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Drittes bis Sechstes Bändchen
XXIV.
Worin man sieht, daß der französische Spezereihändler schon im siebzehnten Jahrhundert zu Ehren gekommen war

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Sobald d’Artagnan seine Rechnungen geordnet und seine Vorschriften gegeben hatte, dachte er nur noch daran, so rasch als möglich nach Paris zurückzukehren. Athos drängte es, sein Haus wieder zu erreichen, um dort ein wenig auszuruhen. So unversehrt auch der Charakter und der Mensch geblieben sein mögen, so gewahrt doch der Reisende nach den Strapazen des Marsches mit Vergnügen am Ende des Tags, selbst wenn der Tag schön gewesen ist, daß die Nacht herannaht, die ihm den erquickenden Schlaf bringen wird. Ein wenig in ihre persönlichen Gedanken vertieft, sprachen die zwei Freunde, von Boulogne nach Paris nebeneinander reitend, von keinen Dingen, welche interessant genug waren, daß wir sie unsern Lesern mittheilen sollten: seinen Betrachtungen hingegeben und die Zukunft auf seine Weise aufbauend, war Jeder von ihnen hauptsächlich darauf bedacht, die Entfernung durch die Geschwindigkeit abzukürzen. Am Abend des vierten Tages nach ihrer Abreise von Boulogne kamen Athos und d’Artagnan vor den Barrieren von Paris an.

»Wohin geht Ihr, mein Freund?« fragte Athos. »Ich begebe mich unmittelbar nach meinem Hotel.«

»Und ich unmittelbar zu meinem Associe.«

»Zu Planchet?«

»Mein Gott, ja: zum goldenen Stößel.«

»Doch es versteht sich, daß wir uns wiedersehen?«

»Wenn Ihr in Paris bleibt, ja, denn ich bleibe.«

»Nein, nachdem ich Raoul umarmt, den ich zu mir in das Hotel beschieden, reise ich unmittelbar nach la Fère ab.«

»Gott befohlen also, theurer und vortrefflicher Freund.«

»Auf Wiedersehen vielmehr, denn ich weiß im Ganzen nicht, warum Ihr nicht bei mir in Blois wohnen solltet. Ihr seid nun frei. Ihr seid reich und ich werde Euch, wenn Ihr wollt, ein schönes Gut in der Gegend von Chiverny oder in der von Bracieur kaufen. Einerseits habt Ihr dann die schönsten Waldungen der Welt, welche an die von Chambord stoßen, andererseits herrliche Moorgründe. Ihr, der Ihr die Jagd liebt und mag es Euch lieb oder leid sein, Dichter seid, theurer Freund, Ihr werdet Fasanen, Kriechenten und Rallen finden, abgesehen von den Sonnenuntergängen und, Spazierfahrten im Nachen, daß Apollo und Nimrod darüber in Entzücken gerathen könnten. Bis Ihr einen Kauf gemacht habt, wohnt Ihr in la Fère, und wir gehen auf die Beize in den Weinbergen, wie es Ludwig der Dreizehnte gethan hat. Das ist ein vernünftiges Vergnügen für alte Leute wie wir sind.«

D’Artagnan nahm die Hände von Athos und erwiederte:

Theurer Graf, ich sage Euch weder ja noch nein. Laßt mich in Paris die Zeit zubringen, welche für mich durchaus nothwendig ist, um meine Geschäfte zu ordnen und mich allmälig an die sehr schwer lastende Idee zu gewöhnen, welche in meinem Gehirn schlägt und es blendet. Seht, ich bin reich, und bis ich mich an den Reichthum gewöhnt habe, werde ich, so wie ich mich kenne, ein unerträglicher Mensch sein. Ich bin aber noch nicht so dumm, daß es mir an Geist einem Freunde gegenüber, wie Ihr seid, fehlen würde. Das Kleid ist schön, das Kleid ist reich vergoldet, doch es ist neu und drückt mich an den Schultern.«

Athos lächelte.

»Es mag sein,« sagte er. »Doch was dieses Kleid betrifft, lieber d’Artagnan, wollt Ihr einen Rath von mir hören?«

»Oh! sehr gern.«

»Ihr werdet Euch nicht ärgern?«

»Geht doch!«

»Wenn Einem der Reichthum spät und plötzlich zukommt, so muß dieser Eine, um sich nicht zu verändern, geizig werden, nämlich nicht mehr Geld ausgeben, als er vorher hatte, oder ein Verschwender werden und so viel Schulden machen, daß er wieder arm wird.«

»Ah! was Ihr mir da sagt, gleicht ungemein einem Trugschluß, mein lieber Philosoph.«

»Ich glaube nicht. Wollt Ihr geizig werden?«

»Bei Gott, nein! Ich war es schon, als ich nichts hatte, und will mich ändern.«

»Also seid ein Verschwender.«

»Mordioux! noch weniger, die Schulden machen mir bange. Die Gläubiger kommen mir immer vor wie jene Teufel, welche die Verdammten auf dem Rost umdrehen, und da die Geduld nicht die bei mir vorherrschende Tugend ist, so bin ich stets versucht, die Teufel zu prügeln.«

»Ihr seid der vernünftigste Mensch, den ich kenne, und Ihr habt von Niemand einen Rath anzunehmen. Diejenigen, welche glauben würden, sie hätten Euch etwas zu lehren, wären Narren. Doch sind wir nicht in der Rue Saint-Honoré?«

»Ja, lieber Athos.«

»Seht, dort links, das lange weiße Häuschen ist das Hotel, wo ich meine Wohnung habe. Ihr werdet bemerken, daß es nur zwei Stockwerke hat. Das erste bewohne ich; das andere ist an einen Officier vermiethet, den sein Dienst acht bis neun Monate im Jahr entfernt hält, so daß ich, abgesehen von den Kosten, in diesem Hause bin, als ob ich bei mir wäre.«

»Oh! wie Ihr das gut einzurichten wißt, Athos! Welche Ordnung und welche Umsicht! das möchte ich in mir vereinigen. Doch was wollt Ihr, das ist angeboren und erwirbt sich nicht.«

»Schmeichler! . . . Nun aber Gott befohlen, lieber Freund. Vergeßt nicht, mich bei Planchet in’s Gedächtniß zurückzurufen! nicht wahr, es ist immer noch ein

Bursche von Geist?«

»Und von Herz, Athos. Gott befohlen!«

Sie trennten sich. Während dieses ganzen Gesprächs hatte d’Artagnan nicht eine Sekunde ein gewisses Packpferd, in dessen Körben, unter Heu, die Reisetaschen nebst dem Felleisen enthalten waren, aus dem Gesicht verloren. Es schlug neun Uhr auf Saint-Merri; die Ladendiener von Planchet schloßen eben die Bude. D’Artagnan ließ den Postknecht, der das Packpferd führte, an der Ecke der Rue des Lombards unter einem Wetterdach halten, rief einem Ladendiener von Planchet und übergab diesem nicht nur die zwei Pferde, sondern auch den Postknecht zur Bewachung; dann trat er bei dem Spezereihändler ein, der gerade sein Nachtessen beendigt hatte und mit einer gewissen Aengstlichkeit in seinem Kalender rechnete, in welchem er jeden Abend den abgelaufenen Tag durchstrich.

In dem Augenblick, wo Planchet, seiner Gewohnheit gemäß, mit der umgekehrten Feder den beendigten Tag seufzend durchstrich, stieß d’Artagnan mit dem Fuß auf die Thürschwelle, und dieser Stoß machte seinen eisernen Sporn klirren.

»Ah! mein Gott!« rief Planchet. Der würdige Spezereihändler konnte nicht mehr sagen; er hatte seinen Associe erschaut, d’Artagnan trat mit gekrümmtem Rücken und mit verdrießlichem Auge ein. Der Gascogner hatte seine Idee in Beziehung auf Planchet.

»Guter Gott! er ist traurig!« dachte der Spezereihändler, den Reisenden betrachtend.

Der Musketier setzte sich.

»Lieber Herr d’Artagnan!« sprach Planchet mit einem furchtbaren Herzklopfen, »endlich seid Ihr da! und wie steht es mit Eurer Gesundheit?«

»Ziemlich gut, Planchet, ziemlich gut,« antwortete d’Artagnan, einen Seufzer ausstoßend.

»Ihr seid hoffentlich nicht verwundet worden?«

»Bah!«

»Ah! ich sehe,« fuhr Planchet immer ängstlicher fort, »die Expedition ist eine anstrengende gewesen.«

»Ja,« machte d’Artagnan.

Ein Schauer durchlief den ganzen Leib von Planchet, »Ich würde gern trinken,« sagte der Musketier mit kläglicher Stimme, den Kopf erhebend.

Planchet lief selbst nach dein Schrank und schenkte d’Artagnan Wein in ein großes Glas ein. D’Artagnan schaute du Flasche an.

»Was für Wein ist das?« fragte er.

»Ach! es ist von dem, welchen Ihr besonders liebt, Herr,« erwiederte Planchet, »es ist der gute alte Anjou-Wein, der uns Alle beinahe eines Tags so theuer zu stehen gekommen wäre.«

Ah!« sagte d’Artagnan mit einem schwermüthigen Lächeln, »ah! mein armer Planchet, ich soll also noch guten Wein trinken!«

»Hört, mein lieber Herr,« sprach Planchet mit einer übermenschlichen Anstrengung, während das Zusammenziehen aller seiner Muskeln, seine Blässe und sein Zittern die tiefste Angst offenbarten; »hört, ich bin Soldat gewesen, und habe folglich Muth; laßt mich also nicht schmachten, lieber Herr d’Artagnan; nicht wahr, unser Geld ist verloren?«

D’Artagnan nahm sich, ehe er antwortete, eine Zeit, welche dem Spezereihändler wie ein Jahrhundert vorkam, Er hatte sich jedoch nur auf seinem Stuhl umgekehrt.

»Und wenn dies wäre,« erwiederte er langsam und indem er den Kopf von oben nach unten wiegte, »was würdest Du dazu sagen, mein armer Freund?«

Planchet wurde von bleich, wie er gewesen, völlig gelb. Es war, als hätte er seine Zunge verschlungen, so sehr schwoll seine Kehle an, so rötheten sich seine Augen.

»Zwanzigtausend Livres!« murmelte er, »zwanzigtausend Livres.«

Den Hals schlaff, die Beine ausgestreckt, die Hände träg, glich d’Artagnan einer Bildsäule der Entmuthigung. Planchet entriß den tiefsten Höhlen seiner Brust einen schmerzlichen Seufzer.

»Ah!« sagte er, »ich sehe, wie die Sache steht. Wir wollen Männer sein. Nicht wahr, es ist Doch Euer Leben ist gerettet, gnädiger Herr, und ist die Hauptsache.«

»Das Leben ist allerdings etwas, doch mittlerweile bin ich zu Grunde gerichtet.«

»Ah! Herr, wenn es auch so steht, so darf man darum doch noch nicht verzweifeln; Ihr verbindet Euch als Spezereihändler mit mir, ich mache Euch zu meinem Associe, wir theilen den Nutzen, und wenn es keinen Nutzen mehr gibt, nun, so theilen wir die Mandeln, die getrockneten Weinbeeren und die Pflaumen, und knaupeln mit einander das letzte Viertel holländischer Käse.«

D’Artagnan konnte nicht länger widerstehen.

»Mordioux!« rief er ganz bewegt, »Du bist ein braver Bursche, Planchet, bei meiner Ehre! Sprich, Hast Du nicht Komödie gespielt? Sprich, hast Du nicht dort unter dem Wetterdach das Pferd mit den Reisetaschen gesehen?«,

»Welches Pferd, welche Reisetaschen?« fragte Planchet, dem sich das Herz bei dem Gedanken, d’Artagnan würde ein Narr, zusammenschnürte.

»Ei! die englischen Reisetaschen!« rief d’Artagnan, ganz strahlend, ganz verklärt.

»Ah! mein Gott!« stammelte Planchet, vor dem blendenden Feuer seiner Blicke zurückweichend.

»Dummkopf! Du hältst mich für verrückt. Mordioux! mein Kopf ist im Gegentheil nie gesünder, mein Herz nie freudiger gewesen. Zu den Reisetaschen, Planchet, zu den Reisetaschen!«

»Mein Gott! zu welchen Reisetaschen?«

D’Artagnan schob Planchet nach dem Fenster und fragte:

»Siehst Du dort unter dem Wetterdach ein Pferd?«

»Ja.«

»Siehst Du, wie sein Rücken beschwert ist?«

»Ja, ja.«

»Siehst Du, wie einer von Deinen Ladendienern mit dem Postknecht plaudert?«

»Ja, ja, ja!«

»Nun! Du weißt den Namen dieses Burschen, da er in Deinem Dienst ist. Rufe ihn.«

»Abdon! Abdon!« schrie Planchet aus dem Fenster.

»Führe das Pferd hierher!« rief d’Artagnan.

»Führe das Pferd hierher!« brüllte Planchet.

»Nun zehn Livres dem Postknecht,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, als ob er ein Manoeuvre befehligte; »zwei Diener, um die zwei ersten Taschen herauszutragen, zwei für die zwei letzten, und Feuer, Mordioux! Thätigkeit!«

Planchet stürzte nach den Stufen, als ob ihn der Teufel in die Beine gebissen hätte.

Einen Augenblick nachher stiegen die Ladendiener, sich unter ihrer Bürde biegend, die Treppe herauf. D’Artagnan schickte sie in ihre Dachstube zurück, verschloß sorgfältig die Thüre, wandte sich an Planchet, der seinerseits beinahe verrückt wurde, und sagte:

»Nun ist es an uns Beiden.«

Und er breitete eine große Decke auf dem Boden aus und leerte die erste Reisetasche darauf. Planchet that dasselbe mit der zweiten; dann schnitt d’Artagnan die dritte mit dem Messer auf. Als Planchet das lockende Geräusch von Silber und Gold hörte, als er aus dem Sack die glänzenden Thaler springen sah, welche hüpften und zuckten wie die Fische außerhalb des Wurfnetzes, als er sich bis an die Wade in die immer mehr steigende Fluth von gelben und weißen Stücken getaucht sah, ergriff ihn der Schwindel, er drehte sich um sich selbst wie ein vom Blitz getroffener Mensch, und sank schwerfällig auf den ungeheuren Haufen nieder, den sein Gewicht mit einem unbeschreiblichen Getöse zusammenbrechen machte.

Gleichsam erstickt durch die Freude, hatte Planchet das Bewußtsein verloren. D’Artagnan goß ihm ein Glas weißen Wein in’s Gesicht, was ihn sogleich wieder zum Leben zurückrief.

»Ah! mein Gott! ah! mein Gott! ah! mein Gott!« rief Planchet, seinen Schnurrbart und seinen Kinnbart abwischend.

In jener Zeit, wie in unseren Tagen, trugen die Spezereihändler einen ritterlichen Schnurrbart und den Kinnbart eines Landsknechts; nur sind die Silberbäder, welche in jener Zeit schon sehr selten waren, heut zu Tage völlig unbekannt geworden.

»Mordioux!« sagte d’Artagnan, »hier sind hunderttausend Livres für Euch, meinen Associs. Streiche Deinen Gewinn ein, wenn es Dir beliebt, ich will den meinigen einstreichen.«

»Oh! welch eine schöne Summe, Herr d’Artagnan, welch eine schöne Summe!«

»Vor einer halben Stunde bedauerte ich es ein wenig, daß diese schöne Summe Dir zukomme, aber nun bedaure ich es nicht mehr, und Du bist ein braver Krämer, Planchet. Doch machen wir nun gute Rechnung, da gute Rechnungen, wie man sagt, gute Freunde machen.«

»Oh! erzählt mir vor Allem die ganze Geschichte; das muß noch schöner sein, als das Geld.«

»Meiner Treue,« sprach d’Artagnan, seinen Schnurrbart streichelnd, »ich sage nicht nein, und denkt je ein Geschichtschreiber an mich, um es aufzuzeichnen, so kann er wohl behaupten, er habe an keiner schlechten Quelle geschöpft. Höre also, Planchet, ich will Dir erzählen.«

»Und ich will Stöße machen, fangt an, mein lieber Herr.«

»Nun also,« sprach d’Artagnan, Athem holend. »Nun also,«, sagte Planchet, die erste Hand voll Thaler zusammenraffend.

Der Graf von Bragelonne

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