Читать книгу Der Mörder ist falsch verbunden: 8 Krimis - Alfred Bekker - Страница 10

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Ich holte meinen Kollegen Milo Tucker wie beinahe jeden Tag an der bekannten Ecke ab. Er konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Mir ging es nicht anders.

„Ich hoffe, Mandys Kaffee sorgt gleich dafür, dass wir nicht einschlafen!“, sagte Milo.

Ich grinste. „Das ist der Nachteil des bequemen Sitzmobiliars in Mister McKees Büro.“

Wir hatten eine lange Nacht hinter uns. Viele Stunden hatten wir uns zusammen mit einem Dutzend anderer Kollegen des FBI Field Office New York um die Ohren schlagen müssen, um Ricky Fratella, den Chef eines Drogenrings auf frischer Tat bei einem Deal zu ertappen. Fratella hatte geglaubt, das Geschäft seines Lebens machen zu können. In Wirklichkeit war er in eine Falle getappt. Monatelange, sehr aufwendige Ermittlungen konnten damit wahrscheinlich zum Abschluss gebracht werden.

Eine halbe Stunde später fanden wir uns im Besprechungszimmer von Mr Jonathan D. McKee, dem Chef unseres Field Office ein.

Außer uns waren noch die Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina sowie die Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell anwesend.

Mr McKee wartete, bis Mandy allen einen Becher Kaffee serviert hatte. Die Sekretärin unsers Chefs wollte gerade den Raum verlassen, da traf auch unser Innendienstler Max Carter ein. „Wenigstens sind wir nicht die Letzten, Jesse!“, raunte Milo mir zu, während ich mir bereits den ersten Schluck Kaffee genehmigte.

„Guten Morgen“, begrüßte uns Mr McKee. „Da alle Anwesenden an der gestrigen Operation gegen Ricky Fratella beteiligt gewesen sind, möchte ich Ihnen mein ausdrückliches Lob aussprechen. Das war gute Arbeit! Ich habe heute Morgen bereits mit Bezirksstaatsanwalt Thornton telefoniert und er ist sehr zuversichtlich, dass die Anklage bei Ricky Fratella und seinen Helfershelfern auf sicheren Füßen steht. Und das verdanken wir in erster Linie der sorgfältigen Ermittlungsarbeit und der gewissenhaften Beweissicherung, die von den Mitarbeitern dieses Field Office geleistet wurde.“ Mr McKee machte eine kurze Pause. Ohne einen weiteren Übergang kam er nun zu seinem Hauptanliegen – dem neuen Fall, mit dem er zumindest einen Teil der Agenten unseres Field Office betrauen würde. „Ich weiß, dass Ihnen allen die letzte Nacht noch sehr in Knochen steckt, aber wir können uns leider keine Pause gönnen. Heute Morgen wurden wir offiziell mit den Ermittlungen in einem Fall betraut, der bereits jetzt die Medien beschäftigt wie kaum ein anderer Mordfall der letzten Jahre. Es geht um den Fall Miles Guthrie. Jeder von Ihnen, der während Fahrt hier her die Frühnachrichten gehört hat, müsste die wesentlichen Fakten bereits kennen.“

Ich hatte die Meldung über den Tod des Arztes Dr. Miles Guthrie auch gehört – war allerdings nur mit halbem Ohr bei der Sache gewesen. Der Meldung nach war Guthrie am Vorabend in einer Tiefgarage erschossen worden, nachdem er monatelang von militanten Abtreibungsgegnern und sogenannten Lebensschützern bedroht worden war. Natürlich kochten die Emotionen auch unter den Hörern der Radiosender bereits hoch, noch bevor überhaupt nähere Umstände der Tat bekannt waren. Die Hörer waren vom Sender aufgefordert worden, anzurufen und ihre Meinung zu äußern, wovon die New Yorker ausgiebig Gebrauch machten. Während die einen in Guthries Tod die gerechte Strafe für einen vielfachen Kindermörder sahen, waren andere empört darüber, mit welch brutalen Methoden religiöse christliche Gruppen Ärzte einzuschüchtern versuchten, die letztlich nichts anderes taten, als sich nach den bestehenden Gesetzen zu richten.

Über die näheren Hintergründe der Tat war natürlich noch so gut wie nichts bekannt. Alles, was bisher auf dem Tisch lag waren Vermutungen.

Mr McKee hob die Augenbrauen. „Dr. Guthrie hatte seine Praxis im Brandon Tower von Hoboken und Sie werden sich mit Recht fragen, was wir mit dem Fall zu tun haben. Schließlich wäre dafür normalerweise eine der drei Homicide Squads der Polizei von Hoboken zuständig. Und falls man denen dies aufgrund des gewaltigen öffentlichen Interesses an dem Fall nicht zutrauen würde, wären schließlich zunächst unsere Kollegen vom FBI Field Office New Jersey dran. Der Umstand, der diesen Fall auf unseren Schreibtisch gebracht hat, ist Dr. Guthries Wohnsitz. Er lebt hier in New York. Außerdem bestehen vermutlich Zusammenhänge mit einer Reihe von Anschlägen auf Kliniken und Arztpraxen, in denen legale Abtreibungen durchgeführt wurden und die sich allesamt auf dem Gebiet der Stadt und des Staates New York befinden. Es erschien daher sinnvoll, uns die Ermittlungen führen zu lassen.“ Mr McKee wandte sich an Max Carter. „Bitte, Sie haben auf die Schnelle bereits einiges über Guthrie zusammengetragen und auch ein paar Ansatzpunkte für unsere Ermittlungen gefunden.“

Max nickte. Während Mr McKees Ausführungen war er damit beschäftigt gewesen, das Laptop hochzufahren und den Beamer zu installieren.

Wenig später erschien das Gesicht eines grauhaarigen, energisch dreinblickenden Mannes. Die Augen waren strahlend blau, das Kinn wirkte markant, die Nase war lang und gerade.

„Dieses Foto stammt aus der Presse“, sagte Max. „Man kann es im Internet finden und wurde anlässlich eines gynäkologischen Symposiums an der Columbia University im vergangenen Jahr aufgenommen. Vor drei Jahren wurde Guthrie Opfer einer Messerattacke auf einem medizinischen Kongress hier in New York. Er wurde nur leicht verletzt. Die Täterin war eine gewisse Alana Matthews. Da sie als Aktivistin einer radikalen Gruppe von sogenannten Lebensschützern wegen verschiedener einschlägiger Delikte bereits vorbestraft war, bekam sie keine Bewährung mehr und verbrachte anderthalb Jahre auf Rikers Island, bevor sie wieder auf freien Fuß kam. Seitdem ist sie nicht mehr straffällig geworden. Von der Gruppe, der sie damals angehörte, haben wir dafür umso mehr gehört. Sie nennt sich LIFE IS DIVINE oder kurz LID und gehört zu den radikalsten Gruppen in der Szene der sogenannten Lebensschützer. Angeführt wird diese Organisation von Moses Garrison, einem charismatischen Prediger, der von sich behauptet, früher Missionar in den Urwäldern am Amazonas gewesen zu sein.“

„Gibt es irgendetwas, das eine konkrete Verbindung zwischen Dr. Guthrie und LID herstellt?“, erkundigte sich Mr McKee, nachdem er an seinen Kaffeebecher genippt hatte.

Max nickte. „Die gibt es tatsächlich! Dr. Guthrie wurde laut Angaben des Hoboken Police Department seit langem telefonisch belästigt und mit Drohbriefen überhäuft, wie es vielen Medizinern geht, die auf seinem Gebiet tätig sind und zu der Problematik eine aufgeklärte Haltung haben. Die meisten dieser anonymen Quälgeister ließen sich nie ermitteln, aber gegen zwei Personen wurden eine Geldstrafe und eine gerichtliche Verfügung verhängt, nach der die Täter unter Androhung von Haft weder telefonisch noch sonst wie Kontakt mit Dr. Guthrie aufnehmen oder sich seiner Praxis oder seiner Wohnung nähern durften.“

„Fragt sich nur, ob sie sich auch daran gehalten haben“, warf unser indianischer Kollege Orry Medina ein.

„Die beiden heißen George Braddock und Michael Matlanovich“, fuhr Max fort. „Ihre Adressen sind bekannt. Die gerichtlichen Auflagen beinhalten auch eine Meldepflicht bei jedem Umzug innerhalb der nächsten zwei Jahre. Also können wir davon ausgehen, dass die Adressen stimmen.“

Mr McKee wandte sich an Jay und Leslie. „Sie beide kümmern sich um Matlanovich und Braddock. Wir brauchen ihr Alibi und müssen wissen, ob sie sich in die gerichtlichen Anordnungen gehalten oder Dr. Guthrie weiter schikaniert haben.

„In Ordnung“, nickte Jay.

„Es gibt da noch ein weiteres interessantes Detail“, erklärte Max. „Sowohl Matlanovich als auch Braddock arbeiteten zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung als Ordner bei den Veranstaltungen von Moses Garrison und seiner Organisation.“

„Auf jeden Fall ist die Verbindung Grund genug, diese Organisation mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, zumal sie mit einer ganzen Anzahl von weiteren einschlägigen Delikten in Verbindung gebracht werden“, äußerte Max seine Einschätzung. „So wurde vor vier Wochen im St. Joseph’s Hospital in Queens ein Stromausfall von LID-Aktivisten herbeigeführt, der dazu führte, dass sämtliche Operationen – damit auch zwei Abtreibungen – abgesetzt werden mussten.“

„Was ist mit den Tätern?“, hakte Mr McKee nach.

„William C. Blaise und Tara McMillan – beides Aktivisten von LID. Die beiden sind untergetaucht, die City Police fahndet nach ihnen. Vermutlich waren noch weitere Täter an dem Anschlag beteiligt, aber anhand der Aufnahmen der Überwachungskameras konnten nur diese beiden zweifelsfrei identifiziert werden.“

„Da das jetzt unser Fall ist, werden wir auch dort ansetzen“, erklärte Mr McKee. „Vielleicht könnten Sie uns noch ein paar Worte zu den Zielen sagen, die LIVE IS DIVINE verfolgt!“

Max nickte und blätterte in einer Mappe mit Computerausdrucken und Notizen. „Gerne“, sagte er. „Kristallisationspunkt ist der Prediger Moses Garrison. Er wurde als Robert Garrison geboren und änderte seinen Namen auf legalem Weg, nach dem er seine sogenannte Wiedergeburt als Christ erlebte. Seitdem zieht er als charismatischer Prediger durch das Land und wettert in Football-Stadien und Eishockey-Arenen gegen Abtreibung, Homosexualität und Sittenverfall. Außerdem hat er wöchentlich eine Sendung auf dem Kabelsender ‚God’s Television’, den hier in New York eigentlich jeder empfangen können müsste.“

„Und wer finanziert diesen Garrison?“, fragte Clive. Der flachsblonde Italoamerikaner war nach Mr McKee der zweite Mann in der Hierarchie des Field Office.

„Garrison erwirtschaftet mit seinen Auftritten und den dazugehörigen Büchern, Videos etc. ein Millionenvermögen, von dem der größte Teil einer Stiftung mit der Bezeichnung LIFE IS DIVINE FOUNDATION zufließt“, berichtete Max. Er wandte das Gesicht Mr McKee zu und fuhr fort: „Ich werde nachher mit Nat sprechen, dass er diese Stiftung und die mit ihr zusammenhängenden Finanzströme mal etwas genauer unter die Lupe nimmt.“

„Tun Sie das“, stimmte Mr McKee zu. „Aber dazu werden Sie frühestens heute Mittag Gelegenheit haben, denn zurzeit ist Nat beim Zahnarzt und lässt sich eine Wurzel behandeln.“

Nat Norton war bei uns im Field Office der Spezialist für Betriebswirtschaft. Häufig genug waren gerade seine Erkenntnisse es, die uns durch das Aufspüren verdeckter Geldströme bei unseren Ermittlungen auf den richtigen Weg brachten.

Mr McKee wandte sich an Milo und mich. „Ich möchte, dass Sie beide sich zusammen mit einigen Kollegen aus unserem Erkennungsdienst nach Hoboken begeben, zum die Verhältnisse am Tatort genauer zu untersuchen, sich mit den Kollegen des Hoboken Police Department kurzschließen.“

„In Ordnung, Sir“, nickte ich.

„Clive, Sie nehmen sich diesen Moses Garrison vor.“

„Er wird seine Hände in Unschuld waschen!“, erwiderte der Italoamerikaner.

Mr McKee teilte diese Einschätzung. „Natürlich. Vermutlich ist er im juristischen Sinn gesehen sogar unschuldig, auch wenn sich die eigentlichen Täter von ihm haben inspirieren lassen. Jedenfalls nehme ich nicht an, dass diese Bewegung so straff geführt ist, dass er eine direkte Befehlsgewalt hätte.“

„Oh, ich widerspreche Ihnen ungern, Mister McKee“, mischte sich Max ein. „Was Sie sagen, mag für andere charismatische Erweckungsprediger ja im Allgemeinen zutreffen, aber was Garrison angeht, wissen wir ehrlich gesagt noch gar nicht so viel über die Führungsstrukturen dieser Organisation. Auf wirtschaftlicher Ebene gibt es diese bereits erwähnte Stiftung und ansonsten hat er sicher einen großen Pulk von Anhängern, die eher locker mit ihm und seinen Idee verbunden sind. Aber davon abgesehen scheint es innerhalb dieser Anhängerschaft durchaus Kreise zu geben, die sehr viel strengere Organisationsformen angenommen haben und sich stark nach außen abschotten. In wie fern Garrison hier über eine direkte Befehlsgewalt verfügt und vielleicht sogar konkretere Aktionen anordnen kann, ist noch lange nicht geklärt.“

„Wie auch immer, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Mörder von Dr. Guthrie und die Urheber einiger weiterer krimineller Aktionen gegen Abtreibungskliniken und –praxen im direkten Umfeld dieses Predigers zu finden sind“, schloss Mr McKee.

„Zurzeit versuchen wir gerade den gegenwärtigen Aufenthaltsort von Alana Matthews ausfindig zu machen“, erklärte Max.

„Ich denke, wir hätten damit zunächst einmal alles besprochen“, stellte Mr McKee fest. „Damit wäre die Sitzung beendet.“

„Eine Frage noch!“, meldete sich Clive zu Wort.

Mr McKee hob die Augenbrauen. „Bitte!“

„Wo wird die gerichtsmedizinische Untersuchung durchgeführt?“

„Da Guthrie Bürger der Stadt New York ist und man den Fall außerdem jetzt uns übertragen hat, wurde die Leiche in das gerichtsmedizinische Labor der Scientific Research Division in der Bronx überführt. Soweit ich weiß, ist Dr. Brent Claus mit der Obduktion betraut.“ Mr McKee blickte auf die Uhr. „Die Sektion hat vor einer halben Stunde begonnen und dauert für gewöhnlich drei Stunden. Danach werden wir mit ersten Ergebnissen rechnen können.“

Der Mörder ist falsch verbunden: 8 Krimis

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