Читать книгу Dämon I - Alfred Broi - Страница 18
3. Buch - 2.Kapitel
ОглавлениеDass er seinen Job hasste, konnte man eigentlich nicht behaupten.
Aber lieben tat er ihn auch nicht!
Es war nun mal seine Art, den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen.
Und obwohl er Staatsbediensteter war, brachte er genug Geld mit nach Hause, damit er, seine Frau und seine beiden Töchter ein gutes Leben führen konnten.
Dass er und seine Familie hierfür vor ihren Nachbarn mit einer Lüge leben mussten, war anfangs nicht leicht gefallen, jetzt aber belanglos geworden.
Dabei war die Lüge nicht schlimm, lediglich notwendig für jeglichen gesellschaftlichen Kontakt.
Seine Nachbarn und Freunde kannten ihn als gewissenhaften Wachmann in der nahegelegenen Niederlassung der Bundesbank.
Um die Lüge perfekt zu machen, beschäftigte er sich in seiner Freizeit oft mit Geldpolitik und konnte so auch gute Ratschläge geben.
Das Bild eines tatsächlich glücklichen Ehemannes und Vaters mit einem ehrenwerten Job hatte somit keine Makel.
Nicht zuletzt deshalb kam niemand auf die Idee, ihn bei seiner täglichen Fahrt zur Arbeit zu verfolgen.
Hätte dies jemand getan, wäre er wohl sehr erstaunt gewesen, dass er nicht vor der Bank gehalten hätte, sondern ein paar Meilen weiter gefahren wäre.
Und hätte man dann gesehen, wo er wirklich seinen Dienst tat, hätte sich das Bild über ihn, wenn auch grundlos, sehr gewandelt.
Denn einen ehrenwerten Job als Wachmann hatte er trotz allem.
Nur nicht da, wo ihn jeder gerne sehen würde.
Und um seiner Familie Probleme zu ersparen, war er eben John Powers, Wachmann bei der Bundesbank.
Denn niemand in dem kleinen, verträumten Städtchen, wo er lebte, hätte es verstanden, wenn er sich als John Powers, Wachmann im New Jersey State Prison vorgestellt hätte und dort nicht Banknoten bewachte, sondern einige der gefährlichsten und grausamsten Psychopathen und Geisteskranken der Vereinigten Staaten!
John war, so wie jedes Mal, wenn er Frühschicht hatte, eine halbe Stunde vor Dienstantritt an seinem Arbeitsplatz.
So konnte er bei einem Becher heißen Kaffee, einer Zigarette und der Morgenzeitung abschalten und sich in Ruhe auf die nächsten acht Stunden harte Arbeit vorbereiten.
Wie immer hörte er dabei leise Radiomusik und feixte mit seinem, kurz vor der Pension stehenden, Kollegen Will.
Nachdem sich die Spätschicht verabschiedet hatte, räumte John seinen Arbeitsplatz wieder sauber.
Sekunden später öffnete sich die Fahrstuhltür erneut und heraus trat ein junger Mann des Küchenpersonals mit einem großen Essenswagen.
„Frühstück!“, rief er gelangweilt und wartete geduldig vor der ersten Gittertür.
„Moment!“, gab Will zurück, drehte seinen Sessel um 180 Grad und gab die elektronische Sperre für die Tür frei.
Der junge Mann ließ den Wagen bis vor die zweite Gittertür rollen, drehte sich um und ging schnell zurück in Richtung Fahrstuhl.
„Wir rufen dich, wenn wir fertig sind!“, rief John mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Am besten gar nicht!“, gab der junge Mann zurück.
„Aber das sind doch auch nur Menschen!“, meinte Will.
„Das sind verdammt nochmal keine Menschen und das wisst ihr!“, raunzte der junge Mann zurück, als er die Fahrstuhltür erreicht hatte. „Das sind die schlimmsten Ausgeburten der Hölle. Jeder von denen würde euch, ohne mit der Wimper zu zucken, das Herz mit den bloßen Händen aus dem Leib reißen...!“
„Ja, und die meisten von denen würden es auch sofort auffressen!“, gab John zurück. „Und jetzt raus mit dir!“
„Guten Appetit!“, rief der junge Mann noch, dann schloss sich die Tür und er atmete tief durch, als sich der Fahrstuhl abwärts bewegte.
„Grünschnabel!“, meinte Will, als er die zweite Gittertür öffnete und den Essenswagen hinein rollte. „Hat noch nie einen unserer Freunde gesehen, aber der Angstschweiß spritzt ihm förmlich aus dem Hemdkragen!“
„Lass ihn!“, meinte John. „Er ist ein guter Junge und sicher noch nicht alt genug für diesen Scheiß!“
„Trotzdem muss er mir nicht das Essen vermiesen!“
„Hat er doch gar nicht. Er hat nur Angst. Und wenn ich ehrlich bin, sind wir schon zwei ganz verrückte Typen, die in der Nähe dieser...Kreaturen überhaupt was runter kriegen. Wahrscheinlich sind wir ja auch schon nicht mehr ganz dicht!“
„Mag schon sein, aber noch verspeise ich nicht deinen Arm, wenn mir mein Essen nicht schmeckt. Und jetzt Mahlzeit!“
„Hast Recht!“ sagte John und erhob sich. „Ich spiele eben mal wieder den Oberkellner und du wirst uns mit frischem Kaffee versorgen!“ Er ging zum Essenswagen und schob ihn vor die zentimeterdicke und tonnenschwere Stahltür.
„Alles klar!“ meinte Will und betätigte die elektronische Sperre der Tür.
Mit einem lauten Summen öffnete sie sich und glitt dann beinahe lautlos auf.
John schob den Wagen in den Eingang und schaute durch die davorliegende Gittertür in den Zellengang.
„Okay!“, sagte er, nachdem er nichts Besonderes entdeckt hatte.
Will betätigte erneut einen Schalter am Pult und die Stahltür schloss sich wieder.
Mit einem lauten Knall fiel sie in ihre unzähligen Schlösser.
Danach herrschte Totenstille und John verharrte einige Sekunden regungslos.
„Ist was?“, fragte Will über Lautsprecher.
„Kein Problem!“, antwortete John eine Sekunde später. „Kannst aufmachen!“
Wieder ertönte ein Summen und John stieß die Gittertür auf.
Er schob den Essenswagen endgültig in den Zellengang und schloss die Tür wieder.
Und im selben Moment überkam ihn erneut dieses seltsame Gefühl des Unbehagens.
Wenn er eine Wahl gehabt hätte, wäre er in diesem Augenblick sicher nicht hier gewesen.
Er tat diesen Job nun schon acht Jahre, war täglich mindestens zweimal in diesem Zellengang allein mit Ihnen und bekam vielleicht einmal in der Woche einen von Ihnen zu Gesicht und doch fühlte er sich jedesmal zum Kotzen, wenn er hier war.
Dass er sich hier drinnen überhaupt bewegen und arbeiten konnte und ihm jetzt nicht der Angstschweiß aus dem Hemdkragen schoss, hatte er Will zu verdanken, der ihm beigebracht hatte, seine Gedanken nach dem Schließen der Gittertür auszuschalten. Damit hatte er ihm das Leben gerettet, obwohl er Will dies niemals gesagt hatte.
Denn anfangs hatte er gedacht und dabei mehr als einmal beinahe weit mehr als nur den Verstand verloren.
Doch das war jetzt dank Will viel besser geworden. Sicher, das ungute Gefühl blieb, aber John wusste, dass noch mehr nicht drin war. Denn außerhalb dieses Zellengangs dachte er sehr wohl darüber nach.
Nicht etwa wer in diesen Zellen steckte, sondern vielmehr was und vor allem wie sie das getan hatten, was sie getan hatten.
Und das war weit schlimmer, als alles, was sich viele Menschen vorstellen konnten!
Alle Insassen waren Mörder, Massenmörder.
Und obwohl dies Ebene Nr. 5 des Hochsicherheitstrakts des Gefängnisses war, wurde sie von allen Bediensteten und auch Gefangenen nur Ebene 402 genannt.
Die Beziehung hierzu war simpel.
In Ebene Nr. 5 gab es vier Gefangene.
Und das machte zusammen 402 Todesopfer!
Doch das allein war sicher noch kein Grund, warum John in diesem Moment zu schwitzen begann.
Jeder Bombenattentäter hatte vielleicht schon mit einem Anschlag mehr Opfer auf seinem Gewissen.
Der Grund für sein Unbehagen, war die Art und Weise, in der diese Kreaturen ihre Opfer getötet hatten.
Keiner von Ihnen hatte dazu jemals ein Werkzeug gebraucht, nur seine Hände oder seinen Mund.
Werkzeuge wurden nur hinterher gebraucht. Beim Zerstückeln der Opfer.
Denn alle vier waren Massenmörder und alle vier waren auch Kannibalen!
Und diese Tatsache ließ sich nun mal nicht ganz verdrängen, so sehr man es auch versuchte.
Darum blieb bei John auch nach acht Jahren dieses Gefühl des Unbehagens.
Jedoch nur Unbehagen, keine Angst.
Denn die hatte er nicht.
Die Kreaturen in diesen Zellen waren einige der gefährlichsten und grausamsten Mörder im ganzen Land und deshalb gehörten die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Zellentrakt zu den besten, die die Technik zu bieten hatte.
Der Gang war sechs Meter breit, besaß keine Ecken und Kanten und war hell erleuchtet.
Keine Zelle lag direkt einer anderen gegenüber.
Es gab keine simplen Zellentüren, sondern zentimeterdicke Glasplatten, die nur elektronisch zu öffnen waren.
Der Zellengang wurde von sechs Videokameras überwacht und Mikrophone verbanden den Gang auch akustisch mit dem Überwachungsraum.
Es konnte also nichts passieren, zumindest in dieser Beziehung war John sicher.
So schob er den Essenswagen in die Höhe der ersten Zelle und stellte das Frühstückstablett auf die eigens hierfür entwickelte Vorrichtung.
Sie bestand aus einem Podest, das an einem hydraulischen Ausleger befestigt war. Nach dem Abstellen des Tabletts glitt der Ausleger in eine Nische in der Zellenecke, wo sich der Gefangene bedienen konnte.
John bekam den Insassen nicht zu Gesicht. Die Zelle war dunkel.
Das Zellenglas war so beschaffen, dass es Licht von außen nur wenige Zentimeter in die Zelle hineinließ.
Dies nannte sich Wahrung der Privatsphäre.
Wenn sie allein sein wollten, so sollten sie das auch dürfen.
John und seine Kollegen waren angewiesen, ihnen diese Möglichkeit auch zu lassen und nur bei Gefahr oder Verdacht das Licht einzuschalten.
Dies war im Moment nicht der Fall und so ging er weiter seiner Arbeit nach.
Auch Zelle Nr. 2 war verdunkelt.
John stellte das Tablett auf den Ausleger und die Hydraulik begann zu arbeiten.
Doch anstatt das Essen in die Zelle zu befördern, verharrte der Ausleger kurz davor.
John trat zu ihm und überprüfte die Vorrichtung.
Alles, was er erreichte, war, dass der Ausleger, sicherlich aufgrund eines Wackelkontaktes, nun wenige Zentimeter hin und her wippte.
„Scheiß Technik!“, stieß er hervor. „Ausleger Nr. 2 muss repariert werden!“
„Ich sehe es!“, hörte er Will über Lautsprecher sagen. „Werde gleich den Wartungsdienst anrufen!“
John nickte, wollte sich jedoch nicht ganz zufrieden geben und trat gegen den Ausleger.
Und plötzlich funktionierte er wieder korrekt. Beim Eintauchen in die dunkle Zelle fiel jedoch der Kaffeebecher herunter und John bückte sich, um ihn aufzuheben.
Als er wieder auf die Füße kam, tat sein Herz einen furchtbaren Satz.
Keine Dunkelheit mehr. Nur zwei große, kalte, böse Augen.
John hatte gar nicht bemerkt, wie dicht er vor die Glasplatte gelangt war.
Gefangener Nr. 2 hatte das aber sehr wohl bemerkt und sich in der Dunkelheit an die Scheibe geschlichen.
In dem Moment, da John den Kaffebecher aufhob, schaltete er das Zellenlicht an und starrte ihm ins Gesicht.
John erschrak fürchterlich und wich nach hinten aus. Dabei stieß er einen Angstschrei aus und knallte gegen den Essenswagen.
Sein Verhalten brachte dem Gefangenen Nr. 2 ein Lächeln auf die Lippen.
„Was ist los?“, fragte Will.
„Schon okay!“, sagte John, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. „Bin ihm nur zu nahe gekommen. Meine eigene Schuld. Das sind diese gottverdammten Momente, die ich hasse. Glaubst du das?“
„Kenn ich!“, sagte Will. „Beeil dich und lass uns frühstücken!“
John antwortete nicht.
Er schob den Wagen weiter.
Die dritte Zelle war erleuchtet und ihr Insasse war gerade dabei, aufzustehen.
John sagte nichts, gab ihm sein Essen und ging weiter.
Zelle Nr. 4 war wieder verdunkelt.
John tat seine Arbeit und wollte schon wieder gehen, als er leise Geräusche hörte.
Jemand stöhnte und wimmerte. Glaubte er.
Er horchte genauer.
Tatsächlich. Gefangener Nr. 4 stöhnte, als habe er Schmerzen.
John wusste, dass dies nichts Neues war.
Entgegen aller anderen war Nr. 4 der einzig wirklich geisteskranke Gefangene.
So fand es zumindest John.
Alle anderen hatten eiskalt und emotionslos getötet. Das wusste man, sobald man in ihre Augen schaute.
Aber Nr. 4 war krank. Er konnte kaum sprechen, nicht ruhig sitzen, zuckte immer wieder unkontrolliert in den Gliedern.
Er war geisteskrank und vieles von dem, was er tat oder nicht mehr tun konnte, war Folge seiner Verletzung, die er sich bei seiner Ergreifung zugezogen hatte.
Denn in der Nacht, in der man ihn über seinem letzten Opfer fand, wurde er mit einer lebensgefährlichen Kopfverletzung ins Krankenhaus gebracht und konnte tatsächlich gerettet werden, für wen das auch immer gut gewesen sein mochte?
Die Spurensicherung ergab, dass die Kugel aus seiner eigenen Waffe stammte und es keine anderen Fingerabdrücke darauf gegeben hatte.
Niemand konnte sich das erklären und so stand im Bericht, dass er sich in jener Nacht selbst den halben Kopf weggeschossen hatte.
Für John war er anfangs ein bemitleidenswerter Mensch gewesen, denn jedesmal, wenn er ihm in die Augen schaute, glaubte er zu erkennen, dass er lieber Tod gewesen wäre.
Und doch war Nr. 4 der Gefährlichste von allen.
Allein auf sein Konto gingen 167 Todesopfer!
Doch auch hier gab es Unterschiede zu den anderen.
Die Opfer der anderen waren kaum zu identifizieren gewesen, denn das meiste von ihnen war verspeist worden.
Bei Nr. 4 war das anders.
Seine Leichen waren fast noch intakt gewesen, obwohl dieses fast unheimlich und widerwärtig zugleich war.
Nr. 4 fraß seine Opfer nicht auf, um seine Fleischeslust zu stillen.
Nr. 4 riss ihnen die Wirbelsäule aus dem Leib und das einzige, was er davon für sich behielt, war die winzige Menge Knochenmark, die sich darin befand. Und er machte sich nicht die Mühe dabei, seine Opfer vorher zu töten!
Warum, wusste niemand, denn seit seiner Ergreifung vor nunmehr schon über sechs Jahren, war niemand auch nur annähernd weit genug in ihn vorgedrungen, um herauszufinden, was ihn dazu trieb.
John wusste, Nr. 4 hatte alle diese Menschen auf diese furchtbare Art getötet, doch John wusste, sobald er in seine Augen schaute auch, dass es eine andere Wahrheit dafür geben musste, als die, das Nr. 4 geisteskrank war.
Eine viel schlimmere Wahrheit.
Deshalb empfand John auch keinen Ekel, wenn er an ihn dachte, nur ein sonderbares Mitgefühl.
Und als er ihn stöhnen hörte, wusste er, dass Nr. 4 wieder Schmerzen hatte.
Er trat einen Schritt auf die Zelle zu, um vielleicht erkennen zu können, wo Nr. 4 war, doch er sah nichts.
Er hätte jetzt Will anweisen können, das Licht einzuschalten, doch er wusste, das Nr. 4 Licht hasste.
Deshalb blieb die Zelle so gut wie immer dunkel.
Wieder hörte John ein schmerzvolles Stöhnen, diesmal etwas lauter und es schien ihm, als wäre Nr. 4 zu Boden gefallen.
Er tat erneut einen Schritt auf die Zelle zu und war nun schon fast direkt vor der Glasscheibe.
Nr. 4 schob sich an der Zellenwand wieder auf die Füße, so hörte es sich an.
Er stöhnte furchtbar und immer lauter. Oder kam er näher?
Sollte er Will informieren? Oder...?
Blitzschnell schoss Nr. 4 aus der Dunkelheit der Zelle an die Glaswand.
Und doch war dies eher ungewollt.
Noch während er auf die Wand zuschoss, verlor er das Gleichgewicht und krachte hart und unkontrolliert dagegen. Zusammengekauert, mit dem Gesicht nach unten, krümmte er sich vor Schmerzen.
John riss es fast von den Füßen. Sein Herz tat Sprünge, wie auf einem Trampolin und trieb ihm das Blut in Höchstgeschwindigkeit in den Kopf.
Ihm wurde schwindelig, die Beine gummiweich.
Und doch blieb er stehen und hörte das Winseln dieser Kreatur.
Er konnte nicht viel erkennen, sah nur Rücken und Hinterkopf des Gefangenen und die leichenblasse Haut.
Wieder stöhnte Nr. 4 unter großen Schmerzen.
Und was dann geschah, drohte John den Verstand zu rauben.
Eine mächtige Faust drückte sich aus dem Inneren des Körpers von Nr. 4 in die Höhe, spannte die Rückenhaut bis kurz vor dem Zerreißen.
Dann wanderte diese Faust zum Hals, verschwand dort und tauchte Sekunden später unter der Schädelhaut wieder auf. Sie entspannte sich und vier Finger schoben sich deutlich sichtbar an der Haut entlang, schienen sie zu streicheln.
Im selben Moment zuckte der rechte Arm von Nr. 4 nach oben und fiel gegen die Glaswand, blutverschmiert.
Nr. 4 drehte und erhob sich, schob dabei die linke Hand an der Scheibe in die Höhe.
Doch dies war keine Hand mehr. Die Haut war überall aufgeplatzt, das rohe Fleisch war zu sehen. Muskeln, Sehnen, Adern.
Und dann das Gesicht.
Nr. 4 erhob seinen Kopf, der ohnehin durch die Deformation seiner Kopfverletzung schon gespenstisch genug aussah.
Auch hier fehlte der Großteil der Haut, hing in Fetzen herab.
Das rohe Fleisch pulsierte.
Nr. 4 begann zu schreien, sein Körper erzitterte. „Helfen sie mir!“, stöhnte er hervor. „Bitte, helfen sie mir. Ahh!“ Wieder ein qualvoller Schrei.
John war taub. Er konnte sich nicht bewegen, nichts sagen, geschweige denn begreifen, was dort vor seinen Augen überhaupt passierte.
„Gott Vater, töten sie mich!“, flehte Nr. 4. „Bitte! Jetzt! Bevor es zu spät ist. Jetzt! Argh...!“
Ein langgezogener Schrei ertönte, als die Wangenhaut aufplatzte und bis zum Kiefergelenk aufriss. Blut spritzte, Speichel floss.
Doch John konnte nicht mehr tun, als einen Schritt nach links und wieder nach rechts zu machen.
„Was zum Teufel ist da los?“, fragte Will über Lautsprecher. „John?“
„Bitte!“, keuchte Nr. 4 noch hervor, bevor die Schädelhaut vom Hinterkopf her bis zwischen die Augen aufplatzte und sich ein mächtiger Knochen hervorschob und die Augen auseinanderdrückte, sodass sie ihren Halt in den Höhlen verloren.
Der rechte Arm schnellte in die Höhe, hatte überhaupt keine Haut mehr, war zu einer riesigen Pranke angewachsen.
Wuchtig schlug sie gegen die Glaswand, brachte sie zum Splittern.
Dann schien es John, als würde Nr. 4 grinsen und ein leises, tiefes, böses Grollen ertönte aus seiner Kehle.
Und da begann John zu laufen.
„Mach die Tür auf!“, schrie er und Will zögerte keine Sekunde, die elektronische Sperre freizugeben.
Pfeilschnell schoss John durch die Gittertür, warf sie wuchtig ins Schloss. Dann verharrte er atemlos, so als wartete er auf etwas.
Die anderen Gefangenen wurden aufmerksam, wollten eine Erklärung.
Und dann ertönte dieser mächtige, bösartige Schrei, als die Hand von Nr. 4 ein zweites Mal gegen die Glaswand schlug und sie zerbrach.
John machte kehrt und rannte durch die Stahltür, krachte wuchtig gegen seinen Schreibtisch.
„Was zur Hölle ist da los?“ wollte Will wissen.
„Tür zu!“ brüllte John. „Mach diese gottverdammte Tür zu. Jetzt!“ John starrte Will entgeistert an und dieser betätigte sofort den Schalter und drückte fast gleichzeitig den Alarmknopf.
Bevor die Stahltür ins Schloss fiel, war erneut dieser bösartige Schrei zu hören und wieder splitterte Glas.
„Verdammt, was ist los?“ fragte Will.
„Er bricht aus!“ japste John. „Oh Gott!“
„Er kann verdammt nochmal nicht aus seiner Zelle. Das ist fünf Zentimeter dickes Titanglas. Er kann nicht ausbrechen. Niemals!“
John antwortete nicht, sondern deutete auf den Monitor, wo man deutlich erkennen konnte, dass sich eine riesige Gestalt durch die Glaswand schob.
„Wie zum...?“ Will war wirklich geschockt. Sofort betätigte er den Knopf, um das Betäubungsgas im Zellengang auszulösen.
Sekundenbruchteile später waren der ganze Gang und der Bildschirm vernebelt.
„Verdammt, ich wusste, dass uns dieser Kerl eines Tages Ärger machen würde!“, sagte Will und hechtete zum Waffenschrank, wo er zwei automatische Gewehre hervorholte.
„Nein, nicht Nr. 4!“ stöhnte John.
„Was sagst du?“
„Nicht Nr. 4!“ John starrte Will an. „Das ist nicht Nr. 4. Das ist der Teufel in ihm!“ John begann zu weinen.
„Scheiße!“ stieß Will hervor.
Ein erneuter Schrei des Wesens ertönte, wieder splitterte Glas und der Schrei eines weiteren Gefangenen war zu hören. Ängstlich, qualvoll, bestialisch.
„Scheiße!“ sagte Will erneut und nach über dreißig Jahren, hatte er zum ersten Mal wieder Angst. Todesangst!
Und John hatte nun endlich die Wahrheit in Nr. 4 entdeckt!