Читать книгу Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 10

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Als wir die Adresse in der Brasewinkel Straße erreichten, war dort bereits alles mit Einsatzfahrzeugen verstellt. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, der ganze Zirkus eben.

Ich parkte den Sportwagen auf dem Bürgersteig. Roy und ich stiegen aus und gelangten wenig später an eine Flatterband-Absperrung. Kollegen in Uniform hielten dort Wache. Wir zeigten unsere Ausweise vor und wurden durchgelassen.

„Wer leitet den Einsatz hier?“, fragte ich.

„Ja, mal immer mit der Ruhe“, sagte mein Gegenüber.

„Wenn ich heute noch Auskunft bekäme, wär das toll.“

„Wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht.“

„Ach, ja?“

Der Uniformierte deutete auf einen korpulenten Mann mit roten, kurz geschorenen Haaren. „Das ist der Chef!“

„Danke.“

„Jo, gern geschehen.“

„So kann man sich täuschen.“

„Wie?“

„Ach, nix.“

Wir gingen auf den Rothaarigen zu und stellten uns vor.

„Uwe Jörgensen, Kripo Hamburg. Dies ist mein Kollege Roy Müller.“

„Polizeiobermeister Robert Dennerlein“, erwiderte der 'Chef'. „Ich habe schon auf Sie gewartet. Wie viel wissen Sie denn schon?“

„Nur, dass es hier ein Haus voller Gift geben soll, das in Zusammenhang mit geplanten Terroranschlägen stehen könnte!“, sagte ich.

Dennerlein nickte. „Dieses Gebäude ist bis unters Dach mit völlig unzureichend gesicherten Behältern voll gestellt, die hochgiftige Substanzen beinhalten. Darunter offenbar auch Stoffe, die Dioxin enthalten sowie stark ätzende Substanzen. Kinder haben auf dem Gelände gespielt. Zwei Jungen sind durch ein Fenster gestiegen und wurden kontaminiert.“

„Wie geht es ihnen?“, fragte Roy.

Dennerlein hob die Augenbrauen und machte ein sehr ernstes Gesicht. „Der Rettungsdienst hat sie abgeholt und in das Albert Schweizer Krankenhaus gebracht. Es waren noch fünf weitere Jungen – alle so um zehn Jahre – dabei. Die haben schließlich auch dafür gesorgt, dass Hilfe geholt wurde.“

„Wo sind diese fünf Jungen jetzt?“, fragte ich.

„Ich gebe Ihnen die Adressen. Im Moment sind sie zu Hause und stehen ziemlich unter Schock.“ Dennerlein atmete tief durch. „Ich kann viel verkraften und hab’ in meinen Dienstjahren auch schon viele Grausamkeiten gesehen – aber wenn Kinder betroffen sind, geht einem das immer schon sehr nahe.“

„Das geht mir genauso“, bekannte ich.

„Sprechen Sie am besten selbst nachher noch mit dem Einsatzleiter des Feuerwehr. Im Moment ist der noch ziemlich im Stress, weil noch nicht ganz klar ist, welche Gefahren von diesem Haus ausgehen. Inzwischen haben wir eine Spezialeinheit der Bundeswehr für ABC-Einsätze angefordert.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, man erwischt die Schweine, die diese Sauerei veranstaltet haben.“

„Wissen Sie etwas über die Besitzer dieses Gebäudes?“, fragte ich.

„Als Eigentümer ist eine Holding eingetragen, die das Gebäude vor anderthalb Jahren an einen gewissen Mahmut Talani vermietet hat.“

„So ein Zufall!“, sagte ich.

„Wieso? Ist das eine bekannte Größe?“

„Dieses Gebäude ist das vierte mit Giftfässern gefüllte Haus in Hamburg, das von Mahmut Talani gemietet wurde“, erklärte ich. „Diese Häuser enthielten leicht entflammbare Chemikalien. Bei einem Brand wären jeweils riesige Wolken aus Dioxin und ätzenden, säurehaltigen Substanzen über Wohngebieten niedergegangen.“

Dennerlein zuckte die Achseln. „Bei einem koordinierten Vorgehen hätte man auf diese Weise den ganzen Großraum Hamburg in Panik versetzen können.“

Genau das war der Grund, weshalb Kriminaldirektor Johann Detlev Hoch, der Chef unserer Abteilung, uns hier her geschickt hatte. Mahmut Talani, der mysteriöse Mieter von insgesamt vier, scheinbar an strategisch günstigen Standorten gelegenen Gebäuden, die bis unter das Dach mit hochgiftigen Substanzen angefüllt gewesen waren, war möglicherweise nur ein skrupelloser Umweltsünder – vielleicht aber auch Terrorist. Natürlich lag in solchen Fällen die Annahme einer illegalen Giftmüllentsorgung erst einmal sehr viel näher.

Aber Mahmut Talani war iranischer Abstammung, besaß aber die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er besaß exzellente Geschäftskontakte in den mittleren Osten, darunter auch zu einigen Adressen in Saudi Arabien, die beim BND seit langem auf der Liste von Firmen und Privatpersonen standen, die radikale Islamistengruppen zu unterstützen.

Unglücklicherweise war Talani unauffindbar.

Er schien wie vom Erdboden verschluckt. So als hätte es ihn nie gegeben. Ein paar Daueraufträge von verschiedenen Konten auf den Cayman-Islands sorgten dafür, dass die Miete für die mit Giftfässern gefüllten Gebäude pünktlich bezahlt wurde. Er selbst hatte zuletzt in einer Etage in der Innenstadt mit traumhaftem Blick gelebt. Aber als sich unser Erkennungsdienstler Kommissar Pascal Steinberger mit einem Team diese Wohnung vornahm, mussten wir feststellen, dass sie so gut wie nichts enthielt, was irgendeinen persönlichen Charakter hatte. Man hätte denken können, dass Mahmut Talani diese Luxuswohnung nie betreten hatte. Nicht ein einziger Fingerabdruck des Gesuchten fand sich dort, geschweige denn Material, aus dem sich eine DNA-Probe hätte gewinnen lassen oder irgendwelche persönlichen Unterlagen.

Unsere Fahndungsabteilung favorisierte die Theorie, dass Talani unter falschem Namen längst das Land verlassen hatte.

Dass wir an ihn vermutlich nicht heran kamen, damit mussten wir uns wohl oder übel abfinden müssen - nicht aber damit, dass seine Helfershelfer und Hintermänner weiterhin ihr Unwesen trieben.

Ein Team der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst traf mit erheblicher Verspätung ein. Die Kollegen dieses zentralen Erkennungsdienstes aller Hamburger Polizeieinheiten waren im Stau stecken geblieben. Bis wir genau wussten, welche Chemikalien im Inneren der Häuser gelagert worden waren, würde einige Zeit vergehen.

Roy und ich ließen uns von Dennerlein die Adressen der Jungen geben und hörten uns außerdem in der unmittelbaren Nachbarschaft des Gebäudes um.

Mehrere Zeugen sagten aus, dass sie beobachtete hätten, wie wiederholt des Nachts Lastwagen auf das Gelände gefahren wären. Allerdings war deswegen niemand misstrauisch geworden. Warum auch? Jedem in der Nachbarschaft war klar gewesen, das es sich bei dem Gebäude um ein Lagerhaus handelte.

Ein Umstand war allerdings bedeutsam.

Innerhalb der letzten Monate war so gut wie nichts mehr in das Gebäude gebracht oder von dort abgeholt worden.

Die einzige Person, die sich – abgesehen von den Jungen, aus deren Gruppe schließlich zwei ins Innere des Hauses eingedrungen waren – in dieser Zeit noch auf dem Gelände aufgehalten hatte, war ein Obdachloser.

Allerdings war dieser Obdachlose lediglich von den Kindern gesehen worden. Keiner der erwachsenen Zeugen konnte sich an ihn erinnern.

Unsere Ausbeute an Ermittlungsergebnissen war bis zum Abend ziemlich dürftig.

Die Kollegen von der Erkennungsdienst und das ABC-Spezialkommando der Bundeswehr kamen nur langsam voran. Inzwischen trafen auch noch Chemiker aus den Reihen unseres Polizeipräsidium ein, um die bereits mit der Untersuchung der Chemikalien beschäftigten Männer und Frauen zu unterstützen.

Uns wurde erst am frühen Abend gestattet, das Gebäude zu betreten. Dazu mussten Roy und ich uns in Spezialanzüge mit Atemmasken zwängen.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren mehr als ein Dutzend verschiedener, hochgiftiger Substanzen in dem Gebäude entdeckt worden. Der Verdacht, dass sich darunter große Mengen an Dioxin befanden, das insbesondere als Nervengift wirkte, sollte sich bestätigen. Darüber hinaus fanden sich Substanzen, von denen Roger Benda, der Leiter des Chemiker-Teams der Kriminalpolizeilichen Einsatzgruppe Erkennungsdienst, meinte, es könnte sich sowohl um Industrieabfälle als auch um Ausgangsstoffe für primitive Kampfstoffe handeln.

„Wenn du mich fragst, hat das hier mit Terrorismus nichts zu tun“, meinte ich an Roy gerichtet, als wir das Haus schließlich verlassen hatten. „Das sieht mir eher nach einer illegalen Mülldeponie aus.“

Je mehr die Umweltauflagen in Bezug auf die Entsorgung von Industrieabfällen und Chemikalien verschärft worden waren, desto lukrativer war der jüngste Zweig des organisierten Verbrechens geworden: der illegale Müllhandel. Was die Gewinnspannen anging, hatte dieses Business den Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung längst in den Schatten gestellt. Die Sache funktionierte leider viel zu einfach. Die so genannte Müll-Mafia übernahm Industrieabfälle aller Art zur Entsorgung. Aber anstatt sie auf den entsprechenden Deponien zu lagern oder für eine fachgerechte Entsorgung Gewähr zu leisten, vergrub man die Fässer mit Dioxin, schwermetallhaltigen Klärschlämmen oder was sonst auch immer anfallen mochte, einfach irgendwo in der Landschaft. Manchmal wurden auch über Strohmänner Lagerhäuser angemietet, wo die hochgiftigen Substanzen dann stehengelassen wurden. Die immens hohen Entsorgungskosten wurden dabei gespart und bildeten den Gewinn, den sich die beteiligten Firmen und die Müll-Mafia aufteilten. Die Differenz zu den Kosten einer regulären Entsorgung war so gewaltig, dass es mitunter sogar lohnte, Giftmüll außer Landes zu bringen, um ihn in Afrika oder Osteuropa illegal zu entsorgen.

„Ich würde mich da nicht so schnell festlegen, Uwe“, gab Roy nach einer längeren Pause zurück. „Du lässt außer Acht, dass dieser Mahmut Talani, dem alle vier in letzter Zeit aufgefundenen Giftmüll-Lagerstätten auf dem Boden der Stadt Hamburg gehörten, zwar alle möglichen üblen Kontakte hat – aber offenbar nicht zu den Müll-Syndikaten!“

„Wir können diese Kontakte bislang nicht nachweisen – das ist aber auch alles“, erwiderte ich. „Das heißt nicht, dass sie nicht existieren.“

„Fakt ist, dass Mahmut Talani Kontakt zu radikalen islamistischen Gruppen hat und mit ihnen offenbar auch in der Vergangenheit schon gute Geschäfte gemacht hat, Uwe!“

„Ich wette, wir wüssten mehr darüber, wenn wir Herr Talani selbst befragen könnten, Roy.“

Mein Kollege grinste

„Der wird uns kaum den Gefallen tun und sich bei uns im Polizeipräsidium melden.“

„Nö“, sagte ich. „Wird er nicht.“

„Sag ich doch, Uwe.“

Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis

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