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IX

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Kendig hatte sich ein wenig von den anderen abgesondert und war auf eine Art Galerie gegangen, die den Raum auf einer der Längsseiten überspannte. Von hier aus hatte er einen wesentlich besseren Überblick über das, was unter ihm vorging und kam sich gleichzeitig nicht mehr so nutzlos vor, wie noch zuvor. Denn Tatsache war, dass er im Moment hier nichts tun konnte, außer, die Gruppe im Auge zu behalten.

Shamos und Pater Matu standen im hinteren Bereich vor ein paar großen Regalen, in denen sich hauptsächlich dicke, vergilbte Wälzer befanden, von denen sie einige herausgenommen und auf den Tischen dort verteilt hatten. Seit geraumer Zeit lasen sie dann entweder angestrengt darin oder sie diskutierten im Flüsterton, aber sichtlich hektisch und teils kontrovers.

Esha und Malawi hielten sich mehr im mittleren Bereich des Raumes ziemlich genau unter ihm. Die beiden Frauen saßen voreinander und unterhielten sich leise und angeregt, wobei Kendig immer mal wieder verstohlene Blicke der beiden zu Shamos oder zu ihm erkennen konnte. Meist folgte ihnen ein verschmitztes Grinsen oder gar ein kurzes Kichern.

Da es ansonsten ziemlich still um ihn herum war, konnte er ein wenig entspannen und seine Gedanken ordnen.

Dabei fragte er sich zum wiederholten Male, ob sie hier wohl das Richtige taten. Immerhin hatten sie sich die Amarula einfach mal eben so ausgeborgt, ohne die Erlaubnis dazu zu haben. Als ihre Abwesenheit in Kimuri bemerkt worden war, verlangte man von ihnen eine Erklärung. Kendig und Rimbo führten daraufhin aus, dass sie Shamos auf einer wichtigen Mission nach Ajuminaja begleiteten. Dabei wollten sie sogar den wahren Grund nennen, doch Shamos und Matu überzeugten sie in einer kurzen, kontroversen Diskussion davon, dass dies wenig förderlich wäre, da niemand Shamos Vorhaben auf die Schnelle begreifen würde. Also gab Kendig das Mikrofon an den Wissenschaftler weiter, der daraufhin - gewürzt mit einigen unverständlichen, aber hochwissenschaftlich klingenden Begriffen - erklärte, er müsse neuen Erkenntnissen über die Veränderungen der Atmosphäre nachgehen.

Da niemand Shamos Wort anzweifelte, gab man sich mit diesen Ausführungen zufrieden.

Ein bitterer Nachgeschmack blieb für Kendig aber dennoch zurück. Die Amarula war ein wichtiger Bestandteil ihrer Rettungsmissionen von Kimuri aus, der jetzt fehlte. Obwohl er Shamos Erklärungen, die er ihnen kurz vor ihrer Abreise, speziell aber während ihres Fluges gegeben hatte, durchaus Glauben schenkte, befürchtete er, dass ihre Bemühungen hier umsonst sein würden und dass sie einfach nur wertvolle Zeit verschwendeten oder sogar das Schiff damit aufs Spiel setzten.

Auch wenn das nach den Ausführungen des Wissenschaftlers überhaupt keine Rolle mehr spielte, da sie ohnehin alle zum Sterben verdammt waren.

Und genau das war der Grund, weshalb er hier war. Er konnte die Tatsache, dass es für sie alle keine Hilfe mehr geben sollte, einfach nicht akzeptieren. All das Leid, das sie durchgestanden hatten, konnte und durfte nicht umsonst gewesen sein. Schließlich hatten sie diesen Krieg nicht begonnen, also durften sie am Ende auch nicht die Verlierer sein. Dafür hatte er in den letzten Jahren jeden gottverdammten Tag gekämpft. Mit Leib und Seele.

All das musste einen Sinn gehabt haben. Und bevor er nicht alles versucht hatte, um das Schicksal des Planeten und seiner Bewohner doch noch zu ändern, würde er sein eigenes Schicksal nicht akzeptieren können. Und selbst dann würde er nicht kampflos sterben. Denn spätestens, wenn die letzte Stunde des Planeten tatsächlich geschlagen hatte, würde er sich in eine Maschine setzen und zu einem letzten Kampf gegen ihre Feinde antreten. Er war Kampfpilot und würde auch als solcher in einem letzten Gefecht sterben.

Seine traurigen Gedanken zogen ihn allmählich herunter und er zwang sich, sich auf etwas Anderes zu konzentrieren. Dabei fiel sein Blick natürlich zuerst auf Malawi, die ihm in den letzten Minuten immer öfter Seitenblicke zugeworfen hatte.

Kendig war sofort wieder überwältigt von der Mischung aus anmutiger Schönheit und wilder Energie, die diese Frau ausstrahlte. Tiefe Liebe zu ihr wärmte sein Herz. Obwohl die Umstände beide immer wieder jeden Tag in Lebensgefahr brachten und oft genug auch an unterschiedlichen Orten, gelang es ihnen dennoch, die wenigen, kostbaren Momente, die ihnen zusammen vergönnt waren, vollkommen auszuschöpfen. Es gab so viele wundervolle Erinnerungen, die er mit ihr und durch sie hatte. Körperlich, geistig, aber auch seelisch. Malawi war für ihn die tollste Frau, die er sich nur vorstellen konnte und er war so unsagbar stolz darauf, dass sie an seiner Seite war.

Sollte dieser verdammte Krieg enden und sie ihn überleben, dann würde es für ihn nichts Größeres geben, als den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen.

Und wenn er noch einen Grund brauchte, der ihn überzeugte, dass sie hier das Richtige taten, dann war es doch wohl der, eine Lösung zu finden, den Feind zu besiegen, um den Krieg zu beenden, um damit den Planeten zu retten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er mit seiner geliebten Malawi für immer zusammen sein konnte.

Kendig musste kurz lächeln, denn wieder einmal hatten die Gedanken an diese wundervolle Frau es geschafft, seine trübe Stimmung zu vertreiben.

Zufällig schaute Malawi genau in diesem Moment zu ihm und auch ihr huschte ein strahlendes Lächeln über ihre Lippen. Sie beugte sich zu Esha und sagte etwas zu ihr, die daraufhin nickte. Einen Moment später trennten sich die Frauen. Während Esha langsam durch den Raum schlenderte und hier und dorthin schaute, erklomm Malawi die schmale Treppe zur Galerie.

Kendig verspürte eine gewisse Vorfreude darauf, dass seine Frau jetzt zu ihm kommen würde, denn er hatte großes Verlangen nach einem Kuss von ihr.

Plötzlich aber glaubte er, in den Augenwinkeln eine Bewegung auszumachen. In der hinteren, rechten Ecke des Glasdaches, das über ihnen thronte. Er erschrak und wandte sofort seinen Kopf in die entsprechende Richtung. Doch er konnte nichts erkennen. Alles war vollkommen ruhig und bewegungslos außerhalb des Raumes. Lediglich die unzähligen Kristalle an der beeindruckenden Höhlendecke funkelten in einem vielfarbigen Licht.

„Hallo!“ Malawi trat zu ihm und küsste ihn sanft auf den Mund.

„Hey!“ Kendig lächelte sie offen an.

„Na, hast du auch alles im Griff?“ Sie schmiegte sich seitlich an ihn.

Als er ihre Körperformen spüren konnte, kroch eine erregende Gänsehaut über seinen Rücken. Er nickte. „Es ist alles ruhig. Aber...!“ Er stockte und warf seinen Kopf wieder zum hinteren Ende des Raumes herum, weil er dort erneut eine kurze, abrupte Bewegung zu sehen glaubte. Aber wieder konnte er nichts erkennen, doch er hätte schwören können, dass er auch ein kurzes, schabendes Geräusch gehört hatte.

„Was ist?“ In Malawis Gesicht zeigte sich sofort Sorge.

„Ich...weiß nicht?“ Sein Blick war unschlüssig. „Vielleicht sollten wir unser Glück nicht überstrapazieren!“ Er wandte sich nach vorn. „Shamos!“ rief er halblaut, doch der Wissenschaftler war viel zu sehr beschäftigt, als dass er reagierte. „Pater!“ versuchte es Kendig daher mit der anderen Person, doch auch hier erntete er keinerlei Reaktion.

„Esha!“ Malawi wartete, bis Shamos Frau sie ansah. Dann deutete sie auf den Wissenschaftler und den Geistlichen. Esha nickte, huschte zu den beiden und machte sie auf Malawi und Kendig aufmerksam.

In der Zwischenzeit hörte Kendig ein weiteres Schaben. „Hast du das gehört?“ fragte er seine Frau.

„Ja, habe ich!“ Sie nickte mit ernstem Gesicht. „Und da hinten...!“ Sie deutete mit dem Kopf auf die Glaskuppel am hinteren Ende des Raumes. „...hat sich auch etwas bewegt!“

Kendig stieß sich ohne zu zögern von der Brüstung ab, rannte zur Treppe und flitzte nach unten zu Shamos und den anderen. Dort erwarteten ihn bereits besorgte Blicke.

„Was ist los?“ fragte Matu.

„Sind sie fertig?“ erwiderte Kendig. „Haben sie, was sie brauchen?“

Shamos war sofort nervös. „Ich...ähm...also eigentlich...nicht. Wir müssten noch...hier und da...!“

Doch Kendig schüttelte den Kopf. „Vergessen sie es!“ Im selben Moment ertönte von außerhalb des Raumes ein schrilles Kreischen, dass sie alle nur zu Genüge kannten. Er schaute Shamos direkt in die Augen. „Die Besuchszeit...!“ Er hielt inne, weil über ihnen ein dumpfer Schlag zu hören war, auf den lautes Scheppern zu hören war. Einen Wimpernschlag später rauschten einige Quadratmeter geborstenes Glas aus der Kuppel in die Tiefe und donnerten auf die Tische, die unter dem immensen Gewicht zusammenkrachten. Gleichzeitig ertönte erneut schrilles Quieken und ein großer, schwarzer Schatten rauschte nur wenig nach dem Glas zu Boden. Bei seinem Anblick stieß Esha einen kurzen, entsetzten Schrei aus. Kendig wirbelte zurück zu Shamos. „...ist vorbei!“ vervollständigte er seinen Satz, dann riss er seine Waffe in die Höhe und zusammen mit Malawi stürmte er auf das grauenhafte Insektenmonster zu.

„Los!“ rief Matu, während er seine Ledertasche in die Höhe riss. Dabei schaute er Shamos mit großen Augen an. „Rein damit!“

Der Wissenschaftler war noch immer nervös, aber auch angesichts der Bestie nur wenige Meter vor ihnen zutiefst entsetzt. Entsprechend starrte er den Priester einfach nur an.

„Nun mach schon!“ brüllte Esha und stieß ihm in die Seite.

„Aber...!“ mehr brachte Shamos nicht heraus.

„Wir nehmen, was wir tragen können!“ rief Matu.

„Aber wir haben doch noch gar nicht...!“ hob Shamos erneut an. Dann schreckte er zusammen, weil die ersten Schüsse fielen und das Monster aufbrüllte.

„Wir werden aber keine zweite Chance mehr bekommen!“ erwiderte Matu. „Und jetzt rein damit!“

Shamos war noch für eine Sekunde wie erstarrt, dann jedoch zuckten seine Hände auf den Tisch und mit einem großen Griff zog er alle dort befindlichen Seiten und Bücher in Matus Tasche, die daraufhin randvoll war.

Wenige Meter vor ihnen war es Kendig und Malawi gelungen, das Monster zu töten. Offensichtlich hatte es sich bei dem Sturz vom Glasdach eine Klaue verletzt und konnte daher nicht mehr richtig laufen. Dass hatten die beiden gnadenlos ausgenutzt und ihm den Schädel zu Brei geschossen. Doch Grund zur Freude hatten sie nicht, denn schon konnten sie auf dem Glasdach weitere Bewegungen erkennen. „Wir müssen hier raus!“ brüllte Kendig und riss den Lauf schussbereit in die Höhe.

Matu ließ sich das auch nicht zweimal sagen und stürmte los. Esha wollte ihm nach, doch sah sie, dass Shamos sich nicht rührte. „Oh, nun komm schon!“ brüllte sie und riss rüde an seinem linken Arm. Es gelang ihr auch, ihn mit sich zu ziehen, doch nur eine Sekunde später riss er sich wieder los und rannte zurück zu der Stelle, wo er gestanden hatte. Er machte sich ganz lang und streckte seinen rechten Arm über den Tisch, bis er ein kleines, schwarzes in dickes, weiches Leder gebundenes Buch ergreifen konnte. Er packte es fest, riss es an sich, richtete sich wieder auf und stürmte zurück zu Esha. „Ich...!“ Er grinste entschuldigend. „...hatte etwas vergessen!“

„Idiot!“ zischte seine Frau jedoch nur, griff wieder seinen linken Arm und zog ihn mit sich.

Hinter Matu gelang es ihnen, seitlich an der toten Bestie vorbeizukommen. Kendig und Malawi kamen von der anderen Seite auf sie zu.

„Hier, nimm du das!“ Matu reichte Shamos seine randvoll gefüllte Umhängetasche.

Der Wissenschaftler war im ersten Moment unschlüssig, dann aber stopfte er das kleine, schwarze Buch schnell in seine Jacke und nahm dem Priester die Tasche ab.

Matu war zufrieden. „Und jetzt raus hier!“ Er stürmte mit der Waffe im Anschlag auf den Ausgang zu. Esha und Shamos folgten ihm. Kendig und Malawi bildeten die Nachhut. In dem Moment, da der Pater die Eingangstüren nach außen aufstieß, konnten sie hinter sich weiteres Glas zerspringen hören, gefolgt von den quiekenden Schreien mehrerer Monster.

Kendig und Malawi drehten sich sofort um und donnerten ihren Feinden im Rückwärtslaufen einige Salven entgegen, die zwar auch ihr Ziel fanden, jedoch keine der Bestien zu töten vermochten. Dann hatten auch sie die Türen erreicht und rannten hindurch.

Hinter ihnen drückten Shamos und Matu die beiden Flügel sofort zu. Als sie mit einem dumpfen Knarren ins Schloss fielen, sprang Esha in der Mitte in die Höhe und drehte den schweren Riegel, der an der linken Tür befestigt war, zur Seite. Matu sprang ihr sofort zur Hilfe und gemeinsam gelang es ihnen, ihn einzurasten, bevor die Monster die andere Seite erreichen konnten. Doch kaum war der schwere, metallische Riegel in Position, da donnerten die Insektenbestien auch schon mit unbändiger Wucht gegen die beiden Türflügel. Während Matu hiervon ruckartig nach hinten gedrückt wurde und sich gerade noch taumelnd auf den Beinen halten konnte, wurde Esha förmlich abgeschossen. Wie eine Kanonenkugel rauschte sie schreiend einige Meter durch die Luft, bevor sie unsanft zu Boden schlug und sich einige Male überschlug.

Shamos und Malawi eilten ihr sofort zur Hilfe, während sich Matu und Kendig einen besorgten Blick zuwarfen, denn die Bestien hatten die beiden Flügel schon bedrohlich weit auseinander gedrückt. Länger als eine Minute würde der Riegel der gewaltigen Kraft der blutrünstigen Monster nicht standhalten können.

Entsprechend verloren sie keine Zeit, hetzten zu den anderen.

„Okay?“ fragte Kendig Esha, die sich gerade wieder aufrappelte.

Die junge Frau nickte. „Halb so wild!“ Sie grinste kurz.

„Dann ab!“ Kendig schaute Matu an, der wieder die Führung übernahm. Esha und Shamos bildeten die Mitte ihrer Gruppe, Kendig und Malawi die Nachhut.

Mit allem, was ihre Lungen noch zu bieten hatten, hetzten sie die gläsernen Gänge durch die Höhlen zurück zum großen Lesesaal der Bibliothek.

Sie hatten kaum das Ende des zweiten Ganges hinter sich gebracht, als sie hinter sich ein lautes Scheppern hören konnten. Der Riegel war aufgebrochen worden und schon konnten sie anhand der zunehmenden Vibration des Bodens erkennen, dass ihre Feinde schnell aufholten.

Instinktiv beschleunigten alle nochmals.

Als sie das letzte Treppenhaus durchquert hatten und in die letzte Röhre eindrangen, konnten sie hinter sich das aufgeregte Kreischen ihrer Verfolger hören.

Das wird knapp! dachte Kendig, doch brachte er kein Wort heraus, um seine Freunde anzutreiben, da er alle Luft zum Rennen brauchte.

Matu an der Spitze hatte die Tür zum großen Saal als Erstes erreicht und warf sich mit aller Kraft dagegen, dass sie nur so aufflog.

In diesem Moment tauchten am anderen Ende der Röhre die ersten Bestien auf. Kendig beschleunigte nochmals und warf sich mit letzter Kraft in das Innere des Saals. Hinter sich hörte er, wie die stählerne Tür wuchtig ins Schloss fiel und wieder ein zusätzlicher Riegel vorgeschoben wurde.

Doch Kendig hatte keine Zeit zum Nachschauen. Während der Rest der Truppe an ihm vorbei zum Ausgang des Saals rannte, spürte er, wie Malawi ihn am Arm auf die Beine zog. Dann ging es auch schon in einem Höllentempo weiter.

Dieses Mal aber sollten sie kein Glück haben.

Matu als Führender hatte gerade die Hälfte des Saals durchquert, als die Stahltür zu den Glasröhren mit einem heftigen Knall aus den Angeln gefegt wurde und innerhalb weniger Sekunden mehr als ein halbes Dutzend Bestien durch die Öffnung quollen.

Kendig war sicher, dass dies ihr Ende war. Sie würden den anderen Ausgang niemals rechtzeitig erreichen können.

Schon hörte er das widerliche Kreischen der Monster in Vorfreude auf ein leckeres Mahl. Die Bestien fächerten hinter ihnen auf, nutzten die gesamte Breite des Saals, schienen sich genüsslich an der Angst ihrer Opfer zu weiden, während sie den sicheren Sieg vor Augen hatten.

Plötzlich hörte Kendig einen weiteren Knall. Er kam vom Eingang zum Saal. Instinktiv wirbelte sein Kopf herum und er rechnete fest damit, dort weitere Bestien zu sehen, die sie vollends in die Zange nehmen würden.

In der Tat wirbelten die beiden, großen Flügeltüren auch mit großer Wucht auf, doch an Stelle weiterer Monstren konnte Kendig zwei menschliche Gestalten erkennen, die ein paar Schritte in den Raum hineinliefen und dann abrupt abstoppten. Eine von ihnen hatte einen länglichen Gegenstand auf der rechten Schulter. Sie hockte sich augenblicklich hin, während die andere schräg hinter sie trat und etwas von hinten in den Gegenstand hineinschob.

Einen Wimpernschlag, bevor die hockende Gestalt den Auslöser betätigte und eine Flammenzunge aus dem hinteren Ende des Gegenstandes auf ihrer Schulter züngelte, erkannte Kendig, dass er da einen gottverdammten Granatwerfer vor sich hatte, der gerade direkt in ihre Richtung abgefeuert wurde.

Dann konnte er nur noch seine Augen aufreißen und mit einem lauten Schrei zur Seite hechten, wobei er Malawi mit sich riss, um sie ebenfalls zu schützen.

Die Wirkung des Geschosses war gewaltig. Mit unbändiger Wucht rauschte es hinter Kendig und Malawi in einen Trupp von drei Monstern, die es augenblicklich zerfetzte. Die Druckwelle riss eine weitere Bestie rüde aus der Bahn und verletzte sie an den Klauen. Außerdem zerstörte sie die unteren Streben einiger mehrstöckiger Regale, die daraufhin in den Raum hineinkippten und zwei bisher unverletzte Monster unter sich begruben und dabei zerquetschten.

Insgesamt fünf Monster starben durch den Einschlag der Granate, drei blieben jedoch noch auf den Beinen, wenngleich die eine Bestie sich nicht mehr richtig bewegen konnte und schmerzhaft aufschrie.

Kendig rappelte sich wieder auf und erkannte erleichtert, dass niemand von ihnen verletzt zu sein schien.

Doch schon hörte er die Schreie der anderen Monster, die natürlich nicht aufgaben. Ohne zu zögern riss er seine Waffe in die Höhe und feuerte eine gewaltige Salve auf eines von ihnen, während er hören und sehen konnte, dass Malawi Gleiches mit der zweiten, noch unverletzten Bestie tat. Matu sprang zu ihr und gab ihr Feuerunterstützung. Gemeinsam konnten sie das Monster erledigen. Esha hatte sich mittlerweile vor die verletzte Bestie gestellt und deckte sie mit Schüssen aus ihrer Waffe ein. Hilflos musste das Tier die Treffer hinnehmen, die es letztlich auch töteten.

Kendig aber wusste, dass er allein seinen Gegner nicht ausschalten konnte. Tatsächlich kam das Monstrum trotz der Treffer, die es einstecken musste, unaufhaltsam näher.

Plötzlich aber hörte er weitere Schüsse schräg hinter sich, die sich schnell näherten. Einen Augenblick später trat eine Frau mit langen, blonden Haaren neben ihn und feuerte auf die Bestie, die damit keine Chance mehr hatte und unter großem Geschrei den Tod fand.

Als sie ihre Attacke beendeten, verstummten auch die Geräusche um sie herum und zurück blieb eine drückende Stille.

„Danke!“ Kendig hatte die Frau einen Moment lang stumm angeschaut. Sie schien älter zu sein als er, vielleicht fünf Zyklen. Größe und Körperbau ähnelten Malawi. Doch hatte sie lange, blonde Haare, die zu einem festen Zopf gebunden waren und hellblaue, fast graue Augen. Ihr Gesicht war hübsch anzusehen, wenngleich es deutliche Spuren von Entbehrung und Kampf aufwies.

Der Frau huschte ein Lächeln über die Lippen, doch bevor sie antworten konnte, trat die zweite Person zu ihnen. Es war ein Mann, kaum älter als die Frau, mit kurzgeschorenen, schwarzen Haaren. Er war etwa so groß wie Kendig und ebenfalls sehr durchtrainiert und muskulös. Seine grünen Augen leuchteten sanft, doch war sein Gesicht eine einzige, harte Maske, die von einer riesigen dunklen Narbe dominiert wurde. Sie verlief vom rechten Ohr aus unterhalb des rechten Auges quer über die Nase, knickte dann abrupt nach unten ab, über das Kinn hinaus, bis sie irgendwo am Hals schließlich endete.

„Sparen sie sich ihren Dank für später!“ raunte er Kendig ernst, aber dennoch nicht unfreundlich, zu. Plötzlich war entferntes Kreischen mehrerer Bestien zu hören. Der Mann hob seinen Kopf und schaute blicklos an die Decke des großen Lesesaals. Dabei hob er den rechten Zeigefinger. „Wir haben noch nichts gewonnen!“ Er schaute Kendig direkt an, der daraufhin nickte.

„Sind sie hier zufällig vorbeigekommen?“ meinte er sanft. „Oder haben sie einen Plan?“

„Natürlich haben wir einen!“ erwiderte der Mann mit säuerlichem Blick. „Folgen sie uns!“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte er sich um und rannte zum Hauptausgang des Saals, durch den er zusammen mit der Frau auch gekommen war. Die Frau wollte ihm folgen, doch sah sie, dass die Gruppe um Kendig sich nicht bewegte und so hielt sie inne und schaute den jungen Poremier unschlüssig an.

Der erwiderte kurz ihren Blick, dann schaute er in die Runde und nickte den anderen zu.

Auch der Mann registrierte jetzt, dass ihm niemand folgte, doch als er sich mit mürrischem Blick umwandte, setzten sich die anderen doch gerade in Bewegung und er setzte stumm seinen Weg fort.

Sie waren gerade alle aus dem Saal hinaus in den angrenzenden, langen Gang gestürmt, als etwa dreißig Meter weiter südlich ein weiteres halbes Dutzend Monster auftauchte und sofort mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zuhielt.

Die gesamte Gruppe erstarrte mit beinahe entsetzen Gesichtern.

„Weiter!“ brüllte der Mann und rannte einige Meter den Gang hinauf, bevor er durch eine weitere, doppelflügelige Glastür in ein angrenzendes Treppenhaus und dann ein Stockwerk hinauf hetzte.

Dabei legte er ein irres Tempo vor. Die Frau bildete mit ihm zusammen die Vorhut, Kendig und Malawi wieder die Nachhut.

In der nächsten Minute stürmten sie in einer atemlosen Hatz, Treppen rauf und runter, durch jede Menge Türen, durch weite oder auch schmale Gänge, wobei sie beinahe regelmäßig alle paar Sekunden einen Haken schlugen und ihre Richtung änderten. Dadurch konnten sie ihre Feinde, die sie stets hinter sich wussten, länger auf Distanz halten, als üblich, doch Kendig war klar, dass auch das sie letztlich nicht davor bewahren würde, eingeholt zu werden.

Im nächsten Moment schoss die Gruppe in einen weiten Gang und erreichte schon nach wenigen Metern eine Abzweigung auf der linken Seite, die sie auch nahmen. Gerade aber als Kendig und Malawi sich nach links wandten, konnten sie hören, wie die Bestien bereits den Eingang in diesen Gang erreichten und die Flügeltüren aus den Angeln rissen.

Kendig sah keinen Sinn mehr darin zu flüchten. Lieber den Feind halbwegs kontrolliert empfangen. Doch als er diesen Gedanken kundtun wollte, sah er den Mann vor einer schmalen, aber äußerst massiven Stahltür stehen, die er gerade geöffnet hatte. Die Frau dirigierte Esha, Matu und Shamos dort hinein und deutete auch ihm und Malawi an, ihnen zu folgen.

Kendig gehorchte und die beiden Fremden huschten sofort nach ihnen in den angrenzenden, schmalen Gang, der über stählerne Treppen mindestens zwei Stockwerke steil nach unten führte. Der Mann riss die Tür ins Schloss und hatte innerhalb von nur zwei Sekunden vier äußerst massive Riegel vorgeschoben.

Kaum einen Wimpernschlag später krachten bereits von der anderen Seite ihre Verfolger dagegen, doch war die Tür zu massiv, zu schmal und zu gut gesichert, als dass sie Schaden hätten anrichten können, obwohl die Bestien dies mit großer Vehemenz versuchten.

Für einen Moment verharrte die Gruppe und alle verschnauften.

Dann schoben sich die beiden Fremden wieder an die Spitze. „Weiter!“ rief der Mann und stürmte die Treppe hinunter.

Am Ende erreichten sie einen Raum mit grauen Betonwänden, der sich nach einigen Metern in eine weite Halle öffnete.

Als Kendig sich umschaute, kam ihm die Umgebung merkwürdig bekannt vor, doch konnte er sie im ersten Moment nicht einordnen. Erst als sie weitergingen und die Halle erreichten, wusste er, wo sie waren. „Das ist ja eine U-Bahn-Station!“ rief er verblüfft aus.

Der Mann nickte ihm zu. „Verdammt richtig!“

Kendig sah sich um. Die Halle war etwa zwanzig Meter lang. Auf der rechten Seite war ein vielleicht fünf Meter breiter Bahnsteig, links der Gleisbereich, in dem sich bereits ein Zug befand. Auf beiden Seiten der Halle führten breite Steintreppen nach oben. Wenige Lampen an der Decke sorgten für ein diffuses Dämmerlicht.

Ohne zu zögern gingen die beiden Fremden zu dem Zug, der nur aus dem Antriebsfahrzeug und einem weiteren Abteilwagen bestand, dessen breite Eingangstür bereits offenstand. Kendig und die anderen folgten ihnen. Dabei erkannte der Poremier, dass der Zug umfassend bearbeitet worden war.

Die üblichen, großen Fensterflächen waren vielfach mit Stahlplatten zugeschweißt und nur an wenigen Stellen durch engmaschiges Drahtgeflecht ersetzt worden. Die Antriebsräder waren ebenfalls mit Stahlplatten verkleidet worden. Zusätzlich waren teilweise armdicke, nach vorn angespitzte Stahlstäbe wie bei einem Igel an die Außenhülle geschweißt worden.

Alles in allem wirkte der Zug durchaus sicher, er wies jedoch auch überall schon deutliche Kampfspuren auf. Offensichtlich war es den hier noch lebenden Menschen gelungen, ihn für ihre Zwecke umzubauen und zu nutzen und ihn als Schutz gegen die Bestien zu verwenden.

Während der Mann sich sofort nach vorn zum Führerhaus begab, blieb die Frau an den Türen stehen und wartete darauf, dass alle einstiegen.

Doch schon als Esha als Erstes ihren ersten Fuß in den Innenraum gesetzt hatte, ertönte vom Ende der Halle wildes Kreischen, dass blitzschnell näherkam. Nur eine Sekunde später waren riesige Schatten auf der Treppe zu erkennen und wuchtige, dumpfe Schläge von kraftvollen Klauen zu hören.

„Beeilt euch!“ rief die Frau und zog Shamos förmlich in das Innere.

Gerade als Kendig und Malawi als Letzte nachrückten, erschienen die ersten Bestien auf der Bildfläche. Sie brüllten widerlich kreischend und donnerten mit Höchstgeschwindigkeit direkt auf sie zu. Kendig erschrak und hechtete ins Innere. Die Frau riss daraufhin sofort die Türen zu und verriegelte sie. Als Kendig sich umdrehte, konnte er schon mindestens ein Dutzend Monster auf dem Bahnsteig erkennen und es wurden schnell noch mehr, denn auch aus der anderen Richtung quollen sie aus dem Treppenaufgang.

Plötzlich ging ein kurzes Rütteln durch den Zug und Kendig stellte fest, dass der Fremde die Maschinen gestartet hatte.

Doch noch bevor er überhaupt daran denken konnte, Gas zu geben, hatten die Bestien den Zug schon erreicht und überrannten ihn förmlich. Ein Großteil krachte einfach seitlich gegen ihn und brachte ihn bedrohlich ins Schwanken. Esha und Shamos schrien kurz auf. Zeitgleich waren auch Geräusche auf dem Dach zu hören. Innerhalb eines Augenblicks war der Innenraum erfüllt von ohrenbetäubendem, bestialischem Kreischen der Bestien und wuchtigen Schlägen ihrer kraftvollen Klauen. Das sich bei ihren Attacken einige der Monster an den Stahlstäben auf der Außenhaut verletzten, teilweise sogar schwer, schien sie nicht zu interessieren, ihr unstillbarer Blutdurst war schlicht maßlos.

Für Kendig war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis diese Monstren den Zug auseinandernehmen würden. Doch überraschenderweise geschah genau dies nicht.

Stattdessen sprang die Frau an einen kleinen, unscheinbaren Metallkasten an einer der senkrechten Haltestreben. „Vorsicht!“ rief sie, während sie ihre rechte Hand auf den Hebel legte, der dort angebracht war. „Weg von der Außenhülle!“ Sie wartete einen kurzen Moment, bis alle entsprechend reagiert hatten, dann riss sie den Hebel ruckartig nach unten.

Die Wirkung war fatal. Zumindest für die Bestien, die wie Spinnen an dem Zug hingen. Denn durch den Hebel wurde ein kurzer, starker Stromstoß über die Außenhülle gejagt, der sich auf den nachträglich angeschweißten Stahlstäben in Form von Blitzen entlud. Sobald er durch den Körper der Untiere floss, brauchte er sie zum Erzittern. Schmerzhafte Schreie waren zu hören. Hier und da platzte der Panzer auf und dunkles, dickflüssiges Blut spritzte heraus. Einige Monster verloren dadurch den Halt auf dem Zug und fielen zu Boden, die meisten aber konnten sich weiterhin an ihm festkrallen, wenngleich sie für einige Momente unfähig waren, sich kontrolliert zu bewegen.

Kaum war der Stromstoß verebbt, betätigte der Fremde im Führerhaus seinerseits einen Hebel und die Maschinen brüllten auf. Mit einer durchaus beachtlichen Beschleunigung fuhr der Zug an.

„Festhalten!“ rief die Frau und es gelang allen, sich mehr oder weniger schnell irgendwo festkrallen, sodass sie nicht durch den Innenraum polterten.

Schon am Ende der Halle hatte der Zug eine Geschwindigkeit von über vierzig Meilen in der Stunde erreicht und er beschleunigte immer weiter, als er in einen dunklen Tunnel einfuhr, der eine sanfte Rechtskurve beschrieb.

Nach ein paar Sekunden waren auf dem Dach erneut quiekende Geräusche zu vernehmen, als sich die Monster dort wieder gesammelt hatten. Kendigs Blick fiel zufällig auf eine der wenigen, mit dichtem Draht vergitterten Öffnungen im Heck des Zuges. Undeutlich konnte er noch die Halle im Hintergrund erkennen, viel besser jedoch sah er etliche Monster, die in den Tunnel sprangen und hinter ihnen herjagten.

Schon waren erste wuchtige Tritte auf dem Dach zu hören, dazu bösartiges Brüllen.

Kendig schaute die fremde Frau an, doch die schien vollkommen ruhig zu sein. Zufällig erkannte er, dass sie neben einer weiteren senkrechten Haltestrebe stand, an der ebenfalls ein kleiner, metallischer Kasten mit einem Hebel angebracht war. Im nächsten Moment drückte sie den Hebel nach unten und ein hydraulisches Knacken ertönte. Bei einem Blick aus einer Seitenöffnung konnte Kendig erkennen, dass die Stahlstäbe außerhalb des Zuges nach hinten umknickten und sich eng an die Außenhülle lehnten.

Das sorgte auf dem Dach für einige Unruhe unter den Monstern, doch war sich Kendig schnell sicher, dass es den Biestern doch wohl eher mehr Spielraum verschaffte, als sie ausschaltete. Er verstand deshalb diese Aktion der Frau nicht und wollte das gerade aussprechen, als sie ein kleines rechteckiges Gerät aus ihrer Jackentasche holte und ihm mit einem Grinsen zeigte. Kendig erkannte einen kleinen roten Knopf auf der einen Seite, der sicherlich irgendetwas auslöste.

Mit wenigen Schritten war sie am Eingang in das Führerhaus, in dem der Fremde den Zug lenkte. Dort gab es auch zwei kleine Bildschirme. Wie Kendig erkennen konnte, wurde das eine Bild von einer Frontkamera aufgezeichnet, die zeigte, wo sie hinfuhren, und das andere von einer Heckkamera, um zu sehen, wo sie herkamen. Kendigs erster Blick galt der Heckkamera, wo er deutlich mindestens zwei Dutzend Monster sehen konnte, die im Höchsttempo hinter ihnen herjagten, den Abstand aber nur langsam verringern konnten.

Dann hielt ihm die Frau wieder den kleinen Kasten vor die Nase und deutete mit dem Kopf auf die Frontkamera. Kendig folgte ihrem Blick und während die Bestien auf dem Dach immer wütender ihre Klauen einsetzen, drückte sie den kleinen, roten Knopf. Dabei huschte ihr ein breites Grinsen über die Lippen.

Kendig konnte im ersten Moment nicht sagen, warum, denn er konnte auf dem Bildschirm nicht wirklich etwas erkennen, doch dann hob sich etwas von dem Dunkel des Tunnels ab und blitzte im Scheinwerferlicht des Zuges auf. Und kaum, dass er es sah, wusste er, dass die Menschen hier wirklich hervorragend gelernt hatten, sich gegen die Bestien zur Wehr zu setzen.

Denn was er erkennen konnte, waren etliche weitere, armdicke Stahlstäbe, die mit der Spitze entgegen der Fahrtrichtung an die Decke des Tunnels geschweißt worden waren und jetzt durch den kleinen Knopf den Befehl erhielten, in einem ziemlich exakten dreißig Grad Winkel nach unten zu klappen. Dabei war ihre Länge gerade so bemessen, dass sie dem Zug selbst nicht anhaben konnten – wohl aber den Bestien, die sich auf seinem Dach befanden. Unfähig, es bei dieser hohen Geschwindigkeit noch zu verhindern, fanden etwa ein Dutzend Monster einen schmerzvollen Tod, als sie förmlich von den Stahlstäben aufgepfählt wurden. Mit unbändiger Wucht krachte der Stahl durch ihre Panzer, durchbohrte lebenswichtige Organe und riss tiefe und tödliche Wunden.

Außerdem wurden sie vom Dach des Zuges gehebelt, sodass dieser unter ihnen davonrauschen konnte. Anfangs blieben die Bestien noch auf den Stahlstäben hängen, dann aber rutschten sie mit einem ekelhaften Geräusch zu Boden, wo sie tödlich verwundet aufklatschten und von den ersten, nachfolgenden Monstern schonungslos überrannt wurden, bevor die anderen erkannten, dass es hier frisches Fleisch für sie gab, denn die furchtbaren Insektenbestien schreckten natürlich auch vor Kannibalismus nicht zurück.

Ein halbes Dutzend aber blieb dem Zug nach wie vor auf den Fersen.

„Tolle Show!“ meinte Kendig, während er sah, dass die Frau den roten Knopf noch einmal drückte, um die Stahlstäbe an der Tunneldecke wieder zu deaktivieren und sowohl in ihrem Gesicht, als auch dem des Mannes deutliche Entspannung erkennen konnte.

„Das ist unser tägliches Brot!“ erwiderte der Mann ungerührt. „Die Bahnlinien sind die einzigen Möglichkeiten, noch relativ ungesehen in die Stadt zu kommen!“

Kendig war beeindruckt. „Ihr seid gut gerüstet!“

Die Frau lachte kurz auf. „Wir hatten verdammtes Glück, dass wir den Zug ohne Verluste erreicht haben. Hier drinnen sind wir ziemlich sicher!“

Kendig nickte ihr mit einem Lächeln zu. „Ich bin Kendig. Jagdflieger und Offizier der poremischen Streitkräfte. Zumindest war ich das mal!“ Er nickte den beiden Fremden zu.

„Schön für sie!“ brummte der Fremde.

„Ach, komm hör auf!“ rief die Frau jedoch sofort und lachte auf. „Sei nicht so widerlich!“ Sie wandte sich mit einem breiten Grinsen an Kendig. „Lassen sie sich von Rupas nicht ärgern!“

„Kein Problem!“ erwiderte Kendig. „Er soll ruhig Dampf ablassen!“

„Ich lasse keinen Dampf ab!“ brummte Rupas, ohne Kendig anzusehen. „Ich bin stinksauer. Und du Malissa solltest nicht immer gleich mit Jedem Freundschaft schließen, der uns über den Weg läuft!“ Jetzt blickte er sich doch um. „Man weiß nämlich nie, wem man noch trauen kann!“

Kendig konnte nicht anders, er musste dünn lächeln, dabei zog er belustigt die Augenbrauen zusammen.

Das erkannte Malissa. „Er ist eigentlich ein ganz lieber Kerl. Der Krieg hat ihn zu einem echten Ekel gemacht!“ Sie lachte kurz auf, dann schaute sie in die Runde. „Wer sind die anderen?“

„Oh!“ Kendig lachte ebenfalls. „Das ist meine Frau Malawi! Hier haben wir Esha, ihren Mann Shamos und Pater Matu!“ stellte er die anderen nacheinander vor.

Malissa nickte jedem mit einem Lächeln zu, bei Matu aber stutzte sie und schaute auf sein Impulsgewehr, mit dem er so gar nicht gläubig aussah. „Ein Priester....mit einer Waffe?“

„Trotz meines unerschütterlichen Glaubens stehe ich diesen gottlosen Kreaturen nicht gern nackt gegenüber!“ erwiderte der Pater mit fester Stimme.

„Na prima!” raunte Rupas. “Aber was zum Teufel haben sie da eigentlich zu suchen gehabt? Die Bibliothek hat ihre Pforten längst geschlossen!“

„Gern!“ erwiderte Kendig freundlich. „Aber vielleicht sollten wir uns erst noch um das Wesentliche kümmern!?“

Rupas sah ihn mit finsterer Miene an. „Als da wäre?“

Kendig nickte zu dem Bildschirm der Heckkamera. „Wir werden noch immer verfolgt. Und so wie es aussieht, haben sie schon mächtig aufgeholt!“

„Ach das!“ Rupas lächelte. „Ja, diese verdammten Biester sind wirklich hartnäckig. Aber keine Sorge, das gibt sich gleich. Ich muss die Geschwindigkeit nur etwas verringern, damit wir unbeschadet in den Fluss kommen!“

„In den...?“ Malawis Blick zeigte Verwirrung. „...Fluss?“

„Klar!“ erwiderte Malissa mit einem Lächeln. „Diese Mistviecher hassen Wasser!“ Plötzlich verschwand ihr Lächeln. „Aber das wissen sie bestimmt schon!“

Malawi nickte.

„Genau!“ meinte Rupas. „Und deshalb führt unser Weg in ein sicheres Versteck eben durch den Fluss!“

„Aber...!" hob Kendig an.

„Aber was?“ raunte Rupas.

„…wir sind in einem Zug!“ vervollständigte der junge Poremier.

„Ja, und?“ erwiderte Rupas. „Hier und da ein paar kleine Veränderungen und dieses Baby könnte am Ende sogar noch fliegen!“ Er lachte heiser auf. Dann aber konzentrierte er sich auf die Lenkung des Zuges. Kendig konnte jetzt deutlich spüren, dass die Geschwindigkeit immer weiter sank. Die Bestien hinter ihnen waren auf dem Bildschirm dadurch immer besser zu erkennen. Er spürte, dass er nervös wurde.

Einen Augenblick später aber endete der Tunnel und wich einer großen, kuppelförmigen Höhle von beachtlichen Ausmaßen. Fast gleichzeitig hatte Kendig das Gefühl, als würden sie bergauf fahren. Ein Blick aus einer Seitenöffnung zeigte ihm, dass er sich nicht irrte. Der Zug schien sich auf einer niedrigen Brücke zu befinden.

Rupas vor ihm betätigte einige Schalter und Knöpfe auf dem Kontrollpult. Zunächst fuhren dicke Glasscheiben vor den Drahtöffnungen vor und verschlossen sie mittels Hydraulik luftdicht. Dann war ein weiteres hydraulisches Zischen zu hören und ein Rütteln ging durch den Zug. Grund hierfür waren stählerne Klauen, die außen an den Rädern entlangfuhren und sich von unten gegen die Gleise drückten. Ähnlich wie bei einer Achterbahn sorgten sie dafür, dass der Zug auf den Gleisen und in der Spur blieb.

Schon senkten sich die Gleise wieder nach unten und vor ihnen tauchte ein großer See auf. Der Zug hielt direkt darauf zu und Kendig konnte sehen, dass die Gleise in einem sanften Bogen in ihn hineinführten. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, tauchte der Zug auch schon durch die Wasseroberfläche und schoss weiter dahin.

Das Wasser um sie herum war alles andere als sauber, sodass die Scheinwerfer kaum für genügend Licht sorgen konnten, um ihre Umgebung genügend zu erleuchten.

Dennoch konnte Kendig klar das Bett des Ilo-Flusses erkennen, durch das sie jetzt auf einer Brücke etwa zwanzig Meter unterhalb der Wasseroberfläche dahin rauschten. Er war ziemlich beeindruckt und erst einmal sprachlos. In den Gesichtern der anderen konnte er ähnliche Gefühle erkennen.

Das andere Ufer kam sehr schnell näher und schon nach gut zehn Sekunden hatten sie den Fluss auch schon wieder durchquert. Der Zug schoss durch die Wasseroberfläche und fuhr zunächst wieder auf einer niedrigen Brücke durch eine große Höhle, wobei er eine sanfte Linkskurve beschrieb. Nach etwa fünfzig Metern rollte er am Ufer des Sees in einen zweiten Bahnhof ein, der jedoch Teil einer weitaus längeren Kaimauer war, die sich noch mindestens zweihundert Meter weiter erstreckte und ganz offensichtlich zum Anlegen von Flugbooten oder herkömmlichen U-Booten gedacht war.

Rupas bremste den Zug schnell, aber dennoch sanft ab und schaltete schließlich den Motor aus. Während er sich aus seinem Sitz erhob und in das hintere Abteil kam, öffnete Malissa die seitlichen Einstiegstüren und deutete den anderen an, ihnen zu folgen.

Als Kendig die große Höhle betrat, war er erneut beeindruckt von ihren Dimensionen, aber auch von der Geschäftigkeit auf dem Kai. Drei Schiffe lagen gerade vor Anker. Zwei davon waren Flugboote mittlerer Größe, eines war ein konventionelles, aber ziemlich mächtiges U-Boot. Er kam sich fast so vor, wie in Kimuri und ein dünnes Lächeln huschte über seine Lippen. Er hätte sich auch gern noch weiter umgeschaut, doch sah er, dass Malissa und Rupas die Gruppe durch einen breiten Stollengang führten. Kendig folgte ihnen.

Nach etwa zwanzig Metern hatten sie das Ende des Ganges erreicht. Rupas und Malissa stoppten ab und atmeten einmal tief durch.

Kendig trat neben Malissa und folgte ihrem lächelnden Blick. Sofort war er wieder beeindruckt, als er in die gewaltige, große Höhle blicken konnte, die sich vor ihnen auftat. Sie war bestimmt zweihundert Meter lang und fast genauso breit. Ihre Höhe betrug sicherlich zwanzig Meter. Sie selbst befanden sich auf einer Art Galerie in dritten Stock und konnten das bunte Treiben vor ihnen bestens beobachten. Kendig kam sich vor wie auf einem alten Marktplatz. Überall gab es kleine Stände und Hütten, Bereiche, in denen etliche Sitzbänke standen und mehrere Feuerstellen unterschiedlicher Größe. Und mitten drinnen sicherlich einige hundert Menschen aller Altersklassen, die wie die Ameisen unterwegs waren.

Ja, das alles sah fast genau so aus, wie auf einem alten Marktplatz, nur mit einem kleinen, aber sehr gewaltigen Unterschied, der eine leichte Gänsehaut bei ihm verursachte: Es war beinahe totenstill hier!

Und Kendig wusste auch warum, denn mochte alles auch nach geschäftigem Treiben und Aktion aussehen, so waren die Menschen hier, genauso wie überall auf diesem Planeten, einzig um ihr Überleben bedacht und dabei konnte keine Lebensfreude mehr aufkommen.

Kendig spürte, dass er trübsinnig wurde, doch er schaute zufällig zu Malissa und erkannte noch immer das sanfte Lächeln auf ihren Lippen.

Die Frau bemerkte seinen Blick. „Willkommen in Ajuminaja!“

Genesis IV

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