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VII

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Als sie die Ostküste Poremiens vor Augen hatten, begann Lexis bereits wieder am Horizont zu versinken. So weit im Norden waren die Tage ohnehin weitaus kürzer als im Zentrum des Planeten.

Mittlerweile hatten Rimbo und Kendig die Aufgaben getauscht und sie rauschten mit unvermindert hoher Geschwindigkeit in Küstennähe Richtung Ajuminaja.

Als sie die größte Stadt Poremiens an der Ostküste schließlich erreicht hatten, war die Sonne jedoch auch hier schon gesunken und die Abenddämmerung hatte Einzug gehalten.

„Was gibt es?“ fragte Shamos. Rimbo hatte ihn vor einer Minute über Bordlautsprecher ins Cockpit gerufen.

Nach ihrem Gespräch in der Eiswüste hatten sich nach und nach alle anderen wieder in den hinteren Aufenthaltsraum des Schiffes verzogen und die beiden jungen Männer allein gelassen. Sogar Malawi und Idis waren gegangen und in ihren Gesichtern konnte man erkennen, dass sie hofften, noch mehr über ihre Reise von Shamos und Matu zu erfahren.

Als der Wissenschaftler jetzt aber in das Cockpit kam, hatte er alle anderen wieder mit im Schlepptau und der Raum war sofort wieder ziemlich überfüllt.

Rimbo und Kendig warfen sich einen mürrischen Blick zu, weil sich so lange Zeit niemand hatte blicken lassen und sie jetzt alle, wie die Geier, wieder auf der Stange hockten, weil endlich etwas passierte.

Dann sagte Rimbo. „Wir sind etwa acht Meilen vor Ajuminaja! Sie müssen uns sagen, wo wir anlegen sollen! Wir kennen uns hier nicht aus und wissen nicht, wo die Bibliothek zu finden ist!“

Shamos lächelte und nickte, doch bevor er antworten konnte, meinte Pater Matu. „Die Bibliothek liegt im äußersten westlichen Bezirk. Wir können nicht direkt dorthin. Aber wir können am Hafen vorbei den Imlo-Fluss stromaufwärts fahren bis wir zu den Hubschleusen...kommen!“ Er stoppte ab, weil ihn die anderen anschauten und Shamos ihn sogar anstarrte. „Was?“ fragte er daher.

„Woher weißt du das?“ Shamos war sichtlich überrascht.

„Warum nicht?“ erwiderte der Pater aber mit einem lockeren Schulterzucken. „Ich habe hier mal eine Zeitlang gelebt, da prägen sich die Örtlichkeiten eben ein!“

Allen anderen war das Erklärung genug, nur Shamos schien noch ein wenig unzufrieden, blieb jedoch stumm.

Rimbo hingegen nickte. „Also den Fluss stromaufwärts bis zu...?“

„…den Hubschleusen!“ vervollständigte Matu. „Es gibt da eine Schleusenanlage mit Hebewerk. Der Fluss kommt aus dem nördlichen Hochland und besitzt eine beachtliche Geschwindigkeit, wenn er sich der Küste nähert. Früher gab es dort einen Wasserfall. Er war wohl der eigentliche Grund, warum man hier dann eine Siedlung gebaut hat, die sich später zu dieser Millionenmetropole entwickelte. Um den Fluss besser als Transportweg nutzen zu können und die Rohstoffe im Norden effektiver zu fördern, hat man ihn gestaut und dieses Hebewerk mit den Schleusen gebaut!“ Alle Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu und nickten teils beeindruckt. „Ich nehme jedoch nicht an, dass das Werk noch intakt ist, sonst könnten wir bis auf Wurfweite an die Bibliothek heranfahren. Doch auch wenn es noch funktionstüchtig wäre, sollten wir es wohl nicht ausprobieren!“

„Warum?“ fragte Esha.

„Weil es sicher zu viel Aufsehen erregen würde!“ erwiderte der Pater ungerührt. „Die Stadt wird wie alle anderen Städte auch, randvoll mit Monstern sein!“

Für einen Moment trat eine bedrückende Stille ein, weil alle wussten, dass Matu Recht hatte und sie sich plötzlich wieder bewusst zu werden schienen, dass ihr Vorhaben absolut lebensgefährlich war.

„Okay!“ meinte Rimbo dann jedoch voller Tatendrang. „Also im Schleichgang zu den Schleusen!“

Ein paar Minuten später hatten sie die nördliche Hafeneinfahrt passiert und hielten auf die Stadt zu. Obwohl das Flussbett schnell enger wurde, hielt sich die Tiefe lange Zeit bei fast dreißig Metern, sodass Kendig keine Mühe hatte, ihr Schiff schnell und unbemerkt nach Westen zu manövrieren.

Über Sonar konnten sie unzählige, feindliche Signale innerhalb der Stadtgrenzen erkennen, die ihnen das Gefühl vermittelten, als würde sich dort alles bewegen, doch zu ihrer Überraschung nahm die Feindpräsenz nach Osten hin rapide ab.

Als sie die Schleusenanlage schließlich erreicht hatten, waren kaum noch Signale zu orten.

Matu wies Kendig an, das Schiff in eine geflutete, überdachte Nebenkammer zu lenken, die für Reparaturzwecke gebaut worden war, wo sie aufgrund der vorherrschenden Dunkelheit ungesehen auftauchen konnten.

„Wer geht?“ fragte Rimbo, als Kendig die Maschinen stoppte.

„Ihr beide bleibt hier auf Abruf!“ erwiderte Idis sofort. „Wir anderen machen das!“

„Was...?“ rief Kendig entsetzt. „...aber...?“

„Was hast du für ein Problem?“ fragte Malawi und schaute ihn verständnislos an.

„Ich...!“ Er schaute Rimbo an, der ihm kaum merklich zunickte. „Wir möchten, dass ihr beide...!“ Er sah seine Frau und dann Idis direkt an. „...hier bleibt!“

„Wozu?“ fragte Idis sofort mürrisch.

„Wir wissen absolut nicht, was uns hier erwartet. Es könnte gefährlich werden!“

Jetzt sah ihn Malawi mit finsterer Miene an. „Wir wissen nie, was uns irgendwo erwartet!“ Sie schüttelte leicht verärgert den Kopf. „Und Gefahr schockt uns nicht!“ Sie schaute zu ihrer Freundin. „Stimmt’s?“

Idis nickte. „Sonst seid ihr auch nicht so zimperlich. Und ich bin hier nicht nur mitgekommen, um irre Geschichten zu hören!“ Sie warf Rimbo einen äußerst vorwurfsvollen Blick zu.

Bevor der jedoch etwas erwidern konnte, meinte Shamos. „Wenn wir Glück haben, ist das nur die erste Etappe auf einer weiten Reise. Da gibt es sicherlich noch mehr als genug Gelegenheiten, sich in Gefahr zu begeben. Für jeden von uns!“ Er lächelte etwas verlegen, da ihn die beiden jungen Frauen mit sehr ernster Miene musterten.

Nach einem tiefen Atemzug aber sagte Idis „Also gut! Da mindestens einer von euch...!“ Sie schaute Rimbo und Kendig an. „...hierbleiben muss, um unseren Rückzug zu sichern, schlage ich vor, dass dieses Mal Kendig und Malawi gehen und ich und Rimbo uns um das Boot kümmern! Okay?“ Sie warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu.

Malawi nickte nach einem kurzen Zögern. „Okay!“

Rimbo und Kendig warfen sich einen Blick zu, dann nickten beide, wenn auch widerwillig. „Ihr habt gewonnen!“ gab Rimbo nach.

Malawi schien zufrieden. „Sonst noch Jemand, der lieber hierbleiben möchte?“

„Esh...!“ begann Shamos und sah seine Frau besorgt an.

Doch Esha hob sofort mit finsterer Miene ihren rechten Zeigefinger. „Na!“ rief sie. „Wag es ja nicht!“

Shamos, der stets versuchte, seine Frau aus Gefahren heraus zu halten - obwohl sie ihnen viel besser gewachsen war, als er und nicht er auf sie, sondern im Gegenteil sie stets auf ihn achten musste - und ihm dies grundsätzlich nie gelang, gab sofort klein bei und nickte nur kraftlos, woraufhin Esha breit grinsen musste und ihm einen wilden, leidenschaftlichen Zungenkuss gab.

„Oh, du bist so knuddelig, wenn du so bist!“ rief sie, dann küsste sie ihn nochmals.

„Hey!“ rief Malawi beim Anblick der beiden. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Sie drängte sie und den Pater aus dem Cockpit. Kendig verabschiedete sich kurz von Rimbo und Idis, dann folgte er ihnen.

Am Eingang in den Laderaum hatte er Malawi eingeholt. „Hey!“ hauchte er ihr mit einem sanften Lächeln ins Ohr.

Malawi drehte sich herum und schaute ihn in einer Mischung aus Überraschung und Freude an. „Was ist...?“

Doch weiter kam sie nicht, denn da hatte Kendig auch schon seine Hände an ihre Wangen gelegt und gab ihr einen sanften, leidenschaftlichen Zungenkuss. Für den Bruchteil einer Sekunde schien sich die junge Frau dagegen wehren zu wollen, dann aber genoss sie es mit einem tiefen Stöhnen. Als sie sich wieder trennten, leuchteten ihre Augen. „Wofür war das?“

„Ein kleiner Quickie vor dem Essen regt den Appetit an!“ erwiderte Kendig mit einem breiten Grinsen.

„Na, dann wollen wir doch hoffen, dass uns der Hauptgang nicht zu schwer im Magen liegen wird, damit der Nachtisch entsprechend...üppig...!“ Sie beugte sich vor und küsste ihn kurz und leidenschaftlich. „...ausfällt!“ Dann zwinkerte sie ihm zu, drehte sich um und zog ihn mit einem leisen Kichern in den Laderaum.

Ein paar Minuten später war der Trupp um Malawi und Kendig abmarschbereit.

Kendig gab Rimbo ein Zeichen und die Amarula tauchte langsam auf.

Da zum Öffnen der seitlichen Laderampe kein Platz vorhanden war, kletterten alle aus einer kleinen Luke etwas oberhalb davon und dann an ein paar Stiegen hinab auf den stählernen Kai.

Kendig schloss die Luke wieder, bevor er den anderen folgte.

Inzwischen hatte man sich daraufhin geeinigt, dass Malawi zusammen mit Pater Matu, der in seinem Overall und seiner schusssicheren Weste, die sie übrigens alle trugen, da sie zumindest einen geringen Schutz gegen die Klauen der Insektenbestien boten, ganz sicher aber mit dem Schnellfeuergewehr in seinen Händen überhaupt nicht wie ein Geistlicher wirkte, die Vorhut bildeten, da der Pater den Weg zur Bibliothek offensichtlich von allen am besten kannte.

Kendig bildete die Nachhut.

Esha, ebenfalls bewaffnet, kümmerte sich um Shamos, dem die Angst deutlich anzusehen war.

So ging es beinahe lautlos im höchstmöglichen Tempo den Kai entlang nach Norden, wo sie auf eine Treppe trafen, die sie kurzerhand erklommen. Am Ende gelangten sie auf das weitläufige Schleusengelände. Es herrschte ziemliche Finsternis, denn es gab keine Lichtquelle in der Umgebung. Lediglich die Stadtteile weiter östlich waren erleuchtet und der Schein sorgte dafür, dass sie sich, nachdem sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, recht gut orientieren konnten.

Matu hatte anfangs scheinbar ein wenig Mühe, den richtigen Weg zu finden, doch nach ein paar Minuten führte er die Gruppe zügig nach Nordosten.

Kendig, Esha und Malawi hatten tragbare Radargeräte bei sich, mit denen sie immer wieder die Umgebung absuchten, um feindliche Bewegungen frühzeitig zu erkennen. Einige Male mussten sie auch verharren, doch die Signale entfernten sich nach kurzer Zeit wieder. Kendig hielt zusätzlich noch Kontakt zu Rimbo in der Amarula, doch auch dort war alles ruhig.

Nachdem sie das Schleusengelände verlassen hatten, kamen sie in einen parkähnlichen Bereich mit vielen kleinen Teichen und Seen und einigen kleinen Bächen. Die Lichtverhältnisse wurden, ganz zum Unmut von Malawi und Kendig, etwas besser. Während sie so erkennen konnten, dass die Erde hier weitgehend verbrannt war und überall Knochenreste von meist menschlichen, aber auch einigen tierischen Opfern lagen, waren sie jetzt für Feindesaugen natürlich auch besser auszumachen. Zusätzlich kam erschwerend hinzu, dass der faulige Gestank von Verwesung und ein extrem säuerlicher Geruch aus dem Wasser in der Luft hing, der ihnen das Atmen erschwerte und einige Hustenreize auslöste, die nur schwer zu unterdrücken waren.

„Kendig?“ Das war Rimbo.

„Ja?“

„Wir haben hier eine ziemlich große Bewegung östlich von euch!“ Er saß zusammen mit Idis vor dem Radarschirm der Amarula und starrte angestrengt und konzentriert darauf. Im unteren, linken Bereich waren einige blaue Signale zu erkennen. Das waren Kendig und die anderen, die natürlich mit entsprechenden Sendern versehen waren. Bisher gab es um sie herum auch nur wenige, rote Signale, die dann auch noch schnell wieder verschwanden. Jetzt aber näherten sich ihnen mindestens zwei Dutzend davon und ihre Geschwindigkeit ließ keinen Zweifel an ihrer Identität.

„Entfernung?“

„Eine halbe Meile!“

Kendig nickte. „Alles klar!“ Er beschleunigte kurz seine Schritte, bis er neben Malawi und Matu war. „Wir müssen hier weg!“ sagte er und warf ihnen einen ernsten Blick zu.

Der Pater verstand und nickte. „Wir haben es gleich geschafft!“ Er deutete nach vorn, wo das entfernte Rauschen von Wasser zu hören war.

Zwanzig Sekunden später hatten sie den Park durchquert und standen jetzt vor einer breiten, steinernen Treppe, die einige Meter in die Tiefe führte.

„Hier sind wir richtig?“ fragte Malawi unsicher, während sie sich besorgt umsah. Noch aber konnte sie keinerlei fremde Bewegung wahrnehmen.

Matu nickte. „Kommen sie!“ Er rannte voran die Stufen hinab. Die anderen folgten ihm. Ihr Weg führte sie in einen vielleicht zweihundert Meter langen Tunnel mit vielen Abzweigungen. Einstmals gab es hier vielerlei Geschäfte, denn es war einer der Hauptwege in den Bezirk der Universität von Ajuminaja, wo auch die Bibliothek lag.

Am Ende des Ganges gab es eine weitere breite Steintreppe. Das Matu jedoch nicht darauf zuhielt, sondern eine kleine unscheinbare Stahltür an der linken Seite ansteuerte, übersahen die anderen. Dennoch aber stoppten sie ihren Lauf ziemlich abrupt vor der Treppe ab und erstarrten zutiefst entsetzt, denn jetzt konnten sie wieder nach oben schauen und quasi direkt vor der Treppe befand sich einer der gewaltigen Atmosphärenwandler der Fremden. Eben noch in völlige Dunkelheit gehüllt, waren jetzt mächtige und leistungsstarke Turbinen zu sehen, die tief dröhnend anliefen. Während damit die vier Standbeine des Wandlers mit einem widerlich dumpfen, ohrenbetäubenden Quietschen gestreckt wurden, flammten an ihm unzähligen Lampen auf, die ihn und seine Umgebung in ein kaltes, milchig-grünes Licht tauchten.

In einer Mischung aus Faszination und Entsetzen blickten sie an ihm entlang in den Himmel, doch tiefhängende, bedrohlich pulsierende Wolken verhinderten die Sicht bis zu seiner Spitze in rund eintausend Metern Höhe. Stattdessen ertönte ein immer lauter werdendes Rauschen, als die gewaltige Maschine ihre tödliche Arbeit aufnahm.

Für einen Moment verharrte alles in ängstlicher Ehrfurcht vor der Technik der Fremden, dann löste sich Matu aus seiner Lethargie und forderte die anderen auf, ihm zu folgen.

Er riss die Stahltür auf und rannte weiter. Die anderen hechteten förmlich hinter ihm her.

Als Kendig als Letzter die Tür schließlich wieder schloss, fand er sich in einem würfelförmigen Raum wieder. Bevor er jedoch fragen konnte, wo sie waren, musste er schon weiterrennen, denn Matu hetzte durch den gegenüberliegenden Türrahmen eine weitere, schmale Stahltreppe hinunter.

Erst als sie unten angelangt waren, stoppte der Priester ab und alle konnten verschnaufen. Dabei schaute sich Kendig um.

Sie befanden sich in einem schmalen Tunnel. Die kuppelartige Decke aus alten Steinplatten war vielleicht zwei Meter über ihnen, die Breite lag bei rund vier Metern. Ein deutlich säuerlicher Geruch lag in der Luft, doch war das kaum verwunderlich, denn in der Mitte des Tunnels floss ein schmaler Fluss. Da er eine ziemlich hohe Fließgeschwindigkeit hatte, war der Tunnel von einem tiefen Rauschen erfüllt und Kendig stellte fest, dass es dieses Geräusch war, das er schon im Park vernommen hatte. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Wassers, entstand ein deutlicher, kühler Luftzug, der den beißenden Säuregeruch zumindest soweit verflüchtigte, dass die Atemwege nicht ständig gereizt wurden. An der Tunneldecke gab es in weiten Abständen kleine Lampen, von denen die meisten jedoch kaputt oder ohne Funktion waren. Entsprechend herrschte hier ein diffuses, gespenstisches Zweilicht. Von ihrem Standpunkt aus schien es Kendig, als würde der Tunnel sich schnurgerade endlos in beide Richtungen erstrecken.

„Wo sind wir hier?“ fragte er Matu, während sich die Gruppe in Bewegung setzte.

„Das ist einer der Flutkanäle, die die ganze Stadt durchziehen. Ajuminaja wurde über dem Delta des Ito-Flusses gebaut. Um die Wassermassen zu kontrollieren, wurden diese Kanäle angelegt!“

Kendig nickte. Mittlerweile hatten sie eine erste Biegung erreicht, hinter der es drei Verzweigungen gab. Matu folgte ohne zu zögern der Linken.

Plötzlich vernahm Kendig die Stimme seines Freundes aus der Amarula. „Kendig?“

„Ja?“

„Was zum Teufel treibt ihr da?“ Rimbos Stimme klang besorgt.

„Wir verstecken uns vor deinen Freunden!“ Er grinste kurz.

„Sehr witzig!“ raunte Rimbo. „Aber davon sehe ich hier nichts!“

„Wieso?“ Kendigs Grinsen erstarb und wich einer ernsten Miene.

„Ich habe hier noch immer Feindpräsenz!“ Er starrte auf den Radarschirm der Amarula, wo sich zwei Dutzend Signale, die er schon seit längerer Zeit im Auge hatte, immer weiter näherten und jetzt kaum noch mehr als zehn Meter von Kendig und den anderen entfernt sein konnten. „Ihr müsst da weg!“

„Aber...?“ Kendig war sichtlich irritiert. Doch sofort wirbelte er herum. „Malawi!“ rief er halblaut und als seine Frau ihn ansah, gab er ihr mit großen, mahnenden Augen zu verstehen, stehen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. Alle anderen registrierten das und reagierten entsprechend. Kendig hetzte an die Spitze der Gruppe. „Wo?“ fragte er Rimbo über Headset.

„Ich weiß nicht? Nördlich würde ich sagen. Keine zehn Meter. Und sie kommen näher!“

Kendigs Herz begann zu rasen. Er schaute in die von Rimbo angegebene Richtung und musste entsetzt erkennen, dass sich nur wenige Meter vor ihnen die nächste Biegung befand, die er nicht einsehen konnte. Ohne Worte gab er den anderen zu verstehen, zu bleiben, wo sie waren und still zu sein. Malawi gab er einen Wink, ihm zu folgen. Da er seine Waffe in den Anschlag brachte, tat sie es ihm gleich. Zu fragen, was los war, brauchte sie nicht. Sie kannte ihn gut genug, um in seinem Blick den Grund zu sehen.

Kendig stoppte einen Schritt vor der Biegung abrupt ab und drückte sich an die Steinwand hinter ihm. Malawi sprang neben ihn. Die Rufe seines Freundes über Headset ignorierte er, auch weil er gerade ein Stoßgebet gen Himmel jagte, weil er wusste, dass sie nicht die geringste Chance haben würden, wenn sie hier auf Insektenmonster treffen würden. Hauptsächlich aber, weil er schabende, schlurfende und leise quiekende Geräusche zu vernehmen glaubte, die sich ihnen langsam näherten.

Er atmete einmal tief durch und schloss die Augen, dann spannte er seine Muskeln an und wirbelte um die Ecke herum. Es hatte eh keinen Sinn, es hinaus zu zögern.

Und wirklich sah er wenige Meter weiter einen großen, schwarzen Schatten vor sich. Sofort löste sich ein Schrei aus seiner Kehle, Gleichzeitig riss er seine Waffe vor seinen Körper und seine Finger schlossen sich um den Abzug. Wenn er schnell agierte, konnte er vielleicht ein oder sogar zwei dieser Monster eliminieren, bevor sie reagieren konnten.

Doch plötzlich sprang Malawi zu ihm. „Nicht!“ rief sie im Flüsterton und riss seinen Waffenlauf in die Höhe. Dabei schaute sie ihm direkt in die Augen.

Kendig erschrak fürchterlich, doch schon einen Sekundenbruchteil später hatte er sich wieder im Griff. Und jetzt klärte sich das Bild vor ihm auch vollständig und er sah, dass es keine Insektenbestien waren, die er vor sich gesehen hatte, sondern nur vier armlange Ratten, die sich um ein verfaultes Stück Fleisch stritten. Kendig war sichtlich erleichtert und atmete hörbar aus. Doch Malawis Blick blieb ernst und wortlos deutete sie nach oben.

Während hinter ihnen die anderen nachrückten, waren über ihnen dumpfe Schläge zu hören. Atemlos verharrten alle mit großen Augen. Deutlich waren auch Quiekgeräusche zu vernehmen.

„Kendig, um Himmels willen!“ Jetzt hörte er wieder Rimbo in seinem Ohr schreien. „Ihr müsst da weg! Ihr habt keine Zeit mehr, verdammt!“

Doch Kendig reagierte nicht auf ihn. Stattdessen schaute er die anderen an und wagte genauso, wie sie, nicht einmal zu atmen. Plötzlich registrierte er, dass die Schläge über ihnen deutlicher, weil heftiger wurden. Auch das Quieken zeigte an, dass es hektischer wurde. War es möglich, dass diese Teufel sie auch durch dickes Erdreich riechen konnten? Er wusste, er kannte die Antwort auf diese Frage bereits. Natürlich konnten sie es. Ihr Blutdurst war unfassbar groß.

„Weiter!“ flüsterte Malawi und deutete den Tunnel entlang. Dabei schaute sie Kendig an, als wolle sie von ihm sein Einverständnis. Er nickte auch sofort, denn seine Freundin hatte Recht.

Also zog die Gruppe lautlos weiter voran bis sie gut einhundert Meter zurückgelegt hatte. Dann blieben alle nochmals stehen und lauschten, doch zu ihrer großen Erleichterung war über ihnen alles still.

Jetzt reagierte Kendig auch wieder auf Rimbo. „Sei still, Alter. Du nervst!“

„Halt bloß das Maul!“ raunte sein Freund zurück. „Das war verdammt knapp, Mann. Auf dem Schirm sah es so aus, als würdet ihr übereinander hocken!“

Kendig musste unweigerlich grinsen. „Haben wir auch!“

„Was? Hör auf, mich zu verarschen!“

„Tu ich gar nicht!“

„Und wie bitte schön soll das gehen?“

„Erzähl ich dir ein anderes Mal. Wir haben hier nicht so viel Zeit wie du und können uns von einer hübschen Frau den Bart kraulen lassen, den du ohnehin nicht hast!“

„Ha!“ erwiderte Rimbo wieder beruhigt und zahm. „Wenn du wüsstest! Die Eier, Mann, die Eier!“

Jetzt lachte Kendig leise auf. „Träum weiter, Alter!“ Er wandte sich an Matu. „Wie lange müssen wir hier noch rumrennen?“

Der Priester grinste. „Wir sind schon da!“ Er steuerte auf eine weitere Treppe zu, die sie schnell erklommen. Die Tür am Ende führte sie wieder an die Oberfläche zurück.

Nur wenige Meter vor ihnen ragte eine gewaltige Mauer auf, die aus riesigen Steinquadern errichtet worden war, an vielen Stellen aber deutliche Spuren des Krieges aufwies.

„Das ist die Burganlage, in der die Universität untergebracht war!“ erklärte Matu und rannte zu einer Stahltür am Fuß der Mauer. Sie war nicht verschlossen und die ganze Gruppe schlüpfte schnell hinein.

Im Inneren fanden sie sich in einem Treppenhaus wieder. Der Pater rannte ohne zu zögern vier Stockwerke hinauf, bevor er durch eine weitere Tür in einen langen, schmalen Gang huschte. Hier gab es etliche kleine Lampen, die für gutes Licht sorgten. Kendig konnte unzählige Türen erkennen, die von dem Gang abgingen.

Matu eilte zielsicher weiter. Nach zwanzig Metern kamen sie zu zwei großen, gläsernen Flügeltüren über denen in goldenen Lettern Zur Bibliothek zu lesen stand.

Matu durchquerte sie und sie gelangten in ein weiteres, jedoch sehr viel größeres Treppenhaus. Der Pater rannte drei Stockwerke hinab, dann sauste er in einen breiten Gang und schon nach wenigen Metern befanden sie vor zwei dunklen, mächtigen Flügeltüren aus massivem Holz. Auch hier stand in goldenen Lettern Bibliothek zu lesen.

Während Kendig sich umschaute, erkannte er, dass die Türen doch nicht vollkommen massiv waren, sondern einige Scheiben aus braun getöntem Glas besaßen. Durch die spähte Matu gerade in den dunklen Raum dahinter.

Da er scheinbar nicht Verdächtiges erkennen konnte, legte er die Hände auf die Türöffner und drückte sie. Mit angespanntem Gesichtsausdruck zog er die Flügel auf, die beinahe lautlos zur Seite glitten.

Die Gruppe huschte hindurch und Kendig schloss die Türen wieder.

Im Inneren fanden sie sich in einem riesigen Saal wieder, in dessen vorderem Bereich einige lange Tischreihen standen, die zum Lesen und studieren vorbehalten waren. Links und rechts an den Wänden fanden sich abgesonderte Lesenischen, um ungestörter lernen zu können. Im hinteren Bereich türmten sich Dutzende deckenhohe Regale mit Büchern auf. Zumindest wäre dies der Anblick gewesen, der sich ihnen vor dem Krieg geboten hätte. Jetzt aber wirkte der Raum eher wie ein Trümmerfeld, in dem Nichts mehr dort stand, wo es sollte; neben der zerstörerischen Verwüstung, die einem Wirbelsturm zur Ehre gereicht hätte, waren überall dunkle Blutflecken zu erkennen. Kendig glaubte noch immer den Geruch von Verwesung zu registrieren, was wohl aber Unsinn war, da alles Leben hier schon vor Jahren ausgelöscht worden war.

Während Esha erschrocken aufstöhnte, verdunkelte sich Kendigs und Malawis Antlitz. Shamos aber stand große Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Wie sollte es bei dieser Verwüstung noch Hoffnung geben, dass zu finden, was sie suchten?

Doch Matu reagierte gar nicht auf sie alle. Mit schnellen Schritten durchmaß er die Halle und wandte sich am Ende nach links.

Dort gab es eine weitere Tür, durch die er sie führte. Es folgten drei kurze, schmale Gänge mit fast kreisrundem Querschnitt, die wie Röhren wirkten. Sie waren vollkommen aus Glas gefertigt und boten einen beeindruckenden Blick in Höhlen unterschiedlicher Größe, die die Gänge mehrere Meter über dem Boden durchquerten. Esha erinnerten sie an die Verbindungsröhren zwischen den Hochhäusern in der Innenstadt von Ara Bandiks. Offensichtlich hatten sie die Burganlagen verlassen und waren dabei, in den Berg dahinter einzudringen. Zwischen den Röhren gab es weitere Treppenhäuser, die in den Stein gearbeitet worden waren. Dort war es stockfinster. Am Ende waren sie sicherlich sieben Stockwerke in die Tiefe gestiegen, bevor sie einen letzten gläsernen Tunnel, der eine sanfte Rechtsbiegung vollführte, durch eine besonders große und farbenprächtige Höhle durchquerten.

Dann öffnete sich der Tunnel und vor ihnen erschienen zwei weitere tiefschwarze Flügeltüren.

Sie waren reich verziert, doch Kendig kannte keines der Zeichen auf ihnen, wohl aber einige merkwürdige, mutierte, monströse, gespenstisch und vor allem überraschend lebendig wirkende Tierreliefs, bei deren Anblick er eine kurze Gänsehaut bekam.

Matu blieb stehen, schaute einmal stumm in die Runde, dann öffnete er die Türen.

Vor ihnen tat sich ein ziemlich großer Raum auf, den Kendig in diesen Ausmaßen hier nicht erwartet hatte. Er war sicherlich dreißig Meter lang und zwanzig breit. Er war vollgestopft mit alten, massiven und mächtigen Tischen, Schreibtischen und Regalen, auf und in denen etliche Bücher zu finden waren. Spuren von Zerstörung waren nicht zu sehen, alles wirkte einfach nur wie vor langer Zeit verlassen.

Das Licht, um all das zu erkennen, fiel von der gut zehn Meter hohen Kuppeldecke in den Raum hinein, die, wie Kendig überrascht feststellte, aus einer modernen Stahlkonstruktion mit Glasdach bestand, dadurch genügend Licht von den funkelnden Kristallen an den Wänden der sie umgebenden Höhle bekam und gleichzeitig einen atemberaubenden Blick auf die sicherlich gut einhundert Meter hohe Höhlendecke erlaubte.

Matu atmete einmal tief durch. „Der Raum für die Schriften aus den Anfängen unserer Zeit!“ Er schaute zu Shamos, der neben ihm stand. „Wenn es noch einen Ort gibt, an dem wir finden können, was wir suchen, dann ist das hier!“

Genesis IV

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