwache, welche die Küste hütete (eine sehr schlecht bewachte Küste in Betracht, daß das Landen eines großen Schiffes unmöglich war), hatte, ohne das Beispiel der Fischer, die sich niedergelegt, völlig befolgen zu können, dieselben doch insofern nachgeahmt, daß sie eben so tief in ihrem Schilderhause schlief, als jene in ihren Betten. Das einzige Geräusch, das man hörte, war also das Pfeifen des Nachtwindes, der durch das Heidekraut der Düne strich. Doch es waren ohne Zweifel mißtrauische Leute, die Leute, die sich näherten, denn diese wirkliche Stille und diese scheinbare Einsamkeit beruhigten sie noch nicht. Kaum sichtbar wie ein dunkler Punkt auf dem Ocean glitt auch ihre Schaluppe, geräuschlos, das Rudern vermeidend, um nicht gehört zu werden, über das Wasser hin und fuhr so nahe als möglich ans Land.
Kaum spürte man Grund, als ein einziger Mann aus dem Fahrzeug sprang, nachdem er einen kurzen Befehl mit jenem Tone gegeben, der die Gewohnheit des Gebietens bezeichnet. In Folge dieses Befehls glänzten alsbald mehrere Musketen bei dem schwachen Schimmer des Meeres, diesem Spiegel des Himmels, und der bereits erwähnte längliche Ballen, welcher ohne Zweifel die Schmuggelwaare enthielt, wurde mit unendlicher Vorsicht ans Land geschafft. Sogleich lief der Mann, der die Schaluppe zuerst verlassen hatte, schräge nach dem Dorfe Scheveningen, wobei er seine Richtung nach der vordersten Spitze des Waldes nahm. Hier suchte er das Haus, das wir schon einmal durch die Bäume erblickt, und das wir als die mittlerweilige Wohnung – eine sehr bescheidene Wohnung – desjenigen bezeichnet haben, welchen man aus Artigkeit den König von England nannte.
Alles schlief hier, wie überall; nur ein großer Hund von der Race derjenigen, welche die Fischer von Scheveningen an kleine Karren spannen, um ihre Fische nach dem Haag zu bringen, stieß ein furchtbares Gebelle aus, sobald die Tritte des Fremden unter den Fenstern hörbar wurden. Doch statt den Ankömmling zu erschrecken, schien ihm diese Bewachung im Gegentheil eine große Freude zu bereiten, denn seine Stimme wäre vielleicht unzulänglich gewesen, um die Leute des Hauses aufzuwecken, während bei einer Hilfsmacht von solcher Stärke diese Stimme beinahe unnöthig wurde. Der Fremde wartete also, bis das schallende und wiederholte Gebelle aller Wahrscheinlichkeit nach seine Wirkung hervorgebracht hatte, und wagte es dann, zu rufen. Bei dem Ton seiner Stimme brüllte der Hund mit solcher Heftigkeit, daß sich bald im Innern eine andere Stimme hörbar machte, die den Hund zu beschwichtigen suchte. Als sodann der Hund wirklich beschwichtigt war, fragte diese zugleich schwache, gebrochene und höfliche Stimme:
»Was wünscht Ihr?«
»Ich will zu Seiner Majestät König Karl II.,« antwortete der Fremde.
»Was wollt Ihr von ihm?«
»Ich will ihn sprechen.«
»Wer seid Ihr?«
»Ah! Mordioux! Ihr fragt mich zu viel; ich liebe es nicht, ein Gespräch durch die Thüren zu führen.«
»Sagt nur Euren Namen.«
»Ich liebe es eben so wenig, meinen Namen in freier Luft anzugeben; seid indessen unbesorgt, ich werde Euren Hund nicht fressen, und bitte Gott, er möge auch so rücksichtsvoll gegen mich verfahren.«
»Ihr bringt vielleicht Nachrichten, nicht wahr, mein Herr?« sagte die Stimme geduldig und ausforschend wie die eines Greises.
»Ich stehe Euch dafür, daß ich Nachrichten bringe, die man nicht erwartet! Oeffnet also, wenn es Euch beliebt.«
»Mein Herr,« fuhr der Greis fort, »glaubt Ihr bei Eurer Seele und Eurem Gewissen, diese Nachrichten seien es werth, daß man den König aufweckt?«
»Um der Liebe Gottes willen, mein guter Herr, zieht Eure Riegel, ich schwöre Euch, die Mühe, die Ihr Euch gemacht habt, wird Euch nicht verdrießen. Auf mein Ehrenwort, ich bin mein Gewicht in Gold werth.«
»Mein Herr, ich kann Euch dennoch nicht öffnen, ohne daß Ihr mir Euren Namen sagt.«
»Es muß also sein?«
»Das ist der Befehl meines Gebieters, Herr.«
»Nun! so hört meinen Namen . . . Doch ich mache Euch zum Voraus darauf aufmerksam, daß Ihr durch diesen Namen durchaus nichts erfahrt.«
»Gleichviel, sagt ihn immerhin.«
»Wohl, ich bin der Chevalier d’Artagnan.«
Die Stimme gab einen Schrei von sich.
»Ah! mein Gott!« sprach der Greis jenseits der Thüre, Herr d’Artagnan! welches Glück! Ich sagte mir doch, ich kenne diese Stimme.«
»Halt!« rief d’Artagnan, »man kennt meine Stimme hier! das ist schmeichelhaft!«
»Oh! ja, man kennt sie, erwiederte der Greis, den Riegel ziehend, »und das diene Euch zum Beweis!«
Und bei diesen Worten führte er d’Artagnan ein, der beim Schimmer der Laterne, welche er in der Hand trug, seinen hartnäckigen Gegenredner erkannte.
»Ah! Mordioux!« rief er, »es ist Parry, ich hätte es vermuthen sollen.«
»Parry, ja, mein lieber Herr d’Artagnan, ich bin es. Welche Freude, Euch wiederzusehen!«
»Ihr habt wohl gesagt: welche Freude!« sprach d’Artagnan dem Greis die Hände drückend. »Doch nicht wahr, Ihr werdet den König benachrichtigen?«
»Der König schläft, mein lieber Herr.«
»Mordioux! weckt ihn auf, und er wird Euch nicht schmähen, daß Ihr ihn gestört habt, das sage ich Euch.«
»Ihr kommt im Auftrag des Grafen, nicht wahr?«
»Welches Grafen?«
»Des Grafen de la Fère.«
»Von Athos? Meiner Treue! nein, ich komme in meinem eigenen Auftrag. Rasch, Parry, den König, ich muß den König sehen!«
Parry glaubte nicht länger widerstehen zu dürfen; er kannte d’Artagnan seit langer Zeit; er wußte, daß, obgleich er Gascogner war, seine Worte nie mehr versprachen, als sie halten konnten. Er durchschritt einen Hof und ein Gärtchen, beschwichtigte den Hund, der im Ernst Musketierfleisch kosten wollte, und klopfte an den Laden eines Zimmers, das im Erdgeschoß eines kleinen Pavillon lag.
Sogleich antwortete ein kleiner Hund, der dieses Zimmer bewohnte, dem großen Hund, der den Hof inne hatte.
»Armer König!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das sind seine Leibwachen: allerdings ist er deshalb nicht schlechter bewacht.«
»Was will man von mir?« fragte der König aus dem Hintergrunde des Zimmers.
»Sire, der Herr Chevalier d’Artagnan ist da und will Euch Nachrichten bringen.«
Alsbald hörte man Geräusch in diesem Zimmer; eine Thüre öffnete sich und eine scharfe Helle überströmte den Corridor und den Garten.
Der König arbeitete beim Scheine einer Lampe. Papiere lagen zerstreut auf seinem Schreibtisch umher, und er hatte den Entwurf eines Briefes begonnen, der durch die vielen Durchstriche verrieth, welche Mühe es ihm gemacht, denselben zu schreiben.
»Tretet ein, Herr Chevalier,« sprach er sich umwendend.
Dann, als er den Fischer erblickte, fragte Karl: . »Was sagtet Ihr denn, Parry? wo ist denn Herr d’Artagnan?«
»Er steht vor Euch, Sire,« antwortete d’Artagnan.
»In dieser Tracht?«
»Ja. Schaut mich an, Sire; erkennt Ihr mich nicht als denjenigen, welchen Ihr in Blois in den Vorzimmern von König Ludwig XIV. gesehen habt?«
»Doch, mein Herr, und ich erinnere mich auch, daß ich mich sehr über Euch zu freuen hatte.«
D’Artagnan verbeugte sich.
»Es war meine Pflicht, mich zu benehmen, wie ich es gethan habe, sobald ich wußte, daß es Eure Majestät war, mit der ich zu sprechen die Ehre hatte.«
»Ihr Bringt mir Nachrichten, sagt Ihr?«
»Ja, Sire.«
»Ohne Zweifel im Auftrag des Königs von Frankreich?«
»Meiner Treue, nein, Sire,« erwiederte d’Artagnan. »Eure Majestät mußte dort sehen, daß sich der König von Frankreich nur um seine eigene Majestät bekümmert.«
Karl schlug die Augen zum Himmel auf.
»Nein,« fuhr d’Artagnan fort, »nein, Sire. Ich bringe Euch Nachrichten, welche aus ganz persönlichen Thatsachen bestehen. Doch ich wage zu hoffen, daß Eure Majestät Thatsachen und Nachrichten mit einiger Huld vernehmen wird.«
»Sprecht, mein Herr.«
»Wenn ich mich nicht irre, Sire, hat Eure Majestät in Blois viel von der schlimmen Lage der Dinge in England gesprochen.«
Erröthend entgegnete Karl:
»Dem König von Frankreich allein erzählte ich . . . «
»Oh! Eure Majestät täuscht sich,« erwiederte kalt der Musketier, »ich weiß mit den Königen im Unglück zu sprechen; sie sprechen sogar nur, wenn sie im Unglück sind, mit mir: sind sie einmal glücklich, so schauen, sie mich nicht mehr an. Ich hege also nicht nur die tiefste Ehrfurcht, sondern auch die unbeschränkteste Ergebenheit für Euch, und das bedeutet etwas bei mir, glaubt mir, Sire. Als ich nun Eure Majestät über ihr Schicksal reden hörte, da fand ich, Ihr seid hochherzig, edel und wisset das Unglück gut zu ertragen.«
»In der That,« sagte Karl erstaunt, »ich weiß nicht, was ich vorziehen soll, Eure Freiheiten oder Eure Ehrerbietung.«,
»Ihr werdet sogleich wählen, Sire,« sprach d’Artagnan. »Eure Majestät beklagte sich also bei ihrem Bruder Ludwig XIV. über die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen habe, um nach England zurückzukehren und ohne Menschen und Geld ihren Thron wieder zu besteigen.«
Hier entschlüpfte Karl eine Bewegung der Ungeduld.
»Und das Haupthinderniß, auf das sie auf ihrem Wege stoße,« fuhr d’Artagnan fort, »sei ein gewisser General, der die Armee des Parlaments befehlige und dort die Rolle eines zweiten Cromwell spiele. Hat Eure Majestät das nicht gesagt?«
»Ja, doch ich wiederhole Euch, mein Herr, diese Worte waren nur für die Ohren des Königs bestimmt.«
»Und Ihr werdet sehen, Sire, es war sehr gut, daß sie in die Ohren seines Lieutenants der Musketiere gefallen sind; dieser für Eure Majestät so lästige General war, glaube ich, Monk; habe ich den Namen richtig gehört, Sire?«
»Ja, mein Herr; doch ich wiederhole, wozu alle diese Fragen?«
»Oh! ich weiß es wohl, Sire, die Etiquette gestattet es nicht, daß man die Könige fragt; doch ich hoffe, Eure Majestät wird mir sogleich meinen Verstoß gegen die Etiquette vergeben. Eure Majestät fügte bei, wenn sie ihn indessen sehen, sich mit ihm besprechen, von Angesicht zu Angesicht ihm gegenüber stehen könnte, so würde sie entweder mit Gewalt oder durch Ueberredung dieses Hinderniß, das einzige ernste, das einzige wahre, das einzige unüberwindliche auf ihrem Wege, besiegen.«
»Dies Alles ist wahr, mein Herr; mein Schicksal, meine Zukunft, meine Dunkelheit oder mein Glanz hängen von diesem Mann ab; doch was wollt Ihr hieraus schließen?«
»Nur Eines: ist der General Monk in dem Grade lästig, wie Ihr sagt, so wäre es ersprießlich. Eure Majestät von ihm zu befreien oder ihr einen Verbündeten aus ihm zu machen.«
»Mein Herr, ein König, der weder ein Heer, noch Geld bat, da Ihr nun doch einmal meine Unterredung mit meinem Bruder angehört habt, vermag nichts gegen einen Mann, wie Monk.«
»Ja, Sire, ich weiß wohl, das war Eure Meinung, doch zum Glück für Euch war es nicht die meinige.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Daß ich ohne eine Armee und ohne eine Million gethan habe, was Eure Majestät nur mit einer Armee und einer Million thun zu können glaubte.«
»Wie! was sagt Ihr? was habt Ihr gethan?«
»Was ich gethan habe? Nun, Sire, ich habe den für Euch so lästigen Mann dort festgenommen.«
»In England?«
»Allerdings, Sire.«
»Ihr habt Monk in England festgenommen?«
»Hätte ich zufällig schlimm daran gethan?«
»In der That, mein Herr, Ihr seid ein Narr.«
»Ganz und gar nicht, Sire.«
»Ihr habt Monk gefangen genommen?«
»Ja, Sire.«
»Wo dies?«
»Mitten in seinem Lager.«
Der König bebte vor Ungeduld und zuckte die Achseln.
»Und da ich ihn auf der Landstraße bei Newcastle gefangen genommen habe, so bringe ich ihn Eurer Majestät,« sprach d’Artagnan ganz einfach.
»Ihr bringt ihn mir!« rief der König, beinahe entrüstet über das, was er für eine Mystification hielt.
»Ja, Sire,« antwortete d’Artagnan mit demselben Ton, »ich bringe ihn Euch; er ist dort in einer großen Kiste, an der Löcher angebracht sind, damit er athmen kann.«
»Mein Gott!«
»Oh! seid unbesorgt, Sire, man hat jede mögliche Rücksicht für ihn gehabt. Er kommt also völlig unversehrt und wohlbehalten hier an. Beliebt es Eurer Majestät, ihn zu sehen, mit ihm zu reden oder ihn in’s Wasser werfen zu lassen?«
»Oh! mein Gott!« wiederholte Karl, »oh! mein, Gott! mein Herr, sprecht Ihr die Wahrheit? Beleidigt Ihr mich nicht durch einen unwürdigen Scherz?
»Ihr solltet diesen unerhört verwegenen und genialen Streich ausgeführt haben? Unmöglich!«
»Erlaubt mir Eure Majestät, das Fenster zu öffnen?« fragte d’Artagnan, indem er es öffnete.
Der König hatte nicht einmal Zeit, ja zu sagen. D’Artagnan ließ einen langen, schrillen Pfiff vernehmen, den er dreimal in der Stille der Nacht wiederholte.
»Man wird ihn nun Eurer Majestät bringen,« sagte er.