Читать книгу Sammelband 7 Mystery Thriller - Der Sommer der Geheimnisse - Alfred Bekker - Страница 62

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"Hallo, Tom", sagte Michael Swann, seines Zeichens Chefredakteur der LONDON EXPRESS NEWS. Swann war ein hemdsärmeliger, energiegeladener Mann. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals, die Ärmel seines Pilotenhemdes waren hochgekrempelt. Michael T. Swann hatte so gut wie kein Privatleben. Morgens war er der Erste, der im Büro der Redaktion zu finden war und abends oft der Letzte.

Und so verwunderte es Tom Hamilton auch nur mäßig, als er Swann auch jetzt noch - weit nach Mitternacht hier antraf.

"Hallo, Mr. Swann. Keine Ahnung, ob ich Ihnen jetzt einen guten Morgen oder einen guten Abend wünschen soll!"

"Können Sie halten, wie Sie wollen, Tom. In dem künstlichen Neonlicht hier kriegt man den Unterschied ohnehin kaum mit!"

Tom lächelte matt.

Die Übernächtigung war ihm durchaus anzusehen. Die Ringe unter seinen Augen sprachen eine deutliche Sprache.

"Sie kommen direkt vom Flughafen, Tom?"

"Ja, ich wollte das Tonband mit dem Depardieu-Interview hier hinterlegen, damit es gleich morgen früh in den Computer eingegeben werden kann..."

"So eine Arbeitsauffassung lobe ich mir!", meinte Swann anerkennend. "Nicht so, wie bei unserem Kollegen Jim Field, der glaubt, dass er neben seinem Job bei den NEWS auch noch alle möglichen Nebentätigkeiten ausüben kann!"

"Man tut, was man kann", meinte Tom. Er war etwas überrascht über Swanns Lob. Eigentlich sah der Chef einen derartigen Einsatz nämlich als Selbstverständlichkeit an. Er erwartete von seinen Mitarbeitern denselben Einsatz, den er selbst dem gesamten Team Tag für Tag vorlebte. Für einen Mann wie Swann war das keiner besonderen Erwähnung wert.

Um so erstaunter war Tom dann über das, was der Chefredakteur als nächstes sagte.

"Hören Sie, Tom, Sie haben sich nach der Strapaze in Nizza einen freien Tag verdient..."

"Oh..."

"Schlafen Sie sich aus!"

"Nichts lieber als das!"

"Aber vorher müssen Sie mir noch einen Gefallen tun!"

"Ah, daher weht der Wind..."

"Tun Sie nicht so, Tom! Sie sind ein harter Brocken! Und sagen Sie mir bloß, dass Sie in Ihrer Zeit als Agentur-Korrespondent in Asien nicht auch mal 36 oder 48 Stunden durchgemacht haben."

Tom seufzte.

"Worum geht es?"

"Ein eigenartiger Vorfall in der Cumberland Street. Es gibt einen Toten. Scotland Yard ist schon da..."

"Hören Sie den Polizeifunk ab?"

"Wie können Sie so etwas auch nur denken Tom!", erwiderte Swann in gespieltem Zorn. "Nein, ein Anwohner - und treuer NEWS-Leser - hat uns angerufen."

"Ich nehme an, der spekuliert darauf, in dem Artikel erwähnt zu werden!"

"Vermutlich..."

Tom blickte kurz auf die Uhr. Er war direkt vom Flughafen London Heathrow hier her, in die Lupus Street gefahren, wo sich das Verlagsgebäude der NEWS befand. Er hatte zwar versprochen, Patricia anzurufen, aber während des Fluges war der Betrieb von Handys nicht erlaubt und nach der Landung war es zu spät gewesen, sie noch aus dem Bett zu klingeln.

"Okay", seufzte er. "Ich mache mich auf die Socken..."

"Wollen Sie vorher noch einen Becher Kaffee?", fragte Swann.

Tom schüttelte den Kopf und fuhr sich dann mit der Hand über das Gesicht.

"Der ist bestimmt wieder so dünn, dass ich davon auch nicht wacher werde!"

Eine Viertelstunde später erreichte Tom Hamilton die Cumberland Street. Seinen Volvo musste er bereits in einiger Entfernung vom Ort des Geschehens abstellen. Vor lauter Einsatzfahrzeugen der Polizei, des Leichenbeschauers und anderer offizieller Stellen war kaum ein Durchkommen. Nicht zu vergessen die Presse-Konkurrenz, die natürlich auch nicht schlief. Tom registrierte beiläufig, wie ein Kollege vom Frühstücksfernsehen vor sich eine Video-Kamera aufbaute, um seinen Aufsager zu bringen.

Tom trug eine Kamera bei sich und knipste ein paar Bilder.

Er näherte sich dem Ort des Geschehens. Einem uniformierten Beamten hielt er beiläufig den Presseausweis hin.

"Was ist hier passiert?", fragte Tom den Officer fassungslos, als er die aufgerissene Straßendecke sah. "Das sieht ja aus, als ob hier der Erdboden aufgerissen wäre..."

"Ja", nickte der Officer, der sichtlich schockiert war.

"Hier muss ein Bulldozer gewütet haben."

"Es soll einen Toten geben..."

"Dort hinten, in dem Wagen.... Der Gerichtsmediziner kümmert sich gerade um die Leiche!"

Tom ließ den Officer stehen, der keinerlei Versuch machte, ihn aufzuhalten.

Bei dem Wagen handelte es sich um ein Coupe. Es war mit der Rückfront gegen ein parkendes Fahrzeug geprallt.

Im Licht der Straßenbeleuchtung warf Tom einen Blick ins Innere...

Der Anblick konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Der Fahrer saß starr hinter dem Steuer.

Er war in einem Eisblock gefroren, der langsam schmolz.

Wasser tropfte aus dem Wagen heraus.

Seine Augen waren weit aufgerissen und blickten starr und tot ins Nichts. Namenloses Grauen spiegelte sich in diesem Blick.

Tom hörte, wie der Gerichtsmediziner sich mit einem Scotland Yard-Beamten unterhielt.

"Ich habe so etwas noch nie gesehen", bekannte der Arzt mit schreckensbleichem Gesicht. Tiefe Furchen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Und sein Blick wirkte verstört, obgleich er mit Sicherheit alles andere als zart besaitet war. "Es sieht fast so aus, als wäre dieser Mann plötzlich erfroren... Aber so etwas ist eigentlich unmöglich! Vielleicht wird die Obduktion genaueres ergeben. Aber dazu muss der Leichnam erst einmal auftauen."

Ein großer, massiger Mann mit kurzgeschorenen Haaren näherte sich. Im Licht der Straßenlaternen erkannte Tom ihn sofort. Es handelte sich um Scotland Yard Inspector Gregory Barnes, mit dem Tom und Patricia schon das eine oder andere Mal zu tun hatten. Das letzte Mal war Barnes unerwarteter Weise aufgetaucht als die beiden Reporter der LONDON EXPRESS NEWS in Folkstone den Tod eines Mannes zu recherchieren versuchten, der im Zusammenhang mit einer verbrecherischen Weltuntergangssekte mit der Bezeichnung ORDEN DER MASKE gestanden hatte.

Barnes verzog das Gesicht zu einem völlig deplatziert wirkenden Grinsen. "Ah, Mr. Hamilton", meinte er. "So habe ich mir das gedacht! Die LONDON EXPRESS NEWS mal wieder in vorderster Front der Schmieren-Journaille! Wie hätte es auch anders sein können."

Tom blieb gelassen.

"Wie schön, dass Sie unsere Arbeit zu schätzen wissen, Inspector", versetzte er ironisch. "Leiten Sie diese Untersuchung?"

"Etwas dagegen?"

"Erwarten Sie darauf wirklich eine Antwort?"

"Nein, nicht wirklich. Auf meine Informationen werden Sie sicher ohnehin verzichten wollen und sich lieber selbst eine dramatische Story aus den Fingern saugen - so wie ich Ihr geschätztes Blatt kenne."

"Vielleicht sollten Sie es öfter mal lesen!"

"Ich bitte Sie!" Gregory Barnes verzog das Gesicht und entblößte dabei zwei Reihen makellos blitzender Zähne. Sein ganzes Auftreten wirkte auf die meisten, die ihm begegneten einschüchternd. Er kalkulierte diese Wirkung bewusst ein und so ärgerte es ihn, dass sie sich bei Tom einfach nicht einstellen wollte. "Wo haben Sie übrigens Ihre Kollegin, Miss Vanhelsing gelassen? Die weicht doch sonst nicht von Ihrer Seite!"

"Ich werde ihr Ihre freundlichen Grüße ausrichten, Inspector Barnes", versprach Tom.

"Tun Sie, was immer Sie nicht lassen können..."

Der Inspector ging ein paar Schritte an Tom vorbei.

"Inspector..."

"Was ist noch?" Er drehte sich halb herum und steckte sich dabei ein Kaugummi in den Mund.

"Darf ich Sie so zitieren: 'Scotland Yard steht vor einem Rätsel!"

"Sie dürfen gar nichts!"

"Vergessen Sie nicht, dass das Vereinigte Königreich ein Land mit Pressefreiheit ist!", gab Tom zu bedenken.

Barnes zuckte die Schultern. "Wenn ich mir die NEWS so ansehe, weiß ich nicht, ob das einen zivilisatorischen Fortschritt darstellt, Mr. Hamilton!"

"Was ist hier passiert, Inspector?"

"Besuchen Sie unsere Pressekonferenz, Hamilton!"

"Der Mann sieht aus wie schockgefroren!"

"Sehen Sie: Schon basteln Sie sich Ihre eigene Story zusammen. Machen Sie ruhig weiter, Hamilton! Ich hindere Sie nicht!"

Einer der uniformierten Beamten trat auf den Inspector zu.

"Wir haben hier etwas, das ein Fußabdruck sein könnte, Sir", meinte der Officer.

Barnes nickte.

"Ich sehe es mir an", murmelte er, bedachte Tom Hamilton noch mit einem verächtlichen Blick und folgte dann dem Officer.

Tom sah sich noch ein bisschen um.

Viel würde er hier nicht mehr erfahren können. Als Reporter verfügte er über genug Routine, um das instinktiv zu erfassen.

Statt dessen konnte ihm vielleicht jemand anderes weiterhelfen.

Die Person, die in der NEWS-Redaktion angerufen und den Tipp gegeben hatte.

Swann hatte ihm die Adresse gegeben. Der Mann hieß Graham Stokes und wohnte ganz in der Nähe. Tom Hamilton suchte die Fassaden nach den Hausnummern ab. Es dauerte nicht lange, bis er die Richtige gefunden hatte.

Tom ging zwischen den Polizisten und Reporterkollegen hindurch und stand einige Augenblicke später in dem schlecht beleuchteten Hauseingang eines mehrstöckigen Altbaus.

Tom musste mehrfach klingeln, ehe sich die Tür öffnete. Auf dem Treppenabsatz empfing ihn ein grauhaariger Mann, der eine abgetragene Strickjacke trug.

"Mr. Graham Stokes?", fragte Tom. "Ich bin Tom Hamilton von den LONDON EXPRESS NEWS..."

Tom hielt ihm seinen Presseausweis entgegen.

Der Mann kam zu ihm hinunter und sah sich das Dokument stirnrunzelnd an.

"Sie haben in unserer Redaktion angerufen", stellte Tom fest.

Stokes nickte.

"Ja, das habe ich..."

"Was ist da draußen passiert?"

Stokes sprach mit gedämpfter Stimme. "Ich habe alles gesehen, Mr. Hamilton. Alles... Oben von meiner Wohnung aus. Wissen Sie, ich kann schlecht schlafen und daher schaue ich oft den größten Teil der Nacht fern..."

"Was haben Sie gesehen?", unterbrach Tom ihn.

Stokes' Gesicht veränderte sich. Seine Augen traten etwas hervor. In ihnen flackerte es unruhig. Das Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Er schluckte.

"Es war furchtbar... Der Boden brach auf. Löcher bildeten sich im Asphalt. Ganze Brocken von hartem Asphalt flogen durch die Luft und hagelten auf die parkenden Fahrzeuge nieder. Ich bin sofort zum Fenster gegangen, als ich den Lärm hörte."

"Was geschah dann?"

" Etwas kam aus dem Boden heraus... Vielleicht halten Sie mich jetzt für betrunken oder verrückt. Aber ich bin weder das eine noch das andere. Da war eine Gestalt, die aus der Erde herauskam. Für einen Moment sah ich sie im Licht einer Straßenlaterne..." Der Mann stockte. Sein Blick war nach innen gekehrt. "Ein lebender Leichnam, überzogen von grauem Eis...Es war ein Anblick, den man nicht vergisst, Mr. Hamilton!"

Er hob den Kopf.

Stokes blickte Tom jetzt direkt in die Augen.

"Sie glauben mir nicht."

"Nun, ich..."

"Sie denken vielleicht, dass ich mich nur wichtig machen will. Aber was ich gesehen habe, ist die Wahrheit. Die Gestalt stoppte dann den Wagen, in dem der Tote hinter dem Steuer sitzt. Diese Kreatur muss den Fahrer auf dem Gewissen haben!"

"Haben Sie Scotland Yard schon gesagt, was Sie gesehen haben?"

"Ich möchte nicht in eine Nervenheilanstalt eingewiesen werden."

"Verstehe..."

"Ich bin eigentlich ein nüchterner Mensch, Mr. Hamilton. Ich glaube weder an UFOs noch nehme ich an Seancen, Geisterbeschwörungen und all diesem Zeug teil, das heutzutage, wie sagt man gleich, in ist... Aber das, was da draußen geschehen ist, ist die Realität! Der Asphalt ist aufgebrochen, es sieht aus, als hätte ein dem Wahnsinn verfallener Baggerfahrer ein gewaltiges Chaos angerichtet..."

Sein Gesicht war aschfahl geworden. Tom spürte, dass das Grauen echt war, das dieser Mann empfand - was auch immer er gesehen haben mochte.

"Ich habe die Leiche gesehen", sagte Tom.

"Den Mann im Wagen? Ja, den habe ich auch gesehen. Noch bevor die Polizei eintraf..."

"Haben Sie irgendeine Erklärung dafür, dass der Mann völlig eingefroren ist?"

"Nein."

"Die Frontscheibe war jetzt noch teilweise von einer Eisschicht bedeckt."

"Es passt weder zur Jahreszeit noch zum Wetterbericht, Mr. Hamilton. Aber Sie, ich und all die Scotland Yard-Beamten da draußen haben es gesehen..."

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