Читать книгу Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 7

Prolog

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Ich heiße Uwe Jörgensen, bin Kriminalhauptkommissar und gehöre als solcher zur KriPoEGBu.

Ja, eine solche Abkürzung klingt nach einem übel schmeckenden Medikament oder nach einer Ausführungsbestimmung im Steuerrecht. Irgendetwas, was kompliziert, teuer und unangenehm ist. Aber ich kann Ihnen versichern, auf die KriPoEGBu trifft das nicht zu.

Die Abkürzung steht für „Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes“, und wir sind dem Bundeskriminalamt formal angegliedert, aber unsere Büros befinden sich im Polizeipräsidium Hamburg. Formaljuristisch sind wir ein Teil unserer hanseatischen Kripo, denn Polizei ist Länder-Sache, und wir hätten sonst nur sehr eingeschränkte Befugnisse hier vor Ort. Klingt wie ein Wirrwarr? Ist ein Wirrwarr. Aber nur in der Theorie. In der Praxis klappt das alles ganz gut. Bürokratie ist immer das, was Beamte daraus machen. Und Beamte sind Menschen. Auch, wenn viele das nicht glauben wollen, aber es ist so. Menschen wie mein Kollege Roy Müller und ich. Unsere Abteilung greift dann ein, wenn andere nicht mehr weiter wissen. Oder wenn eine Koordinierung zwischen den Polizeibehörden verschiedener Länder nötig ist. Ich will da nicht in die Einzelheiten gehen. Es sind die größeren Fälle, in denen unser Einsatz vonnöten ist.

In der Praxis sage ich meistens nur: „Jörgensen, Kripo.“

Das reicht.

Absolut.

Und wenn ich sehr geschwätzig bin, was nicht so oft vorkommt, dann sage ich: „Jörgensen, Kripo Hamburg.“

Wenn ich den Leuten mit unserer offiziellen Bezeichnung komme, sagen die nur: „Ich hab' schon eine Versicherung, besten Dank. Und ich kaufe auch nichts.“

Wie gesagt, es sind die größeren Fälle, mit denen wir uns befassen.

Die Wichtigen.

Oder die Schwierigen. Manchmal auch einfach nur das, was liegen geblieben ist und wofür sich niemand anderes zuständig fühlt. Es ist immer dasselbe, aber das kennt man ja aus anderen Bereichen. Oder etwa nicht?

*

Ich saß am Hafen und sah den großen Containerschiffen zu, wie sie einfuhren, wie sie be- und entladen wurden und sich mit einer so majestätischen Langsamkeit auf ihr Terminal zubewegten oder sich von ihm entfernten, dass es mich immer an die Art und Weise erinnerte, in der sich große Tiere bewegen. Elefanten zum Beispiel. Ich saß am Kai und angelte.

Irgendwas zappelte an meiner Angel. Das kam nicht oft vor. Das Angelrevier, das ich mir ausgesucht hatte, war auch nicht gerade ergiebig. Das war auch okay.

Genau in diesem Moment klingelte mein Handy.

Ich hatte aus irgendeinem Grund vergessen, es abzuschalten.

Wenn man abschalten will, musste man das Handy abschalten.

Wirklich.

Alter Grundsatz.

Nie befolgt.

Naja. Sowas sollte ja öfter vorkommen.

Wahrscheinlich stand mein Pflichtgefühl dagegen.

Ich langte also in die Tasche meiner Jacke und holte das Smartphone hervor.

KOLLEGE RUFT AN, stand dort in großen Buchstaben.

„So'n Schiet“, sagte ich. „Wer stört?“

„Weißt du doch“, sagte die Stimme an meinem Ohr. Sie gehörte unverkennbar meinem Kollegen Roy Müller. Unverkennbar, weil er einen sehr breiten, norddeutschen Akzent spricht. Und weil ich ihn seit Urzeiten kenne. Wir sind fast wie ein Ehepaar. Wahrscheinlich haben wir beide miteinander mehr Zeit verbracht als jeder von uns beiden mit jeder Frau, mit der er je verheiratet gewesen war. So war das eben. Das nannte man wohl den Primat des Beruflichen oder so ähnlich.

„Ich habe heute frei“, sagte ich.

„Pech für dich, dass irgendein irrer Mörder sich nicht an deine Bürozeiten halten will, Uwe.“

„Jo“, sagte ich. „Da sagst du was. Und ich fürchte, das wird man denen auch nicht mehr beibringen.“

„Häh?“

„Den irren Killern. Dass Sie sich an die Bürozeiten halten sollen.“

„Komm so schnell wie möglich in die Zentrale. Der Chef will, dass wir alle dabei sind.“

„Klingt bedrohlich.“

„Ist bedrohlich, Uwe.“

„Bin am Angeln.“

„Tja, besser, du lässt den Fisch jetzt wieder schwimmen, falls du überhaupt einen an der Angel hast!“

„Na, hör mal!“

„Ich kenn dich doch, Uwe.“

„Ach, wirklich?“

„Du bist für eine Menge Sachen talentiert. Angeln gehört nicht dazu, würde ich mal sagen.“

„Vielleicht kennst du mich doch nicht so gut, wie du glaubst, Roy.“

„Doch, doch...“

„Naja...“

„Hauptsache, du tauchst bald da auf, wo der Chef dich gleich haben will.“

„Jo“, sagte ich. Nicht „Ja“, sondern „Jo“. Mit sehr kurzem 'o' übrigens. Und dieses „Jo“ machte eigentlich klar, dass das Gespräch beendet und die Sache geklärt war. Ein „Jo“ wie ein Punkt. Und manchmal auch wie ein Ausrufungszeichen. Wenn da einer war, der gar nicht hören konnte. Oder wollte. Oder ein lauter Wind pfiff, das kam ja schließlich auch vor.

*

An der Angel zappelte nichts mehr. Vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen. Manchmal ist der Wunsch Vater des Gedankens.

Ich packte mein Zeug zusammen.

„Sagen Sie mal, darf man da eigentlich überhaupt angeln?“, sprach mich ein Rentner in beigefarbener Abenteuerweste von der Seite an. Ich hatte ihn nicht bemerkt.

Ich nahm meinen Dienstausweis heraus und zeigte ihm den. „Ist 'ne verdeckte Ermittlung. Bitte erregen Sie kein unnötiges Aufsehen.“

„Na, wenn dat so ist“, sagte der Rentner.

„Ist so.“

„Steckt man ja nicht drin.“

„Nee.“

„Aber eigentlich ist das Angeln hier nicht erlaubt, glaube ich.“

„Schönen Tag noch.“

Manchmal bricht alles auf einmal über einen herein.

„Ja, ich sag ja nur“, sagte der Rentner, und ich war eigentlich schon ein Stück weiter. Aber für den Kerl ist das noch nicht erledigt. Bei manchen ist das so. Da wird irgendwann mit zunehmendem Alter das Rechthaber-Gen umgelegt. Dann fangen diese Leute an, Falschparker aufzuschreiben. Oder sie werden sogenannte Wutbürger, die gegen alles und jedes sind und gegen jedes Straßenschild eine Volksbefragung zu organisieren versuchen. Und manchmal prozessieren sie auch gegen Kindergeschrei oder Jugendliche auf Bolzplätzen. Und die ganz üble Sorte vergiftet Hunde und Katzen, die überall herumkacken. Ehrlich gesagt, für letztere habe ich sogar Verständnis. Aber sollte man besser nicht sagen. Jedenfalls nicht als Polizist.

„Ja, ich sag ja nur“, sagte der Rentner nochmal und diesmal lauter, sodass ich es auf den zwanzig Metern, die ich inzwischen schon zurückgelegt habe, auch auf jeden Fall mitbekommen muss. „Wenn man schon bei der Polizei ist, sollte man sich wenigstens selbst an die Gesetze halten, finde ich! Ich habe schließlich mein Leben lang Steuern gezahlt!“

Ich konnte es mir nicht verkneifen.

Ich drehte mich um und rief: „Dummes Gequatsche ist seit dem Ersten strafbar! Haben Sie das noch nicht gewusst? Da steht lebenslänglich drauf!“

*

Also, vielleicht sollte ich an dieser Stelle ein paar Dinge richtig stellen, sonst bekommen Sie einen falschen Eindruck von mir.

Vielleicht denken Sie: 'Typisch Beamter, will nur seine Ruhe.'

Oder Sie denken: 'Und so eine Schnarchnase soll das Gesetz gegen Kriminelle verteidigen? Na, dann gute Nacht, Hamburg!'

Ich bin in Wahrheit nicht so schnarchnasig, wie Sie jetzt vielleicht denken.

In Wahrheit bin ich ein dynamischer Vulkan.

Naja, so dynamisch und explosiv, wie Menschen aus dem Norden, die sprachlich über den spitzen Stein stolpern eben sein können. Alles ist ja relativ, wie Einstein schon herausgefunden hat. Ein temperamentvoller Italiener werde ich in diesem Leben nicht mehr. Noch nichtmal ein quasseliger Rheinländer. Aber ich brenne 24 Stunden am Tag für meinen Job, den Schwachen zu helfen, den Opfern von Gewalttaten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dafür zu sorgen, dass das organisierte Verbrechen nicht Überhand nimmt. Manchmal schlafe ich nur vier Stunden. Gangster haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, sich nicht an die Dienstpläne unserer Abteilung zu halten. Wir müssen aktiv sein, wenn die Halunken es auch sind. Das ist nunmal so. Ich ernähre mich von ungesunden Hot Dogs, weil ich oft keine Zeit für anderes habe. Und wenn ich deswegen eine Plautze kriege, sollte man das wie eine Kriegsverletzung ansehen, die ich man sich eben im Kampf gegen das Verbrechen holen kann.

Aber wenn ich dann mal einen Tag frei habe, dann will ich nur Ruhe.

Dann sitze ich zum Beispiel am Wasser und halte die Angel hinaus.

Wo wir schon bei der Wahrheit sind: Ich mag gar keinen Fisch. Ich habe auch nicht den Verdacht, dass da, wo ich sitze sonderlich viele davon herumschwimmen. Ich persönlich als Fisch würde mir jedenfalls ein anderes Gewässer suchen.

Aber kann man in unserer Leistungsgesellschaft einfach nur rumsitzen? Man ist sofort verdächtig. Wieso sitzt der da so? Was glotzt der? Oder wenn man die Augen geschlossen hat, um sich wie Buddha ganz in sich selbst zu versenken, dann denkt jeder: Ist der besoffen?

Dem Rentner, der mich so doof angemacht hatte, hätte ich auch sagen können: „Ich angle gar nicht. Ich bade nur einen Wurm.“ Ist mir aber zu spät eingefallen. Das ist manchmal so. Die besten Sachen fallen einem zu spät ein. Und davon abgesehen, weiß man ja nie, an wen man so gerät. Aktivisten für das Menschenrecht von Würmern, dreckig zu bleiben, soll es ja auch geben...

Mein freier Tag war mir heilig.

Die wenigen Augenblicke inneren Friedens wollte ich genießen.

Leider kannten die dunklen Elemente der Stadt keinen Respekt vor heiligen Dingen.

Also musste ich los.

Ermitteln.

„Mein Gott, Roy, das nächste Mal suche ich mir einen Angelplatz im Funkloch“, murmelte ich vor mich hin, während ich schon im Wagen saß und mich durch den Verkehr quälte.

Aber sowas finde mal in einer Großstadt wie Hamburg!

Ein Funkloch meine ich.

Mörder geben kein Pardon: Drei Krimis

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