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Siebentes bis Zehntes Bändchen
XI.
Der König

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Als die erste Bewegung des Erstaunens vorüber war, las d’Artagnan noch einmal das Billet von Athos und sagte dann:

»Es ist seltsam, daß mich der König rufen läßt.«

»Warum?« entgegnete Raoul, »glaubt Ihr nicht, der König müsse den Verlust eines Dieners, wie Ihr seid, bedauern?«

»Hoho!« rief der Officier lachend, »wie kommt Ihr mir vor, Meister Raoul? Wenn der König meinen Verlust bedauert hätte, so würde er mich nicht haben gehen lassen. Nein, nein, ich sehe darin etwas Besseres oder Schlimmeres, wenn Ihr wollt.«

»Schlimmeres! was denn, Herr Ritter?«

»Du bist jung, Du bist vertrauensvoll, Du bist bewunderungswürdig . . . Wie gerne möchte ich noch so sein, wie Du! Vierundzwanzig Jahre alt, die Stirne glatt, und das Gehirn leer von Allem, wenn nicht von Frauen, von Liebe, oder von guten Absichten. Oh! Raoul, so lange Du nicht das Lächeln der Könige und die Vertraulichkeiten der Königinnen empfangen hast, so lange nicht unter Dir zwei Cardinäle, wovon der eine ein Tiger, der andere ein Fuchs, getödtet worden sind, so lange dies nicht geschehen ist . . . Doch wozu alle diese Albernheiten, wir müssen uns trennen, Raoul.«

»Wie Ihr mir das sagt! welche ernste Miene!«

»Ei! die Sache lohnt sich wohl der Mühe . . . Höre mich an, ich habe Dir einen schönen Auftrag zu geben.«

»Ich höre, lieber Herr d’Artagnan.«

»Du wirst Deinen Vater von meiner Abreise in Kenntniß setzen.«

»Ihr reist ab?«

»Bei Gott . . . Du sagst ihm, ich sei nach England gegangen, und bewohne mein kleines Lusthaus.«

»Nach England! Ihr! . . . Und die Befehle des Königs?«

»Du kommst mir immer naiver vor: Du bildest Dir ein, ich werde mich nur so in den Louvre begeben und zur Verfügung dieses gekrönten Wölfleins stellen!«

»Wölflein! der König! Aber, Herr Chevalier, Ihr seid verrückt.«

»Ich bin im Gegentheil nie so vernünftig gewesen, Du weißt also nicht, was dieser würdige Sohn von Ludwig dem Gerechten mit mir machen will? Mordioux! das ist Politik . . . Siehst Du, er will mich ganz einfach in die Bastille stecken lassen.«

»Aus welchem Grund!« rief Raoul erschrocken über das, was er hörte.

»Aus dem Grund, daß ich ihm eines Tags in Blois gesagt habe . . . Ich bin lebhaft gewesen, er erinnert sich dessen.«

»Was habt Ihr denn gesagt?«

»Er sei ein Knauser, ein Hasenherz, ein Einfaltspinsel.«

»Ah! mein Gott . . . « rief Raoul, »ist es möglich, daß solche Worte aus Eurem Munde gekommen sind?«

»Ich gebe Dir vielleicht nicht den Buchstaben meiner Rede, aber ich gebe Dir wenigstens den Sinn derselben.«

»Der König hätte Euch doch wohl auf der Stelle verhaften lassen?«

»Durch wen? Ich commandirte die Musketiere, er hätte mir müssen den Befehl geben, mich ins Gefängnis zu führen, und dazu hätte ich nie eingewilligt, . . . ich wäre mir selbst widerstanden . . . Und dann bin ich nach England gegangen, und somit kein d’Artagnan mehr . . . Heute ist der Cardinal todt, oder beinahe todt. Man weiß, daß ich in Paris bin, und will mich packen.«

»Der Cardinal war also Euer Beschützer?«

»Der Cardinal kannte mich; er wußte von mir gewisse besondere Umstände, ich wußte von ihm gewisse Umstände: wir schätzten uns gegenseitig . . . Und dann wird er, indem er dem Teufel seine Seele überantwortete, Anna von Oesterreich gerathen haben, mich an einem sichern Ort wohnen zu lassen. Suche also Deinen Vater auf, erzähle ihm die Sache, und Gott befohlen!«

»Mein lieber Herr d’Artagnan,« sprach Raoul ganz bewegt, als er durch das Fenster geschaut hatte, »Ihr könnt nicht einmal mehr fliehen.«

»Warum denn?«

»Weil unten ein Officier von den Schweizern ist, der auf Euch wartet.«

»Nun!«

»Nun! er wird Euch verhaften.«

D’Artagnan brach in ein homerisches Gelächter aus.

»Oh! ich weiß wohl, daß Ihr Widerstand leisten, daß Ihr mit ihm kämpfen, daß Ihr Sieger sein werdet; aber das ist Aufruhr, und Ihr seid selbst Officier und wißt, was die Disciplin bedeutet.«

»Teufelskind! wie erhaben, wie logisch das ist!« brummte d’Artagnan.

»Nicht wahr, Ihr billigt meine Ansicht?«

»Ja. Statt durch die Straße zu gehen, wo dieser einfältige Tropf auf mich wartet, mache ich mich ganz einfach durch das Hinterhaus aus dem Staub. Ich habe ein Pferd im Stall; es ist gut; ich reite es zu Tode . . . meine Mittel erlauben es, und indem ich von Station zu Station ein Pferd zu Tode reite, komme ich in elf Stunden nach Boulogne; ich weiß den Weg . . . Sage Deinem Vater nur noch Eines.«

»Was?«

»Daß das Bewußte mit Ausnahme eines Fünftels bei Planchet angelegt sei, und daß . . . «

»Aber, mein lieber Herr d’Artagnan, nehmt Euch in Acht, wenn Ihr flieht, wird man Zweierlei sagen . . . «

»Was?«

»Einmal, daß Ihr Angst gehabt habet.«

»Wer wird das sagen?«

»Der König zu allererst.«

»Nun wohl! . . . er wird die Wahrheit sagen, denn ich habe Angst.«

»Sodann, daß Ihr Euch schuldig fühltet.«

»Schuldig?«

»Der Verbrechen, die man Euch wird zur Last legen wollen.«

»Das ist abermals wahr . . . Und dann räthst Du mir, mich in die Bastille stecken zu lassen?«

»Der Herr Graf de la Fère würde es Euch rathen wie ich.«

»Ich weiß es, bei Gott! wohl,« sagte d’Artagnan träumerisch; »Du hast Recht, ich werde nicht fliehen. Doch wenn man mich in die Bastille wirft?«

»Wir bringen Euch wieder heraus,« sprach Raoul mit ruhiger Miene.

»Mordioux!« rief d’Artagnan, indem er seine Hand ergriff, »Du hast das auf eine wackere Art gesagt, Raoul: das ist ganz rein Athos. Nun wohl! ich gehe. Vergiß mein letztes Wort nicht.«

»Mit Ausnahme eines Fünftels,« sagte Raoul.

»Ja. Du bist ein hübscher Junge, und Du sollst Letzterem noch etwas beifügen.«

»Sprecht.«

»Daß, wenn Ihr mich nicht aus der Bastille herausbringt und ich darin sterbe . . . Oh! man hat das gesehen . . . Und ich wäre ein abscheulicher Gefangener, ich, der ich ein leidlicher Mensch war . . . In diesem Fall schenke ich drei Fünftel Dir, und das vierte Deinem Vater.«

»Chevalier!«

»Mordioux! wenn Ihr mir wollt Messen lesen lassen, so steht es Euch frei.«

Nach diesen Worten nahm d’Artagnan das Wehrgehänge vom Haken, gürtete ein Schwert um, ergriff einen Hut, dessen Feder frisch war, und reichte die Hand Raoul, der sich bewegt in seine Arme warf.

Sobald er in der Bude war, schaute er die Ladenbursche an, welche die Scene mit einem Stolz, in den sich Unruhe mischte, betrachteten; dann tauchte er die Hand in eine Kiste, worin kleine Korinthen, und ging auf den Officier zu, der philosophisch vor der Ladenthüre wartete.

»Diese Züge! . . . Seid Ihr es, Herr von Friedisch,« rief heiter der Musketier, den Jargon des Schweizers nachahmend. »Ei! ei! wir verhaften also unsere Freunde?«

»Ich bin es,« erwiederte der Schweizer mit seinem harten Accent. »Guten Morgen, Herr d’Artagnan.«

»Soll ich Euch meinen Degen geben? Ich sage Euch zum Voraus, daß er lang und schwer ist. Laßt ihn mir bis zum Louvre, ich bin ganz dumm, wenn ich auf der Straße keinen Degen habe, und Ihr wäret noch dümmer als ich, wenn Ihr zwei hättet.«

»Der König hat nichts davon gesagt,« entgegnete der Schweizer; »behaltet also Euren Degen.«

»Ei! das ist sehr artig vom König. Gehen wir geschwinde.«

Herr von Friedisch war kein Schwätzer, und d’Artagnan hatte zu viel zu denken, um es zu sein. Vom Laden von Planchet bis zum Louvre war die Entfernung nicht groß, und man kam in zehn Minuten an Ort und Stelle. Es war Nacht.

Herr von Friedisch wollte durch das Pförtchen eintreten.

»Nein,« sagte d’Artagnan, »Ihr würdet dadurch Zeit verlieren: wählt die kleine Treppe.«

Der Schweizer that, was ihm d’Artagnan empfahl, und führte ihn in die Flur des Cabinets von Ludwig XIV.

Hier angelangt, verbeugte er sich vor seinem Gefangenen und kehrte, ohne etwas zu sagen, an seinen Posten zurück.

D’Artagnan hatte nicht Zeit gehabt, sich zu fragen, warum man ihm seinen Degen nicht abnehme, als die Thüre des Cabinets sich öffnete und ein Kammerdiener: »Herr d’Artagnan!« rief.

Der Musketier nahm seine Paradehaltung an, und trat, das Auge weit geöffnet, die Stirne ruhig, den Schnurrbart starr, ein.

Der König saß an seinem Tisch und schrieb.

Er ließ sich nicht stören, als der Tritt des Musketiers auf dem Boden erscholl. Er wandte nicht einmal den Kopf um, D’Artagnan ging bis in die Mitte des Saals und drehte, da er wahrnahm, daß der König ihm gar keine Aufmerksamkeit schenkte, und da er zugleich einsah, daß dies Affectation, eine Art von ärgerlichem Eingang zu der Erklärung war, die sich vorbereitete, dem Fürsten den Rücken zu und fing an mit allen seinen Augen die Fresken vom Karnieß und die Sprünge am Plafond zu beschauen.

Dieses Manoeuvre war von einem kleinen stillschweigenden Monolog begleitet:

»Ah! Du willst mich demüthigen, Du, den ich ganz klein gesehen habe, Du, den ich wie mein Kind gerettet. Du, dem ich wie einem Gott gedient habe . . . das heißt umsonst . . . Warte, warte. Du wirst sehen, was ein Mann vermag, der dem Cardinal, dem wahren Cardinal, das Hugenotten-Lied ins Gesicht gepfiffen hat!«

Ludwig XIV. wandte sich in diesem Augenblick um und fragte:

»Ihr seid da, Herr d’Artagnan?«

D’Artagnan sah die Bewegung, ahmte sie nach und antwortete:

»Zu Besehen, Sire.«

»Gut; wollt warten, bis ich addirt habe.«

D’Artagnan verbeugte sich, ohne etwas zu erwiedern:

»Das ist ziemlich höflich und ich habe nichts dagegen zu bemerken,« dachte er.

Ludwig machte ungestüm einen Federzug und warf dann seine Feder zornig weg.

»Gut, ärgere Dich, um in den Zug zu kommen,« dachte der Musketier, »Du wirst es mir bequem machen; es ist auch gut, daß ich damals in Blois mein Herz nicht ganz ausgeleert habe.«

Ludwig stand auf und fuhr mit der Hand über die Stirne: dann blieb er vor d’Artagnan stehen und schaute ihn mit einer zugleich gebieterischen und wohlwollenden Miene an.

»Nun, was will er denn von mir? er mache ein Ende!« dachte der Musketier.

»Mein Herr,« sprach der König, »Ihr wißt ohne Zweifel, daß der Herr Cardinal gestorben ist?«

»Ich vermuthe es, Sire.«

»Ihr wißt folglich, daß ich Herr in meinem Hause bin.«

»Das ist nichts, was sich vom Tod des Cardinals datirt, Sire: man ist immer Herr in seinem Hause, wenn man will.«

»Ja, aber Ihr erinnert Euch alles dessen, was Ihr mir in Blois gesagt habt?«

»Nun sind wir dabei,« dachte d’Artagnan; »ich täuschte mich nicht. Ah! desto besser, das ist ein Zeichen, daß ich noch einen ziemlich guten Geruch habe.«

»Ihr antwortet mir nicht,« sagte Ludwig.

»Sire, ich glaube mich zu erinnern.«

»Ihr glaubt nur?«

»Es ist schon lange her.«

»Wenn Ihr Euch nicht mehr erinnert, so will ich Euer Gedächtniß auffrischen. Ihr habt mir Folgendes gesagt, hört wohl.«

»Oh! Sire, ich höre mit allen meinen Ohren, denn das Gespräch wird wahrscheinlich eine interessante Wendung für mich nehmen.«

Ludwig schaute den Musketier noch einmal an; dieser streichelte die Feder seines Hutes, dann seinen Schnurrbart, und wartete unerschrocken.

Ludwig XIV. fuhr fort:

»Ihr habt meinen Dienst verlassen, mein Herr, nachdem Ihr mir die volle Wahrheit gesagt?«

»Ja, Sire.«

»Nämlich, nachdem Ihr mir Alles erklärt, was Ihr über meine Denk- und Handlungsmeise für wahr hieltet. Das ist immerhin ein Verdienst. Ihr finget damit an, daß Ihr mir sagtet, Ihr dientet meiner Familie seit vierunddreißig Jahren, und wäret müde.«

»Das habe ich gesagt, Sire.«

»Und Ihr gestandet sodann, diese Müdigkeit sei nur ein Vorwand, und die Unzufriedenheit sei die wirkliche Ursache.«

»Ich war in der That unzufrieden; doch diese Unzufriedenheit hat sich nirgends, daß ich wüßte, verrathen, und wenn ich als ein Mann von Herz laut vor Eurer Majestät sprach, so dachte ich nicht einmal einem Andern gegenüber.«

»Entschuldigt Euch nicht, Herr d’Artagnan, und hört mich weiter an. Als Ihr mir den Vorwurf machtet, Ihr wäret unzufrieden, erhieltet Ihr als Antwort ein Versprechen; ich sagte Euch: »»Wartet!«« Ist das wahr?«

»Ja, Sire, wahr wie das, was ich Euch sagte.«

»Ihr antwortetet mir: »»Später? nein. Sogleich, gut! . . . «« Entschuldigt Euch nicht, sage ich Euch . . . das war natürlich; doch Ihr hattet kein Mitleid mit Eurem Fürsten, Herr d’Artagnan.«

»Sire . . . Mitleid! mit einem König, von Seiten eines armen Soldaten!«

»Ihr versteht mich nicht: Ihr wißt wohl, daß ich dessen bedurfte; Ihr wißt, daß ich nicht der Herr war: Ihr wißt, daß ich die Zukunft in Aussicht hatte: Ihr antwortetet mir aber, als ich von dieser Zukunft sprach: »»Meinen Abschied, auf der Stelle!««

D’Artagnan biß sich auf den Schnurrbart und murmelte:

»Das ist wahr.«

»Ihr habt mir nicht geschmeichelt, als ich in der Noth war,« fügte Ludwig XIV. bei.

»Sire,« sprach d’Artagnan, voll Adel das Haupt erhebend, »wenn ich Eurer Majestät nicht geschmeichelt habe, als sie arm war, so habe ich sie doch auch nicht verrathen; ich habe mein Blut umsonst vergossen; ich habe wie ein Hund vor der Thüre gewacht, während ich wohl wußte, daß man mir weder Brod noch Knochen zuwerfen würde. Ebenfalls arm, habe ich nichts verlangt als den Abschied, von dem Eure Majestät spricht.«

»Ich weiß, daß Ihr ein braver Mann seid. Doch ich war ein junger Mensch, und Ihr mußtet mich schonen . . . Was hattet Ihr dem König vorzuwerfen? Daß er Karl II. ohne Beistand ließ? Sagen wir mehr, daß er Fräulein von Mancini nicht heirathete?«

Während der König diese Worte sprach, heftete er einen tiefen Blick auf den Musketier.

»Ah! ah!« dachte der Letztere, »er erinnert sich nicht nur, er erräth . . . Teufel!«

»Euer Urtheil.« fuhr Ludwig XIV. fort, »betraf den König und betraf den Menschen . . . Aber Herr d’Artagnan, diese Schwäche, denn Ihr betrachtet das als eine Schwäche!«

D’Artagnan antwortete nicht.

»Ihr warft sie mir auch in Beziehung auf den verstorbenen Herrn Cardinal vor; der Herr Cardinal hat, indem er mich aufzog, unterstützte, allerdings sich selbst unterstützt, aber die Wohlthat bleibt am Ende immer eine Wohlthat . . . und hättet Ihr mich, wenn ich undankbar, selbstsüchtig gewesen wäre, mehr geliebt, hättet Ihr mir eher und besser gedient?«

»Sire . . . «

»Sprechen wir nicht mehr hiervon, mein Herr; es würde bei Euch zu viel Bedauern, bei mir zu viel Pein verursachen.«

D’Artagnan war nicht überzeugt. Indem der junge König gegen ihn einen stolzen Ton annahm, beschleunigte er seine Angelegenheiten nicht.

»Ihr habt seitdem überlegt?« sagte Ludwig XIV.

»Was, Sire?« fragte d’Artagnan mit höflichem Ton.

»Alles, was ich Euch sagte, mein Herr.«

»Ja, Sire . . . allerdings.« »Und Ihr habt nur auf eine Gelegenheit gewartet, um auf Eure Worte zurückzukommen?«

Sire . . . «

»Ihr zögert, wie mir scheint . . . «

»Ich begreife nicht ganz, was Eure Majestät zu sagen mir die Ehre erweist.«

Ludwig faltete die Stirne.

»Wollt mich entschuldigen, Sire; ich habe einen besonders dicken Schädel. Die Dinge dringen nur schwer ein; es ist wahr, wenn sie einmal eingegangen sind, bleiben sie darin.«

»Ja, Ihr scheint mir Gedächtniß zu haben.«

»Beinahe ebenso viel, als Eure Majestät.«

»Dann gebt mir schnell eine Lösung . . . Meine Zeit ist kostbar . . . Was macht Ihr, seitdem Ihr den Abschied habt?«

»Mein Glück, Sire.«

»Das Wort ist hart, Herr d’Artagnan.«

»Eure Majestät nimmt es sicherlich von der schlimmen Seite. Ich hege für den König nur die tiefste Ehrfurcht, und wäre ich unhöflich, was sich durch mein langes Leben in Feldlagern und in den Kasernen entschuldigen läßt, so steht Eure Majestät zu hoch über mir, um sich durch ein einem Soldaten unschuldig entschlüpftes Wort beleidigt zu fühlen.«

»In der That, ich weiß, daß Ihr in England eine glänzende Handlung vollbracht habt, und ich bedaure nur, daß Ihr Eurem Versprechen ungetreu geworden seid.«

»Ich?« rief d’Artagnan.

»Allerdings . . . Ihr habt mir Euer Wort verpfändet, daß Ihr, meinen Dienst verlassend, keinem andern Fürsten mehr dienen werdet . . . Ihr habt aber für König Karl II. an der wunderbaren Entführung von Herrn Monk gearbeitet.«

»Verzeiht, Sire, für mich.«

»Das ist Euch gelungen?«

»Wie den Kapitänen des fünfzehnten Jahrhunderts die Handstreiche und die Abenteuer.«

»Was nennt Ihr ein Gelingen? ein Glück?«

»Hunderttausend Thaler, Sire, die ich besitze: das ist in einer Woche das Dreisache von Allem, was ich in fünfzig Jahren an Geld gehabt habe.«

»Die Summe ist hübsch . . . Doch Ihr seid, wie ich glaube, ehrgeizig?«

»Sire, der vierte Theil kam mir als ein Schatz vor, und ich schwöre Euch, daß ich mein Vermögen nicht zu vermehren gedenke.«

»Ah! Ihr gedenkt müßig zu bleiben?«

»Ja, Sire.«

»Den Degen niederzulegen?«

»Das ist schon geschehen.«

»Unmöglich, Herr d’Artagnan,« sprach Ludwig entschlossen.

»Aber, Sire . . . «

»Nun?«

»Warum?«

»Weil ich nicht will!«, sagte der junge Fürst mit so ernstem, so gebieterischem Ton, daß d’Artagnan eine Bewegung des Erstaunens, der Unruhe sogar machte.

»Wird mir Eure Majestät ein Wort der Erwiederung erlauben?«

»Sprecht.«

»Diesen Entschluß faßte ich, als ich noch arm und entblößt war.«

»Es mag sein. Hernach?«

»Würde mich nun Eure Majestät heute, da ich mir durch meine Thätigkeit einen sichern Wohlstand erworben habe, meiner Freiheit berauben, so würde sie mich zum Mindesten verurtheilen, da ich das Meiste gewonnen habe.«

»Mein Herr, wer hat Euch erlaubt, meine Absichten zu ergründen und mit mir zu rechnen?« sprach Ludwig beinahe mit zornigem Ton; »wer hat Euch gesagt, was ich thun werde, was Ihr selber thun werdet?«

»Sire,« erwiederte ruhig der Musketier, »die Offenherzigkeit ist nach dem, was ich sehe, nicht mehr auf der Ordnung des Gesprächs, wie an dem Tag, wo wir uns in Blois erklärten.«

»Nein, mein Herr, Alles hat sich verändert.«

»Ich drücke Eurer Majestät hierüber meine aufrichtigen Glückwünsche aus, aber . . . «

»Aber Ihr glaubt es nicht.«

»Ich bin kein großer Staatsmann, doch ich habe meinen Blick für die Angelegenheiten; es fehlt mir nicht an Sicherheit; ich sehe aber die Dinge nicht ganz so an, wie Eure Majestät. Die Regierung von Mazarin ist zu Ende, doch die der Finanzmänner beginnt, Sie haben Geld. Eure Majestät muß nicht oft haben. Unter der Tatze dieser hungerigen Wölfe zu leben, ist hart für einen Mann, der auf Unabhängigkeit rechnet.«

In diesem Augenblick kratzte Jemand an der Thüre des Cabinets; der König erhob stolz den Kopf und sprach:

»Verzeiht, Herr d’Artagnan, es ist Herr Colbert, der mir einen Bericht erstatten will. Kommt herein, Herr Colbert.«

D’Artagnan trat zurück. Colbert trat mit Papieren in der Hand ein und ging auf den König zu.

Es bedarf nicht der Erwähnung, daß der Gascogner diese Gelegenheit, seinen seinen, scharfen Blick auf die neue Erscheinung, die sich ihm bot, anzuwenden nicht versäumte.

»Man hat die Untersuchung vorgenommen?«

»Ja, Sire.«

»Und was ist die Meinung der Untersuchungsrichter?«

»Daß die Angeschuldigten die Confiscation und den Tod verdient haben.«

»Ah! ah!« machte der König, ohne eine Miene zu verziehen, während er einen schiefen Blick auf d’Artagnan warf.

»Und was ist Eure Ansicht, Herr Colbert?« fragte der König.

Colbert schaute d’Artagnan ebenfalls an . . . Dieses beengende Gesicht hielt das Wort auf seinen Lippen zurück, Ludwig XIV. begriff es und sagte:

»Seid unbesorgt, es ist Herr d’Artagnan: erkennt Ihr Herrn d’Artagnan nicht?«

Die zwei Männer betrachteten sich gegenseitig; d’Artagnan mit offenem und flammendem Auge, Colbert mit bedecktem, argwöhnischem Auge. Die offenherzige Unerschrockenheit des Einen mißfiel dem Andern; die listige Bedachtsamkeit des Finanzmanns mißfiel dem Soldaten.

»Ah! ah! es ist der Herr, der den schönen Streich in England vollbracht hat,« sagte Colbert, und er grüßte d’Artagnan leicht.

»Ah! ah!« sprach der Gascogner, »es ist der Herr, der das Silber an den Borten der Schweizer benagt hat . . . Eine lobenswerthe Sparsamkeit!«

Und er machte eine tiefe Verbeugung.

Der Finanzmann hatte den Musketier in Verlegenheit zu bringen geglaubt, aber der Musketier durchbrach gleichsam den Finanzmann.

»Herr d’Artagnan,« sprach der König, der alle diese Nuancen, von denen Mazarin keine einzige entgangen wäre, nicht bemerkt hatte, »es ist von Steuerpächtern die Rede, welche mich bestohlen haben; ich lasse sie aufhängen und bin im Begriff, ihr Todesurtheil zu unterzeichnen.«

D’Artagnan bebte.

»Oh! oh!« machte er.

»Was sagt Ihr?«

»Nichts, Sire, das sind nicht meine Angelegenheiten.«

Der König hielt schon die Feder in der Hand und näherte sie dem Papier.

»Sire,« sagte mit halber Stimme Colbert, »ich bemerke Eurer Majestät, daß, wenn ein Beispiel nothwendig ist, dieses Beispiel in der Vollstreckung Schwierigkeiten hervorrufen kann.«

»Wie beliebt?« fragte Ludwig XIV.

»Sire,« antwortete Colbert ruhig, »verbergt Euch nicht, daß die Steuerpächter angreifen die Oberintendanz angreifen heißt. Die zwei Unglücklichen, die zwei Schuldigen sind specielle Freunde einer mächtigen Person, und am Tag der Hinrichtung, das ist nicht zu bezweifeln, werden sich Unruhen erheben.«

Ludwig erröthete und wandte sich gegen d’Artagnan um, der sachte an seinem Schnurrbart nagte, nicht ohne ein Lächeln des Mitleids für den armen Finanzmann, sowie für den König, welcher ihn so lange anhörte.

Da ergriff Ludwig XIV. die Feder und setzte mit einer so raschen Bewegung, daß ihm die Hand zitterte, seine zwei Unterschriften unten an die Papiere, die ihm Colbert übergeben hatte; dann schaute er dem Letzteren ins Gesicht und sagte:

»Herr Colbert, wenn Ihr mir von Angelegenheiten sprecht, laßt häufig das Wort Schwierigkeit in Euren Urtheilen und Rathschlägen aus; das Wort Unmöglichkeit komme aber nie über Eure Lippen.«

Colbert verbeugte sich sehr gedemüthigt, daß er diese Lection vor dem Musketier erhalten hatte; er war im Begriff, wegzugehen, aber begierig, die erlittene Niederlage wieder gut zu machen, wandte er sich noch einmal um und sprach:

»Ich vergaß, Eurer Majestät zu melden, daß sich die Confiscationen auf fünf Millionen Livres belaufen.«

»Das ist hübsch,« dachte d’Artagnan.

»Somit belaufen sich meine Kassen?« fragte der König.

»Auf achtzehn Millionen Livres,« antwortete Colbert sich verbeugend.

»Mordioux!« brummelte d’Artagnan, »das ist schön.«

»Herr Colbert,« fügte der König bei, »ich bitte, geht durch die Gallerie, wo Herr von Lyonne wartet, und sagt ihm, er möge mir das bringen, was er auf meinen Befehl abgefaßt hat.«

»Auf der Stelle, Sire; Eure Majestät bedarf meiner diesen Abend nicht mehr?«

»Nein, mein Herr; guten Tag.«

Colbert ging hinaus.

»Kommen wir auf unsere Angelegenheit zurück,« sprach Ludwig XIV., als ob nichts vorgefallen wäre: »Ihr seht, daß, was das Geld betrifft, schon eine bedeutende Veränderung vorgegangen ist.«

»Wie von Null auf achtzehn,« erwiederte heiter der Musketier. »Ah! das hätte Eure Majestät an dem Tag haben müssen, wo Seine Majestät König Karl II. nach Blois kam. Die zwei Staaten wären heute nicht entzweit, denn ich muß sagen, auch hierin sehe ich einen Stein des Anstoßes.«

»Ah! mein Herr,« entgegnete Ludwig, »Ihr seid vor Allem ungerecht, denn wenn die Vorsehung mir an jenem Tag meinem Bruder eine Million zu geben gestattet hätte, so würdet Ihr meinen Dienst nicht verlassen und folglich nicht Euer Glück gemacht haben, wie Ihr so eben sagtet . . . Aber außer diesem habe ich ein anderes Glück gehabt, und meine Entzweiung mit Großbritannien braucht Euch nicht besorgt zu machen.«

Ein Kammerdiener unterbrach den König und meldete Herrn von Lyonne.

»Tretet ein, mein Herr,« sagte der König, »Ihr seid pünktlich, und so muß ein guter Diener sein. Laßt Euren Brief an meinen Bruder Karl II. sehen.«

D’Artagnan spitzte die Ohren.

»Einen Augenblick Geduld, mein Herr,« sagte Ludwig nachlässig zu dem Gascogner; »ich muß nach London die Einwilligung zur Heirath meines Bruders, des Herzogs von Orleans, mit Lady Henriette Stuart abgehen lassen.«

»Er schlägt mich, wie es scheint,« murmelte d’Artagnan, während der König diesen Brief unterzeichnete und dann Herrn von Lyonne entließ; »doch, meiner Treue, ich gestehe, je mehr ich geschlagen werde, desto zufriedener bin ich.«

Der König folgte mit den Augen Herrn von Lyonne, bis die Thüre hinter ihm geschlossen war; er machte sogar drei Schritte, als hätte er. seinem Minister folgen wollen. Doch nach diesen drei Schritten blieb erstehen, schwieg einige Augenblicke und kehrte dann zu dem Musketier zurück.

»Nun wollen wir rasch schließen, mein Herr,« sprach Ludwig. »Ihr sagtet mir damals in Blois, Ihr wäret nicht reich.«

»Ich bin es jetzt, Sire.«

»Ja, aber das geht mich nichts an; Ihr habt Euer Geld, nicht das meinige, das ist nicht meine Rechnung.«

»Sire, ich weiß nicht, was Eure Majestät sagen will.«

»So sprecht freiwillig, statt Euch die Worte herausziehen zu lassen. Habt Ihr genug mit zwanzigtausend Livres jährlich festen Gehalt?«

»Aber, Sire . . . « rief d’Artagnan, die Augen weit aufreißend.

»Habt Ihr genug mit vier Pferden, die man Euch liefert und unterhält. Und mit einem Zusatz von Geldern, die Ihr nach Gelegenheit und Bedürfniß verlangen möget, oder zieht Ihr eine bestimmte Summe, zum Beispiel vierzigtausend Livres vor? Antwortet.«

»Sire, Eure Majestät . . . «

»Ja, Ihr seid erstaunt, das ist ganz natürlich, und ich habe es erwartet; antwortet, oder ich muß glauben, Ihr habet nicht mehr jene Raschheit des Urtheils, die ich stets an Euch schätzte . . . «

»Es ist wahr, Sire, zwanzigtausend Livres jährlich sind eine schöne Summe; aber . . . «

»Kein aber. Ja oder nein, ist das eine anständige Entschädigung?«

»Oh! gewiß . . . «

»Ihr seid also damit zufrieden? Gut! gut! Es ist übrigens besser, Euch die Nebenkosten besonders zu bezahlen; Ihr werdet das mit Colbert abmachen. Gehen wir nun zu etwas Wichtigerem über.«

»Aber, Sire, ich sagte Eurer Majestät . . . «

»Daß Ihr ausruhen wolltet, ich weiß es wohl; nur antwortete ich Euch, ich wolle nicht . . . Ich bin der Herr, denke ich?«

»Ja, Sire.«

»Gut also. Ihr waret einst nahe daran, Kapitän der Musketiere zu werden.«

»Ja, Sire.«

»Wohl, hier ist Euer Patent unterzeichnet. Ich lege es in die Schublade. An dem Tag, wo Ihr von einer gewissen Expedition zurückkommt, die ich Euch anvertraue, nehmt Ihr dieses Patent selbst aus der Schublade.«

D’Artagnan zögerte noch und hielt seinen Kopf gesenkt.

»Ah! mein Herr,« sprach Ludwig, »wenn man Euch sieht, sollte man glauben, Ihr wisset nicht, daß der General-Kapitän der Musketiere den Vortritt vor den Marschällen von Frankreich hat.«

»Sire, ich weiß es.«

»Dann sollte man meinen, Ihr trauet meinem Wort nicht.«

Oh! Sire, glaubt nicht solche Dinge.«

»Ich wollte Euch beweisen, daß Ihr, ein so guter Diener, einen guten Herrn verloren habt: bin ich ein wenig der Herr, den Ihr braucht?«

»Ich fange an zu denken, ja, Sire.«

»Dann, mein Herr, tretet Ihr wieder in Function. Eure Compagnie ist ganz desorganisirt seit Eurer Abreise, und die Leute treiben sich müßig in den Schenken umher, wo man sich schlägt, trotz meiner Edicte und der meines Vaters. Ihr werdet den Dienst aufs Schnellste wieder organisiren.«

»Ja, Sire.«

»Ihr werdet meine Person nicht mehr verlassen.«

»Gut.«

»Und Ihr werdet mit mir zur Armee marschiren, wo Ihr um mein Zelt her lagert.«

»Sire,« sprach d’Artagnan, »um mir einen solchen Dienst aufzuerlegen, braucht mir Eure Majestät nicht zwanzigtausend Livres zu geben, die ich nicht verdiene.«

»Ihr sollt ein Haus machen, Ihr sollt Tafel geben, mein Kapitän der Musketiere soll eine Person von Ansehen sein.«

»Und ich,« sagte d’Artagnan ungestüm, »ich liebe das gefundene Geld nicht! ich will verdientes Geld! Eure Majestät gibt mir das Gewerbe eines Müssiggängers, das der Erste der Beste für viertausend Livres treiben kann.«

Ludwig XIV. lachte.

»Ihr seid ein feiner Gascogner, Herr d’Artagnan; Ihr zieht mir mein Geheimniß aus dem Herzen.«

»Bah! Eure Majestät hat also ein Geheimniß?«

»Ja, mein Herr.«

»Wohl dann nehme ich die zwanzigtausend Livres an, denn ich werde das Geheimniß bewahren, und die Verschwiegenheit hat in diesen Zeitläuften keinen Preis. Will Eure Majestät nun sprechen?«

»Ihr werdet Euch stiefeln, Herr d’Artagnan, und zu Pferde steigen.«

»Auf der Stelle?«

»Im Verlauf von zwei Tagen.«

»Gut, Sire, denn ich habe meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, ehe ich aufbreche, besonders wenn Schläge einzunehmen sind, «

»Das kann sich zeigen.«,

»Man wird sie einnehmen. Aber, Sire, Ihr habt zur Habgier, zum Ehrgeiz, Ihr habt zum Herzen von d’Artagnan gesprochen, doch Ihr habt Eines vergessen.«

»Was?«

»Ihr habt nicht zur Eitelkeit gesprochen! wann werde ich Ritter der Orden des Königs sein?«

»Das bekümmert Euch?«

»Ja. Mein Freund Athos ist ganz buntscheckig, und das blendet mich.«

»Ihr sollt Ritter meiner Orden werden, einen Monat, nachdem Ihr das Patent genommen.«

»Ah! ah!« sagte träumerisch der Officier, »nach der Expedition?«

»Ganz richtig.«

»Wohin schickt mich Eure Majestät.«

»Kennt Ihr die Bretagne?«

»Nein, Sire.«

»Habt Ihr Freunde dort?«

»In der Bretagne? Meiner Treue, nein.«

»Desto besser. Versteht Ihr Euch auf das Festungswesen?«

D’Artagnan lächelte.

»Ich glaube wohl, Sire.«

»Ihr könnt nämlich eine Festung von einer einfachen Befestigung unterscheiden, wie man sie den Schloßherren, unseren Vasallen, gestattet?«

»Ich unterscheide ein Fort von einem Wall, wie man einen Panzer von einer Pastetenkruste unterscheidet, Sire. Ist das genügend?«

»Ja, mein Herr. Ihr werdet also abreisen.«

»Nach der Bretagne?«

»Ja.«

»Allein?«

»Ganz allein, Ihr könnt nicht einmal einen Lackei mitnehmen.«

»Darf ich Eure Majestät fragen, aus welchem Grund?«

»Weil Ihr selbst wohl daran thun werdet, Euch ein wenig in einen Bedienten von gutem Haus zu verwandeln. Euer Gesicht ist sehr bekannt in Frankreich, Herr d’Artagnan.«

»Und dann, Sire?«

»Und dann werdet Ihr in der Bretagne umherspazieren und sehr sorgfältig die Festungswerke dieses Landes in Augenschein nehmen.«

»Die Küsten?«

»Auch die Inseln.«

»Ah!«

»Ihr sangt mit Belle-Isle-en-Mer an.

»Was Herrn Fouquet gehört,« sagte d’Artagnan mit ernstem Tone, indem er sein verständiges Auge zu Ludwig XIV. aufschlug.

»Ich glaube, Ihr habt Recht, mein Herr, Belle-Isle gehört in der That Herrn Fouquet.«

»Eure Majestät will also wissen, ob Belle-Isle ein guter Platz ist?«

»Ja.«

»Ob die Festungswerke neu oder alt sind?«

»Ganz richtig.«

»Ob zufällig die Vasallen des Herrn Oberintendanten zahlreich genug sind, um eine Garnison zu bilden?«

»Ihr habt die Frage ganz genau getroffen, mein Herr.«

»Und ob man nicht befestige, Sire?«

»Ihr werdet horchend und urtheilend in der Bretagne umherspazieren.«

D’Artagnan strich den Schnurrbart und sprach ganz unumwunden:

»Ich bin also Spion des Königs?«

»Nein, mein Herr.«

»Verzeiht, Sire, da ich für Rechnung Eurer Majestät spionire?«

»Ihr geht auf Entdeckung aus, mein Herr. Wenn Ihr das Schwert in der Faust an der Spitze Eurer Musketiere marschirtet, um irgend einen Ort, oder die Stellung des Feindes zu recognosciren . . . «

Bei diesem Worte zuckte d’Artagnan unmerklich.

»Würdet Ihr Euch für einen Spion halten?« fuhr der König fort.

»Nein, nein!« sagte d’Artagnan nachdenkend, »die Sache bekommt ein anderes Gesicht, wenn man den Feind recognoscirt . . . nein, man ist nur ein Soldat.

»Und wenn man Belle-Isle befestigt?« fügte er sogleich bei.

»Dann werdet Ihr einen genauen Plan von der Befestigung aufnehmen.«

»Wird man mich einlassen?«

»Das geht mich nichts an, das ist Eure Sache. Ihr habt also nicht gehört, daß ich Euch einen Zusatz von zwanzigtausend Livres jährlich, wenn Ihr wolltet, zusicherte.«

»Doch, Sire; aber wenn man nicht befestigt?«

»Dann kehrt Ihr ruhig, und ohne Euer Pferd zu ermüden, zurück.«

»Sire, ich bin bereit.«

»Ihr fangt morgen damit an, daß Ihr das erste Vierteljahr von dem Gehalt, den ich Euch aussetze, bei dem Herrn Oberintendanten erhebt. Kennt Ihr Herrn Fouquet?«

»Sehr wenig, Sire; doch ich bemerke Eurer Majestät, daß es nicht sehr dringend für mich ist, ihn zu kennen.«

»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr, denn er wird des Geld verweigern, das Ihr erheben sollt.«

»Ah!« machte d’Artagnan. »Hernach, Sire?«

»Wird das Geld verweigert, so holt Ihr es bei Herrn Colbert. Doch sagt, habt Ihr ein gutes Pferd?«

»Ein vortreffliches, Sire.«

»Wie viel habt Ihr dafür bezahlt?«

»Hundert und fünfzig Pistolen.«

»Ich kaufe es Euch ab. Hier ist eine Anweisung auf zweihundert Pistolen.«

»Aber ich brauche mein Pferd, um zu reisen.«

»Nun?«

»Nun, Ihr nehmt mir das meinige.«

»Keineswegs; ich gebe es Euch im Gegentheil. Nun, da es mir gehört und nicht mehr Euch, bin ich sicher, daß Ihr es nicht schonen werdet.«

»Eure Majestät hat also große Eile?«

»Allerdings.«

»Was zwingt mich dann, zwei Tage zu warten?«

»Mir bekannte Gründe.«

»Das ist etwas Anderes. Das Pferd kann die zwei Tage an den acht einholen, die es zu machen hat; und dann gibt es die Post.«

»Nein, nein, die Post gefährdet. Herr d’Artagnan; geht, und vergeßt nicht, daß Ihr mir gehört.«

»Sire, ich habe es nie vergessen! Um welche Stunde werde ich übermorgen von Eurer Majestät Abschied nehmen?«

»Wo wohnt Ihr?«

»Ich muß fortan im Louvre wohnen.«

»Ich will das nicht, Ihr werdet Eure Wohnung in der Stadt behalten, und ich bezahle sie. Die Abreise bestimme ich auf die Nacht, weil Ihr abreisen müßt, ohne von irgend Jemand gesehen zu werden, oder, wenn man Euch sieht, ohne daß man weiß, daß Ihr mir gehört . . . Reinen Mund, mein Herr!«

»Eure Majestät verdirbt Alles, was sie gesagt hat, durch dieses einzige Wort.«

»Ich fragte Euch, wo Ihr wohnet, denn ich kann Euch nicht immer bei dem Herrn Grasen de la Fère holen lassen.«

»Ich wohne bei Herrn Planchet, Spezereihändler, mit dem Schild zum goldenen Stößel, in der Rue des Lombards.«

»Geht wenig aus, zeigt Euch noch weniger und erwartet meine Befehle.«

»Ich muß doch das Geld erheben, Sire.«

»Das ist wahr: doch um zur Oberintendanz zu gehen, wohin so viele Menschen gehen, mischt Ihr Euch unter die Menge.«

»Es fehlen mir die Anweisungen, Sire.«

»Hier sind sie.«

Der König unterzeichnete.

D’Artagnan schaute, um sich zu überzeugen, daß die Sache in Ordnung sei.

»Das ist Geld,« sagte er, »und das Geld wird gelesen oder gezählt.«

»Guten Tag, Herr d’Artagnan,« fügte der König bei; »ich denke, Ihr habt mich wohl verstanden?«

»Ich habe verstanden, daß mich Eure Majestät nach Belle-Isle schickt.«

»Um zu erfahren?«

»Um zu erfahren, wie es mit den Arbeiten von Herrn Fouquet steht, «

»Gut, ich nehme an, Ihr werdet gefangen.«

»Ich nehme es nicht an,« erwiederte kühn der Gascogner.

»Ich nehme an, Ihr werdet getödtet,« fuhr der König fort.

»Das ist nicht wahrscheinlich, Sire.«

»Im ersten Fall sprecht Ihr nicht; im zweiten spricht kein Papier von Euch.«

D’Artagnan zuckte ohne Umstände die Achseln und nahm vom König Abschied, indem er zu sich selbst sagte:

»Der Regen von England währt fort! Bleiben wir unter der Traufe.«

Der Graf von Bragelonne

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