Читать книгу Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein - Страница 10

5.

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Grau zog der Strom dahin. Ein müder Regen darüber. Kein Mensch winkte aus den Mietskasernen. Zuviele Züge fahren hier täglich vorbei. Mürbe und matte Menschen irgendwie geschäftig auf den Strassen. Man war am Rhein.

Lutz rief die Kameraden ans Fenster, er wollte begeistert sein: „Der Rhein!! Der Rhein!“ Sie erhoben sich halb widerwillig vom permanenten Skat, sahen missmutig hinaus: „Nu, wenn schon, lass doch den Kanal da unten plätschern —“ sagte Töz. „Luzie, stör uns nicht beim Skat“, drohte er gutmütig, Lutz den Spitznamen anhängend, der ihm nun für den Rest der Fahrt verblieb. „Koch Kaffee mit Rum, Lucie“, lachte Wittke drein.

Und unter diesem Disput war der Rhein, den sie nicht haben sollen, der schöne, deutsche, an dem man nur leben wollte, vorbei. Lass doch den Kanal — —

Kanäle — — — Floss das ganze Leben nicht grau in grau durch solche Kanäle? Und aus den Zeitungen fiel ihm das Schlagwort von dem Kanalsystem der Schützengräben ein.

So fuhr Lutz über den Rhein, den Strom der Sehnsucht. „Es ist ja alles ganz egal“, sagte eben wieder Töz.

„Du — ich hau ab, ehe die Schweinerei losgeht —“ sagte Pechtler und grinste mit seinem pickligen Bierkutschergesicht.

„Ja wie, oller Genosse —?“ fragte Wittke.

„Wir wollen den kleinen Jungen nicht schamrot machen —“ Pechtler flüsterte Wittke grinsend ins Ohr, wie er sich in dem ersten besten französischen Quartier eine gewisse ansteckende Krankheit holen wollte. „Ich sage dir, da gibt es extra Weiber dafür —“ prahlte er laut.

„Was für Dreck“, dachte Lutz. „Hast du Angst?“ fragte er Pechtler.

„Was heisst Angst, ich schlag dich tot, wenn du willst, ich hab keine Angst. Von wegen Angst. Aber zum vierten Male — nee — da gehste auch nicht mehr so mutwillig los — du hast ja keine Ahnung, wie’s da zugeht, my boy! Weisste, so ’ne richtige Sache mit Hand und Fuss: so Licht aus! Messer raus! Haut ihm! — ja — aber dies Gehocke im Trommelfeuer, triffts, triffts nicht — na — spiel’n wir weiter — hör nicht zu, keusche Lucie.“ Lutz wurde traurig. Da machte sich dieser starke gesunde Mensch krank, ekelhaft krank, um nicht mehr nach vorn zu müssen.

„Halt die Fresse, Lucie, über meinen Trick!“ sagte Pechtler.

„Ich bin dein Kamerad!“ beteuerte Lutz.

„Bravo, Lindolf, hier sauf eins mit mir, ich dachte, du bist auch so ein Schleimbeutel, der noch die Kugel, die er in’n Bauch kriegt, auskotzt und „Es lebe der Kaiser!“ dabei schreit, na prost —“

Alle vier fingen an, ihre Rumration zu trinken. Die Nacht nahte. Man wollte schlafen. Wittke aber, der sonst so Schweigsame, war besoffen und sang in einem fort: Ja in Morslede, ja in Morslede, ja in Morslede, schmeckt der Wein so süss — —

Er gröhlte und plärrte die monotone Melodie, dass der „schwarze Spiess“, Vizefeldwebel Meinard mit der Negerphysiognomie, aus dem Nebenabteil kam und schnauzte: „Ich verbitte mir das!“

Wittke sah ihn von unten an, ohne aufzustehen oder gar stramme Haltung einzunehmen.

Pechtler lachte: „Wir fahren gerade an Metz vorbei, lassen Sie ihn doch da ein halbes Jahr auf Festung karren, Vize!“

„Hoho, dann ist der Dreck inzwischen zu Ende, nee, nee, Wittke kommt mit!“

„Schwefelbande!!“ Nun musste der Vizefeldwebel mitlachen. Der Kasernenhofton zog nicht mehr. Er war unecht geworden.

„Wir haben hier nur Kaiserprimeln, so eine Zigarette möchte ich auch rauchen,“ deutete Pechtler frech auf die türkische Zigarette Meinards. Was der Hamburger Bierkutscher unter Kaiserprimeln verstand, war wirklich ein pestmässiges Kraut.

Der „schwarze Spiess“ holte sein Zigarettenkästchen heraus, Pechtler nahm acht Stück, für jeden im Abteil zwei, verteilte sie mit hochnäsiger Grazie und winkte dann Meinard, wie wenn er Kompagniechef wäre: Sie können gehen.

Alles lachte. Auch der Vizefeldwebel sagte lachend: „Verfluchter Hund, na warte draussen —“

„Als wie icke, und nochmal draussen? Da können Sie eher — (Pechtler machte eine Weddinggeste) — Herr Feldwebel!!“

„Halt die Schnauze!“ schrie der Spiess.

„Na, gehen wir für heute schlafen —“

„Die Grenze —!“ rief Lutz.

„Lucie kriegt wieder hysterische Anfälle,“ höhnte Töz.

„Lass den Jungen, er fährt in den Krieg,“ hänselte Wittke dazu.

„Schlafen!!“ schrie Pechtler so energisch, dass der schwarze Spiess auch entschwand.

Als Lutz aufwachte, hate er schon im Halbschlaf gefühlt, dass der Zug seit Stunden hielt. Die Furcht, am Ziele zu sein, zwang ihn unterbewusst, solange wie möglich diesen Schlaf auszudehnen, obwohl er alles andere denn bequem lag — als den Dünnsten und Jüngsten hatten ihn die drei alten robusten Knaben ins Gepäcknetz verfrachtet, während sie Bänke und Gang einnahmen.

Lutz spürte durch die krampfhaft noch zugehaltenen Augen, wie der Morgen dämmerte. Eine merkwürdige Totenstille lag über dem stehenden Transportzug. Nur Schnarchtöne schwangen durch die stickige Luft.

Aber schliesslich liessen sich die Augen nicht mehr zuzwingen. Es ist ja doch egal, mit diesem ollen ehrlichen Soldatengefühl zog Lutz den Vorhang ein wenig beiseite: Sedan!

Zug neben Zug stand auf den Geleisen. Jetzt setzte sich der eigene Zug langsam in Bewegung, fuhr zurück, fuhr wieder vorwärts, man wurde umrangiert. Richtig, hier bog ja die Strecke nach Verdun ab — gen Südosten. — —

Das also war Sedan. Ein Rangierbahnhof. Mit preussischem Betrieb.

Was hätte er als Junge darum gegeben, in Sedan gewesen zu sein. Wie oft hatte er am 2. September Hurra geschrien, Gedichte aufgesagt: Nun lasset die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im Jubelsturm — —

Heut? Ein Knotenpunkt für Truppentransporte. Nur etwas wie Nationalstolz überkam Lutz jetzt: Wir Sieger im fremden Land! Nein, es war alte Landsknechtsfreude — der Stolz, zu dem stärkeren Volk zu gehören — — er wusste, irgendwie war dieser Geist schlecht und brutal und gross und gut zugleich. Wenn man nur genau wüsste, ob man sich wirklich nur verteidigte, den Feind fernhielt vom eigenen Land — dann geschähe ihm ja recht. — Aber dies Letzte, dies Entscheidende, blieb ewig verworren.

Der Transportzug zog jetzt so vorsichtig dahin, dass man zu Fuss nebenher laufen konnte. An die Front. Flieger surrten schon in der Luft. Aber noch waren es nur deutsche, die von der Morgenbeobachtung zurückkehrten. Das Schlachtfeld von Sedan, der Ardennerwald lagen im Frieden. Plötzlich war alle Bedrücktheit fort. Lutz stand auf der Weltbühne. Er spielte den Kriegssoldaten zwischen Sedan und Verdun. Das grosse Geschehen holte auch von seiner Seele den heldischen Tribut.

In Mouzon gab es Kaffee. Er trank Schluck für Schluck mit Andacht. Er brach das Brot sinnbildhaft. Er hörte die Lerche. Blumen pflückte er und nannte sie „Kinder blutgetränkter Erde“. Noch war’s still ringsum. Und wie mild, wie gütig Frankreichs Frühling! Dort drüben bestellten Feldgraue den Acker. Sie sangen heimatliche Lieder. Sie waren Bauern wieder. Wo aber mochten die Menschen sein, die dieses Land Heimat nannten? Vertrieben oder tot? Auch wir vertrieben, auch wir vielleicht tot?

Immer wieder vertreiben sich die Menschen aus ihrem Paradies, aus der Heimat. Wir sassen zu lange zu Haus.

Lutz sah sein Gewehr an, das schon scharf geladen war. Der Mann hatte Sehnsucht nach der Waffe.

Wir Jäger des Lebens. Wir Abenteurer.

„Na, Lucie —?“ fragte Wittke. „Träumst von Backobst mit Klössen, oller Usinger —?“

Lutz schüttelte nur mit dem Kopf und gab dem Kameraden die Hand. Klössen — — Klösel — — alter Hauptmann — war das erst vorgestern, da du sagtest: „Macht’s gut!“

Ich will es gut machen.

Die Welt soll sich gut machen.

Was aber ist das Gute?

Das Wahre.

Ja, das Wahre — — o zärtlicher Himmel über mir, wo?

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun

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