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Drittes bis Sechstes Bändchen
XIII.
Wie Athos und d’Artagnan abermals im Gasthof zum Hirschhorn zusammentrafen

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Der König von England hielt mit großem Gepränge seilen Einzug zuerst in Dover und dann in London. Er hatte seine Brüder zu sich berufen, er hatte seine Mutter und seine Schwester mitgenommen. England war seit so langer Zeit sich selbst, nämlich der Tyrannei, der Mittelmäßigkeit und der Unvernunft preisgegeben gewesen, daß die Rückkehr von König Karl II., den die Engländer indessen nur als den Sohn eines Mannes kannten, welchem sie den Kopf abgeschlagen, zu einem wahren Fest für die drei Königreiche wurde. Alle die Wünsche, alle die Zurufe, die seine Rückkehr begleiteten, machten auch einen solchen Eindruck auf den jungen König, daß er sich an das Ohr von Jack von York, seinem jüngeren Bruder, neigte und zu ihm sagte:

»Wahrhaftig, Jack, mir scheint, es ist unser Fehler, wenn wir so lange aus einem Lande abwesend waren, wo man uns so sehr liebt.«

Der Zug war prachtvoll. Ein herrliches Wetter begünstigte die Feierlichkeit. Karl hatte seine ganze Jugend, seine ganze frohe Laune wiedererlangt; er schien verwandelt; die Herzen lachten ihm zu wie die Sonne.

Mitten in dieser geräuschvollen Menge von Höflingen und Anbetern, die sich nicht zu erinnern schienen, daß sie den Vater des neuen Königs von White-Hall nach dem Blutgerüst, geführt hatten, betrachtete ein Mann in der Kleidung eines Lieutenants der Musketiere, ein Lächeln auf seinen dünnen, geistreichen Lippen, bald das Volk, das seine Segnungen und Glückwünsche brüllte, bald den Prinzen, der den Gerührten spielte und besonders die Frauen grüßte, deren Sträuße unter die Füße seines Pferdes fielen.

»Was für ein schönes Handwerk ist doch das eines Königs!« sagte dieser Mann, in seiner Betrachtung fortgerissen und so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er mitten auf dem Wege stehen blieb und den Zug an sich vorüber ließ. »Dieser Fürst ist in der That mit Gold und Diamanten geschmückt wie ein Salomo, buntscheckig mit Blumen überzogen wie eine Wiese im Frühjahr; er wird mit vollen Händen aus der ungeheuren Kasse schöpfen, worin ihm seine heute getreuen, vor Kurzem noch sehr ungetreuen Unterthanen ein paar Karren voll Goldstangen aufgehäuft haben. Man wirft ihm Sträuße zu, um ihn darunter zu begraben, und wenn er vor zwei Monaten erschienen wäre, würde man ihm eben so viel Kanonen- und Musketenkugeln zugeschleudert haben, als man ihm heute Blumen zuwirft. Es ist offenbar etwas werth, auf eine gewisse Weise geboren zu werden, was den Gemeinen nicht mißfallen möge, welche behaupten, es liege ihnen nichts an ihrer gemeinen Geburt.«

Der Zug ging immer weiter, und mit dem König entfernten sich die Zurufe in der Richtung des Palastes; dessen ungeachtet wurde unser Officier immer noch gehörig herumgestoßen.

»Mordioux!« fuhr der Denker fort, »hier sind viele Leute, die mir auf die Füße treten und die mich für sehr wenig oder vielmehr für nichts halten, in Betracht, daß sie Engländer sind, und daß ich ein Franzose bin. Wollte man alle diese Leute fragen: Wer ist Herr d’Artagnan? so würden sie antworten: Nescio vos. Aber man sage ihnen: Hier zieht der König vorüber, hier zieht Herr Monk vorüber, so werben sie brüllen: Es lebe der König! Es lebe Herr Monk! bis ihnen ihre Lungen den Dienst verweigern. Indessen,« fuhr er fort, indem er mit jenem so seinen und zuweilen so stolzen Blick die Menge sich verlaufen sah, »bedenkt indessen ein wenig, Ihr guten Leute, was König Karl gethan hat, was Herr Monk gethan hat, und denkt dann auch ein wenig an das, was dieser arme Unbekannte, den man Herrn d’Artagnan nennt, gethan hat. Es ist wahr, Ihr wißt es nicht, weil es unbekannt ist, was Euch vielleicht abhält, darüber nachzudenken! Doch bah! was liegt daran! Karl II, bleibt dessen ungeachtet ein großer König, obgleich er zwölf Jahre verbannt gewesen ist, und Herr Monk ein großer Kapitän, obgleich er die Reise nach Holland in einer Kiste gemacht hat. Da es nun anerkannt ist, daß der eine ein großer König und der andere ein großer Kapitän bleibt: Huzza for the King Charles II.! Huzza for the captain Monk!«

Und seine Stimme vermischte sich mit den Stimmen von Tausenden von Zuschauern, die sie einen Augenblick beherrschte. Und um den ergebenen Mann besser zu spielen, schwang er seinen Hut in der Luft. Es hielt ihm Jemand den Arm mitten in seinem geräuschvollen, freudigen Loyalisme. (So nannte man 1660 das, was man heut zu Tage Royalisme nennt.)

»Athos!« rief d’Artagnan, »Ihr hier!«

Und die zwei Freunde umarmten sich.

»Ihr hier, und da Ihr hier seid, seid Ihr nicht inmitten aller dieser Höflinge, mein lieber Graf?« fuhr der Musketier fort. »Wie! Ihr, der Held des Festes, reitet nicht auf der linken Seite Seiner restaurirten Majestät, wie Herr Monk auf ihrer rechten Seite reitet? In der That, ich begreife weder Euren Charakter, noch den des Prinzen, der Euch so viel schuldig ist.«

»Immer spöttisch, mein lieber d’Artagnan,« sprach Athos. »Werdet Ihr denn diesen häßlichen Fehler nie ablegen?«

»Aber Ihr nehmt keinen Antheil am Zug?« »Ich nehme keinen Antheil daran, weil ich nicht wollte,«

»Und warum wolltet Ihr nicht?«

»Weil ich weder Gesandter, noch Botschafter, noch Repräsentant des Königs von Frankreich bin, und weil es mir nicht zusagt, mich so nahe bei einem andern König zu zeigen, den mir Gott nicht zum Herrn gegeben hat.«

»Mordioux! Ihr habt Euch doch sehr nahe bei seinem Vater gezeigt.«

»Das ist etwas Anderes, Dieser sollte sterben.«

»Und das, was Ihr für Jenen gethan habt . . . «

»Ich habe es gethan, weil ich es thun mußte. Doch Ihr wißt, ich vermeide jede Schaustellung. König Karl II., der meiner nun nicht mehr bedarf, lasse mich in meiner Ruhe und in meinem Schatten, mehr verlange ich nicht von ihm.«

D’Artagnan seufzte.

»Was habt Ihr?« sagte Athos; »man sollte glauben, diese glückliche Rückkehr des Königs nach London mache Euch traurig, mein Freund, Euch, der Ihr doch mindestens so viel als ich für Seine Majestät gethan habt.«

»Nicht wahr?« rief d’Artagnan, auf seine gascognische Weise lachend, »nicht wahr, ich habe auch viel für Seine Majestät gethan, ohne daß man es vermuthet?«

»Oh! ja, und der König weiß es wohl, mein Freund.«

»Er weiß es!« versetzte mit bitterem Tone der Musketier; »bei meiner Treue, ich glaubte das nicht und suchte es sogar in diesem Augenblick zu vergessen.«

»Aber er, mein Freund, er wird es nicht vergessen, dafür stehe ich Euch.«

»Ihr sagt mir das, um mich ein wenig zu trösten, Athos.«

»Und worüber?«

»Mordioux! über alle die Ausgaben, die ich gemacht habe. Ich habe mich zu Grunde gerichtet, mein Freund, zu Grunde gerichtet für die Wiedereinsetzung dieses jungen Fürsten, der so eben sein isabellfarbiges Pferd hier vorübertänzeln ließ.«

»Der König weiß nicht, daß Ihr Euch zu Grunde gerichtet habt, mein Freund, aber er weiß, daß er Euch, viel schuldig ist.«

»Hilft mich das irgend Etwas, Athos? Ich lasse Euch Gerechtigkeit widerfahren, Ihr habt edel gearbeitet. Doch ich, der ich scheinbar Schuld gewesen bin, daß Eure Combination scheiterte, ich habe hier in Wirklichkeit den Sieg verschafft. Folgt meiner Berechnung: Ihr hättet vielleicht durch die Ueberredung, durch ein sanftes Wesen den General Monk nicht gewonnen, während ich diesen theuren General auf eine so rauhe Weise behandelte, daß sich dem Prinzen die Gelegenheit bot, sich edelmüthig zu zeigen; dieser Edelmuth, der ihm durch die Thatsache meines glücklichen Mißgriffes eingegeben worden ist, wird Karl durch die Wiedereinsetzung bezahlt, welche Monk bereitet hat.«

»Dies Alles ist eine unleugbare Wahrheit, lieber Freund.«

»So unleugbar diese Wahrheit sein mag, so ist es darum doch nicht minder wahr, theurer Freund, daß ich sehr geliebt von Herrn Monk, der mich den ganzen Tag my dear captain nennt, obgleich ich weder sein Lieber, noch sein Kapitän bin, und sehr geschätzt vom König, der meinen Namen schon vergessen hat, zurückkehren werde; es ist nicht minder wahr, sage ich, daß ich in mein schönes Vaterland zurückkehre, verflucht von den Soldaten, die ich in der Hoffnung auf einen großen Sold angeworben, verflucht vom braven Planchet, von dem ich einen Theil seines Vermögens entlehnt habe.«

»Wie so? Was Teufels hat bei dem Allem Planchet zu thun?«

»Ja wohl, mein Theurer, diesen so zierlichen, so lächelnden, so angebeteten König glaubt Herr Monk zurückgerufen zu haben, Ihr bildet Euch ein ihn unterstützt zu haben, ich glaube ihn zurückgeführt zu haben, das Volk wähnt ihn wiedererlangt zu haben, er denkt, er sei so zu Werke gegangen, daß er seinen Thron wiedergewonnen, und dennoch ist nichts von dem Allem wahr: Karl II., König von, England, Schottland und Irland, ist auf seinen Thron durch einen Spezereihändler von Frankreich gebracht worden, der in der Rue des Lombards wohnt und Planchet heißt. So steht es um die Größe! Eitelkeit, sagt die Schrift, Eitelkeit, Alles ist eitel.«

Athos konnte sich eines Lachens über die wunderliche Laune seines Freundes nicht enthalten.

»Guter d’Artagnan,« sagte er, indem er ihm liebevoll die Hand drückte, »solltet Ihr mehr Philosoph mehr sein? Gereicht es Euch nicht zur Befriedigung, daß Ihr mir das Leben gerettet, wie Ihr dies durch Eure glückliche Ankunft mit Monk in der Stunde gethan habt, wo mich die verfluchten Anhänger des Parlaments lebendig verbrennen wollten?«

»Ah! ah!« sagte d’Artagnan, »Ihr hattet es ein wenig verdient, dieses Brennen, mein lieber Graf.«

»Wie! weil ich die Million von König Karl gerettet habe?«

»Welche Million?«

»Ah! es ist wahr. Ihr habt das nie erfahren, mein Freund; doch Ihr dürft mir deshalb nickt grollen, es war nicht mein Geheimniß. Das Wort Remember, das König Karl auf dem Schaffot aussprach . . . «

»Und das Erinnere Dich heißt.«

»Ganz richtig. Dieses Wort bedeutete: Erinnere Dich, daß eine Million in den Gewölben von Newcastle vergraben ist, und daß diese Million meinem Sohn gehört.«

»Ah! sehr gut, ich begreife. Doch was ich auch begreife, und was mir furchtbar vorkommt, ist, daß Seine Majestät König Karl II., so oft er an mich denkt, sich sagen wird: »»Das ist ein Mensch, durch dessen Schuld ich beinahe meine Krone verloren hatte. Zum Glück bin ich edelmüthig, groß, voll Geistesgegenwart gewesen.«« Dies wird von mir und von sich dieser junge Herr sagen, der in einem sehr abgetragenen Wamms in das Schloß von Blois kam und mich, seinen Hut in der Hand, fragte, ob ich ihm nicht Eintritt beim König von Frankreich verschaffen wolle.«

»D’Artagnan, d’Artagnan,« sprach Athos, seine Hand auf die Schulter des Musketiers legend, »Ihr seid nicht billig.«

»Ich habe das Recht dazu.«

»Nein, denn Ihr kennt die Zukunft nicht.«

D’Artagnan schaute seinem Freund in die Augen und lachte.

»In der That, mein lieber Athos,« sagte er, »Ihr habt herrliche Worte, die ich nur bei Euch und bei dem Herrn Cardinal Mazarin kennen lernte.«

Athos machte eine Bewegung.

»Verzeiht,« fuhr d’Artagnan lachend fort, »verzeiht, wenn ich Euch beleidige. Die Zukunft! hu! wie schön sind doch die Worte, welche versprechen, und wie füllen sie den Mund so gut in Ermanglung von etwas Anderem! Mordioux! wann werde ich, nachdem ich so Viele gefunden, welche versprachen, Einen finden, der gibt!

»Doch lassen wir das,« fuhr d’Artagnan fort. »Was macht Ihr hier, mein lieber Athos, seid Ihr Schatzmeister des Königs?«

»Wie! Schatzmeister des Königs?«

»Ja, da der König eine Million besitzt, so braucht er einen Schatzmeister. Der König von Frankreich, der ohne einen Sou ist, hat wohl seinen Oberintendanten der Finanzen, Herrn Fouquet. Es ist wahr, dagegen besitzt Herr Fouquet eine schöne Anzahl von Millionen.«

»Oh! unsere Million ist schon lange ausgegeben,« sagte Athos lachend.

»Ich begreife, sie ist in Seide, in Sammet, in Edelsteinen und in Federn aller Art und von allen Farben aufgegangen. Alle diese Prinzen und Prinzessinnen bedurften gar sehr der Schneider und der Näherinnen. Ei! Athos, erinnert Ihr Euch, was wir ausgegeben haben, um uns zu equipiren, als wir bei La Rochelle im Felde lagen, und um unsern Einzug zu Pferde zu halten? Zwei bis dreitausend Livres, bei meiner Treue; doch der Leib eines Königs ist weiter und man braucht eine Million, um den Stoff zu kaufen. Sagt, Athos, seid Ihr nicht Schatzmeister, so seid Ihr wenigstens wohl gelitten bei Hofe?«

»So wahr ich ein Edelmann bin, ich weiß es nicht,« erwiederte Athos ganz einfach.

»Ei! geht doch, Ihr solltet es nicht wissen!«

»Ich habe den König seit Dover nicht wiedergesehen.«

»Mordioux, dann hat er Euch vergessen, das ist königlich!«

»Seine Majestät hat so viel zu thun gehabt.«

»Oh!« rief d’Artagnan mit einer von jenen witzigen Grimassen, wie nur er allein sie zu machen wußte, »bei meiner Ehre, ich fange wieder an, mich in Monsignor Giulio Mazarin zu verlieben. Wie! mein lieber Athos, der König hat Euch nicht wiedergesehen?«

»Nein.«

»Und Ihr seid nicht wüthend?«

»Ich? warum? Bildet Ihr Euch etwa ein, mein lieber d’Artagnan, ich habe für den König auf diese Art gehandelt? Ich kenne ihn gar nicht, diesen jungen Mann. Ich habe den Vater vertheidigt, der einen für mich geheiligten Grundsatz vertrat, und ich habe mich zum Sohn aus Sympathie für eben diesen Grundsatz hinziehen lassen. Dieser Vater war indessen ein würdiger Cavalier, ein edler Sterblicher, wie Ihr Euch erinnern werdet.«

»Es ist wahr, ein braver, vortrefflicher Mann, der ein trauriges Leben, aber einen sehr schönen Tod hatte.«

»Wohl, mein lieber d’Artagnan, begreift: diesem König, diesem Mann von Herz, diesem Freund, meines Geistes, wenn ich so sagen darf, schwur ich in seiner letzten Stunde, treu das Geheimniß über ein vergrabenes Gut zu bewahren, das seinem Sohn zugestellt werden sollte, um ihn bei Gelegenheit zu unterstützen; der junge Mann suchte mich aus; er erzählte mir von seinem Unglück, er wußte nicht, daß ich etwas Anderes für ihn war, als eine lebendige Erinnerung an seinen Vater; ich erfüllte gegen Karl II. nur, was ich Karl l. versprochen hatte. Was liegt mir daran, ob er dankbar oder undankbar ist! Ich habe mir einen Dienst geleistet, indem ich mich von dieser Verantwortlichkeit frei machte, und nicht ihm.«

»Ich habe immer behauptet, die Uneigennützigkeit sei die schönste Sache der Welt,« sagte d’Artagnan seufzend.

»Wie! mein lieber Freund, seid Ihr nicht in derselben Lage wie ich? Wenn ich Eure Worte gut begriffen, ließet Ihr Euch durch das Unglück dieses jungen Mannes rühren; das ist noch viel schöner von Euch, als von mir, denn ich hatte eine Pflicht zu erfüllen, während Ihr dem Sohn des Märtyrers durchaus nichts schuldig waret. Ihr hattet ihm nicht den Preis für jenen kostbaren Blutstropfen zu bezahlen, den er vom Boden seines Schaffots auf meine Stirne fallen ließ. Was Euch zu handeln bewog, ist das Herz allein, das Ihr unter Eurem scheinbaren Skepticismus, unter Eurem scharfen Gespötte besitzt; ich vermuthe, Ihr habt das Vermögen eines Dieners, das Eurige Vielleicht eingesetzt, Ihr geiziger Wohlthäter, und man mißkennt Euer Opfer. Was ist daran gelegen! Wollt Ihr Planchet sein Geld zurückgeben? Ich begreife das, mein Freund, denn es geziemt sich nicht, daß ein Edelmann von einem Untergeordneten entlehnt, ohne ihm Kapital und Zinsen heimzubezahlen. Es sei! ich werde la Fère verkaufen, wenn es sein muß, oder wenn es nicht nöthig ist, einen kleinen Pachthof. Ihr bezahlt Planchet und, glaubt mir, es bleibt Korn genug für uns Beide und für Raoul auf meinen Speichern. Auf diese Art, mein Freund, werdet Ihr nur gegen Euch selbst eine Verbindlichkeit haben, und wenn ich Euch gut kenne, wird es keine geringe Befriedigung für Euren Geist sein, daß Ihr Euch sagen könnt: »»Ich habe einen König gemacht.«« Habe ich Recht?«

»Athos! Athos!« murmelte d’Artagnan träumerisch, »ich sagte Euch schon einmal, am Tag, wo Ihr predigt, werde ich in die Kirche gehen; an dem Tag, wo Ihr mir sagen werdet, es gebe eine Hölle, bekomme ich bange vor dem Rost und dem Schürhaken. Ihr seid besser als ich, oder vielmehr besser als die ganze Welt, und ich kann mir nur ein Verdienst zuerkennen, das, daß ich nicht eifersüchtig bin. Außer diesem Fehler habe ich, Gott soll mich verdammen, wie die Engländer sagen, alle andere.«

»Ich kenne Niemand, der den Werth von d’Artagnan besäße,« erwiederte Athos. »Doch wir sind nun ganz sachte zu dem Haus gekommen, das ich bewohne; wollt Ihr bei mir eintreten, mein Freund?«

»Ei! das ist die Taverne zum Hirschhorn, wie mir scheint.« sagte d’Artagnan.

»Ich gestehe, mein Freund, ich habe sie ein wenig deshalb gewählt. Ich liebe die alten Bekannten, ich setze mich gern an den Platz, wo ich ganz gelähmt von Müdigkeit, ganz von der Verzweiflung ergriffen niedersank, als Ihr am 31. Januar Abends zurückkamet.«

»Nachdem ich die Wohnung des verkleideten Henkers entdeckt hatte? Ja, das war ein furchtbarer Tag.«

»Kommt also,« sagte Athos.

Sie traten in die einst gemeinschaftliche Stube ein. Die Taverne im Allgemeinen und diese Stube insbesondere hatten große Veränderungen erlitten. Der ehemalige Wirth der Musketiere, der für einen Gastgeber ziemlich reich geworden war, hatte seine Schenke geschlossen und aus der erwähnten Stube eine Niederlage für Colonialwaaren gemacht. Das übrige Haus vermiethete er meublirt an Fremde.

Mit unsäglicher Gemüthsbewegung erkannte d’Artagnan die ganze Ausstattung des Zimmers im ersten Stock wieder: das Täfelwerk, die Tapeten und sogar die Landkarte, welche Porthos mit so viel Liebe in seinen Mußestunden studirte.

»Es sind elf Jahre,« rief d’Artagnan, »und es ist mir, als wäre es ein Jahrhundert.«

»Und mir, als wäre es ein Tag,« sprach Athos. »Seht Ihr, welche Freude es mir bereitet, mein Freund, zu denken, daß ich Euch hier habe, daß ich Eure Hand drücke, daß ich weit von mir weg Degen und Dolch werfen, daß ich ohne Mißtrauen diese Flasche Xeres berühren kann. Oh! diese Freude vermöchte ich Euch nur auszudrücken, wenn unsere beiden Freunde hier wären, hier an den zwei Ecken dieses Tisches, und wenn Raoul, mein vielgeliebter Raoul, auf der Schwelle mit seinen großen, so glänzenden und so sanften Augen uns zuschauen würde.«

»Ja, ja,« sprach d’Artagnan sehr bewegt, »das ist wahr. Ich billige besonders den ersten Theil Eures Gedankens: es ist süß, da zu lächeln, wo wir so mit Recht schauerten, wenn wir bedachten, jeden Augenblick könnte Herr Mordaunt auf der Treppe erscheinen.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre, und d’Artagnan, so brav er war, konnte sich einer leichten Bewegung des Schreckens nicht erwehren.

Athos begriff ihn und sagte lächelnd:

»Es ist unser Wirth, der mir einen Brief bringt.«

»Ja, Mylord,« sagte der gute Bürgersmann, »ich bringe in der That Eurer Herrlichkeit einen Brief.«

»Ich danke,« sprach Athos und nahm den Brief, ohne ihn anzuschauen. »Sagt mir, mein lieber Wirth, erkennt Ihr diesen Herrn nicht?«

Der Greis hob den Kopf in die Höhe und schaute d’Artagnan aufmerksam an.

»Nein,« erwiederte er.

»Es ist einer von den Freunden, von denen ich gesprochen habe; er wohnte vor elf Jahren mit mir hier!«

»Oh! es haben so viele Fremde hier gewohnt!«

»Ja, aber wir haben am 31. Januar 1641 hier gewohnt,« fügte Athos bei, der durch diese Erläuterung das träge Gedächtniß des Wirthes aufzustacheln glaubte.

»Es ist möglich,« erwiederte der Wirth lächelnd, »doch das ist schon so lange her.«

Er verbeugte sich und ging hinaus.

»Ich danke,« sprach d’Artagnan, »verrichtet Thaten, führt Revolutionen aus, versucht es, Euren Namen in Stein oder in Erz mit mächtigen Schwertern zu graben, es gibt etwas, was rebellischer, härter, vergeßlicher ist als das Eisen, das Erz und der Stein, das ist der gealterte Schädel eines Wirthes, der in seinem Gewerbe reich geworden; er erkennt mich nicht mehr! ich hätte ihn wahrhaftig wiedererkannt.«

Lächelnd entsiegelte Athos den Brief.

»Ah!« sagte er, »ein Brief von Parry.«

»Oho!« rief d’Artagnan, »lest, mein Freund, lest, er enthält ohne Zweifel etwas Neues.«

Athos schüttelte den Kopf und las:

»Herr Graf,

»Den König hat es sehr betrübt, daß er Euch heute bei seinem Einzug nicht in seiner Nähe sah; Seine Majestät beauftragt mich, dies Euch zu melden und sie in Euer Gedächtniß zurückzurufen. Seine Majestät wird Eure Ehren diesen Abend zwischen zehn und elf Uhr im Palast von Saint-James erwarten.

»Ich bin mit aller Ehrfurcht, Herr Graf, Eurer Ehren

»unterthäniger und gehorsamer Diener

»Parry.«

»Ihr seht, mein lieber d’Artagnan. »man darf an dem Herzen der Könige nicht verzweifeln.«

»Verzweifelt nicht daran, Ihr habt Recht,« erwiederte d’Artagnan.

»Oh! theurer, lieber Freund,« sagte Athos, dem die unmerkliche Bitterkeit von d’Artagnan nicht entgangen war, »verzeiht. Sollte ich, ohne es zu wollen, meinen besten Kameraden verletzt haben?«

»Ihr seid ein Narr, Athos, und zum Beweis werde ich Euch bis ins Schloß, das heißt, bis an die Thüre begleiten, das ist ein Spaziergang für mich,«

»Ihr geht mit mir hinein, mein Freund, ich will Seiner Majestät sagen . . . «

»Laßt das!« unterbrach ihn d’Artagnan mit einer Mischung von wahrem und falschem Stolz; »wenn es etwas Schlimmeres gibt, als selbst zu lügen, so ist es, durch Andere lügen zu lassen. Brechen wir auf, mein Freund, der Spaziergang wird herrlich sein; ich zeige Euch im Vorübergehen das Haus von Herrn Monk, der mich bei sich aufgenommen hat. Meiner Treue, ein schönes Haus! Wißt Ihr, in England General sein trägt mehr ein, als in Frankreich Marschall sein.«

Athos ließ sich ganz traurig über diese Heiterkeit, welche d’Artagnan heuchelte, wegführen.

Die ganze Stadt war in freudiger Aufregung; die zwei Freunde stießen sich jeden Augenblick an Enthusiasten, welche sie in ihrer Trunkenheit aufforderten: Es lebe König Karl! zu rufen. D’Artagnan antwortete durch ein Knurren und Athos durch ein Lächeln. Sie kamen so bis zu dem Hause von Monk, an welchem man wirklich vorüber mußte, um zum Palast von Saint-James zu gelangen.

Athos und d’Artagnan sprachen wenig unter Weges, gerade weil sie, wenn sie gesprochen hätten, sich zu viel zu sagen gehabt haben würden. Athos dachte, wenn er spräche, würde es den Anschein haben, als offenbarte er Freude, und diese Freude könnte d’Artagnan verletzen. Dieser befürchtete seinerseits, wenn er spräche, eine gewisse Bitterkeit durchblicken zu lassen, welche ihn für Athos lästig machen könnte. Es fand ein seltsamer Wetteifer des Stillschweigens zwischen der Zufriedenheit und der bösen Laune statt. D’Artagnan gab zuerst dem Jucken nach, das er gewöhnlich an seiner Zungenspitze fühlte.

»Athos,« sagte er, »Ihr erinnert Euch der Stelle in den Denkwürdigkeiten von d’Aubigné, wo der treue Diener, ein Gascogner wie ich, arm wie ich und, ich hatte beinahe gesagt, brav wie ich, von den Knausereien von Heinrich IV. erzählt? Mein Vater sagte mir immer, wie ich mich erinnere, Herr d’Aubigné sei ein Lügner; doch seht selbst, wie alle Prinzen, welche vom großen Heinrich abstammen, diesen nachahmten.«

»Ach! geht doch, d’Artagnan, die Könige von Frankreich geizig? Ihr seid ein Narr, mein Freund.«

»Oh! Ihr gesteht nie die Fehler Anderer zu, Ihr, der Ihr vollkommen seid. Doch in der That, Heinrich IV. war geizig. Ludwig XIII., sein Sohn, war es ebenfalls; nicht wahr, wir wissen etwas davon zu erzählen? Gaston trieb diesen Fehler bis zum Uebermaß und zog sich in dieser Hinsicht den Haß von Allem zu, was ihn umgab. Henriette, die arme Frau! hat wohl daran gethan, geizig zu sein, sie, die nicht jeden Tag aß, sie, die sich nicht jedes Jahr wärmte, und sie hat dadurch ein Beispiel ihrem Sohn Karl II., dem Enkel des großen Heinrich IV., gegeben, der geizig ist wie seine Mutter und wie sein Großvater. Sprecht, habe ich die Genealogie der Geizigen gut aufgesagt?«

»D’Artagnan, mein Freund,» rief Athos, »Ihr seid sehr hart gegen das Adlergeschlecht, das man die Bourbonen nennt.«

»Und ich vergaß das Schönste! . . . den andern Enkel des Bearners, Ludwig XIV., meinen Exherrn. Doch der ist hoffentlich geizig, da er seinem Bruder Karl nicht eine Million leihen wollte! Ah! ich sehe, Ihr ärgert Euch. Zum Glück sind wir bei meinem Haus, oder vielmehr bei dem von meinem Freunde Monk.«

»Lieber d’Artagnan, Ihr ärgert mich nicht, Ihr betrübt mich: es ist in der That grausam, einen Mann von Verdienst neben der Stellung zu sehen, die seine Verdienste ihm hätten verschaffen müssen; mir scheint, Euer Name, theurer Freund, ist so strahlend als die schönsten Namen des Kriegs und der Diplomatie. Sagt mir, ob die Luynes, ob die Bellegarde, ob die Bassompierre wie wir Glück und Ehre verdienten; Ihr habt Recht, hundertmal Recht, mein Freund.«

D’Artagnan seufzte und ging seinem Freund unter die Vorhalle des Hauses von Monk voran, der mitten in der City wohnte.

»Erlaubt,« sprach er, »ich lasse meine Börse zu Hause; denn wenn unter dem Gedränge die geschickten Spitzbuben von London, die man sogar in Paris so sehr rühmt, mir den Rest meiner armseligen Thaler stehlen würden, so könnte ich nicht mehr nach Frankreich zurückkehren. So zufrieden ich aber von Frankreich weggegangen bin, so freudetrunken kehre ich dahin zurück, insofern sich alle meine früheren Vorurtheile gegen Frankreich in Begleitung von vielen andern wieder in mir festgestellt haben.«

Athos antwortete nichts.

»Habt also einen Augenblick Geduld, und ich folge Euch,« sagte d’Artagnan; »ich weiß wohl, daß es Euch drängt, dorthin zu gehen, um Eure Belohnung in Empfang zu nehmen; doch glaubt mir, es drängt mich nicht minder, mich an Eurer Freude, wenn auch nur von ferne, zu weiden . . . Erwartet mich also.«

D’Artagnan schritt durch das Vorhaus, als ein Mensch, halb Diener, halb Soldat, der bei Monk die Functionen eines Portier und einer Wache versah, unsern Musketier anhielt und in englischer Sprache zu ihm sagte:

»Verzeiht, Mylord d’Artagnan.«

»Nun, was gibt es?« fragte dieser; »verabschiedet mich der General auch vollends? Es fehlte mir nur noch, daß ich von ihm ausgetrieben würde!«

Französisch gesprochen, brachten diese Worte nicht den geringsten Eindruck auf denjenigen hervor, an den sie gerichtet waren, denn dieser sprach nur ein mit dem rauhsten Schottisch vermischtes Englisch. Doch Athos wurde schmerzlich davon ergriffen, denn d’Artagnan fing an auszusehen, als ob er Recht hätte.

Der Engländer zeigte d’Artagnan einen Brief und sprach:

»From the general.«

»Gut, das ist es; mein Abschied,« sagte der Gascogner. »Soll ich es lesen, Athos?«

»Ihr täuscht Euch nothwendig, oder ich kenne keine ehrlichen Leute mehr außer Euch und mir,« erwiederte Athos.

D’Artagnan zuckte die Achseln und entsiegelte den Brief, während der Engländer ihm ganz unempfindlich, damit er durch das Licht beim Lesen unterstützt würde, eine Laterne vorhielt.

»Nun! was habt Ihr?« fragte Athos, als er die plötzliche Veränderung in den Gesichtszügen des Lesers wahrnahm.

»Nehmt und lest selbst,« sprach der Musketier.

Athos nahm das Papier und las:

»Herr d’Artagnan, der König bedauert es sehr lebhaft, daß Ihr nicht mit seinem Zuge nach Saint Pauls gekommen seid. Seine Majestät sagt, Ihr habet ihr gefehlt, wie Ihr auch mir gefehlt habt, lieber Kapitän. Es gibt nur ein Mittel, dies Alles gut zu machen. Seine Majestät erwartet mich um neun Uhr im Palast von Saint James; wollt Ihr Euch zugleich mit mir dort einfinden? Seine allergnädigste Majestät bestimmt Euch diese Stunde zur Audienz, die sie Euch bewilligt.«

Der Brief war von Monk.

Der Graf von Bragelonne

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