Читать книгу Dämon II - Alfred Broi - Страница 19
Der Custos
ОглавлениеIn der Lagerhalle herrschte Totenstille, nur das überaus bedrückende Geräusch der zufallenden Tür hallte noch deutlich nach.
Cynthia hatte Tränen in den Augen, als sie erkennen musste, dass ihre Worte ihren Freund nicht zurückhalten konnten und das jetzt eine Situation entstanden war, mit der sie und sicher auch keiner der anderen je gerechnet hatte. Sie alle waren immer davon ausgegangen, dass es keine Probleme geben würde, Christopher von ihrer Sache zu überzeugen.
Doch genau das war jetzt eingetreten und Cynthia hatte nicht die geringste Ahnung, was sie jetzt tun und wie sie sich jetzt verhalten sollte.
In ihrer Hilflosigkeit schaute sie zu Douglas. Das Gesicht ihres Mannes wirkte angespannt und sehr ernst, doch irgendwie auch...erwartungsvoll?
Aber worauf zum Teufel wartete er denn, wenn er genauso wie alle anderen auch, einfach nur stocksteif dastand, anstatt etwas zu tun?
Und da wusste Cynthia plötzlich, dass sie selbst genau das nicht tun konnte. Sie konnte nicht einfach nur hier stehen und auf ein Wunder hoffen. Nein, sie musste zu Christopher, musste hinter ihm her rennen und ihn zurückhalten. Das hier durfte noch nicht das Ende sein!
Doch in dem Moment, da sie ihren Körper anspannte und losrennen wollte, hob Douglas seinen linken Arm und deutete ihr an, zu bleiben, wo sie war.
Völlig unverständlich starrte sie ihn an, aber Douglas blickte ihr nur geradewegs in die Augen, hatte dabei ein undefinierbares Leuchten in ihnen, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf und legte langsam den Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Mund, als würde er sie auffordern, ganz still zu sein.
Sie tat es, wagte nicht zu atmen, doch fragte sie sich im Inneren ernsthaft, was, verdammt, ihr Mann glaubte, dass sie dann würde hören können?
Christopher hatte gerade mal zwei Schritte getan, als er wie angewurzelt stehen blieb.
Natürlich hatte er Cynthias Worte gehört, doch bisher waren sie nicht wirklich in sein Innerstes vorgedrungen.
Jetzt aber taten sie es!
Und er wurde sich ihrer Bedeutung schlagartig bewusst.
Für einige Sekunden ließ er seinen Blick von links nach rechts schweifen, doch sah er nicht wirklich etwas mit seinen Augen, sondern es schossen ihm unzählige Bilder der Vergangenheit durch seinen Kopf.
Und plötzlich wusste er, dass er doch nicht einfach so gehen durfte.
Schon im nächsten Moment drehte er sich zurück zur Tür, ging auf sie zu, öffnete sie und trat in die Halle.
Als sie sah, wie die Tür aufging, glaubte sie wahrlich, dass ihr Herz für einen Moment aussetzen würde. Atemlos starrte sie auf ihren Freund, ihr ganzer Körper war wie erstarrt.
Christopher hatte seinen Kopf beim Eintritt gesenkt und als er ihn anhob und alle Blicke auf sich wusste, schien er sichtlich zu erschrecken und auch er blieb wie angewurzelt stehen.
Nervös und unsicher schaute er von einem zum anderen, letztlich zu Cynthia. Dort ließ er seinen Blick für eine Sekunde ruhen.
Cynthia wusste, sie durfte ihm jetzt nicht ausweichen und obwohl sie innerlich laut aufschrie, weil sie nicht wusste, ob sein Verhalten gut oder schlecht war, blieb sie äußerlich so ruhig, wie sie nur konnte.
„Du...!“ begann Christopher schließlich, hob seine rechte Hand und deutete mit dem Zeigefinger auf sie. Dabei kniff er scheinbar schmerzhaft die Augen ein wenig zusammen, seine Stirn kräuselte sich und sein Blick war unsicher und ernst. „...hast so etwas heute schon einmal zu mir gesagt, stimmts?“
Cynthia nickte mehrmals, hielt ein lautes Lachen aber zurück. „Ja,…ja das habe ich!“
„Und...!“ Christophers Blick wurde etwas weicher, trauriger. „...warum?“
„Weil...!“ Cynthia musste innehalten, weil sie sonst laut aufgelacht hätte. Sie machte einen Schritt auf ihn zu und atmete einmal tief durch. „...weil es so ist, Christopher!“ Ihr Freund schaute sie irritiert an und Cynthia wusste, sie musste noch mehr sagen. Doch sie wusste auch, dass sie ihre Worte mit Bedacht wählen musste. „Das, ... was du glaubst, …für immer verloren zu haben, kann gerettet werden! Wir haben die...!“ Sie stockte. „...eine echte...!“ Cynthia betonte dieses Wort extra deutlich. „...Chance, ...Silvia...zurückzuholen!“ Während sie gesprochen hatte, war sie langsam auf Christopher zugegangen und stand jetzt direkt vor ihm. Mit feuchten Augen schaute sie ihn an und hoffte, ihm auch durch ihren Blick etwas Zuversicht zu geben.
Und Christopher blickte direkt zurück, tief in sie hinein. Die aufkeimende Hoffnung in ihm konnte Cynthia dabei förmlich spüren.
„Wie?“ Es war nur ein einziges Wort, mit dem er jedoch alles ausdrückte, was er in diesem Moment empfand.
Cynthia konnte sich ein breites Lächeln jetzt nicht mehr verkneifen. Sie hob ihre rechte Hand und legte sie auf seine linke Wange, streichelte sanft darüber. „Indem du daran glaubst, Christopher! Indem du bereit bist, dich noch einmal zu stellen! Und indem du bereit bist, vielleicht sogar dein Leben für sie zu geben!“
Christopher schaute ihr noch einen Moment tief in die Augen, dann nickte er. „Ja…das bin ich!“
Cynthia lächelte breit. „Ich weiß!“ Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn ganz fest. Christopher sperrte sich nicht und genoss ihre Umarmung. „Aber zuallererst...!“ sagte Cynthia dann, als sie sich wieder trennten. „...musst du jetzt zuhören!“
Sie führte Christopher zurück in die Runde der anderen, die alle stumm blieben, in deren Gesichtern jedoch deutliche Erleichterung zu sehen war.
Als er Douglas anschaute, musste er müde lächeln. „Hey Alter, das von eben tut mir leid Mann!“
Douglas Blick blieb ernst. „Wenn es geholfen hat, mir nicht! Und wenn nicht, kannst du gern noch einen Nachschlag bekommen!“
Christopher lachte leise auf, doch schüttelte er den Kopf. „Nein, danke. Obwohl ich sicher noch einige Schläge verdient hätte, habe ich dich sehr gut verstanden!“
„Das hoffe ich!“ erwiderte Douglas mit einem dünnen Lächeln. „Und jetzt sperr deine Lauscher auf!“ Er wartete, bis Christopher sich neben Talea und Francesca auf eine Holzkiste gesetzt hatte, dann schaute er zu Cynthia, die ihm zunickte. Schließlich begann er: „Du und ich...wir sind die einzigen in dieser Runde, die in jener furchtbaren Nacht vor etwas mehr als einem Jahr in New York anwesend waren. Die wissen, was geschehen ist, wie es geschehen ist und welch schreckliche Bilder wir gesehen und erlebt haben. Alle anderen...!“ Er blickte einmal in die Runde. „...wissen das nur durch meine Erzählungen davon. Wir beide aber waren dabei...!“ Douglas hielt einen Moment inne und es schien, als würde er sich die düsteren Erinnerungen wieder ins Gedächtnis rufen. „Wir dachten immer, wir würden den Henker des Teufels jagen, den schlimmsten Massenmörder, den dieses Land je gesehen hatte...!“
Christopher lachte stumm und voller Bitterkeit. „Doch dem war nicht so...!“ fügte er dann hinzu und seine Stimme klang tief und klar, aber auch irgendwie unheimlich. „Dem war nie so gewesen!“
„Doch...!“ Douglas nickte zustimmend. „...wer hätte jemals auch nur erahnen können, was dieses...Monstrum in Wirklichkeit war?“
„Eine Ausgeburt der Finsternis, direkt aus der Hölle, ein Dämon aus der Unterwelt, schrecklicher als alles, was je gewütet hat!“
„Jahrzehntelang...!“ fuhr Douglas fort. „...konnte er sein Unwesen treiben und niemand war in der Lage, ihn zu stoppen. Nur ein Zufall, ...nur eine glückliche Fügung des Schicksals...und ein aufrechter Geist, der bereit war, sein eigenes Leben dafür zu geben, sorgten schließlich dafür, dass diese Kreatur in einem Gefängnis eingeschlossen werden konnte, mit dem sie nicht gerechnet hatte...!“
„Der Ferrari-Fahrer!“ Christopher nickte mit einem traurigen Lächeln.
„Der Ferrari-Fahrer!“ bestätigte auch Douglas sofort.
„Habt ihr herausfinden können, wer er war?“
„Nein!“ Douglas schüttelte den Kopf. „Seine Identität ist uns bis heute verborgen! Doch wer immer er gewesen sein mochte, er hat die Bestie für viele Jahre gefangen gehalten, wobei ich mir sicher bin, dass niemand...keiner von uns sich wirklich je wird vorstellen können, welche Schmerzen und Bürden er hierfür auf sich genommen hat!“ Er hielt kurz inne und alle hingen stumm ihren Gedanken nach. „Doch das gleiche Schicksal, dass dafür sorgte, dass er den Dämon durch den Kopfschuss in sich gefangen nehmen konnte, hat letztlich auch dafür gesorgt, dass der Ferrari-Fahrer an seinen Verletzungen nicht sterben sollte, sodass seine Tat, so heroisch und selbstlos sie auch gewesen sein mochte...vom ersten Tage an nur…endlich...war!“
Christopher nickte. „Früher oder später musste er zu schwach sein, um noch gegen das Böse in ihm anzukämpfen...!“
„Die Jagd nach ihm...!“ führte Douglas weiter aus. „...schien sich dann zunächst wieder so zu präsentieren, wie schon Jahre zuvor, doch das stimmte nicht!“ Er sah Christopher direkt an.
Christopher nickte wieder. „Mit der Ankunft von Francesco...!“ Er schaute zu Francesca, in deren Augen er bereits Tränen sehen konnte. „...sollte sich alles ändern!“
Für einige Momente herrschte Totenstille in der Halle, in denen wieder alle ihren Gedanken nachhingen.
„Aus der Jagd nach einem Massenmörder...!“ hob Douglas schließlich wieder an. „...wurde die Jagd nach einer Kreatur des Bösen! Wir hatten weder die Zeit, zu realisieren, worauf wir uns da einließen, noch auch nur die leisestes Ahnung, was uns erwarten würde! Alles ging in einem so unfassbar hohem Tempo vor sich, dass niemand kaum Zeit hatte, richtig Luft zu holen!“
„Fremde Personen tauchten auf. Doch die, die sich für unsere Freunde ausgaben, entpuppten sich als Feinde. Und die, von denen wir eigentlich Hilfe oder zumindest Verständnis erwartet hätten, arbeiteten gegen uns!“
„Nur der, von dem wir so sicher waren, er wäre unser Feind, zeigte sich als wahrer Freund und Verbündeter...!“ Douglas schaute zu Talea und nickte ihr traurig zu. Die junge Frau hatte ebenfalls schon Tränen in den Augen.
Als Christopher sie jetzt so sah, wirkte sie viel mehr, wie die trauernde Witwe, der er im Central Park begegnet war und er wusste, dass sie lange nicht so stark war, wie sie bisher getan hatte und dass sie aus den vielleicht offensichtlichen Gründen wohl auch noch aus einem anderen Grunde hier sein mochte.
„...dein Mann Eric!“ endete Douglas.
„Aber egal, wie viele wir am Ende auch waren...!“ fuhr Christopher weiter fort. „Wir waren nicht genug, um das Böse zu besiegen und verloren schließlich...gute, aufrechte Männer...!“ Christopher schaute zunächst Francesca an, dann Talea. „....und am Ende sogar den Menschen, der mir…mehr bedeutet hat, als…alles andere...auf dieser Welt!“ Christophers Stimme wurde leiser und brüchiger, als ihn seine Emotionen übermannten.
„Ja!“ Douglas nickte. „Das ist es, was wir erlebt haben. Das ist es, was wir gesehen haben. Das ist das, was sich in unseren Herzen eingebrannt hat und was ich Cynthia und schließlich auch Talea geschildert habe. Der ungleiche Kampf gegen die Mächte des Bösen, den wir niemals gewinnen, bei dem wir lediglich eine Niederlage gerade noch verhindern konnten und der in letzter Konsequenz das Leben dreier wundervoller Menschen gefordert hatte!“ Wieder nickte Douglas und schien in Gedanken weit weg. „Das ist es, was wir erlebt und was wir gesehen haben!“ Er atmete einmal tief durch. „Und doch...!“ Er betonte das letzte Wort und wartete, bis Christopher ihn ansah. „...ist es nicht das, was geschehen ist!“ Er schaute seinen ehemaligen Partner direkt und offen an, ohne Zweifel, nur mit Sicherheit.
„Was...?“ Christopher war sofort sichtlich verwirrt. „Was soll das heißen?“
„Das heißt...!“ begann Douglas. „...das in dieser Nacht nicht drei Menschen gestorben sind, sondern nur...zwei!“
„Was?“ Christopher war vollkommen verwirrt, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Francesco und Eric...!“ Douglas hielt inne und atmete nochmals tief durch. „...starben. An ihren Verletzungen, durch die Hand des Dämons. Silvia aber...!“ Er schaute Christopher wieder direkt an. “...wurde von ihm nicht getötet, er hat sie nur...mit sich genommen!“
„Mit sich genommen? Aber...wohin?“
„In die Hölle!“
„Was? Aber...!“ Christopher war verwirrt, nervös, aufgelöst. „...ich. Wo ist da der Unterschied?“
„Oh das ist sehr wohl ein Unterschied, Christopher!“ hob plötzlich Francesca neben ihm an. Sein Kopf flog herum und in den Augen der Alten konnte er nun keine Tränen mehr sehen, sondern klare Erkenntnis. „Nicht jeder, der in die Hölle hinabsteigt, muss dabei zwangsläufig sterben. Als Toter, der in die Verdammnis geschickt wurde, ist das etwas anderes. Er lebt dort als gequälte Seele bis in die Unendlichkeit. Aber...glauben sie mir...es gibt noch andere Mittel und Wege, in die Hölle zu gelangen!“
„Aber...!“ Christopher schüttelte den Kopf. „Ich verstehe immer noch nicht!“ Er schaute zunächst Francesca mit großen Augen an, dann Douglas, dann die anderen. „Ich habe es doch selbst gesehen. Wie sie in den Sog der Pyramide geraten war, wie sie nicht mehr dagegen ankämpfen konnte, wie sich ihr Körper veränderte, als würde er verblassen, durchsichtig werden, sich auflösen!“
„Ja!“ Francesca nickte. „Das ist es, was sie gesehen haben. Ich glaube ihnen das. In die Hölle kann man nicht einfach gehen, wie von einem Raum in einen anderen. Der Körper wird erst aus seinem festen Zustand in einen...gasförmigen Zustand gewandelt, der dann als Sphäre in die Unterwelt hinab sinken kann. Deshalb glaube ich ihnen, wenn sie sagen, meine Enkeltochter hat sich vor ihren Augen aufgelöst. Aber dennoch...ist Silvia dabei nicht gestorben!“
Christopher schaute Francesca mit großen Augen an. „Dann, ....dann hätte ich ihr also auch folgen können!?“ Sein Kopf wirbelte herum zu Douglas. Sein Blick wurde ernst, denn in seinen Erinnerungen kamen die Ereignisse der letzten Sekunden wieder hervor, bevor sich die Pyramide wieder geschlossen hatte. Er, Christopher, wollte Silvia folgen, hatte sich von seinem Sicherungsseil losgemacht und einfach fallen lassen. Doch Douglas am Boden hatte das mit einem Hechtsprung in allerletzter Sekunde verhindern können, sodass sich die Pyramide schloss, ohne dass Christopher durch das Tor gegangen war.
„Nein!“ Francescas Erwiderung kam gerade in dem Moment, da Christopher aufspringen und Douglas umbringen wollte. In den Augen seines ehemaligen Partners konnte er sehen, dass der wusste, was er vorhatte. Douglas spannte seinen Körper daher schon an und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Jetzt aber drehte sich Christopher verwirrt zu der Alten um und starrte sie an. „Sie hätten ihr nicht folgen können. Jedenfalls nicht so!“
„Was? Aber...warum nicht? Warum konnte sie es, aber ich nicht?“
Francesca lächelte einmal kurz, dann griff sie in ihre Jackentasche und holte ein dünnes, aber massives Armband aus Gold hervor. „Kommt ihnen das hier bekannt vor?“ fragte sie und reichte es ihm.
Christopher nahm es in seine Hände und betrachtete es. „Nein, ich...!“ Plötzlich stockte er, denn in seinen Erinnerungen bildete sich schlagartig eine Szene ab. „Moment...!“ Er sah sich in einem Krankenzimmer an einem Bett stehen, in dem Silvia schlafend lag. Himmel, das war im Mount Sinai Hospital gewesen! Francesco war bei ihm gewesen. Silvia hatte bei dem ersten, unfreiwilligen Zusammentreffen mit dem Dämon in der alten Fabrik Verletzungen davon getragen, die eine ärztliche Versorgung erforderlich machten. Christopher erinnerte sich, dass er sich wahnsinnige Sorgen um Silvia gemacht hatte, gleichzeitig aber froh war, dass sie im Krankenbett in Sicherheit war. Wie sehr er sich doch getäuscht hatte, denn niemand konnte offensichtlich seinem Schicksal entgehen. Auch Silvia nicht! Doch, was tat der Alte da? Er holte etwas aus seiner Jackentasche. Verdammt, dass war das gleiche Armband, dass er jetzt von Francesca bekommen hatte! „Aber ja, natürlich...!“ Er starrte die Alte an. „Francesco hat Silvia ein solches Armband angelegt. Im Mount Sinai Hospital!“ Er schaute mit großen Augen zu Douglas, der ihm milde zulächelte. „Ich hatte ihn gefragt, was das sei...!“ Er wandte sich wieder an Francesca. „...und er sagte mir, es wäre ein altes Erbstück, dass er ihr geben wollte, bevor...!“
Francesca lächelte traurig. „Das war eine Lüge, Christopher! Dieses Armband ist kein Familienerbstück! Es ist ein Custos!“
„Ein...was?“
„Ein Custos! Ein...Beschützer!“
„Beschützer vor was?“ Christopher hatte immer noch nicht ganz verstanden.
„Niemand kann einfach so in die Hölle gehen. Auch nicht durch das Tor, dass die Pyramide geöffnet hat. Man würde unweigerlich sterben! Doch mit einem Custos ist es möglich. Das Armband ist dabei nur die Materie, die ihn in sich trägt! Der Custos selbst ist ein Schutzzauber, der in einem bestimmten Ritual erzeugt und in einem Gegenstand abgelegt wird, wo er dann der Person, die ihn bei sich trägt, diesen Zauber zuteil werden lässt!“ Sie wartete, bis Christopher sie ansah. „Francesco muss bereits geahnt haben, dass Silvias Schicksal sie zu dem Dämon führen würde. Deshalb hat er ihr das Armband mit dem Custos im Inneren angelegt! Leider...!“ Ihr Blick wurde schlagartig sehr traurig. „...sollte er Recht behalten. Der Custos konnte nicht verhindern, dass der Dämon sie mit sich durch das Tor genommen hat. Das ist auch gar nicht seine Aufgabe, doch mit ihm an ihrem Körper...!“ Sie rang sich ein dünnes Lächeln ab. „...musste sie dabei nicht ihr Leben lassen, sondern konnte hindurchgehen und wurde auf der anderen Seite wieder materialisiert!“
„Und, was heißt das jetzt?“
„Ihr Körper hat sich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandelt! Silvia lebt jetzt als Silvia...in der Hölle!“
Christopher blieb stumm, doch schon nach einer Sekunde weiteten sich seine Augen voller Entsetzen. „Oh mein Gott! Soll das etwas heißen, sie lebt noch und ist jetzt an dem schlimmsten Ort, den man sich nur vorstellen kann? Seit über einem Jahr?“
Francesca nickte traurig.
„Um Himmels Willen!“ Er wirbelte herum zu seinem Freund. „Doug?“
Doch Douglas konnte nur traurig mit den Schultern zucken. „Es tut mir leid, Chris, aber...!“
„Aber?“ Christopher wandte sich wieder an Francesca. „Wie sicher ist das?“
Die Alte runzelte die Stirn. „Das der Custos sie beim Übergang geschützt hat?“ Christopher nickte. „Hundert Prozent!“
„Und das sie noch lebt?“ fragte er.
Francescas Blick wurde traurig. „Das kann ich ihnen nicht beantworten. Wie sie schon sagten, sie ist jetzt an dem schlimmsten Ort, den Menschen sich nur vorstellen können!“
Christopher schloss seine Augen, doch konnte man sehen, wie seine Augäpfel hin und her zuckten, wie aufgewühlt er war und das seine Gedanken um die Wette rasten. Außerdem atmete er mehrmals tief ein und sehr langsam wieder aus. Dann schien er etwas ruhiger zu sein und öffnete schließlich wieder seine Augen. „Ich muss zu ihr!“
„Ja!“ Francesca nickte. „Das müssen sie!“ Sie wartete, bis er sie ansah. „Und das können sie auch!“
„Ich...! Wie?“
„Es gibt für sie nur einen Weg in die Hölle!“
„Die...!“ Christophers Augen weiteten sich. „Die...Pyramide!“
Francesca nickte. „Die Pyramide!“
„Sie haben sie?“
Francesca schüttelte den Kopf. „Ich nicht! Aber...!“ Sie deutete auf Douglas. „...er hat sie!“
Christopher wirbelte sofort herum und starte seinen Freund an. „Du?“
„Ja...!“ Douglas nickte, doch zeigte sich in seinem Gesicht keine Freude. „Ich habe sie!“
„Aber...!“ Christopher war erneut sichtlich verwirrt. „Wie?“
Douglas lachte leise, aber freudlos auf. „Erinnerst du dich? Francesco hatte sich den Dämon auf dem Nordturm des World Trade Centers gestellt, doch konnte er ihn nicht besiegen. Er bezahlte dafür letztlich mit seinem Leben. Doch als wir schon dachten, wir hätten alles verloren, da kam Silvia, wie aus dem Nichts und spaltete der Bestie mit dem Schwert den Schädel. Und eben noch Verlierer, wähnten wir uns jetzt als Gewinner. Und wir waren uns so sicher, dass sie ihn vernichtet hatte. Doch im letzten Moment gelang es ihm, ein letztes Opfer mit sich zu nehmen, dann stürzte er vom Dach. Du konntest Silvia gerade noch ergreifen, aber Ihr Gewicht und das des Dämons waren einfach zu groß für dich. Doch du hättest niemals losgelassen, wärest mit ihr in die Tiefe gestürzt!“
„Also hast du mich an die Leine gelegt!“ Christopher nickte mit einem traurigen Lächeln.
„Es war reiner Reflex. Das eine Ende an deinen Sicherungsgurt, das andere Ende an die umgestürzte Antenne. Doch die Hoffnung, euch so zu retten, war trügerisch und hielt nicht lange an. Die Antenne rutschte vom Dach und ich glaubte, euch schon hoffnungslos verloren, doch dann verkantete sich dieses verdammte Ding zwischen den Türmen. Doch wieder war das keine wirkliche Rettung für euch, denn jetzt ward ihr dem geöffneten Tor zur Hölle so nah, dass euch der Sog dort erfasste, der sogar stark genug war, dass er selbst die Antenne immer weiter in die Tiefe zog...!“ Douglas hielt inne, schien tief in Gedanken die Bilder der Vergangenheit nochmals zu durchleben und schüttelte dann den Kopf. „Und da stand ich nun auf dem Dach des Word Trade Centers, schaute in die Tiefe und musste mit ansehen, wie mein bester Freund und seine Frau in das Höllentor gezogen wurden. Anfangs unfähig, mich zu bewegen, glaubte ich, keine Chance mehr zu haben, euch noch davor zu bewahren. Aber das stimmte nicht...denn ich hatte noch eine allerletzte Chance...und die befand sich am Boden zwischen den Türmen!“
Christopher hatte Douglas aufmerksam zugehört, jetzt nickte er. „Und dann bist du durch den ganzen Nordturm nach unten gestürmt!“
„Stimmt! Und es hat bestimmt noch nie jemand vierhundert Höhenmeter schneller überwunden, als ich!“ In Douglas Gesicht konnte man diese Strapazen beinahe sehen. „Doch als ich unten angekommen war, war es fast schon zu spät. Der Dämon war schon durch das Tor gegangen, schließlich auch Silvia. Und das Tor selbst schloss sich immer schneller!“ Douglas hielt wieder einen Moment inne. „Und da warst du...!“ Er blickte Christopher direkt an. „Zehn Meter über der Pyramide und hast verzweifelt versucht, dich von dem Sicherungsseil loszumachen. Ich wusste, du würdest nicht aufgeben, bevor du das nicht geschafft hattest und würdest Silvia und dem Dämon folgen, doch in diesem Moment...wusste ich...!“ Douglas schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht warum, ich wusste es einfach, dass ich das nicht zulassen durfte! Also bin ich losgerannt. Ich habe keine Ahnung, ob du es noch geschafft hättest, Silvia zu folgen, denn als du dich endlich losmachen konntest, war das Tor nur noch einen winzigen Spalt geöffnet. Tatsache aber war, dass ich dich in dem Moment erreicht hatte, als du entweder durch das Tor gegangen oder zu Boden geschlagen wärest...!“ Douglas atmete einmal tief durch. „Unser Zusammenstoß aber...hat beides verhindert!“ In Christophers Augen sah er Tränen und er konnte sie mehr als verstehen. „Warum wir uns dabei nicht sämtliche Knochen gebrochen haben, weiß ich nicht zu sagen, doch da lagen wir beide nun, am Ende all unserer Kräfte am Boden zwischen den Türmen des World Trade Centers, während sich das Tor endgültig schloss. In diesem Moment – aber das wurde mir erst viel später durch unzählige Augenzeugenberichte bewusst - muss sich auch die unsichtbare Wand aufgelöst haben, die mit der Aktivierung der Pyramide aufgebaut worden war, um das Geschehen rund um die Türme vor den Augen der Welt zu verbergen...! Und kaum konnten alle die Auswirkungen dieser Nacht sehen, hörte ich auch schon Polizeisirenen und mir war klar, dass wir nicht verweilen durften, denn niemand...!“ Douglas lachte verbittert. „...hätte uns je geglaubt, was wir zu berichten gehabt hätten. Also rief ich den einzigen Menschen an, dem ich jetzt noch vertrauen konnte...!“ Er schaute liebevoll zu seiner Frau und nickte ihr zu. „Cynthia! Bevor ich dich dann aber außer Sichtweite brachte, fiel mein letzter Blick…auf die Pyramide, die jetzt vollkommen unscheinbar am Boden lag...!“ Douglas hielt inne, schien nachzudenken und schüttelte dabei den Kopf. „Also habe ich sie an mich genommen! Aber ich weiß bis heute nicht wirklich, warum...!“
„Du wolltest verhindern, dass sie andere finden und damit neues Leid erzeugen würden!“ meinte Talea.
Douglas nickte. „Sicher ein guter Gedanke, aber...!“ Jetzt schüttelte er wieder den Kopf. „...das war es nicht gewesen. Ich weiß nicht, warum ich sie eingesteckt habe!“
„Das warum spielt keine Rolle mehr, Douglas...!“ rief Alfredo. „Denn was immer es auch gewesen sein mag, in erster Linie war es eine Fügung des Schicksals!“
„Dann...!“ Christopher hatte die ganze Zeit mit gesenktem Blick dagesessen und war stumm geblieben. Als er jetzt seinen Kopf wieder anhob, waren seine Augen weit geöffnet und sein Blick zeigte tiefste Überraschung. „...hast du die Pyramide die ganze Zeit über bei dir gehabt?“
Douglas nickte ohne Freude.
„Aber...warum hast du das nie gesagt?“ Christopher schien verzweifelt. „Wir hätten das Tor wieder öffnen können. Ich hätte Silvia folgen können. Sie hätte längst gerettet sein können!“ Seine Stimme wurde lauter, kräftiger, fordernder.
Doch Douglas blieb vollkommen ruhig. In seinen Augen zeigte sich tiefer Schmerz. „Hätten wir das wirklich, Chris? Hätten wir Silvia...so...wirklich retten können?“
„Was...meinst du? Ich verstehe nicht!“
„Ich hatte die Pyramide an mich genommen, ja, aber...!“ Er schüttelte wieder den Kopf. „Ich weiß selbst jetzt noch nicht, wie sie zu aktivieren wäre. Glaubst du, du könntest es?“
„Ich...?“ Christopher war verwirrt.
„Und wenn es uns gelungen wäre, sie zu aktivieren?“ Er schaute Christopher fragend an und lachte dann einmal verbittert. „Es wäre dein Tod gewesen...wie wir jetzt wissen!“ Er deutete auf Francesca und auf das Armband in Christophers Hand. Sein Freund senkte seinen Blick und schaute ebenfalls auf das Stück Metall. „Und schließlich: Warum hätten wir all das tun sollen?“ Er wartete, bis Christopher ihn wieder ansah. „Ich war mir sicher, Silvia hat in jener Nacht ihr Leben gelassen. Du warst dir sicher, dass sie gestorben war! Warum auch sollten wir etwas anderes glauben, bei dem was wir gesehen hatten? Also hätte uns die Pyramide in meinen Händen nichts gebracht, außer einer trügerischen Hoffnung und unseren Tod! Und das, Chris...konnte und wollte ich nicht zulassen!“ Douglas war emotional sichtlich angegriffen. „Das das, was wir gesehen haben, nicht das ist, was wirklich geschehen ist, konnte niemand erahnen. Bis vor einigen Minuten warst du dir noch immer sicher, Silvia wäre für immer gegangen!“ Er schaute Christopher wieder direkt an. „Jetzt weißt du, dass es nicht so sein muss. Ich habe diese Tatsache vor einigen Wochen erfahren, als ich zum ersten Mal auf Francesca traf. Nachdem mich das FBI und alle möglichen Organisationen zunächst monatelang durch die Mangel genommen hatten, ließ der Druck endlich nach und ich konnte mich mit ihr in Verbindung setzen. Ich war im Besitz der Pyramide und wollte über sie erfahren, wer mir in dieser Sache weiterhelfen konnte, damit ich wusste, was man am sinnvollsten mit ihr tat. Dass Francesca in alles eingeweiht war, verblüffte mich. Und bei ihrer Erzählung über das Armband und den Custos darin, fiel ich fast aus allen Wolken! Das Silvia nicht gestorben war, sondern ...womöglich...noch lebte...!“ Er schüttelte den Kopf. „Gott, das war so...unvorstellbar, aber doch auch so fantastisch!“ Douglas lächelte sanft.
„Doug erzählte es mir!“ begann Cynthia dann und trat vor Christopher. Sie hockte sich vor ihn und nahm seine Hände in die Ihren. „Und seit jenem Tage hat er unermüdlich vierundzwanzig Stunden am Tag wie ein Tier nichts anderes getan, als daran zu arbeiten, diese Zusammenkunft zu erreichen!“ Sie wartete, bis Christopher sie ansah. „Wir alle sind auf deiner Seite, Chris, doch Douglas, das glaube mir, liebt dich wie einen Bruder!“ Christopher spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals festsetzte. Er blickte auf und konnte auch in den Augen seines Freundes Rührung sehen, die ihm jedoch etwas unangenehm war. „Und wenn es eine Chance gibt, Silvia zu retten...!“ fuhr Cynthia fort. „...dann ist er an deiner Seite! Immer!“
„Ich...!“ Christopher nickte. „Ich weiß!“ Er sprach Douglas direkt an. „Es tut mir leid, dass ich daran gezweifelt habe!“
„Ich möchte einfach nur, dass du dir wieder bewusst wirst, was das Richtige ist!“ Douglas Stimme klang ein wenig brüchig. „Silvias Rettung ist es! Alkohol ist es nicht!“
Christopher sah ihn noch einen Moment stumm an, dann nickte er mit einem breiten Grinsen, erhob sich und trat zu seinem Freund. „Du hast so Recht, Alter!“ Ziemlich überraschend schloss er seine Arme um Douglas und drückte ihn fest, während er einmal aufschluchzte. „Ich danke dir, Doug! Für alles!“
Douglas genoss die Geste seines Freundes, wenn er das nach außen jedoch nicht komplett zeigte. „Dank mir nicht zu früh!“ sagte er dann.
Christopher schob sich wieder von ihm weg. „Warum? Jetzt, wo ich weiß, dass Silvia noch lebt, habe ich wieder einen Grund zu leben. Ich bin bereit für alles, was da kommen mag!“
Für einen Moment trat Stille ein, die auf einigen schwer zulasten schien.
Schließlich räusperte sich Talea und richtete sich auf. „Dann liegt es wohl wieder an mir, die allgemeine Euphorie zu bremsen!“ sagte sie angesäuert und schaute missbilligend in die Runde.
Christopher drehte sich zu ihr und runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ fragte er, wandte sich dann aber sofort wieder an Douglas, der jedoch verlegen schien. „Was meint sie?“
„Sie...!“ begann sein ehemaliger Partner zögernd.
Da erhob sich Cynthia. „Wir können Silvia nicht retten!“ Ihre Worte klangen klar, aber hart. „Zumindest noch nicht!“
„Was?“ Christopher war verwirrt. „Aber...warum nicht?“ Er schaute wieder Douglas an. „Du hast die Pyramide doch noch oder?“
Douglas nickte.
„Und in diesem Armband...!“ Christopher drehte sich zu Francesca. „...ist auch ein Cus...na ein Schutz halt, oder?“
Auch Francesca nickte. „Ja, ich habe genug Armbänder für uns alle!“ Sie atmete einmal tief durch. „Aber dennoch hat Cynthia Recht. Wir können Silvia noch nicht befreien!“
„Das verstehe ich nicht!“ Christopher war verzweifelt. „Wir dürfen doch jetzt keine Zeit mehr verlieren!“
„Wir können die Pyramide aber noch nicht nutzen...!“ hob Cynthia wieder an und wartete, bis Christopher ihn ansah. „...weil uns noch etwas fehlt!“
„So? Was fehlt denn noch?“
„Wenn wir die Pyramide und die Armbänder jetzt nutzen würden...!“ erklärte Francesca wieder. „...würden wir zwar alle in die Hölle hineinkommen...aber niemals wieder hinaus!“
„Das...!“ Christopher stockte und überlegte mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Aber...!“ Er schüttelte den Kopf. „Und was brauchen wir dazu?“
„Das Tor zur Erde!“ erwiderte Francesca.
„Das...?“ Christopher schien im ersten Moment noch immer vollkommen ahnungslos, doch dann zeigte sich deutliche Erkenntnis auf seinem Gesicht. „Die zweite Pyramide!“ Er schaute Douglas mit großen Augen an.
Sein Freund nickte. „Das Tor zur Erde! Nur mit ihr ist es möglich, wieder zurückzukehren!“
„Aber...!“ Christophers Blick wurde wieder panisch. „Ich dachte, sie ist...verschwunden oder gar zerstört worden?“
„Zu allen Zeiten rankten sich über jede der beiden Pyramiden unzählige Geschichten, Mythen und Legenden. Auch vom Tor zur Hölle nahm man lange an, dass es in Macchu Picchu zerstört worden war, bis man es schließlich bei Ausgrabungen fand. Was man jedoch nicht fand, ...war das Tor zur Erde...!“