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Der siebte Anlauf 1960

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Eine Motion, die vom Nationalrat am 23. März angenommen worden war, machte Druck: «Der Bundesrat wird beauftragt, den Bau eines Tunnels für den wintersicheren Strassenverkehr durch den Gotthard unverzüglich zu prüfen und darüber den eidgenössischen Räten Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen.»49 Noch bevor auch der Ständerat am 8. Juni 1960 die Motion angenommen hatte, wurde am 9. April unter dem Vorsitz von Robert Ruckli die Studiengruppe Gotthardtunnel eingesetzt. Sie sollte Varianten für den wintersicheren Strassenverkehr durch den Gotthard prüfen. Wie sollte der künftige Strassenverkehr am Gotthard bewältigt werden? Auf welcher Höhenlage sollte ein allfälliger Strassentunnel angelegt werden? Welches Transportsystem sollte eingerichtet werden?

Am 7. Juli 1961 diskutierte der Bundesrat einen Bericht des Eidgenössischen Amts für Strassen- und Flussbau über die Tunnelpolitik.50 Der Autoverlad am Gotthard erreiche bis 1980 seine Kapazitätsgrenzen, die bisherigen Verkehrsschätzungen seien zu tief, hiess es da, das Gotthardproblem müsse rascher als ursprünglich vorgesehen endgültig gelöst werden. «Die Arbeiten sollen so gefördert werden, dass der Bundesrat in der Lage sein wird, den eidgenössischen Räten seine Anträge so früh zu stellen, dass noch genügend Bauzeit zur Verfügung steht, um den neuen Tunnel auf den Zeitpunkt zu vollenden, wo die Kapazität der bestehenden Anlagen erschöpft sein wird. Ein allfälliger Baubeschluss sollte daher nicht nach dem Jahre 1965 gefasst werden können.»

Es habe damals noch keine Erfahrungen gegeben mit langen Strassentunnels, resümierte Robert Ruckli Jahre später.51 Der Tunnel durch den Grossen Sankt Bernhard war 5,9 Kilometer lang. Der 11,6 Kilometer lange Mont-Blanc-Tunnel sollte erst 1965 eröffnet werden. Der 14 Kilometer lange Arlbergtunnel folgte 1978. Nirgendwo in der Welt gab es einen derart langen Strassentunnel. Das Belüftungsproblem des Tunnels schien lösbar – dazu habe es eingehende theoretische Arbeiten gegeben. Zweifel hegte man aber bezüglich der sogenannten Tunnelangst: «Da bei der Beschlussfassung der eidgenössischen Räte für die Ergänzung des Nationalstrassennetzes durch den Gotthardtunnel der Mont-Blanc-Tunnel – der mit 12 Kilometer in der Grössenordnung dem 16 Kilometer langen Gotthardtunnel vergleichbar ist – noch nicht in Betrieb war, liess das ASF die beiden parlamentarischen Kommissionen (National- und Ständerat) durch den 5,9 Kilometer langen Grossen-St.-Bernhard Tunnel in einem PTT-Car hin- und zurückfahren, und zwar so, dass auf der Südseite in den Eingangsbauten, also ohne ans Tageslicht zu gelangen, gewendet wurde, so dass die Untertagfahrt eine Länge von nahezu 12 Kilometer erreichte. Die Kommissionen kamen zum Ergebnis, dass diese Länge noch durchaus zulässig ist.»

Im Februar 1963 fand die letzte, entscheidende Sitzung der Studiengruppe statt, und im September lag der 340 Seiten lange Bericht vor.52 Die Gotthard-Passstrasse sei ungenügend ausgebaut, schrieb die Studiengruppe. An verkehrsreichen Wintertagen seien Kolonnen von zwanzig Kilometern Länge und Wartezeiten von fünf Stunden beim Autoverlad in Kauf zu nehmen. Die Studienkommission hatte den transalpinen Verkehr neu geschätzt und die prognostizierten Gotthard-Strassenverkehrszahlen nach oben korrigiert: auf täglich 13 600 Fahrzeuge im Sommer und auf 3400 im Winter. Die zulässige Verkehrsmenge auf der jetzigen Strasse betrage 900 Personenwagen pro Stunde. Mit der Bahn könnten höchstens 635 Fahrzeuge pro Stunde durch den Gotthard geschafft werden. Erstmals würdigte die Studiengruppe auch den vermuteten Neuverkehr. Erfahrungen aus den USA hatten gezeigt, dass neue Strasseninfrastrukturen einen Neuverkehr erzeugten, der zehn bis vierzig Prozent des bisherigen Verkehrs ausmachen konnte.53

Der Bericht der Studienkommission enthielt 26 Projektmappen mit 500 Plänen. Mit der grossen Variantenzahl wollte die Kommission Rückweisungsanträgen aus dem Parlament zuvorkommen, das zu dieser oder jener Tunnelvariante zusätzliche Abklärungen hätte verlangen können; so wurden auch Bahntunnelprojekte geprüft. Trotz geringerer Kosten wurde die Idee eines zweiten Eisenbahntunnels verworfen: Der Autoverlad am Gotthard stelle einen Systembruch dar auf der grossen Nord-Süd-Autotransversale. Und ein 45 Kilometer langer Basistunnel für Autos wurde wegen technischer Probleme und wegen der Kosten abgelehnt. Überraschend war, dass die höher gelegenen Tunnelvarianten wegen der kostspieligen Zufahrten durch die Schöllenenschlucht mehr kosteten als der tiefliegende Tunnel Göschenen–Airolo. So fiel die Wahl also auf den 16,4 Kilometer langen Strassentunnel zwischen Göschenen und Airolo, der für maximal 1600 Autodurchfahrten pro Stunde ausgelegt wurde (der Wert sollte von der Baukommission Gotthard-Strassentunnel später erhöht werden auf 1800).54 387 Millionen Franken sollte der Bau des Tunnels kosten, sechs Jahre die Bauzeit dauern. Und der Tunnelunterhalt wurde mit jährlich 21 Millionen Franken budgetiert.

Am 7. Juli 1964 entschied sich auch der Bundesrat für den Strassentunnel von Göschenen nach Airolo. Für den Bundesrat war der Bau eines Strassentunnels 1960 noch ein zu grosses Wagnis gewesen. Jetzt befand er, dass die Risiken gering seien. Die Erfahrungen vom Bau des Gotthard-Bahntunnels liessen sich weitgehend auf den Strassentunnel übertragen.55 Die Kosten schätzte der Bundesrat auf 305 Millionen Franken. Und sein verkehrspolitischer Blick war nun neu aufs Ausland gerichtet: «In Europa lassen sich neben andern zwei Räume hoher Produktivität und grosser Bevölkerungsdichte abgrenzen: Italien und Nordwesteuropa. Italien ist der agrarwirtschaftlich und industriell wichtigste Teil des europäischen Mittelmeergebietes; zu Nordwesteuropa gehören die Industrieländer Westdeutschland, Luxemburg, Belgien, die Niederlande, Nord- und Ostfrankreich, sowie in weiterer Entfernung England und Skandinavien. Die zwei Räume sind wirtschaftlich in mancher Hinsicht komplementär, so dass zwischen ihnen ein starkes Verkehrsgefälle besteht. Dem Austausch von Rohstoffen, Industrieprodukten und Lebensmitteln und dem dazugehörenden geschäftlichen Personenverkehr überlagert sich ein intensiver Touristenverkehr aus dem kühleren Norden nach den bevorzugten Erholungsgebieten des Südens.»56

Der Tunnel war beschlossene Sache, doch in letzter Minute entstand die Idee, dass der Gotthard-Strassentunnel von Privaten finanziert werden könnte, die im Gegenzug Tunnelgebühren verlangen dürften. Hintergrund waren die gestiegenen Kosten des Nationalstrassenbauprogramms, die von ursprünglich 3,8 Milliarden Franken auf 12,5 Milliarden angewachsen waren. Die private Finanzierung des Tunnels und die Tunnelmaut hätten eine Verfassungsänderung erfordert und darob wären Jahre verstrichen. Die Tessiner Kantonsregierung verfasste einmal mehr ein Memorandum.57 Die Einkommen im Tessin seien zwanzig Prozent tiefer als diejenigen in der übrigen Schweiz, ebenso die Produktivität. Das Tessin sei in den Kriegs- und Krisenjahren von 1930 bis 1945 von den Märkten in Italien abgeschnitten gewesen. Die Folgen hoher Transportkosten seien verheerend. Umso schädlicher wäre eine Tunnelmaut. Broschüren in den Landessprachen wurden produziert, Veranstaltungen und Gotthardtage fanden in der Deutschschweiz statt. Schliesslich wurde das Thema Tunnelmaut auf Eis gelegt, zumindest für einige Jahre.58

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