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VI

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Es war für ihn ein inneres Bedürfnis jetzt hier an diesem Ort zu sein, auch wenn er deutliche Schmerzen im Herzen verspürte.

Doch Jorik konnte gar nicht anders.

Die Höhle, in der er zusammen mit einigen anderen Personen stand, lag weitab der anderen Höhlen, in denen die Flüchtlinge dieses Lagers versuchten, mit den einfachsten Mitteln und trotz aller Widerstände zu überleben. Hier war es sehr ruhig, aber auch sehr traurig, denn dieser Teil des Lagers war den Toten vorbehalten.

Und mittlerweile gab es so schrecklich viele von ihnen, dass es kaum möglich war, das Meer an Kreuzen, das sich beinahe über die gesamte Halle erstreckte, mit einem Blick zu erfassen.

Jorik hatte es stets vermieden, hierher zu kommen. In der Tat war er heute das erste Mal hier und eine eiskalte, ekelhafte Gänsehaut überfiel ihn für einige, lange Minuten.

Doch obwohl ihm von vornherein klar war, dass es für ihn und seine Gemütsverfassung kaum förderlich sein würde, diesen Weg zu gehen, hatte er nicht eine Sekunde gezögert, ihn zu beschreiten.

Der Grund war so einfach, wie schmerzhaft, denn er war der Letzte gewesen, der den Menschen, das Mädchen, auf deren Sarg er gerade blickte, lebend gesehen hatte. Mehr noch, es war in seinen Armen gestorben. Jorik hatte ihm in die Augen geblickt, als es seinen letzten Atemzug getan hatte, gesehen, wie das sanfte, wundervolle Lächeln auf seinen Lippen erstarb und einem roten Blutfaden wich und sich der dunkle Schleier des Todes über es gelegt hatte.

Doch es war nicht diese Tatsache allein, die ihn so unsagbar traurig in diesem Moment machte.

Dieser gottverdammte Krieg hatte so unfassbar viele Opfer gefordert, dass einem nur übel davon werden konnte. Und in ihren unzähligen Rettungsaktionen hatte Jorik immer und immer wieder Menschen sterben sehen. Die meisten davon mit panischer Angst in ihren Augen im Angesicht eines grausamen Todes. Und einige von ihnen waren auch in seinen Armen gestorben, so dass ihn dieser recht friedliche Tod des Mädchens in dem Sarg vor ihm eigentlich nicht so hätte treffen dürfen.

Doch es war nicht die Art und Weise, wie es gestorben war, sondern es war der Zeitpunkt seines Todes gewesen.

Als Marivar ihm das Mädchen gegeben und er es in seine Arme geschlossen hatte, war es gerade einmal zwei Minuten auf dieser Welt gewesen. Und doch lag es schon im Sterben. Mit diesem grausamen Wissen, war er mit ihm über die Galerie des Stützpunktes an die Oberfläche des Planeten gerannt, um ihm wenigstens einmal das Licht der Sonne zu zeigen. Warum das für ihn in diesem Moment so wichtig gewesen war, wusste er nicht mehr zu sagen, doch das strahlende Lächeln in den Augen des Babys hatte ihm mehr als deutlich gezeigt, dass er das Richtige getan hatte.

Doch mitten hinein in diese kurze Euphorie brach der Tod hervor und nahm ihm mit einem letzten, tiefen Atemzug das Leben.

Und Jorik wurde sich brutal bewusst, dass er auch dieses Mal verloren hatte.

Denn er hatte in diesen Momenten natürlich nicht nur ein fremdes, neugeborenes Mädchen ohne Namen auf den Armen, sondern auch seine eigene, so sehr geliebte Tochter Daria.

Und es war ihm, als würde er alles noch einmal durchleben. Die Unsicherheit, neugeborenes Leben auf den Armen zu halten. Die Wandlung dieses Gefühls in Freude, etwas so Wunderbares sehen und spüren zu dürfen. Die Erhöhung des eigenen Pulsschlages zu fühlen und die wunderbare Wärme im Herzen zu spüren. Das alles so intensiv, so allumfassend, dass man für einen Moment alles um sich herum vergisst und nur dieses Gefühl höchsten Glücks empfindet. Nur um eine Sekunde später wieder die Augen zu öffnen und in den tiefsten Abgrund der Hölle zu schauen.

Er spürte es ganz deutlich. Den Schmerz, die Hilflosigkeit, die gnadenlose Realität, das neugeborene Leben so schnell schon wieder verloren zu haben. Damals wie heute waren es Sekunden der schrecklichsten Hölle, die er je durchlebt hatte und die ihn sofort wieder in seinen Grundfesten erschütterten.

Der Schmerz war das Ventil, um zu verhindern, dass er wahnsinnig wurde oder gar selbst verging, doch an der grausamen Realität des Todes konnte er nichts ändern.

Das Gehirn realisierte die Situation und begann allmählich wieder zu funktionieren, das Herz jedoch war danach nicht mehr dasselbe und für die Ewigkeit gezeichnet.

Da Jorik durch den Verlust Darias all dies bereits wusste, als das kleine Mädchen auf seinem Arm starb, war er sich absolut nicht sicher, ob er, trotz der Tatsache, dass sie ja eigentlich eine Fremde für ihn war, diesen furchtbaren Schmerz ein zweites Mal würde überstehen können.

Doch mitten in seiner Verzweiflung erschien ihm ein wahrhaftiger Engel, an den er sich lehnen, mit dem er seinen Schmerz teilen und an dem er sich letztlich sogar aufrichten konnte.

Und dieser Engel hieß...Marivar!

Im ersten Moment hatte er gar nicht wahrgenommen, dass sie sich vor ihn gekniet hatte, ihre Arme um ihn legte und ihn sanft zu sich zog.

Erst als er in seine Tränen hinein spürte, dass dort ein Körper, eine Schulter war, an die er sich lehnen konnte, die mit ihm fühlte, die mit ihm weinte, die ihm aber dennoch Kraft gab, es besser durchzustehen, erkannte er Marivar vor sich. Doch sie wollte keine Worte und keine Erklärungen, stattdessen verständigten sie sich nur mit Blicken und ließen ihrem gemeinsamen Schmerz freien Lauf.

Bis eine weitere Person zu ihnen trat und Marivar ernste Worte sagte, die er nicht verstand, aber bewirkten, dass sie sich von ihm, wenn auch sichtlich widerwillig, löste und in den Katakomben des Stützpunktes verschwand.

Jorik schaute ihr wehmütig nach, versank für kurze Zeit nochmals in tiefe Trauer, dann erhob auch er sich und folgte ihr.

Im Inneren des Stützpunktes nahm man ihm das Baby schnell ab und brachte es in die Krankenstation. Ob man es der Mutter in ihrem labilen Zustand schon zu diesem Zeitpunkt gezeigt hatte, konnte er nicht sagen, aber er glaubte nicht daran.

Im ersten Moment zog es auch ihn in die Krankenstation, weil er Sehnsucht nach Marivar hatte, doch dann entschloss er sich anders und ging in sein Quartier, wo er erst einmal duschte.

Dabei reifte in ihm schnell der Entschluss, dass er auch bei der Beerdigung des kleinen Mädchens anwesend sein wollte. Da er wusste, dass die Toten sehr schnell begraben wurden, um das Risiko von Infektionen und Krankheiten zu vermindern, beeilte er sich.

In der Krankenstation traf er jedoch nur auf eine der Schwestern, die ihm sagte, dass der Sarg schon auf dem Weg in die Totenhalle war. Die Frage, ob Marivar ebenfalls dort sein würde, bejahte sie.

Außer der Mutter, die in einem Rollstuhl saß, sichtbar verzweifelte Tränen geweint hatte und jetzt schluchzend ins Leere starrte, war da noch eine weitere Schwester, die den Rollstuhl schob, zwei ältere Männer, die als Grabwärter fungierten und gerade den Sarg in die Erde hinabließen und der Priester, der aus dem heiligen Buch zitierte. Jorik fiel auf, das es nicht Pater Matu war, der normalerweise diese Aufgabe übernahm, jetzt aber scheinbar verhindert war.

Und Marivar war da. Doch sie hatte ihren Kopf gesenkt und schien so sehr in Gedanken, dass er sie nicht stören wollte. Also stellte er sich ein paar Schritte entfernt neben sie.

Irgendwann dann hob sie ihren Kopf und erkannte ihn. Als sich ihre Blicke trafen, konnte er trotz der Trauer, die auch sie umfing, ein Leuchten erkennen, dass ihm zeigte, dass sie erfreut war, ihn zu sehen. Dennoch blieb er, wo er war und folgte der Zeremonie, obwohl er große Sehnsucht danach hatte, ihre Nähe zu spüren. Er nahm sich vor, sie am Ende der Beerdigung in die Krankenstation zurück zu begleiten.

Dann aber bat der Priester zum Gebet und alle senkten ihre Köpfe. Als er den Blick wieder anhob, musste er erschrocken feststellen, dass Marivar nicht mehr da war. Offensichtlich hatte sie die Situation genutzt, um unbemerkt zu gehen.

Sofort verspürte Jorik Trauer darüber und eine immer größer werdende Sehnsucht nach ihr. Dem Drang, frühzeitig zu gehen und sie zu suchen, konnte er jedoch widerstehen, denn der Wunsch, dem kleinen Mädchen die letzte Ehre zu erweisen, war vordringlicher.

Danach aber würde ihn sein Weg direkt zu ihr führen, denn ihm war mehr als klargeworden, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte und wollte.

Genesis IV

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