Читать книгу Der Mörder ist falsch verbunden: 8 Krimis - Alfred Bekker - Страница 18
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ОглавлениеEs war später Nachmittag, als Milo und ich den Tatort in Hoboken verließen. Wir suchten Guthries Witwe auf. Sie war bereits durch die Kollegen der City Police über den Mord an ihrem Mann informiert worden, sodass uns diese unangenehme Aufgabe erspart blieb. Angehörigen von Opfern mitteilen zu müssen, dass ein geliebter Mensch durch die Skrupellosigkeit eines Verbrechers ums Leben gekommen war, gehörte zu den Tätigkeiten in unserem Job, die einem wohl niemals zur Routine wurden.
Die Guthries besaßen einen Bungalow in Riverdale, Bronx.
Dieses Viertel gehörte zu dem wenig bekannten bürgerlichen Teil der Bronx, der mit den gefürchteten, von Drogengangs beherrschten Straßenzügen der South Bronx kaum etwas gemein hat. In Riverdale dominierten breite Alleen und schmucke Einfamilienhäuser.
Ich setzte den Sportwagen in die Einfahrt.
Wir stiegen aus.
Durch einen gepflasterten Weg gingen wir durch den gepflegten Vorgarten. Wenig später klingelte ich an der Tür. Eine junge Frau öffnete uns. Sie war höchstens zwanzig und vollkommen weiß geschminkt. Die Kleidung war in schwarz gehalten. An ihrem Lederhalsband wechselten sich Totenköpfe und Stacheln ab. An den Ohrläppchen hingen umgedrehte Kreuze.
„Hi!“, sagte sie.
„Jesse Trevellian, FBI. Die ist mein Kollege Milo Tucker. Wir möchten gerne mit Mrs Patricia Guthrie sprechen.“
Die junge Frau kaute auf irgendetwas herum und musterte uns von oben bis unten. Dann nahm sie mir die ID-Card aus der Hand, sah sie sich genau an und gab sie mir schließlich zurück.
„Kommen Sie herein. Aber ich warne Sie.“
„Weshalb?“
„Meine Mom ist in keiner guten Verfassung.“
„Sie sind Dr. Guthries Tochter?“
„Seine Stieftochter. Hat sich immer eingebildet, dass er mir was sagen kann. Aber das ist ja nun vorbei.“
Die junge Frau drehte sich um und überließ es uns, ihr zu folgen.
„Tiefe Trauer klingt aber anders, oder?“, raunte Milo mir zu.
Wir erreichten das Wohnzimmer. Am Fenster stand eine Frau von Anfang vierzig. Das rostbraune Haar war zu einem Knoten zusammengefasst. Sie trug ein elegantes, perfekt sitzendes Kleid.
„Mom, da sind so Typen vom FBI, die mit dir reden wollen.“ Sie ging auf ihre Mutter zu, die vollkommen in Gedanken versunken zu sein schien. Regungslos stand sie da und wirkte wie erstarrt. Die Tochter – äußerlich das komplette Gegenteil ihrer modebewussten, eher wie eine konservative Businessfrau wirkenden Mutter – ging von hinten auf sie zu und fasste sie bei den Schultern. „Mom, das FBI ist da und möchte dir Fragen stellen.“
„Ist schon gut, Sandrine“, sagte Patricia Guthrie und drehte sich nun endlich herum.
„Ich glaube, das war alles etwas zu viel für meine Mutter“, erklärte Sandrine Guthrie an uns gewandt. „Vielleicht kommen Sie besser ein anderes mal wieder.“
„Damit täten wir dem Mörder Ihres Mannes nur einen Gefallen“, erwiderte ich und wandte mich dabei direkt an Mrs Guthrie. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und presste die Lippen aufeinander. Dann bedeckte sie kurz die Augen mit der Hand. Ein tiefes Durchatmen folgte und sie hatte sich wieder gefasst.
„Es geht schon“, erklärte sie. „Was wollen Sie wissen?“
„Zunächst einmal möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen, Mistress Guthrie“, sagte ich.
„Nichts für ungut, Mister…“
„Ich bin Agent Trevellian.“
„…aber ich glaube kaum, dass Sie nachempfinden können, was im Moment in mir vorgeht.“
„Nein. Aber wir können versuchen, den Mörder Ihres Mannes zur Rechenschaft zu ziehen.“
Sie schluckte. „Das bringt ihn mir nicht zurück!“
„Vielleicht gibt es Ihnen aber etwas Genugtuung.“
„Da bin ich mir nicht sicher, Agent Trevellian.“
Eine Pause entstand. Schließlich fuhr ich fort: „Wir ermitteln derzeit im Umfeld von radikalen Abtreibungsgegnern, aus deren Reihen vielleicht der Mörder Ihres Mannes kommen. Ich weiß, dass Ihr Mann Drohanrufe bekam und…“
„Er wurde damit überhäuft, Agent Trevellian!“, unterbrach mich Mrs Guthrie. „Wir bekamen Briefe, die ihm den Tod ankündigten. Ein Wagen wurde in Brand gesteckt und vor drei Jahren ist eine Irre auf ihn mit dem Messer losgegangen.“ Mrs Guthrie atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hob das Kinn und wich meinem Blick aus. „Ihnen persönlich will ich keinen Vorwurf machen, Agent Trevellian – und Ihrem Kollegen ebenso wenig! Schließlich haben wir erst seit heute miteinander zu tun. Aber die Polizisten, an die sich mein Mann in seiner Verzweiflung gewandt hat, haben nichts für ihn getan! Wer weiß, wie viele von denen insgeheim dieselben Ansichten vertreten haben, wie diese Fanatiker, die eine Frau anklagen, die ein Kind nicht austragen will, denen es aber keinerlei Gewissensqualen verursacht, Menschen anzugreifen, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als anderen zu helfen.“
„Ich verspreche Ihnen, dass wir alles Menschenmögliche tun werden, um den Fall aufzuklären!“, versprach ich. „Aber dazu brauche ich Ihre Mithilfe.“
„Ja, jetzt, wo jemand umgekommen ist, da setzt sich die Justiz endlich in Bewegung! Aber was war denn vorher? Diese Vereinigungen von sogenannten Lebensschützer wie LIFE IS DIVINE verfolgen doch ganz bestimmte Strategien. Sie versuchen Ärzte wie meinen Mann einzuschüchtern, bis sie klein bei geben. Aber dazu war Miles einfach zu sehr mit Leib und Seele Arzt. Es ging ihm nie um den Profit, sondern um die Menschen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Haben Sie sich nicht gewundert, weshalb seine Praxis in Hoboken liegt, während wir in Riverdale wohnen? Das gehörte auch zu seinen Sicherheitsmaßnahmen. Besser ein paar Kilometer mehr zwischen Praxis und Wohnort, damit die Familie geschützt wird, so hat er gedacht. Es nützte ihm leider nichts.“
„Bitte erzählen Sie uns alle besonderen Vorkommnisse der letzten Zeit“, mischte sich jetzt Milo in das Gespräch ein. „Jemand, der Ihrem Mann besonders stark zusetzte vielleicht.“
„Ich bin Anwältin und Mitglied der renommierten Kanzlei Ward, Nolan & Partners“, antwortete Mrs Guthrie. „Gestern hat ein sehr wichtiger Kunde unserer Kanzlei mitgeteilt, dass er in Zukunft unsere Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen wird. Der Grund ist, dass ich die Frau eines Arztes bin, der Abtreibungen durchgeführt hat! Verstehen Sie jetzt, welche Kreise das gezogen hat?“
„Um welchen Kunden geht es da?“, fragte ich.
„Das werde ich Ihnen nicht sagen, Agent Trevellian. Dadurch würde ich den entstandenen Schaden wahrscheinlich noch vergrößern und von vorn herein ausschließen, dass dieser Kunde sich vielleicht doch noch besinnt und zu uns zurückkehrt. Ich möchte einfach nur, dass Sie verstehen, welches Leben wir führen mussten!"
Ich holte ein paar Fotos aus der Innentasche meines Jacketts und breitete sie auf dem Wohnzimmertisch aus. „Haben Sie in letzter Zeit eine dieser Personen gesehen? Es könnte sein, dass sie Ihren Mann beobachtet haben oder Ihnen vielleicht sonst wie auffielen.“
„Mein Mann hat sehr viel gearbeitet. Ich habe ihn ohnehin kaum gesehen.“ Mrs Guthrie beugte sich über die Fotos. „Diese Frau kenne ich. Das ist Alana Matthews, die Messerstecherin.“
„Richtig.“
„Ich habe mir dieses Gesicht während des Prozesses gut eingeprägt. So selbstzufrieden… Sie dachte wirklich, dass sie Gutes getan hat. Das wirkte so absurd“
„Hat Alana Matthews Ihren Mann noch einmal behelligt?“
Mrs Guthrie schüttelte den Kopf. „Nein. Wer sind die beiden anderen Personen?“
„William C. Blaise und Tara McMillan. Sie gehören zu den Lebensschützern und sind für den Stromausfall im St. Joseph’s Hospital verantwortlich. Zu ihrem Gerichtstermin sind sie nicht erschienen, jetzt werden sie gesucht.“
„Nie gesehen.“
„Mom, warum erwähnst du nicht den komischen Typen, der immer in dem Wagen saß?“, fragte Sandrine Guthrie.
„Weil du dir da was eingebildet hast“, war Mrs Guthrie überzeugt.
„Erzählen Sie uns trotzdem davon!“, forderte Milo sie auf. „Alles kann wichtig sein.“
„Das sagen die in der Glotze auch immer.“
„In diesem Fall stimmt es ausnahmsweise.“
Sandrine klemmte ihre Daumen hinter den Nietengürtel, der ihr um die Hüften hing und dessen Schnalle die Form eines Pentagramms hatte. „Sorry, aber eigentlich gibt’s da nicht sehr viel zu sagen. Er saß in seinem Wagen und stierte dauernd auf unsere Haustür.“
„Wann zuletzt?“
„Vorgestern Abend. Mir ist er aufgefallen, als Dad zurückkam. Ich wollte mit meiner Maschine in die Stadt. In der Avenue A wurde nämlich ein angesagter Club eröffnet. Das ’Gothic Fever’.“ Sie starrte mich an und fügte anschließend hinzu: „Warum glotzen Sie mich so an? Trauen Sie mir nicht zu, eine Harley zu fahren?“
„Ihnen sofort.“
„Merkwürdig.“
„Was?“
„Nicht Sie! Ich bin gedanklich noch bei dem Typ. Ich bin gestern auf seinen Wagen zugegangen und habe ihn ziemlich angemacht.“ Sie ballte die Rechte zur Faust. Sie trug einen Totenkopfring und einen Ring, in den ein Pentagramm graviert war. „Die beiden haben im Lack seines Wagens wohl ein paar Spuren hinterlassen, schätze ich!“
„Was hatte er für einen Wagen?“
„Keine Ahnung. Ich kenne mich mit Autos nicht aus. Aber ich erinnere mich an etwas anderes.“
„Was?“
„Der Kerl hatte einen ekligen roten Fleck auf der Hand.“