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Prolog Das kranke Herz

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Boliro war weit gekommen. Sehr weit. Viel weiter, als er es je geglaubt hatte.

Und doch war seine Mission, die vor über sieben Jahren in den Wäldern im Norden von Orotash begonnen hatte, noch immer nicht beendet.

Sein Weg hatte ihn zunächst über viele Monate und Jahre immer weiter nach Süden geführt. Er hatte Orotash durchquert und schließlich auch Tibun. Dabei hatte er unzählige faszinierende Orte gesehen und war ebenso vielen Lebewesen begegnet.

Ihnen allen hatte er von dem furchtbaren Krieg erzählt und sie nach dem Herz des Waldes befragt. Die meisten konnten mit diesem Begriff nichts anfangen, einige aber gaben ihm nützliche Hinweise und so gelangte er in den Tiefen des südlichen Regenwaldes Tibuns tatsächlich auf ein weiteres Exemplar dieser Spezies.

Sein Bericht wurde mit ebensolchem Entsetzen aufgenommen, wie es schon das Herz in Orotash getan hatte. Am Ende versprach es zu helfen und die Natur gegen die feindlichen Aggressoren zu vereinen.

Zufrieden machte Boliro sich wieder auf den Weg, der ihn nun nach Osten führte. Er durchquerte Oritos und Warribant, bevor er sich wieder nach Norden wandte.

Nachdem er die heißen Sandwüsten von Tarimi hinter sich gelassen hatte, erreichte er Boritas und hielt sich dort im Osten in Sichtweite des Meeres.

In all der langen Zeit war er sehr oft allein unterwegs gewesen und dachte dann viel an seine Mutter Leira, die mit den Menschen gegangen war, weil sie in jenem mit dem Namen Vilo einen erkannt hatte, der das Wohl aller Lebewesen auf dem Planeten im Blick hatte und dem sie im Kampf gegen den schier übermächtigen Feind zur Seite stehen wollte. Manchmal fragte er sich, ob sie wohl noch lebte, doch dann überkam ihn stets eine innere Ruhe und er wusste, dass er sich keine Sorgen um sie zu machen brauchte. Oft spürte er dann auch eine wohltuende, wunderbare Wärme in seinem Herzen und er wusste, dass sie in diesen Momenten ebenso an ihn dachte.

Stets waren seine Gedanken mit der Hoffnung verbunden, dass er seine Mutter eines Tages wiedersehen mochte. Doch obwohl sich seine lange Reise ganz allmählich ihrem Ende entgegenneigte, war ihm klar, dass es keinerlei Grund für Optimismus gab.

Denn mehr noch als die prachtvolle und grandiose Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Landschaften, die dieser wundervolle Planet zu bieten hatte, wirkten in ihm die furchtbaren und ehrlosen Bilder, denen er auf seiner Reise gewahr wurde.

Bilder von einer solch gnadenlosen Grausamkeit, dass er keine Worte fand, um sie zu beschreiben und er sich nicht vorstellen konnte, dass es überhaupt möglich war, auch nicht in der so hochdifferenzierten Sprache der Menschen, dies zu tun.

Ihr Feind fegte mit einer solchen Konsequenz und Brutalität über den gesamten Planeten, dass er nur die komplette Ausrottung aller Lebewesen im Sinn zu haben schien.

Unzählige Kämpfe hatte er gesehen, tausendfachen, schmerzhaften und grausamen Tod erlebt, Furcht, Panik und Entsetzen in den Augen der Opfer gespürt und ihre Schreie an der Schwelle zur Dunkelheit begleiteten ihn auf jedem seiner Schritte.

Doch er hatte auch Siege gesehen, wenn sich die Natur erfolgreich gegen die Insektenbestien zur Wehr gesetzt hatte. Allerdings zahlte sie stets einen hohen Preis an eigenen Verlusten dafür und die bittere Gewissheit, dass schon bald weitere Monstren folgen würden, ließ kein Hochgefühl aufkommen.

An einigen Kämpfen hatte Boliro selbst teilgenommen und dabei viele, noch immer sichtbare Verletzungen davongetragen. Zweimal hatte er dabei schon so dicht vor dem Tor in das dunkle Reich des Todes gestanden, dass er keine Hoffnung mehr gehabt hatte. Und doch hatte er am Ende überlebt, gerade so, als würde eine unsichtbare Kraft ihm helfen, seine Mission zu beenden.

Anfangs hatte er auch noch keinerlei Zweifel, dass er hier das Richtige tat und seine Aufgabe einen tieferen und vor allem erfolgreichen Sinn hatte, auch wenn es immer wieder mehr Rückschlage, als Fortschritte gab.

Seit einiger Zeit aber wich seine Zuversicht mit jedem neuen Tag, der anbrach, denn immer deutlicher und intensiver konnte er die Veränderungen spüren, die von dem Planeten selbst ausgingen und so tiefgreifend waren, dass er wusste, dass sie allumfassend sein würden.

Und so schwanden mit jedem neuen Tag sein Mut und seine Zuversicht, noch irgendetwas in diesem schrecklichen Krieg ausrichten zu können, wenn er mit ansehen musste, wie der Planet selbst ebenso qualvoll, aber auch ebenso konsequent starb, wie die Lebewesen, die ihn einst so zahlreich bevölkert hatten.

Dennoch zwang er sich, seinen Weg trotz aller Zweifel fortzusetzen, da er sich einredete, dass erst dann alle Hoffnung sinnlos war, wenn er selbst sich aufgab.

Vor einigen Tagen hatte er einen sehr guten Hinweis darauf erhalten, dass sich in der Nähe ein weiteres Herz des Waldes befand und vor etwa einer Stunde hatte er es tatsächlich erreicht.

Der Regen, der auf der Haut brannte, hatte mittlerweile nachgelassen, die Wolkentürme waren verschwunden. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich die Temperatur um mehr als dreißig Grad erhöht und eine feuchte Schwüle lastete schwer in der stickigen Luft. Doch es war erst Vormittag. Die Sonne würde noch einige Stunden scheinen und das Land weiter ausdörren und verbrennen.

Wie immer wurde das Herz des Waldes von Wächtern beschützt, die ihm zunächst den Weg versperrt hatten, ihn aber vorließen, sobald er ihnen den Grund seines Erscheinens mitgeteilt hatte.

Man brachte ihn immer tiefer in den Urwald hinein und er rechnete damit, dass sich die Umgebung verändern würde. Ein Herz des Waldes war stark und würde dem allgegenwärtigen Sterben noch am ehesten trotzen können. Boliro freute sich daher schon auf ungewohnt kräftige Farben und frische, klare Luft. Doch nichts davon sollte sich ihm offenbaren, die Umgebung blieb schmutzig und stinkig und wirkte so krank, wie der Rest der Landschaft.

Die Stimme des Herzens zeigte schließlich, dass das Gift, das überall zu finden war und den Planeten allmählich zerstörte, auch hier schon deutlich gewirkt hatte. Es war nicht das gewohnt kräftige, tiefe Summen, das so wunderbar in den Ohren klang und den gesamten Körper in Schwingungen zu versetzen schien, sondern nur ein leises, schwaches Krächzen, dass kaum noch Kraft in sich barg.

Dennoch brachte Boliro seinen Bericht vor und natürlich war auch dieses Herz ebenso entsetzt, wie jeder, dem er von dem furchtbaren Krieg berichtet hatte.

Nach einem langen Moment schmerzhafter Stille über die schlimmen Geschehnisse, begann das Herz wieder zu reden und versprach seiner Bitte, alle Lebewesen im Kampf gegen ihre Feinde zu vereinen, zu entsprechen, als urplötzlich ein widerlich schrilles Kreischen hinter ihnen ertönte.

Sofort horchte Boliro auf, doch Im Gegensatz zu dem Herzen und seinen Bewachern, die eher überrascht und irritiert wirkten, spürte er bereits deutliches Entsetzen in sich.

Und er sollte sich nicht getäuscht haben. Nur wenige Augenblicke später preschten etwa zwei Dutzend Insektenbestien in hohem Tempo auf die Lichtung und hielten direkt auf sie zu, während sie aufgeregte Rufe ausstießen.

Boliro hatte gerade noch die Zeit, die anderen vor diesen Monstren zu warnen, als der Kampf auch schon in einer irrsinnigen Geschwindigkeit und Wucht begann.

Die ersten Bestien schlugen wie ein Meeresbrecher gegen eine Steilküste, doch beinahe schien es so, als könnten die Bewacher des Herzens, im Allgemeinen von Größe, Statur und Kraft Boliro ähnlich, den Angriff der Feinde schon im Keim ersticken. Die schier wahnsinnige Gnadenlosigkeit und der unbändige Blutdurst der fremden Kreaturen aber ebbte nicht ab und schon gab es die ersten grausamen Opfer unter den Bewachern.

Auch das Herz beteiligte sich an dem Kampf und konnte einige Bestien mit seinen Lianen ergreifen und ihre Körper damit zerquetschen, doch war es lange nicht mehr stark genug, sich dauerhaft zu stellen und musste ebenfalls schmerzhafte Wunden hinnehmen.

Offensichtlich erkannte es die Ausweglosigkeit der Situation und rief Boliro zu, er solle alle anderen Lebewesen außerhalb der Lichtung warnen.

Obwohl er sich innerlich dagegen sträubte, wandte er sich ab und rannte hinaus aus dem Urwald, wo er bereits auf eine Herde Inu-Rinder traf – halb so groß wie er selbst mit kurzem Fell in dunklem orange und ihren charakteristischen, wie Klingen vor der Stirn gekreuzten Hörnern. Es waren rund fünfzig Tiere, davon sicherlich ein Dutzend Halbwüchsige oder gar Kleintiere. Sie alle hatten panische Angst ob der furchtbaren Geräusche, die sie hörten, doch glaubten sie offensichtlich noch immer, das Herz des Waldes würde ihnen Schutz bieten. Wie auch sollten sie verstehen, dass hier eine Macht wütete, die stärker war, als alles, was sie je erlebt hatten? Obwohl Boliro sich ihnen entgegenstellte, konnte er nicht verhindern, dass die Herde auf die Lichtung und somit in ihr eigenes Verderben lief.

Kurzerhand drehte er wieder um und folgte ihnen.

Als er die Lichtung erneut erreichte, war er überwältigt von der brutalen Gnadenlosigkeit und der furchtbaren Wucht mit der der Kampf hier andauerte. Das Herz und seine Bewacher kämpften mit all ihrer Kraft, doch konnten sie sich gegen diesen schier unbändigen Hass und die unstillbare Gier der Insektenmonstren nicht aus der Defensive befreien.

Schon erkannten die ersten Bestien die weitaus leichter zu erlegende Rinderherde und stürmten darauf zu.

Boliro versuchte noch, sich ihnen entgegen zu werfen, doch hatte er nicht die geringste Chance und schon nach wenigen Momenten war die Hälfte der Herde überrannt und die Lichtung übersät mit Blut, abgetrennten Körperteilen und Innereien.

Boliro selbst hatte eine schmerzhafte Wunde an der linken Schulter davongetragen, als er eines der Monster töten konnte und war für einen Moment außer Gefecht. Während er kurz verschnaufte, sah er, dass die Bewacher des Herzens den Insektenbestien, die sich jetzt fast ausschließlich um die Rinderherde kümmerten, geschickt in den Rücken fielen und innerhalb kürzester Zeit, jedoch auch mit großen eigenen Verlusten, fast alle töten konnten. Ein Sieg schien greifbar nahe zu sein.

Doch alles sollte so furchtbar anders kommen.

Sieben Bewacher stellten sich vier Monstren entgegen, als urplötzlich ein Rütteln durch den Boden ging. Kaum war es vergangen, ertönte ein dumpfes Grollen, das direkt aus den Tiefen der Welt zu kommen schien, sehr schnell irrsinnig laut wurde und weitere, immer heftigere Erschütterungen mit sich brachte. Der Kampf endete, denn alle hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Im nächsten Moment ertönte eine Art Fauchen und schon brach die Erde unter ihnen auf, zeigten sich gezackte Risse im Untergrund, die blitzartig und schubweise über die gesamte Lichtung zuckten. Immer wieder schossen Fontänen aus heißem Wasserdampf in den Himmel, wo sie zischend vergingen.

Das Beben erreichte nach wenigen Sekunden seine volle Stärke, brachte den Urwald ins Wanken. Bäume stürzten um, Erdreich drückte sich wie durch riesige Fäuste getrieben in die Höhe, die Risse wurden breiter. Innerhalb weniger Augenblicke stürzten Rinder, Bewacher, aber auch Insektenmonster kreischend in die Tiefe. Nur wenige entgingen der Macht der Natur, auch nicht das Herz des Waldes.

Als einer der Risse seine Wurzeln erreichte, stieß es einen schmerzhaften Schrei aus und eine dunkle Flüssigkeit schoss wie Blut als gewaltige Fontäne in die Höhe, klatschte wie ein heftiger Regenguss über die gesamte Lichtung. Dann kippte der mächtige Baum langsam nach vorn und stürzte schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den sich auftuenden Schlund, riss dabei die letzten Monstren, aber auch alle Bewacher mit sich.

In dem Moment, da alle in der Tiefe verschwunden waren, endeten die Erschütterungen des Bodens allmählich.

Boliro fing sich als Erster und schaute sich um. Die Lichtung, einst ein Ort prachtvoller Blüte und Wunder, war vollkommen zerstört worden. Der Platz, an dem sich das Herz befunden hatte, wies einen Krater wie nach einem Bombeneinschlag auf und glänzte feucht in der Sonne. Überall lagen leblose Kadaver herum, Blut, Körperteile und Gedärme waren weithin verteilt. Und doch konnte Boliro auch Bewegung ausmachen. Er sah zwei ausgewachsene Rinder, die unter schmerzhaftem Stöhnen versuchten, sich auf die Beine zu bringen. Eines von ihnen brach jedoch sofort wieder zusammen und starb im nächsten Moment. Das andere aber fand unsicheren Stand, während es starr in eine Richtung blickte und dabei immer wieder besorgte Rufe ausstieß.

Boliro folgte seinem Blick und konnte eines der Neugeborenen erkennen, das vollkommen verängstigt nach seiner Mutter rief, dabei stocksteif stand und am ganzen Körper erbärmlich zitterte.

Das Muttertier zeigte eine erstaunliche Energie und schaffte es, sich auf den Weg zu seinem Jungen zu machen. Boliro spürte eine gewisse Freude und brummte sanft. Mochte sich hier auch ein Ort des Grauens und der Vernichtung zeigen, so war das Überleben dieser beiden Tiere zumindest ein kleiner Grund zur Hoffnung.

Kaum aber hatte er diesen Gedanken formuliert, da erschütterte ein Nachbeben von nicht mehr als zwei Sekunden den Boden erneut, doch reichte es aus, um dem Muttertier das Gleichgewicht zu nehmen. Obwohl es sich mit aller Kraft dagegenstemmte, konnte es nicht verhindern, dass es in eine der Spalten rutschte, die das Hauptbeben gerissen hatte. Verzweifelt versuchte es mit seinen Hufen Halt zu finden, doch war es einfach zu schwach. Im Angesicht des sicheren Todes brüllte es erbärmlich auf, dann verschwand es in der Tiefe und seine Rufe erstarben abrupt.

Dafür kreischte jetzt das Jungtier vollkommen irrsinnig auf, weil seine Ängste es schier zerspringen lassen wollten.

Sofort wusste Boliro, was er zu tun hatte, denn natürlich konnte und wollte er das Kleine nicht sich selbst überlassen. Während er sich in Bewegung setzte, stieß er beruhigende Rufe aus und erreichte tatsächlich, dass sich das Tier ein wenig beruhigte und ihn fixierte.

Plötzlich spürte Boliro eine neuerliche Erschütterung des Bodens und ein tiefes Grollen war zu hören. Sogleich stieg Entsetzen in ihm auf, instinktiv rannte er schneller. Einen Augenblick später aber erstarb beides schon wieder. Boliro atmete erleichtert auf und wurde wieder langsamer.

Bis zu dem Moment, da er erkannte, dass nur das Rütteln, nicht aber das Grollen geendet hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt war es schon zu spät für das Jungtier.

Das Grollen wurde schlagartig wieder lauter und nur eine Sekunde später brach der Boden unter dem Kleinen auf und eine wuchtige Fontäne aus kochend heißem Wasserdampf schoss senkrecht in die Höhe, riss den zitternden, hilflosen Körper des Tieres mit sich. Ein furchtbar schmerzhafter Schrei fuhr ihm aus der Kehle, während es in einem hohen Bogen direkt auf Boliro zuflog und schließlich vollkommen unkontrolliert, aber irrsinnig wuchtig fünf Meter von ihm entfernt zu Boden klatschte.

Boliro erschrak zutiefst und rannte darauf zu, doch als er direkt vor dem Körper des Jungtieres stand, raubte ihm sein Anblick schier den Atem und die Besinnung. Seine Vorderbeine begannen zu zittern und gaben schließlich nach und mit einem quälenden Aufschrei stürzte er vollkommen entsetzt auf die Knie.

Die Haut hatte sich vollkommen vom Körper des kleinen Tieres gelöst, es war nicht mehr, als ein blutiger, wabbeliger Haufen Fleisch und Knochen und doch war es noch am Leben, tat seine letzten, so unendlich quälenden Atemzüge, während Boliro in seinen Augen klar erkennen konnte, dass es noch immer vergeblich versuchte zu ergründen, wie sich seine Welt innerhalb weniger Minuten in eine absolute Hölle verwandeln konnte.

Dann erst erstarben seine zuckenden Bewegungen und begleitet von einem dicken Blutschwall, der sich vor ihm auf dem Boden verteilte, atmete es ein letztes Mal aus und das Leben erlosch in ihm.

Am Ende war Boliro der einzige Überlebende dieses furchtbaren Massakers und seine klagenden Rufe waren lange und weithin zu hören.

In diesem Moment war er sich mehr denn je bewusst, dass dieser Ort, ja der gesamte Planet, nichts Lebenswertes mehr an sich hatte.

In diesem Moment spürte er keinerlei Hoffnung mehr in sich...

Genesis IV

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