Читать книгу Sammelband 7 Mystery Thriller - Der Sommer der Geheimnisse - Alfred Bekker - Страница 59
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Später, als die Conroys gegangen waren, verwandelte sich die provisorisch wirkende Ordnung der Bibliothek im Handumdrehen in etwas, das jeder Außenstehende als Chaos angesehen hätte.
Jeder, außer Tante Lizzy.
Dutzende von Büchern zog sie aus den Regalen heraus. Und ich half ihr dabei, einen großen Karton aus dem Keller heraufzuschleppen, der nichts anderes als Briefe enthielt.
Briefe, die der deutsche Okkultist Hermann von Schlichten um die Jahrhundertwende mit verschiedenen Gönnern und Gleichgesinnten auf den britischen Inseln gewechselt hatte.
So unter anderem mit einem Hutmacher aus Bristol, der die obskuren Forschungen von Schlichtens großzügig unterstützt hatte.
Tante Lizzy hatte einige dieser Briefwechsel antiquarisch erworben und inzwischen zu einem großen Teil auch geordnet.
Hermann von Schlichten war gleichermaßen einer der genialsten und geheimnisumwittersten Personen, die sich mit der Erforschung des Übersinnlichen befasst hatten.
Sein großes Kompendium des Übersinnlichen, ein Buch mit dem Titel ABSONDERLICHE KULTE, verfasste von Schlichten in mittelalterlichem Latein. Damit hatte er die schwarzen Rituale und Beschwörungen, die es in großer Zahl enthielt, vor dem Zugriff Unbefugter bewahren wollen.
Den in den Händen gewissenloser Menschen waren diese Rituale eine furchtbare Waffe, mit der äonenaltes Grauen heraufbeschworen werden konnte. Dämonen, Untote, magische Wesen und Verbindungen in andere Dimensionen und ihren nichtmenschlichen Bewohnern, denen das Schicksal der Menschen so gleichgültig war, wie uns der Tod eines erschlagenen Insekts.
Tante Lizzy besaß neben einem Original-Exemplar der ABSONDERLICHEN KULTE auch mehrere Übersetzungen, die sich jedoch teilweise erheblich unterschieden.
Der Streit um die richtige Interpretation mancher Stellen in diesem Kompendium des Unvorstellbaren, würde unter Okkultismus-Forschern sicher noch Jahrzehnte andauern.
Hermann von Schlichten schien von dem Gedanken an eine Verschlüsselung seines Werkes geradezu besessen gewesen zu sein und so gab es Spekulationen darüber, dass manche Stellen in den ABSONDERLICHEN KULTEN zusätzlich chiffriert worden waren.
Außerdem gab es immer wieder Gerüchte darüber, dass es vielleicht noch einen zweiten, verschollenen Band der ABSONDERLICHEN KULTE gegeben hatte.
Zumindest legten einige Stellen in von Schlichtens umfangreicher Korrespondenz diesen Schluss nahe.
Tante Lizzy hatte das Notizbuch auf einen der kreisrunden Tische gelegt, die sich in der Bibliothek befanden. Sie hielt einen der Briefe daneben. Sorgfältig strich sie das vergilbte Papier glatt.
"Sieh nur, Patricia! Ich werde natürlich ein graphologisches Gutachten einholen, aber ich verstehe inzwischen durchaus genug selbst von der Materie, um mit einiger Sicherheit sagen zu können, dass Hermann von Schlichten der Verfasser der Notizen in diesem Buch sein muss..."
Die erste Seite gab immerhin einen Hinweis in diese Richtung.
Dort waren die Initialen H.v.S. eingeprägt.
"Ist es denn möglich, dass dieser Schreibtisch früher einmal im Besitz von Schlichtens gewesen ist?", erkundigte ich mich.
Tante Lizzy zuckte die Achseln.
"Das muss nicht unbedingt sein", gab sie zurück. "Ein späterer Besitzer des Tische könnte unabhängig davon dieses Notizbuch erworben und hier versteckt haben. Die Erben hatten dann keine Ahnung von dem Geheimfach und seinem brisanten Inhalt..."
Tante Lizzy blätterte in den Notizen herum.
Dann seufzte sie.
"Was ist?", fragte ich die alte Dame, die mir seit meinem zwölften Lebensjahr wie eine Mutter gewesen war.
"Was würde ich jetzt darum geben mittelalterliches Latein zu beherrschen - oder wenigstens etwas mehr Deutsch, als ich in der Schule gelernt habe! So werde ich auf die Entschlüsselung dieser Zeilen noch etwas warten müssen... Vielleicht verbirgt sich eine Sensation darin..." Tante Lizzy sah mich an.
"An was für eine Art von Sensation hast du denn gedacht?", fragte ich.
"Naja, nicht an die Art, mit der du in deinem Job bei den LONDON EXPRESS NEWS zu tun hast!", lächelte sie. "Obwohl du ja dafür sorgst, dass ab und zu auch mal etwas über Ereignisse aus dem Bereich des Okkultismus und des Übersinnlichen berichtet wird..."
"Aber für den zweiten Band der ABSONDERLICHEN KULTE ist das da etwas zu dünn!", meinte ich und deutete dabei auf das Notizbuch.
An Tante Lizzys Gesichtsausdruck sah ich, dass ich ihren geheimen Wunsch genau getroffen hatte - auch wenn sie es nie offen zugegeben hätte.
"Da hast du leider recht", gab sie zu. "Trotzdem, auf jeder dieser vergilbten Seiten kann ein wertvoller Hinweis verborgen sein, der uns vielleicht ganz neue Einsichten in von Schlichtens Werk gibt!"
"Unter den ehemaligen Kollegen von Onkel Frederik werden sicher einige Experten sein, die dir bereitwillig weiterhelfen", war ich überzeugt. Frederik Vanhelsing war von einer archäologischen Forschungsreise in den südamerikanischen Regenwald nicht zurückgekehrt. Seitdem war er verschollen. Aber zu vielen seiner Kollegen hatte Tante Lizzy nach wie vor guten Kontakt. Und das nutzte sie hin und wieder für ihre Forschungen aus.