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45 Jahre Planung Der erste Anlauf 1935
ОглавлениеDer Kartonumschlag des Buches glänzt bräunlich und ist etwas abgegriffen. «ASTA» steht da in grossen Lettern – «Auto-Strassen-Tunnel durch die Alpen». Ein einziges Exemplar ist in der Bibliothek der Architekturakademie in Mendrisio erhalten. Die Schrift ist 41 Seiten lang und datiert vom 15. März 1935, nach dem Ersten und noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Es ist das erste Projekt zum Bau eines Gotthard-Strassentunnels.1 Verfasser waren der 1905 geborene ETH-Bauingenieur Eduard Gruner und sein Bruder Georg Gruner. Die grossen Handelswege hätten ohne Zweifel zu den wichtigsten Faktoren in der Entwicklung der Kultur gehört, schrieben sie: «Heute noch verdankt die Schweiz ihre wirtschaftliche Stellung als zentraler Verkehrsplatz unseres Kontinents weitgehend dem St. Gotthardübergang.» Die nördlichen und südlichen Nachbarländer hätten grosse Strassennetze bis an die Schweizer Grenzen gebaut. Diese Netze müssten nun zusammengeschlossen werden. Im Alpenraum bestünden die Brenner-Route, die von Frankreich und Italien propagierte Mont-Blanc-Route und die Gotthardroute durch die Schweiz. Es liege im volkswirtschaftlichen Interesse der Schweiz, dem Automobilverkehr einen ganzjährigen Alpenübergang zu bauen. Sonst drohe die Schweiz umfahren zu werden. Die Passstrassen in der Schweiz seien nur während dreier Monate im Jahr sicher befahrbar. Der Autoverlad am Gotthard bringe einen Zeitverlust von drei Stunden und koste 32.60 Franken für den Transport eines Autos mit Fahrgästen. Die einzige befriedigende Lösung sei der Bau eines Strassentunnels.
Die Gebrüder Gruner schlugen einen 15,1 Kilometer langen Strassentunnel zwischen Göschenen und Airolo vor. Sie planten sechs Ventilationsschächte, berechneten Saug- und Druckventilatoren, die sie auf eine Spitzenlast von 150 Fahrzeugen pro Stunde auslegten. Die Tunneleingangsstation in Göschenen sollte eine Tankstelle mit Reparaturwerkstätte und Garagen enthalten. Die Autoren veranschlagten für den Bau achtzig Millionen Franken. «Die jährliche Lohnsumme für Angestellte, Arbeiter und Hilfspersonal beträgt inkl. 6 % für Versicherung und 10 % für soziale Hilfe aufgerundet ca. 200 000 Franken.» Der Tunnel sollte durch eine private, eventuell halbstaatliche Gesellschaft betrieben werden, die ihr Kapital durch Tunnelgebühren von zwanzig Franken pro Fahrzeug verzinsen und amortisieren könnte. Eduard Gruner argumentierte mit dem ausserordentlich starken Wachstum des Strassenverkehrs. 1910 gab es in der Schweiz 7249 Motorfahrzeuge, 1930 waren es schon 17 Mal mehr, 124 676 nämlich. Gruner rechnete nach zwanzig Betriebsjahren mit 319 400 Fahrzeugen pro Jahr im Tunnel. Ein unbekannter Leser des Dokuments notierte neben Gruners Zahlen mit Rotstift: «vermutlich eine Null zu viel!». Der Kritiker hatte sich getäuscht. 2017 fuhren 6 469 291 Fahrzeuge durch den Strassentunnel.
Erstes Gotthard-Strassentunnelprojekt von Eduard und Georg Gruner im Jahr 1935: «Perspektivische Darstellung einer Tunneleingangsstation» mit Tankstelle, Werkstatt, Sonnenterrasse und Raststätte.
Doch damals, im Jahr 1939, gab es noch kaum Verkehrszahlen, auch nicht am Gotthard. Die Bahn verlud im Jahr 1937 9324 Wagen, das seien neun Mal weniger Fahrzeuge als von den Gebrüder Gruner angenommen, stellte ein Kritiker des Projekts fest.2 «Auch die Autoverkehrs-Bäume wachsen nicht in den Himmel, ja sogar: ihre Wachstums-Intensität nimmt derart ab, dass wir uns einem Sättigungspunkt nähern.» Der Sport- und Tourenwagenfahrer wolle immer neue Strecken nehmen, wolle über Pässe fahren und nicht durch Tunnel. Auch anderswo in den Schweizer Alpen entstanden Strassentunnelpläne. 1937 stellte das Ingenieurbüro Simmen & Hunger das erste Strassentunnelprojekt am San Bernardino vor.3 Gemäss einem Vorschlag von 1936 sollte einer der beiden Simplon-Bahntunnels für Autos geöffnet werden. Die Befürworter eines Mont-Blanc-Tunnels hofften auf 100 000 Wagen im Jahr, am Simplon sprach man von 150 000 zahlenden Autolenkern.4
Der Bundesrat dachte bei seiner Strassenplanung aber nicht an Verkehrszahlen, sondern an Arbeitslose. Der Ausbau der Alpenstrassen sollte Arbeitsplätze bieten für die notleidende Bergbevölkerung.5 Von den 105 000 Arbeitslosen im Jahr 1936 entfielen 50 000 auf das Baugewerbe, und auch dieses wollte der Bundesrat mit Strassenbauprojekten stützen. Darum wurde die Gotthardstrasse 1936 ausgebaut – die Kosten beliefen sich auf zehn Millionen Franken auf der Tessiner Seite und auf fünf Millionen im Kanton Uri.