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„Wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen, so sagt Jesus, der Herr!“, dröhnte die tiefe Stimme von Moses Garrison durch den Raum. Garrison war eine imposante Erscheinung. Ein zwei Meter großer Mann mit vollem, sehr dichtem grauem Haar und einem grau durchwirkten Bart, der bis auf Brusthöhe hinabreichte. „Was tut denn ein sogenannter Arzt, der eigentlich geschworen hat, den Menschen zu helfen und sie mit Gottes Hilfe zu heilen, wenn er das durchführt, was man beschönigend einen Schwangerschaftsabbruch nennt? Jawohl, meine Brüder und Schwestern, er nimmt eine Waffe und greift ein menschliches Wesen an – dazu noch ein besonders hilfloses! Was macht es schon für ein Unterschied, ob es nun ein Schwert ist oder ein medizinisches Instrument, das den kleinen menschlichen Körper zerstückelt? Der Herr sagt, dass das Leben heilig ist! Und dass Gott es gesandt hat – diesen Odem, den er Adam einhauchte und der uns allen seitdem innewohnt! ‚Du sollst nicht töten’, so steht es schon in dem Gesetz, das Gott uns am Sinai gab. Und wer dagegen verstößt ist ein Sünder, der selbst des Todes ist…“

„Danke, aus!“, rief ein Mann mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, dem die Krawatte wie ein Strick um den Hals hing. Er nahm ein Glas Wasser, trank es aus und stellte zurück auf seinen Skripttisch. „Alles klar. War das Licht okay?“, wandte er sich an einen der Techniker.

„Ja!“, kam es knapp zurück.

Moses Garrison entspannte sich ebenso deutlich wie die Kameraleute hinter ihren Geräten. Normalerweise wurde Garrison stets durch das Publikum angespornt. Vor leeren Rängen imaginären Zuschauern zu predigen, daran mochte er sich einfach nicht gewöhnen. Andererseits kam seine Sendung gut an und war auf ‚God’s Television’ der absolute Quotenspitzenreiter. Also gab es keinen Grund, seine Fähigkeiten als TV-Prediger in Frage zu stellen.

„Alles perfekt im Kasten!“, rief der Mann mit den Hemdsärmeln.

Zwei Männer traten von hinten an ihn heran - der eine flachsblond, der andere mit blauschwarzem Haar und dunklen Teint.

„Agent Clive Caravaggio, FBI. Dies ist mein Kollege Agent Medina. Wir haben ein paar Fragen an Mister Moses Garrison.“

Der Mann mit den Hemdsärmeln drehte sich herum. Er starrte einen Augenblick lang auf den Dienstausweis, den Clive ihm entgegen hielt. Dann atmete er tief durch und wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht. „Sie kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt, Agent Caravaggio! Wir zeichnen hier gerade eine Sendung für ‚God’s Television’ auf und sind ohnehin schon im Zeitplan hinterher.“

„Das tut mir leid, Mister…“, antwortete Clive.

„Wir würden das nicht tun, wenn es nicht unbedingt erforderlich wäre“, ergänzte Orry Medina. „Dürfen wir erfahren, wer Sie sind?“

„Cameron. Frank Cameron, ich bin hier der Aufnahmeleiter und ausführender Produzent in einer Person.“ Er seufzte. „Wenn es Ihr Geld kosten würde, würden Sie das nicht machen! Da bin ich mir ziemlich sicher.“

„Wir sind sicher schnell fertig“, versprach Orry.

Frank Cameron nickte. Er machte seiner Crew ein Zeichen und rief: „Wir machen zwanzig Minuten Pause! Aber das mir hinterher jeder pünktlich ist!“ Er wandte sich an die beiden FBI-Agenten und knurrte: „Kommen Sie!“

Clive und Orry folgten ihm auf die Bühne. Als Hintergrund wurde eine blaue Wand verwendet, die späte gegen jeden beliebigen Hintergrund ausgetauscht werden konnte.

„Mister Garrison?“, fragte Clive. „Ich bin Agent Caravaggio vom FBI Field Office New York. Mein Kollege Medina und ich hätten ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von Dr. Miles Guthrie an Sie.“

„Reverend Garrison – so viel Zeit muss sein, Gentlemen!“, mischte sich Cameron ein.

„So weit uns bekannt ist, hat Mister Garrison weder ein Theologiestudium absolviert, noch steht er einer Kirchengemeinde vor oder hat sich sonst wie als Geistlicher qualifiziert – nach welchem Bekenntnis auch immer!“, hielt Orry ihm entgegen.

„Die Kirchen sind zu Treffpunkten lauwarmer Kompromiss-Christen geworden, die das Wort Gottes nicht mehr ernst nehmen“, erklärte Garrison. „Diejenigen, die sich mir angeschlossen haben, nennen mich üblicherweise Reverend, aber das muss für Sie nicht gelten.“

„Ich schlage vor, wir gehen in einen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können“, sagte Clive.

Garrison wechselte einen etwas verwirrten Blick mit Cameron. Dieser zuckte mit den Schultern und beteuerte: „Ich habe keine Ahnung, was das Ganze soll!“

„Mit dem Tod dieses unglückseligen, gottesfernen Arztes, der das Leben als etwas ansah, dass man im Abort verschwinden lassen kann, weil der Staat ihm dafür keine Strafe androht, habe ich nichts zu tun.“

„Wir verdächtigen Sie auch keinesfalls. Unsere Fragen dienen der Information.“

„Welcher Information? Das ist doch vollkommen lächerlich! Sie können mich gerichtlich vorladen lassen, wenn Sie glauben, dass das Ihrer Sache dient, aber ich weigere mich, mir Ihr Geschwätz auch nur anzuhören.“

„Warum so feindselig?“, fragte Clive. „Wir sollten versuchen zu kooperieren, soweit das möglich ist.“

Garrison durchbohrte Clive förmlich mit seinem Blick und fuhr aufgebracht fort: „Deine Rede sei ja, ja oder nein, nein, so heißt es in der Bibel und daran habe ich mich immer gehalten! Alles, was ich zu dem Thema zu sagen habe, habe ich gesagt! Und zwar öffentlich! Jede Woche lege ich in meiner Sendung auf ‚God’s Television’ Zeugnis ab und mehr als 200 Veranstaltungen im Jahr im ganzen Land hätten Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich über meine Ansichten zu informieren! Oder Sie hätten ich eines meiner Bücher anschaffen können! Aber nein, Sie bevorzugen natürlich den großen Auftritt und stören mich bei meiner Arbeit!“

„Den großen Auftritt überlassen wir gerne Ihnen, Reverend Garrison“, erwiderte Clive. „Ich denke, es wäre aber für alle Seiten das Beste, wenn wir die anstehenden Fragen unter sechs Augen klären können.“

„Meinetwegen auch unter acht Augen, wenn Sie glauben, dass Sie dazu einen Anwalt nötig haben!“, ergänzte Orry.

Garrison seufzte. „Na gut“, gestand er zu.

Orry und Clive folgten ihm in einen Büroraum.

„Ich möchte Sie auf folgendes hinweisen“, eröffnete Garrison das Gespräch, nachdem sich alle gesetzt hatten. „Soweit ich das über die Medien mitbekommen habe, wurde dieser Mörder-Arzt gestern Abend erschossen. Ich habe vor zehntausend Menschen in New Rochelle gepredigt. Davon gibt es eine Videoaufzeichnung, die irgendwann in nächster Zeit auch auf ‚God’s Television’ läuft und als DVD zu beziehen ist. Außerdem…“

„Wie ich schon sagte, Ihnen persönlich wird in dieser Hinsicht nichts vorgeworfen, auch wenn man natürlich auf dem Standpunkt stehen könnte, dass Ihre Predigten die Tat vielleicht inspiriert haben…“

„Ich predige keine Gewalt! Aber ich verschweige auch nicht, dass das Gericht des Herrn mit aller Härte die Sünder treffen wird! Halleluja!“

„Es gab in letzter Zeit eine Reihe von Sachbeschädigungen und Anschlägen auf Kliniken im Großraum New York. Der Gipfel war der provozierte Stromausfall im St. Joseph’s, der unter Umständen einigen Menschen das Leben hätte kosten können“, erwiderte Clive.

Garrison breitete die Arme aus. „Das ist bedauerlich. Aber ich habe nichts damit zu tun!“

„Zwei der Täter wurden anhand der Videoüberwachung identifiziert: William C. Blaise und Tara McMillan. Beide waren Aktivisten von LIFE IS DIVINE.“

„Sie können mich nicht im Ernst für das haftbar machen, was Menschen, die meinen Predigten lauschen, anschließend tun. Es kommen Mörder, Huren und andere verworfene Seelen in meine Gottesdienste und schon so mancher wurde dort durch die Verkündigung von Gottes Wort geläutert!“

„Blaise und McMillan waren Angestellte Ihrer Stiftung – nicht nur irgendwelche Anhänger“, gab Orry zu bedenken.

„Was das mit dem Fall Guthrie zu tun hat, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft“, entgegnete Garrison.

Clive versuchte, es ihm zu erklären. „Blaise und McMillan zählen für uns durchaus zum erweiterten Kreis der Tatverdächtigen. Es ergibt sich einfach ein beunruhigendes Gesamtbild der Aktivitäten Ihrer Organisation.“

„Jetzt übertreiben Sie mal nicht!“

„Guthrie wurde – wie andere Ärzte auch – mit Drohanrufen und Hassbriefen drangsaliert. Zwei der Täter wurden verurteilt – George Braddock und Michael Matlanovich. Sie arbeiten als Ordner bei Ihren Veranstaltungen. Und dann ist da noch Alana Matthews, die vor drei Jahren Guthrie mit einem Messer attackierte. Zuvor war auch sie als Aktivistin von LIFE IS DIVINE tätig und wurde sogar mit der Durchführung von Predigerseminaren betraut!“

„Dass wir Guthries Mörder im Umkreis Ihrer Organisation suchen, dürfte Sie doch angesichts dieser Tatsachen kaum überraschen“, ergänzte Orry.

Garrison saß wie versteinert da. Sein Gesicht wirkte wie das gemeißelte Standbild eines alttestamentarischen Patriarchen. Der Blick war nach innen gekehrt. Schließlich murmelte er: „Sie werden von mir kein Wort des Bedauerns über Guthries unrühmliches Ende hören. Er hat geerntet, was gesät hat: Den Tod nämlich!“

Clive hob die Augenbrauen. „Ich hatte gehofft, Sie könnten uns dabei behilflich sein, Ihre Organisation von jedem Verdacht rein zu waschen, sodass wir uns auf andere Verdächtige konzentrieren könnten“, erklärte er. „Aber da scheine ich bei Ihnen leider auf Granit zu beißen.“

„Ich soll Auskünfte über meine Mitbrüder geben? Für wen halten Sie mich? Ich bin kein Judas!“

„Es soll unter Ihren Anhängern Gruppen geben, die eine radikalere Vorgehensweise bevorzugen würden“, stellte Orry fest. „Könnte es sei, dass Teile von LIFE IS DIVINE Ihrer Kontrolle aus den Händen geglitten sind?“

Moses Garrison erhob sich mit hochrotem Kopf. Er ging zu einem der Wandregale des Büros. Neben Akten mit Geschäftsberichten und Steuerratgebern stand dort auch ein Bibelexemplar in Leder. Garrison nahm es heraus und knallte es auf den Tisch. „Alles, was ich sage, gründet sich auf das Wort Gottes. Ich predige, was mir mein Gewissen gebietet und welche Schlussfolgerungen der Einzelne daraus zieht, damit habe ich nichts zu tun.“

„Machen Sie es sich damit nicht ein bisschen einfach?“, fragte Orry.

„Ich gehe den geraden Weg in der Nachfolge des Herrn. Das Leben ist für mich etwas Heiliges und ich empfinde es als Hohn, dass unsere Gesetze auf der einen Seite Mord bestrafen, ihn an aber in anderen Fällen einfach geschehen lassen.“

Es klopfte an der Tür. Frank Cameron öffnete.

„Können wir weiter machen, Reverend?“

„Sofort!“

„Sie wissen, dass wir heute die Sendungen des nächsten Monats aufzeichnen müssen!“

Garrison wandte sich an Clive. „Ich denke, es gibt nichts weiter zu besprechen, Agent Caravaggio.“

„Falls Ihnen irgendetwas einfällt, dass mit dem Fall zu tun hat, dann lassen Sie es uns bitte wissen“, forderte Clive und reichte ihm eine seiner Visitenkarten. Garrison zögerte zunächst. Dann nahm er sie und steckte sie ein.

„Kommen Sie in meine Gottesdienste und lassen Sie Gottes Wort in Ihr verstocktes Herz, Mister Caravaggio!“

Der Mörder ist falsch verbunden: 8 Krimis

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