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XII

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Kabus am Steuer der Manitura drosselte deutlich die Geschwindigkeit und das Schiff sank wie ein Stein dem Meeresgrund entgegen.

Während in der Nähe der Wasseroberfläche deutlich das stürmische Wetter rund um Eshamae zu spüren gewesen war, wurden die Strömungen in tieferem Wasser ruhiger.

Schon tauchte der unterseeische Stützpunkt der poremischen Streitkräfte unter ihnen auf.

Vilo, der sich zu Kabus und Biggs ins Cockpit gesellt hatte, war erneut tief beeindruckt von den Dimensionen, die der Stützpunkt im Laufe der Jahre angenommen hatte.

Damals gab es nur zwei Kuppeln, deren Ausmaße ihm überwältigend vorgekommen waren, heute gab es vierzehn solcher Bauwerke und mehr als die Hälfe derer, die hinzugekommen waren, waren um einiges größer, als die ersten beiden Konstruktionen.

Damals war eine Kuppel mit Gebäuden gefüllt gewesen, in denen sich Menschen aufhalten konnten und die Zweite diente, überwiegend noch experimentell, zur Nahrungsproduktion. Heute überspannten acht Kuppeln eine derart gewaltige Fläche, dass weit über zwanzigtausend Menschen hier leben konnten. Unter drei Kuppeln wurde - mittlerweile nahezu in Perfektion – genügend Nahrung in vielfältigen Arten – Gemüse, Getreide, Obst – für eine ausreichende Ernährung aller Bewohner des Stützpunktes produziert. Eine vierte Kuppel sorgte für eine mehrartige Fleischproduktion.

Damals war der Stützpunkt nur über die Anlegestelle an der Wasseroberfläche und dem anschließenden Schlittenbahnsystem zu erreichen gewesen. Heute diente eine der größten Kuppeln als unterseeischer Hafen und eine weitere Kuppel als Liegeplatz für eine mittlerweile beachtliche Flotte von rund dreißig Flugbooten unterschiedlicher Größe und Funktion.

Kabus lenkte das Schiff in einen der vier Einfahrtstunnel in den Hafen von Eshamae und leitete entsprechend den Auftauchvorgang ein.

Während sich die Manitura langsam dem Anlegekai näherte und dabei die Wasseroberfläche durchstieß, war Vilo wieder fasziniert von der Klarheit des Wassers innerhalb des Stützpunktes. Eben noch in einer stinkenden Brühe aus Tod und Giften schwimmend, sorgte eine ausgeklügelte Filteranlage in der Hafeneinfahrt dafür, dass dieses Wasser nicht in das Innere des Stützpunktes gelangen konnte und die Manitura gleichsam von schädlichen Keimen oder Viren befreit wurde, um die Einwohner vor Krankheiten zu schützen.

Das hatte zur Folge, dass das Wasser innerhalb des Stützpunktes so klar und violett war, wie einst überall in den Ozeanen des Planeten, bevor die Atmosphäre begonnen hatte, es systematisch und täglich immer mehr zu vergiften.

Zwei Minuten später hatte die Manitura ihren Liegeplatz erreicht. Vilo war mittlerweile in den Laderaum zurückgegangen und sah jetzt zu, wie Mavis die seitliche Ladeluke öffnete. Zusammen mit ihm trat er auf den Kai.

Mit dem Blick hinauf in die faszinierende und atemberaubende Höhe der Kuppel, war er tief beeindruckt von der Klarheit der Luft innerhalb des Stützpunktes. Vilo schätzte, dass es wohl nirgendwo auf dem Planeten mehr möglich war, ohne Schutzmaske zu atmen. Hier aber war das kein Problem und obwohl er sich im Inneren ein wenig schämte, derart gute Luft zu riechen, ertappte er sich immer wieder dabei, dass er zuallererst einmal tief durchatmete, wenn er hier eintraf, genauso wie er es tat, wenn er von hier fortmusste, ganz so, als wolle er diese wundervolle Luft so lange wie möglich in seinen Lungen bewahren.

„Es ist doch immer wieder ein Erlebnis, hierher zurückzukommen, nicht wahr?“ meinte Mavis und auch er atmete einmal tief durch. Sein Gesicht zeigte dabei aber keinerlei Freude, eher Traurigkeit.

Vilo nickte. „Es ist fast...!“ Er stockte und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist eine andere Welt, in der man das Grauen der Realität fast vergessen könnte!“

Jetzt nickte Mavis. „Stimmt. Aber es ist eine Welt nur für die Reichen und Mächtigen!“ Sein Gesicht nahm beinahe angewiderte Züge an. „Das einfache Volk krepiert an der Oberfläche!“

„Ich weiß, dass du so denkst und ich kann dir kaum Gegenargumente liefern!“ erwiderte Vilo. „Aber wir brauchen diesen Stützpunkt, um den Menschen auf Santara überhaupt helfen zu können. Einen zentralen Ort, wo alle Informationen gebündelt werden. Wo die Entscheidungsträger von Militär und Politik zusammenkommen können, um ihre nächsten Schritte zu planen. Dafür müssen sie hier sein und kommen dem gemäß auch in den Genuss der Annehmlichkeiten, die dieser Stützpunkt bietet!“

Mavis warf Vilo einen säuerlichen Blick zu. „Du redest manchmal fast schon wie unser allseits geliebter Nuri!“ Seine Worte zeugten von großer Verachtung. „Dabei weißt du, dass du nicht Recht hast. Man könnte diesen Stützpunkt auch aufrechterhalten, ohne dass man derart viel Energie und Ressourcen in ihn hineinsteckt!“ Er schniefte einmal verächtlich durch die Nase. „Eshamae ist schon lange kein Stützpunkt mehr, um die Welt zu retten, sondern um die Obersten zu schützen!“

„Aber das stimmt doch nicht, Mavis!“ entgegnete Vilo, doch räumte er sofort ein. „Zumindest nicht so krass. Immerhin leben hier auch mehr als zweitausend Flüchtlinge aus aller Welt!“

„Ja...!“ Mavis lachte auf. „Das sind diejenigen, die für die Nahrungsmittelproduktion oder als Dienstpersonal gebraucht werden!“ Er atmete einmal tief durch und schaute Vilo direkt in die Augen. „Ich habe kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache!“

„Was meinst du?“

„Ich bin mir nicht mehr sicher, ob hier noch zum Wohle der Menschen gehandelt und entschieden wird!“

„Was?“ Vilo war entsetzt. „Aber? Nein, jetzt übertreibst du, Mavis. Ich kann den Nuri ebenso wenig leiden, wie du. Aber ich kann mit reinem Gewissen sagen, dass hier nach wie vor stets alles getan wird, um Santara von der Pest der Fremden zu befreien!“

Mavis erwiderte nicht sofort etwas, sondern schien nachzudenken. Dann nickte er bedächtig. „Du hast sicher recht, alter Freund. Ich leide schon an Wahnvorstellungen. Aber vielleicht wird sich all das ja bald auch ändern!“

„Stimmt!“ pflichtete ihm Vilo bei. „Die Boritas geben wirklich Anlass zu Hoffnung!“

„Wann wollen wir die Sache dem Rat vortragen?“

„Ich werde noch heute beim Nuri für einen Termin am morgigen Tag sorgen!“

Mavis nickte.

„Vielleicht solltest du mit Captain Tibak den Test und unseren Kampf nochmals durchgehen. Je genauer und fundierter unsere Aussagen sind, desto besser für alle!“

Wieder nickte Mavis. „Und du?“

„Ich...!“ Vilo stockte und atmete einmal tief durch. „Ich habe meine Familie seit drei Wochen nicht gesehen. Ich würde gern den Abend und die Nacht mit ihnen verbringen, denn ich bin morgen Abend schon wieder für unbestimmte Zeit nach Tibun unterwegs!“

Mavis schaute seinen Freund direkt in die Augen, dann flog ein sanftes, aber offenes Lächeln über seine Lippen und er nickte. „Klar doch! Du hast es dir verdient! Grüß Kaleena von mir und gib meinem Patenkind einen Kuss. Ich werde sie wieder besuchen, sobald ich kann!“

„Danke, das werde ich!“ Er gab Mavis die Hand und dieser schlug ein. „Also dann bis morgen, alter Freund. Ich werde dich rechtzeitig über unseren Termin im Rat informieren!“

Vilo drehte sich um, bestieg einen der kleinen, fliegenden Elektrobuggys und fuhr in Richtung Stadt davon.

Mavis schaute ihm noch lange nach.

Vilo aktivierte seinen Kommunikator und wartete, bis eine Verbindung hergestellt worden war. „Vik?“ sagte er dann, als sich am anderen Ende der persönliche Assistent des Nuri meldete. Im Laufe der Jahre waren sie einige Male ins Gespräch gekommen und Vilo hatte feststellen müssen, dass Vik ein gänzlich aufrechter und ehrlicher Diener der Menschen war und ebenso wie Vilo oft unter dem Verhalten des Nuri und seinen Entscheidungen litt. Vilo konnte daher nicht drum hin, ihn zu mögen. „Ja, ich bin es, Commander Vilo! Wir sind gerade von unserer Mission zurückgekehrt! ...Ja, mir geht es gut. Die Tests sind etwas anders verlaufen, als wir uns das gedacht hatten, aber sie waren erfolgreich! ...Genau deshalb rufe ich an. Bitte besorgen sie mir und Commander Mavis einen Termin vor dem Rat am morgigen Nachmittag, damit wir unsere Ergebnisse kurzfristig vortragen können! ...Vielen Dank, Vik. Sagen sie mir Bescheid, wenn sie eine Zeit haben und benachrichtigen sie auch Commander Mavis darüber! ...Grüßen sie ihre Frau von mir. Vilo Ende!“ Er kappte die Verbindung und war zufrieden. Vik würde ihnen einen Termin besorgen, dessen war er sicher. Der Rat war längst nicht ausgelastet und verbrachte viel Zeit damit, sich in endlosen Diskussionen zu verstricken. Ein wenig Abwechslung würde ihnen sicher gefallen.

Vilo hatte mittlerweile das Zentrum des Stützpunktes erreicht, doch anstatt sich jetzt rechts zu halten, um zu der Unterkunft zu gelangen, in der er seine Frau und seinen Sohn wusste, lenkte er den Buggy nach links und hielt auf die äußeren Kuppeln im Osten zu, die für die Nahrungsmittelproduktion zuständig waren.

Nach vier Minuten hatte er den Bereich, in der das Nutzvieh gehalten wurde, erreicht. Er lenkte den Buggy auf das riesige, einstöckige Hauptgebäude im vorderen Teil der Kuppel zu und war dabei fasziniert von dem Ausblick auf die großen Weideflächen mit unzähligen, unterschiedlichen Nutztierarten im Hintergrund. Dann konzentrierte er sich wieder auf sein Vorhaben und lenkte seinen Buggy bewusst weg vom Haupteingang in den hinteren, seitlichen Bereich, weitab vom geschäftigen Treiben und durch einige größere Bäume gut geschützt. Dort stoppte er ab, stieg aus und trat vor eine unscheinbare Tür. Während er eine Codekarte aus seiner Jacke fischte, schaute er sich verstohlen um, doch er konnte niemanden entdecken. Bevor er die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz steckte und somit die Verriegelung der Tür deaktivierte, schloss er seine Augen und atmete einmal tief durch. Nachdem er sich mindestens zweimal selbst verflucht hatte, überwog wieder die Angst in ihm und er trat zügig in das Innere des Gebäudes.

Der Geruch von Schweiß und Blut, gepaart mit großer, trockener Hitze schlug ihm sofort entgegen und er musste einen Brechreiz unterdrücken. Er befand sich hier in der Wäscherei des Schlachthauses, wo die Kleidung und sonstigen Stoffe der Arbeiter gereinigt wurden. Vilo aber hatte nicht vor, hier zu verweilen. Im Hintergrund konnte er Stimmen und die Geräusche von einigen Maschinen hören. In geduckter Haltung rannte er im Halbdunkel Richtung Norden, durchquerte einige schmale Gänge und düstere Räume, bevor er in einen langen, schnurgeraden, hell erleuchteten Gang kam, von dem unzählige Türen abgingen.

Er lief sofort auf eine davon zu. Der obere Bereich war verglast und er konnte in den dahinterliegenden Raum sehen. Sofort wusste er, dass er richtig war, denn überall hingen große Fleischhälften von kürzlich geschlachteten Muras-Rindern von der Decke. In den raumhohen Regalen an den Seitenwänden lagen bereits filetierte Stücke, die für den Weitertransport vorgesehen waren.

Vilo schaute sich verstohlen um, dann zog er seine Codekarte durch einen Schlitz neben der Tür und konnte den Raum betreten.

Hektisch sah er sich um und fand dann einen Tisch, auf dem sich Verpackungsmaterial befand. Er schnappte sich zwei Bögen, lief zu dem Regal auf der linken Seite, fischte zwei Filetstücke heraus und wickelte sie einzeln ein. Vilo schätzte, dass jedes Stück etwas mehr als ein Kilo wog. Schnell öffnete er seine Jacke, drückte je ein Stück senkrecht seitlich an seinen Oberkörper und schloss dann die Jacke wieder. Deutlich konnte er die Kälte spüren, die unter seinen Armen in den Körper zog. Er war sich aber sicher, dass die Pakete klein genug waren, um einem Fremden dort nicht aufzufallen.

Jetzt galt es nur noch, so schnell als möglich wieder von hier zu verschwinden.

Er hatte gerade einen Schritt in Richtung Tür gemacht, als er vollkommen erstarrte. Deutlich hatte er aus dem hinteren Bereich des Raumes ein Geräusch vernommen. War er doch nicht allein gewesen? Wurde er gar beobachtet? Vilo wirbelte herum und starrte in das Halbdunkel des Raumes, der jedoch so lang war, dass er unmöglich bis zum anderen Ende schauen konnte. Er lauschte, doch er konnte nichts mehr hören. Hatte er sich getäuscht? Ihm sein Schuldbewusstsein einen Streich gespielt?

Da! Wieder ein Geräusch. Eine Art Schlurfen. Vilo machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Sein Herz pochte bis unter die Schädeldecke. Er spürte, dass er trotz der Kälte zu schwitzen begann.

Doch da war Jemand. Deutlich konnte er die beiden Rinderhälften sehen, die sich an ihren stählernen Haken hin und her bewegten, gerade so, als hätte sie Jemand beiseite gedrückt.

Vilo bekam Angst. Niemand durfte ihn hier entdecken, sonst würde er auffliegen. Und das wäre für ihn, aber vor allem für seine Familie eine schlimme Katastrophe.

Doch schon konnte er den Schatten sehen, der sich hektisch durch die Rinderhälften zwängte, um die Flucht zu ergreifen. Vilo wusste, er durfte das nicht zulassen.

Instinktiv hechtete er vorwärts, huschte um die Rinderhälften herum, kam dem Schatten näher, hörte seine Schritte, seinen Atem. Und dann machte der Fremde einen Fehler, wollte nach links ausbrechen, genau in dem Moment, da auch Vilo nach links sprang. Fast wären sie übereinander gestolpert, wenn ihre Körpermaße nicht so unterschiedlich gewesen wären, denn Vilo, der die Situation als Erster realisierte und blitzschnell reagierte, musste überrascht feststellen, dass er einen halbwüchsigen Jungen von vielleicht zwölf Jahren mit wilder, blonder Lockenpracht am Arm gepackt hielt.

„Was zum Teufel machst du hier?“ rief Vilo, wobei er sich jedoch bemühte, seine Stimme nicht allzu sehr zu erheben.

Der Junge starrte ihn mit großen, entsetzten Augen an und machte Anstalten, zu schreien. Während er versuchte, sich loszureißen, stiegen ihm Tränen in die Augen.

„Sei still!“ Vilo schüttelte den kleinen Mann einmal kräftig durch und schaute ihm direkt in die Augen. Der Junge verstummte und erstarrte. „Wer bist du? Und was tust du hier?“

Wenn der Junge ihm wirklich eine Antwort geben wollte, so erübrigte sie sich in dem Moment, da ihm wie auf Stichwort ein Paket aus der Jacke rutschte und zu Boden klatschte. Der Junge atmete erschrocken ein und starrte darauf hinab. Vilo wusste bei seinem Anblick sofort, was es war, denn er selbst trug zwei ähnliche Pakete bei sich.

„Du bist ein Dieb!“ stellte Vilo emotionslos fest. So wie ich, fügte er stumm hinzu. Sofort überkam ihm Mitleid. „Ist der Hunger so groß?“

Der Junge schaute ihn zunächst verwirrt an, dann nickte er.

„Für wen soll das sein?“ fragte Vilo sanft und hockte sich vor ihn. „Nur für dich?“

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Für Mama?

Der Junge nickte.

„Und für Papa?“

Wieder nickte er.

„Und für deinen kleinen Bruder?“

Jetzt schüttelte der Junge den Kopf. „Für meine beiden Schwestern!“ erklärte er mit fester Stimme. „Sie sind krank und brauchen gutes Essen!“

Vilo wäre beinahe lang hingeschlagen und er hatte Mühe, nicht aufzuschreien. Verdammt, dieser Junge beging aus Liebe zu seiner Familie eine Straftat. Wie bekannt ihm das doch vorkam.

Und er wusste sofort, dass er den Jungen dafür nicht verurteilen oder verdammen durfte. „Wie bist du hier hereingekommen?“ fragte er deshalb.

Der Junge drehte sich halb herum und deutete in den hinteren Bereich des Raumes. Sicher gab es dort irgendwo einen Lüftungsschacht, durch den er gekrabbelt war.

„Kannst du schweigen?“

Der Junge schaute ihn unsicher an, dann nickte er.

Vilo nickte. „Wenn deine Schwestern krank sind, brauchen sie natürliches gutes Essen! Dann ist das hier kein Diebstahl, sondern eine Rettungsmission. Okay?“ Er schaute den Jungen mit großen Augen an und der nickte. Vilo lächelte. „Dann behalten wir das hier einfach für uns!“ Er hob das Stück Fleisch auf und reichte es dem Jungen. „Hier. Und jetzt ab nachhause!“ Er klopfte dem Jungen gegen seine Schulter, doch der rührte sich nicht. Vilo musste kurz grinsen, denn er konnte sich leidlich vorstellen, welche angst in dem Jungen vorhanden war. „Na los!“ versuchte er ihn zu beruhigen.

Doch schon im nächsten Moment sollte sich alles ändern.

Denn kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, als der ganze Raum plötzlich hell erleuchtet war und zeitgleich die Eingangstür aufgerissen wurde. Vilo spielte für eine kurze Sekunde mit dem Gedanken zu flüchten, doch dann standen schon zwei Uniformierte mit entsicherten Waffen vor ihm und starrten ihn und den Jungen an.

„Was zum Teufel machen sie hier?“ rief der eine von ihnen verärgert.

Vilo schaute die beiden mit äußerlich unbewegter Miene an, während er innerlich panisch nach einer Lösung für ihr Problem suchte. Langsam erhob er sich.

„Commander?“ Die beiden Männer schauten sich verdutzt an.

Vilo lächelte und nickte. „Ich bin Commander Vilo! Ich…ähm…hatte mich kurzfristig dazu entschlossen, hier eine Inspektion durchzuführen!“ Er grinste kurz.

„Inspektion?“ meinte der ältere der beiden Soldaten. „Davon weiß ich nichts!“

„Das war auch beabsichtigt!“ erklärte Vilo. „Ich habe die Inspektion nicht angekündigt! Na, ja, auf jeden Fall...!“ Vilo atmete einmal tief durch. „...habe ich dann hier ein Geräusch vernommen und diesen Jungen hier gefunden, Er hat seinen Vater bei der Arbeit besucht und sich dann verlaufen!“ Er lächelte verständniserhaschend, was aber nur bei dem jüngeren Rekruten Eindruck machte. Der Ältere Soldat blieb ernst. „Ich denke, wir sollten ihn hinausbegleiten. Der arme Junge ist sichtlich verängstigt!“

„Stimmt!“ rief der Ältere. „Und ich weiß auch, warum!“ Er trat einen halben Schritt vor und riss dem Jungen sein Paket förmlich aus der Hand, dass der in der Eile lediglich hinter seinem Körper verstecken konnte. „Er ist ein Dieb!“

„Was?“ rief der jüngere Rekrut überrascht aus.

Vilo explodierte innerlich, weil er wusste, dass er jetzt nur noch wenige Chancen hatte, die Situation doch noch zu retten. „Aber...!“ Er beugte sich zu dem Jungen hinab und schaute ihn direkt und mit mahnendem Blick an. „...das ist doch bestimmt nur ein Versehen, nicht wahr?“

Der Junge schaute ihn unsicher an und reagierte nicht wirklich auf ihn.

„Das werden wir schon noch sehen!“ rief der Ältere sofort wieder und streckte seine Hand nach ihm aus. „Wir nehmen ihn mit und befragen ihn!“

„Müssen sie das wirklich?“ meinte Vilo. „Sie sehen doch, dass er Angst hat!“

„Das mag schon sein. Aber wir dürfen Diebstahl hier nicht dulden. Das sollten sie als Commander am besten wissen. Wo kämen wir denn hin, wenn sich jeder hier so bedient, wie er es für richtig hält?“

„Ich meine ja nur!“ versuchte Vilo ein letztes Mal. „Es ist doch nur ein kleines Vergehen. Ein Dummjungenstreich! Ich denke nicht, dass er es noch mal tun wird. Richtig?“ Er schaute den Jungen wieder fragend an.

„Tut mir leid, Sir!“ beharrte jedoch der Ältere. „Aber wir müssen ihn mitnehmen. Wenn sie etwas zur Sache beitragen wollen, müssen sie mitkommen!“

„Was?“ Vilo erschrak. Deutlich konnte er seine eigenen gestohlenen Fleischstücke an seinem Oberkörper spüren und die Feuchtigkeit, die von ihnen allmählich durch die Jacke sickerte. Nein, er konnte auf keinen Fall mit den Männern gehen. „Ähm....nein. Das wird nicht nötig sein, denke ich. Ich werde meine Inspektion fortsetzen wie geplant. Ich erwarte jedoch...!“ Er wartete, bis die beiden Soldaten ihn ansahen. „...dass sie eine menschliche Entscheidung treffen und ihn mit einer Verwarnung davonkommen lassen werden!“

Dem jüngeren Rekruten sah man an, dass er willens war, Vilos Wunsch zu folgen. Der Ältere jedoch blieb nach wie vor ungerührt. „Wir werden ihm schon nicht den Kopf abreißen!“ meinte er nur, packte den Jungen am Kragen und zog ihn mit sich nach draußen.

Vilo sah ihnen nach, bis zu dem Moment, in dem sich der Junge herumdrehte und ihn voller Angst und hilflos anschaute. Da spürte Vilo, wie seine Beine zu zittern begannen und er wandte seinen Blick ab.

„Kommen sie?“ fragte der Ältere.

Vilo nickte und folgte ihnen. Während der Jüngere die Tür wieder verschloss, schob der Ältere den Jungen schon den Gang hinunter. Der Rekrut nickte Vilo noch zu, dann lief er hinter seinem Kollegen her. Ein paar Sekunden später waren sie hinter der ersten Abzweigung verschwunden.

Augenblicklich schossen Vilo Tränen in die Augen. Oh Gott, was hatte er nur getan? Wie tief musste er eigentlich noch sinken, um seine Familie zu schützen? Er stöhnte gequält auf, dann glaubte er ein Geräusch zu hören. Er erschrak und erkannte, dass er hier nicht bleiben konnte. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zurück nach draußen.

Als er jedoch einen dunklen und stickigen Raum durchquerte, musste er stehen bleiben und erlitt erneut einen furchtbaren Weinkrampf. „Du Schwein!“ beschimpfte er sich selbst. Dann schien etwas in ihm explodieren zu wollen. Ohne zu überlegen wirbelte er herum und donnerte seine Fäuste wie von Sinnen gegen einen großen, prall gefüllten Wäschebottich aus Aluminium. Der Inhalt verhinderte, dass mehr als dumpfe Schläge zu hören waren. Vilo tobte sich einige Male an ihm aus, bis er die Kraft verlor und seine Fingerknöchel taub und die Haut dort kurz vor dem Ausplatzen waren.

Dann erst konnte er sich beruhigen und seine Gedanken ordnen. Was zum Teufel hätte ich denn tun sollen? fragte er sich immer wieder. So gern er dem Jungen auch geholfen hätte, er hätte sich damit selbst verraten und das wäre eine noch viel schlimmere Katastrophe gewesen. Allein der Gedanke daran verursachte bei ihm heftige Übelkeit. Nein, er wollte dem Jungen ja helfen, doch mit dem Auftauchen der beiden Soldaten ging das eben nicht mehr. Aber er hatte doch dafür gesorgt, dass der Junge nur ermahnt wurde. Davon hatten seine Schwestern zwar noch nichts Ordentliches zu essen, doch er schwor sich, herauszufinden, wer der Junge war und der Familie dann anderweitig zu helfen.

Dieser Gedanke beruhigte ihn weiter.

Mann, alles in Allem hatte er wirklich Glück gehabt, wenngleich ihm klar war, dass er hier nie wieder herkommen konnte. Der Junge würde mit einem Schrecken davonkommen, der vielleicht sogar heilsam für sein weiteres Leben war. Und er würde der Familie heimlich und unerkannt so oft er konnte, etwas zu essen zukommen lassen. Somit war am Ende allen Genüge getan.

Vilo atmete mehrmals tief durch und trocknete seine Tränen.

Für das Wohl seiner Familie ging er schon seit so vielen Jahren durch die Hölle. Da war dieser Vorfall am Ende eher noch harmlos.

Mit neuer Kraft machte er sich auf, das Gebäude endgültig zu verlassen.

„Los rein mit dir!“ Der Ältere verpasste dem Jungen einen Stoß, sodass er durch die halbgeöffnete Tür in die Wachstube stolperte und sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte.

„Hey!“ rief der jüngere Rekrut sofort. „Du hast gehört, was der Commander gesagt hat. Wir sollen fair zu dem Jungen sein!“

„Ach was!“ zischte der Ältere zurück. „Alles Blödsinn. Der Bengel hier hat geklaut und ich werde ihn jetzt mal ordentlich ausquetschen. Mir Wurst, was dein Commander sagt. Der gehörte da sowieso nicht hin, egal, was er erzählt hat!“ Er brummte verächtlich, dann baute er sich drohend über dem Jungen auf. „Und jetzt zu dir, du kleine Ratte! Ich hoffe, du weißt, dass du in wirklich bösen Schwierigkeiten steckst? Du...und deine Familie!“

Vilo hatte sich hinter das Steuer des Buggys gesetzt und war sofort losgeflogen.

Erst als er die Kuppel hinter sich gelassen hatte, drosselte er seine Geschwindigkeit, öffnete seine Jacke, holte die beiden Pakete heraus und verstaute sie unter dem Beifahrersitz.

Dann betätigte er seinen Kommunikator.

„Ja?“ meldete sich eine raue, dunkle Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ich bin es!“ erwiderte Vilo.

„Ach, der Mann, der einmal Nuri war! Schön, sie zu hören!“

„Lassen sie das!“ raunte Vilo. „Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt!“

„Wie sie wünschen!“ gab der Andere nach. „Aber sie sind zu früh. Unser Date ist erst für morgen anberaumt, oder nicht?“

„Das weiß ich. Ich wollte nur sichergehen, dass es bei unserer Abmachung bleibt!“

„Keine Sorge! Wenn sie mir das liefern, was ich begehre, liefere ich ihnen, was sie begehren!“

Vilo blieb einen Moment stumm und man konnte sehen wie die beiden Kiefer aufeinander malten. „Okay!“ meinte er dann. „Wir sehen uns morgen wie besprochen!“

„Es wird mir ein Vergnügen sein...Commander!“ Das letzte Wort wurde sehr süffisant ausgesprochen.

Vilo kappte daraufhin die Verbindung und atmete tief durch. Eine wüste Beschimpfung lag ihm auf den Lippen, doch wusste er, wie sehr er auf den Mann am anderen Ende der Leitung angewiesen war und das er sicherlich um keinen Deut besser war, als er, auch wenn er das nicht immer wahrhaben wollte.

Er war ein Verbrecher, der für seine Sache sogar den Tod anderer in Kauf nahm. Dass er es für seine Familie tat, spielte überhaupt keine Rolle. Eines Tages würde er sich dafür rechtfertigen müssen und er wusste, dass seine Strafe furchtbarer sein würde, als dieser gottverdammte Krieg es jemals sein konnte.

Genesis IV

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