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Kritik am Verkehrswachstum

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Für die Urner Kantonsregierung war die Lage alarmierend geworden. Sie hatte während bestimmter Tageszeiten Lastwagen-Fahrverbote ausgesprochen. Man tue was man könne, man baue Kurven aus, gebe viel Geld aus, doch kaum seien die Arbeiten abgeschlossen, erwiesen sie sich schon als unzulänglich. Rolf Gisler-Jauch beschreibt den Stimmungswandel im Kanton Uri in seinem Buch59 und zitiert die Gotthard-Post vom 31. Oktober 1964, auf deren Frontseite stand: «Gebt uns unsere Dörfer wieder» – «Das Kuckucksei, der Verkehr, hat unsere Dörfer gestohlen. Wir haben es lange Zeit kaum bemerkt. Ja, wir haben ihn sogar lang gehätschelt und gepflegt; nun droht uns dieser ‹Kuckuck› aus unserem eigenen Nest zu werfen.»

Die Eröffnung der ersten, 3,8 Kilometer langen Autobahnstrecke im Kanton Uri war am 1. Juli 1971 noch gefeiert geworden60 – schliesslich war der Autobahnbau auch in diesem Kanton fast einmütig gefordert worden. Ökologische Argumente waren damals kein Thema. «Uri erhoffte sich wie hundert Jahre zuvor beim Bau der Gotthardbahn einen wirtschaftlichen Aufschwung durch den anwachsenden Verkehr und eine Beruhigung der Situation in den Dörfern, welche am Verkehr zu ersticken drohten», schreibt Reto Moor in seiner Masterarbeit, die umfassend über den Autobahn- und Strassentunnelbau im Kanton Uri berichtet.61 1979, als die Gotthard-Post von der Eröffnung des Teilstücks Erstfeld–Amsteg berichtete, war die Stimmung schon wesentlich kühler geworden: «Anstelle des üblichen Bandzerschneidens mit Würdigung des ersten passierenden Automobilisten waren es lediglich einige Angestellte des kantonalen Bauamtes, welche besenbewaffnet, die letzten ‹Ungereimtheiten› aus dem Wege wischten und die vorhandenen Abschrankungen zur Seite schoben […] just unter dem Täfelchen ‹Mörder der Heimat›, welches ein erboster Landbesitzer der ‹Landstrasse› gewidmet hatte.» In drei Jahren hatte der LKW-Verkehr um fünfzig Prozent zugenommen. Am 20. März 1973 erschien die erste Ausgabe der Alternative, der «anderen Urner Zeitung». Zu den Herausgebern zählte Alf Arnold, der später bei der Alpeninitiative prägend mitwirken sollte. Es entstand die Partei Kritisches Forum Uri; einer ihrer Schwerpunkte war der Kampf gegen den zunehmenden Transitverkehr. «Uri – Land am Beton» titelte die Alternative im Oktober 1978 und kritisierte die Gotthardautobahn N2, ein 47 Kilometer langes Betonband. Der Tessiner Ökonom und Verkehrswissenschaftler Remigio Ratti warnte vor bis zu 800 Lastwagen, die pro Tag durch den Gotthard rollen könnten (die tatsächlichen Zahlen sollten um ein Mehrfaches höher liegen). Ratti meinte, dass das Tessin mit dem Strassentunnel abgewertet werde zu einem Transitkorridor, der schnellstmöglich durchfahren werde.62 Es gebe keine europäische Politik für den alpenquerenden Güterverkehr. Der Gotthard werde zum niedrigsten aller Alpenübergänge. Für zahlreiche Verkehre zwischen Frankfurt, Köln, Hamburg und Rotterdam nach Italien werde die Gotthardstrecke 250 bis 300 Kilometer kürzer sein als die Alternativstrecken.

Und tatsächlich: Der Transitgüterverkehr durch die Schweiz wuchs und wuchs. 1965 waren es noch 8,6 Millionen Tonnen (Strasse: 0,16 Millionen Tonnen), 1976 schon 10 Millionen Tonnen (Strasse: 0,48 Millionen Tonnen).63 In allen Nachbarländern der Schweiz wurden mehr Güter auf der Strasse als auf den Schienen transportiert. In der Schweiz aber betrug der Strassenanteil beim Transitverkehr 1977 nur vier Prozent.64 Verantwortlich dafür waren die 28-Tonnenlimite (in der Europäischen Gemeinschaft galten mindestens 38 Tonnen), das Nachtfahrverbot, das Sonntagsfahrverbot, der San Bernardino, der nur mit Sattelschleppern befahren werden durfte, und der nur wenige Monate im Jahr geöffnete Gotthardpass. Die Strassen- und Eisenbahnplaner hätten eigentlich gewarnt sein müssen. Die Güterbahn verlor massiv Marktanteile. 1960 betrug der Marktanteil der Bahn noch gut sechzig Prozent, 1975 waren es unter fünfzig. So errang die Strasse beim Gütertransport das Primat gegenüber der Bahn.65

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