Читать книгу Mission in ferner Raumzeit: 1000 Seiten Science Fiction Abenteuer Sammelband - Alfred Bekker - Страница 11
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Deckoffizier Leutnant Mar Dolynski schlenderte über das Promenadendeck und blickte sich um. Roboter bedienten die Passagiere, eilten mit Gläsern beladenen Tabletts zwischen den Liegestühlen hindurch, verteilten Getränke und sammelten die leeren Gläser ein. Die meisten Menschen drängten sich vor den großen Panoramafenstern, die einen fantastischen Ausblick in den Weltraum ermöglichten. Dolynski entdeckte einen Mann, der fast reglos in seinem Liegestuhl saß. Nur seine Brust hob und senkte sich leicht. Ein Schal verdeckte sein Gesicht und er war bis obenhin in eine Wolldecke gehüllt. Nichts schien ihm ferner zu liegen, als die fantastische Aussicht zu genießen. Was suchte er dann auf dem Promenadendeck?
Dolynski forschte nach keiner Antwort. Er hatte in seinem Job schon verrücktere Dinge erlebt. Mit der Zeit gewöhnte man sich in diesem Metier das Wundern ab. Entweder war der Mann ein spleeniger Exzentriker – oder er war krank. Vielleicht sollte er doch etwas Zeit für ihn aufwenden. Mit seinem untrüglichen Instinkt glaubte Dolynski einen Kunden gefunden zu haben, der gewonnen werden wollte. Hatte er ihn erst aus seiner Reserve gelockt, würde es ein einträgliches Geschäft werden. Solche Leute, egal, ob sie einen Stich hatten oder kränkelten, zahlten meistens die höchsten Trinkgelder.
„Mein Herr?“
Zunächst reagierte der Mann nicht, dann bewegten sich seine teuren, auf Hochglanz polierten Halbschuhe. Sein Körper ruckte etwas herum, aber er blieb vermummt. Seine Stimme klang dumpf unter dem Schal, den er sich um den Kopf gewunden hatte.
„Ja? Ja, bitte?“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja.“
„Falls Sie irgendwelche Wünsche haben, ich erledige Sie gerne für Sie.“ Dolynski bedauerte sehr, dass der Mann ihn nicht ansah und sein smartes Lächeln registrierte. „Unser Service hier an Bord ist erstklassig.“
„Schon gut. Danke.“
„Was kann ich also für Sie tun?“
Der Mann zog plötzlich den Schal von seinem Gesicht. Dolynski erschrak. Am liebsten hätte er einen Schritt zurückgetan, aber die Selbstbeherrschung verbot es ihm. Der Mann war sehr mager und besaß ein eingefallenes Gesicht. Faltige, ledrige Haut spannte sich über den stark hervortretenden Knochen und füllte die eingefallenen Partien mit schlaffen Runzeln. Trübe Augen musterten den Offizier. Der Mund wirkte verzerrt, als wäre der Mann verbittert.
„Verzeihen Sie, mein Herr“, murmelte Dolynski.
„Wie heißen Sie, Leutnant?“
Dolynski nannte seinen Namen.
„Gut, Leutnant. Mein Name ist Garvin Teed. Ich bezweifle, dass Sie je von mir gehört haben.“ Teed sprach langsam. Es bereitete ihm Mühe. „Nun, das tut auch nichts zur Sache. Nachdem wir uns miteinander bekannt gemacht haben, bedanke ich mich für Ihre Umsicht. Wie Sie sehen, geht es mir nicht gut, aber Sie können dennoch nichts für mich tun.“
„Mein Herr, wir haben eine eigene Medizinische Abteilung an Bord. Ich ...“
Teed winkte müde ab. „Ich habe mich von hundert Ärzten untersuchen lassen. Bitte, tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich jetzt in Ruhe.“
„Selbstverständlich.“
Leutnant Dolynski wollte noch einen eleganten Abgang vorführen, aber plötzlich stand die Frau neben ihm. Erst, als er sich umdrehte, bemerkte er sie. Wieder erschrak er. Was war los? Er fühlte sich in seinem Selbstvertrauen erschüttert. So etwas war ihm noch nie widerfahren. Eine Drohung schien in der Luft zu liegen. Dabei war absolut nichts im Äußeren der Frau, das ihn bedenklich stimmen konnte.
Sie war mindestens sechzig Jahre alt, mittelgroß, reizlos und altmodisch gekleidet. Herbe Züge dominierten ihr Gesicht. Man hätte sie eher belächeln können, aber Dolynski ärgerte sich im Stillen über sich selbst.
„Junger Mann“, sagte sie in resolutem Tonfall. „Warum belästigen Sie meinen Mann?“
„Aber ich ... ich habe mich nur nach seinem Befinden erkundigt.“
„Befinden?“, wiederholte sie scharf.
„Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist.“
„Ich sagte ihm, dass ich nichts brauche“, sagte Garvin Teed.
Schweißperlen traten auf Dolynskis Stirn. „Kann ich jetzt gehen, oder brauchen Sie mich noch?“
Mit einer einfachen Handbewegung entließ sie ihn gnädig. Dolynski ging verwirrt davon. Sein Weltbild war durcheinandergeraten.
Lorena Teed, vormals Vaderi, beugte sich besorgt über ihren Mann. Sie hatten vor zwei Monaten geheiratet. Dies sollte ihre Hochzeitsreise sein.
„Garvin, Liebling, warum hast du denn nicht auf mich gewartet? Ich war doch nur ganz kurz auf der Toilette.“
„Ich fühlte mich so müde.“
„Du wirst schon wieder auf die Beine kommen, mein armer Schatz. Diese Reise wird dir guttun. Wir werden die Wunder des Universums sehen, habe ich mir sagen lassen. Schließlich bist du kein Herzkranker, der eine solche Reise nicht verträgt.“
„Es ist der verflixte Magen, der mir zu schaffen macht.“
„Aber du wirst gesund.“
„Glaubst du?“
Sie lächelte. „Ich weiß es. Zweifelst du etwa an meinen Fähigkeiten?“
Er hüstelte. „Ach, ich wünschte, du könntest ein Wunder an mir vollbringen. So fertig war ich noch nie.“
„Du kommst wieder auf die Beine.“
„Ich vertraue dir, Lorena.“
„Ich liebe dich, Garvin.“
Er nickte befriedigt. Sie wickelte ihm von Neuem den Schal um den Kopf und ordnete seine Decke. Dann setzte auch sie sich und genoss die Aussicht. Ihr Blick wanderte über das Deck. Viele Passagiere hatten es sich auf Liegestühle bequem gemacht. Garvin Teed atmete keuchend. Hatte er vor Stunden noch Hoffnungen auf eine baldige Genesung gehabt, jetzt gab er sie endgültig auf. Ich bin ein Wrack, dachte er immer wieder. Ein menschlicher Komposthaufen. Wenn der Mensch zu nichts mehr taugt – dann weg.
Doch tief in ihm verborgen schlummerten noch unentwickelte Keime von etwas ganz Neuem, Unerkanntem und Unbekanntem. Sie waren durch die Begegnungen mit Menschen ständig gehemmt, gedämpft, ja unterdrückt worden und nur in den Augenblicken zwischen dem Ende eines Traums und dem Anfang eines neuen aufgeflammt und erloschen.
Je älter Garvin Teed wurde, desto mehr zog ihn die unendliche Leere des Weltraums immer mehr in ihren Bann. Anfangs hatte er sie noch mit den Augen eines Hobbyastronomen gesehen, die einzelnen Gestirne klassifiziert und sich bemüht, ihren Namen festzustellen. Doch bald hörte er damit auf, die Konstellationen zu unterscheiden. Er versuchte nicht mehr, sie von dem schwarzen Hintergrund zu trennen, wie man ja auch die Augen oder den Mund eines vertrauten Gesichts nicht gesondert betrachtete. In manchen Nächten saß er stundenlang am Fenster seines Arbeitszimmers und versenkte den Blick in die Abgründe des Unendlichen.
Wie ein in den Himmel geschossener Pfeil schien er in sich zurückzukehren. Unveränderlich verharrten die Schichten tiefsten Dunkels, nur hier und da von dem blassen Licht der Sternnebel durchbrochen. Es bedeutete jedoch schon einen großen Unterschied, ob man die Sterne durch den Dunstschleier einer Atmosphäre betrachtete oder durch das Fenster eines Raumschiffs. Nur aus diesem Grund hatte Garvin Teed eine Kabine auf der SEELENSPLITTER gebucht. Bevor er starb, wollte er noch einmal die Sterne sehen. Vielleicht bedurfte es erst der Nähe des Todes, um ihre Schönheit angemessen würdigen zu können.
Lorena blickte ihn an. „Mein armer Schatz“, sagte sie besorgt. „Geht es dir nicht gut?“ Sie erhob sich und half ihm auf. „Komm, ich bringe dich in unsere Kabine.“
„Ja, gut. Ich danke dir.“
„Ich bin doch deine Frau, Garvin.“
Sie führte ihn zu einem der Lifts. Dabei redete sie fast ununterbrochen. Auf Knopfdruck glitt die Fahrstuhltür auf, dann trug sie die Kabine abwärts, bis zum G-Deck. Hier stiegen sie wieder aus. Garvin konnte kaum noch gehen. Sie brachte ihn in die geräumige Suite, die sie gebucht hatten. Garvin wollte es ihr an nichts mangeln lassen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Lorena zu verwöhnen. Sie legte ihm kalte Umschläge auf, nachdem er sich halb entkleidet auf dem Bett niedergelassen hatte.
„Mit mir meint es das Schicksal nicht gut, Lorena. Es gibt nichts, das meine Beschwerden lindern kann. Dabei hatte ich so große Hoffnungen auf diese Reise gesetzt. Unsere Hochzeitsreise, Lorena. Ich habe das Gefühl, ich verlasse dieses Schiff nicht lebend.“
Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest. „So darfst du nicht reden, Schatz. Das ist unrecht von dir. Du wirst hier nicht sterben.“
„Das sagst du nur, um mich zu beruhigen.“
„Nein, du musst mir glauben, Garvin.“
„Ich tue es. Du bist alles für mich.“
„Und du bist alles für mich.“
Er wollte sich aufrichten, doch sie hielt ihn zurück. „Was ist los? Wohin willst du?“
„Ich habe Durst.“
„Bleib liegen. Ich hole dir etwas.“
„Das kann doch auch ein Roboter erledigen. Warum willst du dir solche Umstände machen?“
„Weil ich dich liebe. Außerdem sind es keine Umstände.“
Sie verließ die Kabine, stieg in einen Lift und fuhr in eines der darüberliegenden Decks. Hier gab es mehrere Bars. Sie betrat die Nächstgelegene und bestellt ein Glas Multi-Fruchtsaft. Der Robot-Barkeeper brachte ihr das Gewünschte. Lorena kehrte in den Lift zurück. Während sie wieder nach unten fuhr, dachte sie: Verdammt, wie gut du doch heucheln kannst, Lorena. Hättest du je angenommen, dass du dem alten Sack gegenüber so schauspielern kannst?
Insgeheim zählte sie schon die Stunden, bis Garvin Teed endlich sterben und sie zu einer reichen Witwe machen würde. Deswegen hatte sie ihn schließlich geheiratet. Teed war unheilbar krank. Die besten Ärzte hatten alles versucht, um sein Leben noch um ein paar Jahre zu verlängern, doch sämtliche Versuche waren zum Scheitern verurteilt gewesen. Garvin Teed besaß viel Geld, aber Unsterblichkeit konnte auch er sich nicht kaufen.
Die Tür glitt zur Seite. Lorena betrat die Kabine und erschrak. Das Glas entfiel ihrer Hand, krachte zu Boden und zersprang. Die dunkelgrüne Flüssigkeit versickerte im Teppich. Lorena taumelte einige Schritte rückwärts, dann wandte sie sich um und rannte schreiend aus der Kabine. Angelockt durch den Lärm traten nun auch einige andere Passagiere auf den Gang hinaus. Neugierig gingen sie zu der Kabine, um zu sehen, was die Frau so erschreckt hatte. Angewidert wichen sie zurück. Der Mann bot einen furchtbaren Anblick. An der Vorderseite war er von oben bis unten aufgeschlitzt. Sein Därme wirkten wie ein Nest voller angriffslustiger Schlangen.