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Siebentes bis Zehntes Bändchen
XX.
Es lebe Colbert!

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Die Grève bot in diesem Augenblick ein furchtbares Schauspiel.

Durch die Perspective gleich gemacht, erstreckten sich die Köpfe, dicht gedrängt und beweglich, wie die Aehren auf einer großen Ebene, nach der Ferne, Von Zeit zu Zeit machte ein unbekanntes Geräusch, ein entfernter Lärmen die Köpfe schwanken und Tausende von Augen flammen.

Zuweilen fanden große Fluthungen statt. Alle diese Aehren beugten sich, wurden Wellen, beweglicher als die des Oceans, rollten von den äußersten Enden gegen den Mittelpunkt und schlugen an die Reihe der Bogenschützen, welche den Galgen umgaben.

Dann senkten sich die Stiele der Hellebarden auf den Kopf oder auf die Schultern der verwegenen Stürmer; zuweilen war es auch das Eisen statt des Holzes, und in diesem Fall entstand ein weiter leerer Kreis um die Wachen, wobei die Extremitäten ebenfalls den Druck des plötzlichen Zurückfluthens, das sie gegen die Brüstungen der Seine warf, zu erleiden hatten.

Von seinem Fenster herab, wo man den ganzen Platz überschaute, sah d’Artagnan mit innerer Zufriedenheit, daß diejenigen Musketiere und Garden, welche in der Menge eingeschlossen waren, sich durch Schläge mit der Faust oder mit dem Schwertknopf Platz zu machen wußten. Er bemerkte sogar, daß es ihnen mit Hilfe des Corpsgeistes, der die Kräfte des Soldaten verdoppelt, gelungen war, sich in einer Gruppe von ungefähr fünfzig Mann zu vereinigen, und daß, abgesehen von einem Dutzend Verirrter, die er dahin und dorthin rollen sah, der Kern vollständig und im Bereiche der Stimme war. Doch nicht allein die Musketiere und die Garden zogen die Aufmerksamkeit von d’Artagnan auf sich. Um die Galgen her und besonders bei den Zugängen der Arcade Saint-Jean bewegte sich ein geräuschvoller, zänkischer, geschäftiger Wirbel; kecke Gesichter, entschlossene Mienen hoben sich an verschiedenen Stellen unter albernen Gesichtern und gleichgültigen Mienen hervor; Zeichen wurden ausgetauscht, Hände berührten sich. D’Artagnan bemerkte in den Gruppen, und sogar in den belebtesten Gruppen das Gesicht des Reiters, den er hatte durch die Verbindungsthüre seines Gartens eintreten sehen, und der zuerst hinaufgegangen war, um die Trinker zu haranguiren. Dieser Mann organisirte Abtheilungen und gab Befehle.

»Mordioux!« rief d’Artagnan, »ich täuschte mich nicht, ich kenne diesen Menschen, es ist Menneville. Was Teufels macht er hier?«

Ein dumpfes Gemurmel, das stufenweise immer deutlicher wurde, hemmte ihn in seiner Betrachtung und zog seine Blicke nach einer andern Seite. Dieses Gemurmel wurde durch die Ankunft der armen Sünder veranlaßt. Ein starkes Piquet Bogenschützen marschirte ihnen voran und erschien an der Ecke der Arcade. Die ganze Menge stieß alsbald Schreie aus und alle diese Schreie bildeten ein ungeheures Gebrülle.

D’Artagnan sah Raoul erbleichen und klopfte ihm auf die Schulter.

Bei diesem Gebrülle wandten sich die Heizer um und fragten, wie weit man wäre.

»Die Verurtheilten kommen,« sagte d’Artagnan.

»Gut,« erwiederten sie und belebten immer mehr die Flammen des Kamins.

D’Artagnan schaute ihnen unruhig zu. Diese Leute, welche ein solches Feuer ohne allen Nutzen machten, hatten offenbar besondere Absichten.

Die Verurtheilten erschienen auf dem Platz. Sie gingen zu Fuß, den Henker voran; fünfzig Bogenschützen marschirten zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken. Beide waren schwarz gekleidet, bleich, aber entschlossen.

Sie schauten ungeduldig über die Köpfe, indem sie sich bei jedem Schritt auf ihren Füßen erhoben.

D’Artagnan bemerkte diese Bewegung und sagte:

»Mordioux! sie haben große Eile, die Galgen zu sehen.«

Raoul wich zurück, ohne daß er die Stärke besaß, das Fenster ganz zu verlassen. Der Schrecken hat auch seine Anziehungskraft.

»Zum Tod! zum Tod!« riefen fünfzigtausend Stimmen.

»Ja, zum Tod!« brüllten hundert Wüthende, als hätte ihnen die große Masse das Stichwort gegeben.

»Zum Strang! zum Strang!« rief die Menge; »es lebe der König!«

»Nein! nein! keinen Galgen!« rief die Mehrzahl? »Es lebe Colbert!«

»Ah!« murmelte d’Artagnan, »das ist drollig, ich hätte nicht geglaubt, Herr von Colbert lasse sie hängen.«

In diesem Augenblick fand eine Fluthung statt, welche die Verurtheilten in ihrem Gang aufhielt.

Den Leuten mit kecker, entschlossener Miene, welche d’Artagnan bemerkte, war es durch Pressen, Stoßen und Drängen gelungen, sich beinahe bis zur Reihe der Bogenschützen vorwärts zu arbeiten.

Der Zug setzte sich wieder in Marsch.

Plötzlich warfen sich unter dem Geschrei: Es lebe Colbert! die Menschen, welche d’Artagnan nicht aus dem Gesichte verlor, auf das Geleite, das vergebens zu kämpfen suchte. Hinter diesen Menschen war die Menge.

Da begann unter dem wüthendsten Lärmen ein gräßliches Getümmel.

Nun war es etwas Anderes, als Schreie der Erwartung oder Freudenschreie, es waren Schmerzensschreie.

Die Hellebarden schlugen, die Schwerter durchbohrten, man feuerte mit Musketen.

Es entstand ein seltsamer Wirbel, unter dem d’Artagnan nichts mehr sah.

Dann erhob sich aus diesem Chaos plötzlich etwas wie eine offenbare Absicht, wie ein entschiedener Wille.

Die Verurtheilten wurden den Händen der Wachen entrissen, und man schleppte sie nach dem Hause zum Bilde Unserer Lieben Frau.

Diejenigen, welche sie fortschleppten, riefen: »Es lebe Colbert!«

Das Volk zauderte, denn es wußte nicht, ob es über die Bogenschützen oder über die Angreifer herfallen sollte.

Was das Volk aufhielt, war der Umstand, daß diejenigen, welche riefen: »Es lebe Colbert!« zu gleicher Zeit zu schreien anfingen: »Keinen Strang! nieder mit dem Galgen! in’s Feuer! in’s Feuer! verbrennen wir die Diebe! verbrennen wir die Aushungerer!«

Gemeinschaftlich ausgestoßen, wurde dieser Schrei mit der größten Begeisterung ausgenommen.

Der Pöbel war gekommen, um eine Hinrichtung anzusehen, und nun bot man ihm Gelegenheit, selbst eine vorzunehmen.

Nichts konnte dem Pöbel angenehmer sein. Er trat auch sogleich der Partei der Angreifer gegen die Bogenschützen bei und schrie mit der Minderzahl, welche durch ihn eine äußerst compacte Mehrzahl wurde:

»Ja, ja, in’s Feuer die Diebe! Es lebe Colbert!«

»Mordioux!« rief d’Artagnan, »mir scheint, das wird ernst.«

Einer von den Männern, die sich beim Kamin aufhielten, näherte sich, seinen Brand in der Hand, dem Fenster.

»Ah! ah!« sagte er, »es wird warm.« Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend: »Man gibt das Signal!« Und plötzlich legte er seinen Feuerbrand an ein Täfelwerk.

Die Schenke zum Bilde Unserer Lieben Frau war kein ganz neues Haus; es ließ sich auch nicht lange bitten, um Feuer zu sangen.

In einer Secunde krachen die Bohlen und die Flamme steigt knisternd empor.

Ein Gebrüll von Außen antwortet auf das Geschrei, das die Mordbrenner ausstoßen.

D’Artagnan, der nichts gesehen hat, weil er nach dem Platze schaut, fühlt zugleich den Rauch, der ihm den Athem versetzt, und die Flamme, die ihn brennt.

»Holla!« ruft er, sich umwendend, »das Feuer Ist hier? seid Ihr Narren oder Wüthende, Ihr Bursche?«

Die zwei Männer schauen ihn mit erstaunter Miene an und entgegnen:

»Wie! ist das nicht verabredet?«

»Verabredet, daß Ihr mein Haus verbrennt!« schreit d’Artagnan, indem er den Feuerbrand aus den Händen des Mordbrenners reißt und ihm in’s Gesicht schlägt.

Der Zweite will seinem Kameraden Hilfe leisten, doch Raoul packt ihn, hebt ihn auf und wirft ihn durch das Fenster, während d’Artagnan seinen Gefährten die Stufen hinabschleudert.

Raoul, der zuerst frei ist, reißt das Täfelwerk ab und wirft es, ganz rauchend, ebenfalls aus dem Fenster.

Mit einem Blick gewahrt d’Artagnan, daß für den Brand nichts mehr zu befürchten ist, und läuft an’s Fenster.

Die Verwirrung hat den höchsten Grad erreicht. Man schreit zugleich: »In’s Feuer! Schlagt sie todt! An den Galgen! Auf den Scheiterhaufen!«

Die Gruppe, welche die Verurtheilten den Händen der Bogenschützen entreißt, nähert sich dem Haus, das das Ziel zu sein scheint, nach dem man sie fortschleppt.

Menneville ist an der Spitze der Gruppe und schreit lauter als irgend Jemand:

»In’s Feuer! in’s Feuer! Es lebe Colbert!«

D’Artagnan fängt an zu begreifen. Man will die Verurtheilten verbrennen, und sein Haus ist der Scheiterhaufen, den man ihnen bereitet.

»Halt!« schreit er, den Degen in der Faust und einen Fuß auf dem Fenster. »Menneville, was wollt Ihr?«

»Herr d’Artagnan,« erwiedert dieser, »laßt uns durch, laßt uns durch!«

»In’s Feuer! in’s Feuer mit den Dieben! Es lebe Colbert!« schreit die Menge.

Dieses Geschrei bringt d’Artagnan außer sich.

»Mordioux!« ruft er, »die armen Teufel verbrennen, die nur zum Strang veurtheilt sind, das ist schändlich!«

Mittlerweil, wird die gegen die Wände zurückgedrängte Masse der Neugierigen immer dichter und verschließt den Weg,

Menneville und seine Leute, welche die Verurtheilten fortschleppen, sind nur noch zehn Schritte von der Thüre.

Menneville strengt seine letzten, Kräfte an.

»Gebt Raum! gebt Raum!« ruft er, die Pistole in der Faust.

»Verbrennen wir sie,« wiederholt die Menge. »Das Bild Unserer Lieben Frau ist in Brand gesteckt, . . . Verbrennen wir die Diebe! . . . Verbrennen wir die Aushungerer im Bilde Unserer Lieben Frau!«

Diesmal unterliegt es keinem Zweifel mehr, man will an das Haus von d’Artagnan.

D’Artagnan erinnert sich des alten Rufes, den er immer mit so großer Wirksamkeit von sich gegeben.

»Herbei! Ihr Musketiere! . . . « brüllt er mit einer Riesenstimme, mit einer von jenen Stimmen, welche den Kanonendonner, das Tosen des Meeres, den Sturm beherrschen; »herbei, Ihr Musketiere!«

Und er hängt sich mit dem Arm an den Balcon und läßt sich in die Menge hinabfallen, die alsbald von dem Hause zurückweicht, von dem es Menschen regnet.

Raoul ist beinahe ebenso rasch auf dem Boden. Beide haben das Schwert in der Hand.

Alles, was sich an Musketieren aus dem Platze findet, hat den Ruf gehört; Alle haben sich bei dem Ruf umgedreht und d’Artagnan erkannt.

»Zum Kapitän! zum Kapitän!«, schreien sie.

Und die Menge öffnet sich vor ihnen, wie vor dem Vordertheil eines Schiffes,

In diesem Augenblick stehen d’Artagnan und Menneville einander gegenüber.

»Gebt Raum! gebt Raum!« ruft Menneville, der sieht, daß er nur noch den Arm auszustrecken hat, um die Thüre zu berühren.

»Keinen Schritt weiter!« erwiedert d’Artagnan.

»Hier,« spricht Menneville, und drückt seine Pistole kaum ein paar Spannen von der Brust von d’Artagnan los.

Doch ehe sich das Feuerrad gedreht, hat d’Artagnan Menneville die Pistole mit dem Griff seines Degens in die Höhe geschlagen und ihm mit der Klinge den Leib durchbohrt.

»Ich sagte es Dir wohl, Du sollest Dich ruhig verhalten,« sprach d’Artagnan zu Menneville, der sich zu seinen Füßen wälzte.

»Gebt Raum!« rufen die Gefährten von Menneville, Anfangs erschrocken, bald aber beruhigt, da sie wahrnehmen, daß sie es nur mit zwei Männern zu thun haben.

Doch diese zwei Männer sind zwei hundertarmige Riesen; der Degen bewegt sich in ihren Händen wie das flammende Schwert des Erzengels; er durchlöchert mit der Spitze, schlägt mit der Schneide und mit der Fläche. Jeder Schlag wirft seinen Mann nieder.

»Für den König!« ruft d’Artagnan bei jedem Mann, den er trifft, d. h. bei jedem, der niederstürzt.

»Für den König!« wiederholt Raoul.

Dieser Ruf wird das Feldgeschrei der Musketiere, die sich, durch dasselbe geleitet, um d’Artagnan versammeln.

Während dieser Zeit erholen sich die Bogenschützen von dem Schrecken, der sie ergriffen hat, sie stürzen gegen die Angreifer los und schlagen und treten, regelmäßig wie Mühlräder, Alles nieder, was ihnen begegnet.

Die Menge, welche die Schwerter wieder glänzen und die Bluttropfen in die Luft spritzen sieht, die Menge entflieht und zermalmt sich selbst.

Endlich erschallt das Geschrei um Gnade, das Geschrei der Verzweiflung, das ist der Abschied der Besiegten.

Die zwei Verurtheilten sind wieder in die Hände der Bogenschützen gefallen. D’Artagnan nähert sich ihnen und spricht, da er sie bleich und sterbend sieht:

»Tröstet Euch, Ihr armen Leute, Ihr werdet die Strafe nicht erdulden, mit der Euch diese Elenden bedrohen. Der König hat Euch zum Strang verurtheilt. Man wird Euch nur henken. Man hänge sie auf, und damit ist es genug.«

Am Bilde Unserer Lieben Frau ist Alles vorbei. Man hat das Feuer in Ermangelung von Wasser mit zwei Tonnen Wein gelöscht. Die Verschworenen sind durch den Garten entflohen.

Die Bogenschützen schleppen die Verurtheilten nach dem Galgen fort . . . . .

Von diesem Augenblick an währt die Sache nicht mehr lange. Der Nachrichter ist nicht besorgt, nach den Formen der Kunst zu Werke zu gehen; er beeilt sich und expedirt die zwei Unglücklichen in einer Minute.

Man drängt sich indessen um d’Artagnan; man beglückwünscht ihn, man schmeichelt ihm. Er trocknet seine von Schweiß triefende Stirne, sein von Blut triefendes Schwert ab, und zuckt die Achseln, da er Menneville sich in den letzten Convulsionen des Todeskampfes zu seinen Füßen krümmen sieht. Und während Raoul seine Augen mitleidig abwendet, zeigt er den Musketieren die mit ihren traurigen Früchten beladenen Galgen und spricht:

»Arme Teufel! ich hoffe, sie sind mich segnend gestorben, denn ich habe ihnen große Unannehmlichkeiten erspart.«

Diese Worte erreichen Menneville in dem Augenblick, wo er den letzten Seufzer von sich zu geben im Begriff ist. Ein düsteres, höhnisches Lächeln schwebt über seine Lippen. Er will antworten, doch die Anstrengung, die er macht, zerreißt vollends seinen Lebensfaden, und er verscheidet.

»Oh! dies Alles ist gräßlich,« spricht Raoul! »gehen wir, Herr Chevalier.«

»Du bist nicht verwundet?« fragte d’Artagnan.

»Ich danke, nein.«

»Mordioux! Du bist ein Braver! Das ist der Kopf des Vaters und der Arm von Porthos. Ah! wenn Porthos hier gewesen wäre, Du hättest schöne Dinge von ihm sehen können!«

Dann in der Weise einer Erinnerung murmelt d’Artagnan:

»Aber wo Teufels kann er sein, dieser brave Porthos?«

»Kommt, Chevalier, kommt,« wiederholt Raoul.

»Nur noch eine Minute, mein Freund, daß ich meine siebenunddreißig Pistolen einziehen kann, und Ich gehöre Dir. Das Haus wirst einen guten Ertrag ab,« fügt d’Artagnan, in die Schenke zum Bilde Unserer Lieben Frau zurückkehrend, bei; »doch sollte es auch minder einträglich sein, so würde ich es doch vorziehen, wenn es in einem andern Quartiere läge.«

Der Graf von Bragelonne

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