Читать книгу Sammelband 7 Mystery Thriller - Der Sommer der Geheimnisse - Alfred Bekker - Страница 58
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Tante Lizzys Augen leuchteten freudig erregt, als wir die Bibliothek ihrer verwinkelten Villa betraten. Die Wände waren von überquellenden Bücherregalen bedeckt, in denen sich dickleibige, ledergebundene Folianten aneinanderreihten.
In der ganzen Villa sah es so aus - abgesehen von der Etage, die ich bewohnte.
Tante Lizzy verfügte über einer der umfangreichsten Sammlungen von Schriften, die sich mit dem Übersinnlichen befassten. Dieses Archiv sprengte längst den räumlichen Rahmen, den das altehrwürdige, noch aus viktorianischer Zeit stammende Gebäude setzte. Doch das hinderte meine Großtante Elizabeth Vanhelsing - für mich Tante Lizzy - keineswegs daran, ihrer Sammel- und Forscherleidenschaft im Bereich des Okkulten freien Lauf zu lassen.
Zwei Männer standen rechts und links eines eigenartigen Schreibtisches, der in einer Ecke der Bibliothek untergebracht war. An allen vier Ecken befanden sich geschnitzte Köpfe von Fabelwesen, die halb Tier, halb Mensch waren.
Diese geisterhaften Gesichter mit ihren weit aufgerissenen, zahnbewehrten Mäulern gaben dem vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammenden Möbelstück eine seltsame Aura.
Angeblich hatte dieser Tisch einst dem Geisterseher Guy de Traliere gehört, war danach aber durch Dutzende von Händen gegangen. Tante Lizzys Nachforschungen zu Folge musste es in dieser Antiquität noch ein bislang unentdecktes Geheimfach geben, über dessen Inhalt sich nur spekulieren ließ.
Mindestens ein Dutzend Fachleute hatte Tante Lizzy bisher ins Rennen geschickt, um sich mit den Geheimfachkonstrukteuren des 18. Jahrhunderts zu messen.
Bislang vergeblich.
Die beiden Männer sahen Tante Lizzy mit triumphierenden Gesichtern an.
Sie hießen beide Conroy und waren die Besitzer des Antiquitätengeschäftes Conroy & Son Ltd. aus der Londoner Riddleton Street. Vater und Sohn waren ausgewiesene Experten ihres Fachs und wie es schien, war ihnen tatsächlich das nahezu Unmögliche gelungen...
"Mrs. Vanhelsing, sehen Sie bitte her!", sagte Mr. Conroy senior mit beinahe feierlichem Tonfall. Beide Conroys teilten offenbar die Liebe zu alten Dingen mit meiner Großtante. Die Art und Weise, in der die beiden Männer das kostbare Möbelstück behandelten, sprach Bände darüber.
"Sie haben das Geheimfach gefunden?", fragte Tante Lizzy mit bebender Stimme.
"...und den Mechanismus enträtselt", erklärte Conroy senior nicht ohne Stolz in der Stimme.
Sie sah mich kurz an. "Oh, Patricia! Wie lange habe ich darauf gewartet!"
Mr. Conroy junior zog eine der Schubladen heraus.
Sie war leer.
"Sehen Sie gut zu, Mrs. Vanhelsing!", sagte Conroy mit bedeutungsschwerer Stimme.
Er steckte einem der tierhaften Holzgesichtern den Zeigefinger tief in den Rachen. Gleichzeitig zog er die Schublade erneut heraus.
Tante Lizzy und ich sahen mit atemloser Spannung zu, wie sich ein doppelter Boden zurückzog. Darunter wurde der Blick auf ein kleines Fach sichtbar. Es bildete eine Vertiefung unter dem hinteren Drittel der Schublade, das sich nicht aus dem Schreibtisch herausziehen ließ.
Ein kleines, leinengebundenes Büchlein befand sich darin.
Es wirkte sehr alt und war gewiss seit langer Zeit nicht nicht mehr aus dem Fach herausgenommen worden.
Eine Staubschicht hatte sich auf dem Einband abgesetzt.
Tante Lizzy nahm es mit zitternder Hand heraus.
"Das ist es also, was dieses Fach enthielt..."
"Es muss dem Vorbesitzer sehr viel Wert gewesen sein, dass er es hier versteckt hat", meinte ich.
Conroy schob die Schublade wieder hinein, um sie im nächsten Moment erneut herauszuziehen. Aber nun war von der Vertiefung im hinteren Drittel nichts mehr zu sehen. Die Schublade ließ sich nun auch wesentlich weiter herausziehen, ehe sie gegen einen Widerstand stieß.
"Eine geniale Konstruktion", meinte der junge Conroy.
Sein Vater nickte. "Könnte aus der Werkstatt von Adriano Inchingoli kommen, einem Meister aus Florenz, der zu den berühmtesten Geheimfachkonstrukteuren des frühen 18. Jahrhunderts zählte."
Tante Lizzy blätterte indessen in dem Buch.
"Worum handelt es sich?", fragte ich.
"Es ist ein Notizbuch", erwiderte sie. "Verfasst in einer Handschrift, die mir nur allzu bekannt ist... Nein, das ist nicht möglich!"
Tante Lizzy war völlig fasziniert.
Sie hielt mir das Buch hin.
Ich zuckte nur verständnislos die Achseln.
"Ich werde das natürlich genauer überprüfen lassen, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann ist dies die Handschrift von keinem Geringeren als Hermann von Schlichten!", sagte Tante Lizzy sichtlich ergriffen.