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8.

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Die sechshundert Mann Ersatz wurden aufgeteilt. Lindolf kam zur zwölften Kompagnie des Reserve-Infanterieregiments 313 und wurde mit dreissig andern Kameraden nach Dannevoux, wo die Kompagnie lag, in Marsch gesetzt. Unteroffizier Liebetanz führte sie.

Als sie marschierten, sagte einer: „Heute ist Ostersonnabend.“

Töz, der sich auch in der Gruppe befand, meinte ein wenig beschämt: „Kinder, da haben wir ja gestern am Karfreitag diese Schweinerei aufgeführt. Es ist wirklich allerhand, dass uns dafür die Bomben nicht den Bauch aufgerissen haben.“

„Was heisst hier Bauch aufreissen? Wer soll uns denn den Bauch aufreissen?“ ein anderer.

„Gott — das ist so ein Fabrikat der Reichen und der Herrschsüchtigen als Leuteschreck für uns.“

„Gott lässt sich missbrauchen, weil er im tiefsten Grunde nicht missbraucht werden kann. Aber er ist da. Nicht für uns, für unsern Eigennutz. Aber in uns,“ sagte Lindolf. Und er spürte, wie aus dem Lerchenjubel, den fröhlichen Wolken, dem blauen Himmel und dem jungen Grün auf den Hügeln und an den Bäumen diese Gedanken hingen, die er aussprach, seltsam reif und weise für ihn selbst. Wenn ich zurückkäme aus dem Mord, ich würde wahrscheinlich zehn Jahre klüger und älter sein, dachte er.

„Ach du — das ist ja Quatsch. War er vielleicht auch in mir, als ich gestern bei dem Weib in Dun war, he?“

„Er lässt sich nicht zuschütten. Er kann nicht ersticken. Das Tiefste in euch bleibt unberührt. Ihr habt bloss Angst, in die Tiefe zu dringen. Alles erledigt ihr an der Oberfläche eurer Seelen. Und die Völker sprechen miteinander die Oberflächensprache und schreien: Hurra! Gott schreit nie Hurra, er schweigt sich in Schönheit aus —“

„Na, schweig dich mal auch in Schönheit aus, Lucie! Nix für ungut. Das verstehen wir nicht. Das heisst — weisst du — es ist so unbequem, darüber nachzudenken. Lieber will ich ein dreckiger Hund als ein so komplizierter, vertiefter Idiot sein. Nix für ungut, Kamerad! Los, singen wir!“

Und sie sangen: In der Heimat, in der Heimat — — —

Dies Lied ist Gott. Wie sie alle einfältig und rein aussehen, wie sie Natur werden, Kinder Gottes, dachte Lindolf. Und er wurde glücklich und sang und marschierte in den Frühlingsmorgen, noch lebensfroh, in Reih und Glied mit dreissig Kameraden.

Der Fesselballon der Division, diese dicke gelbe Himmelswurst, stand in Dannevoux und war ihr Richtungspunkt. Näher und näher kam der Ballon, manchmal kreisten Flieger um ihn, dann flogen weisse Schrapnellbälle hinauf von den Fliegerabwehrgeschützen, das ganze sah aus der Ferne aus wie eine Volksbelustigung im Lunapark. Das Getacke der Maschinengewehre von den Flugzeugen, die den Ballon aus Wolkenhöhe zu treffen versuchten, klang schon dünn wie Gänsegeschnatter herüber.

Die Sinnfälligkeit des maschinenhaften kriegerischen Geschehens entkleidete es allem Heldischen. Ich schiesse, du schiesst, wir schiessen — die Front konjugierte ihr Pensum. Ja, so murmelnd hatte man seine Lektion aufgesagt, Tag für Tag, Jahr für Jahr.

In Dannevoux, die Erbswurst des Fesselballons hing nun über ihnen, wurden sie noch am gleichen Tag in die zusammenge schossene 12. Kompagnie eingereiht. Sie standen kaum fünf Minuten unter ihren neuen Kameraden, da wussten sie, dass am zweiten Feiertag nachmittags vier Uhr gestürmt werden sollte.

Nun war die Kompagnie angetreten. Der Feldwebel rief die Namen der Neuen auf, teilte sie den Gruppen oder Sonderfunktionen zu.

„Lindolf! Sie haben das Einjährige?“

„Jawohl!“

„Melder. He, Bernöckel, hier ist der zweite Melder. Wo ist der Leutnant? Nicht da? Sobald Sie den Leutnant sehen, melden Sie sich bei ihm als Gefechtsordonnanz.“

Töz sagte, als Lindolf an ihm vorbei sich wieder in die Reihe stellte, jetzt neben Bernöckel, dem anderen Melder: „Arme Lucie!“

Langsam dämmerte es Lindolf auch, dass er einen der gefährlichsten Posten bekommen hatte: Die andern standen, er lief durch den Dreck da vorn.

Bernöckel sagte gleich: „Na, da wollen wir heut abend Testament machen. Das hat man von seiner Intelligenz.“

„Wegtreten!“ kommandierte der Feldwebel. Und alles trieb auseinander. Wahllos in das Dorf, in die Gegend, in den Wald hinein. Das Gemurre der Front hörte keiner mehr.

Bschinng — — —

„Das war im Dorf“, sagte Bernöckel ruhig. „Schweres Geschütz.“

„Ob welche tot sind?“

„Lass doch. Nicht soviel fragen. Immer drücken. Ausser Schussweite. Seit Langemarck hab’ ich die Neese plein! Aber was ist zu machen?“

Bernöckel war Gefreiter. Im übrigen so etwas, was man einen schlappen Hund mit grosser Schnauze nennt. Berliner. Student im ersten Semester, als der Krieg ausbrach.

„Ist das eklig — Melder?“ fragte Lindolf.

„Bin es auch zum ersten Mal, früher oder später kriegt’s den Melder immer, überhaupt da vorn — Junge, Junge, die Blumentöpfe fliegen da in ganzen Plantagen —“

„Kann man sich gar nicht in acht nehmen? Hat sich gar kein Brauch herausgebildet — so hinlegen — hört man überhaupt die Granaten, die aus der Höhe kommen —?“

„Quatsch nicht heut schon von dem Dreck, Lindolf. Du wirst alles erleben. Nichts kann man machen. Man hält es aus. Der eine so, der andere so!“

„Ich habe noch keinen hier draussen kennen gelernt, der so der Typ des mutigen, braven, vaterlandsliebenden Feldsoldaten wäre, wie ihn die Heimat sieht.“

„So in der schönen, neuen, grauen Felduniform, wat?“ lachte Bernöckel. „Den gibt’s nicht. Selbst unter Offizieren und Unteroffizieren, die sich schustern wollen, stirbt diese Gattung aus, sobald das Kohlenkastenschmeissen da vorne beginnt.“

„Wenn jetzt das Regiment anträte und jeder seines Eides entbunden würde —“

„Kein Mensch hätte den Eid geschworen, wenn er ihn an der Front schwören müsste, wenn er wüsste, wie das aussieht, das Feld der Ehre — ja, Hunde, die was für sich selbst mit dem Tod erkaufen wollen — ganz ehrgeizige Hunde — solche gibt’s einige — aber sonst —“ schimpfte Bernöckel.

„Hör zu,“ sagte Lindolf und sah Bernöckel in die merkwürdig trüben Augen und auf die welke Haut, (der Mann ist ja vollkommen mit den Nerven herunter, dachte er) „hör zu, wenn jeder seines Eides entbunden, gefragt würde: Willst du weiter schiessen? Soll weiter geschossen werden? Hier und drüben? Es gäbe doch nur eine Antwort. Nein!“

„Natürlich!“ sagte Bernöckel. „Aber nun ist es losgegangen. Wer soll zuerst aufhören. Wir?“

„Nein.“

„Die andern, in deren Land wir sitzen?“

„Sie kämpfen bis zum Aeussersten.“

„Also?“

„Der Krieg nimmt nie ein Ende.“

„Nie — ich glaube es auch fast —“

„Also warten wir ab, was nun kommt. Für uns.“

„Warten wir ab.“

„Wir wollen Kameraden sein“, sagte nach einer Weile Schweigen Lindolf. „Echte Kameraden.“

„Man kann hier nicht unecht sein. Das ist vielleicht das Grosse. Deswegen hat der sinnlos begonnene Krieg einen Sinn — verstehst du? Das Echte, das Grosse, das, was gestern noch keinen Namen hatte, so stark an Gefühlen uns Ueberwältigende — die Reinigung von Hirn und Herzen hat begonnen — an der Front wachen alle auf. Alle. Das Volk wacht auf, die Völker. Sie werden wissend. Keiner wird sich mehr belügen lassen.“

„Wenn es so ist, dann will auch ich nach vorn,“ sprach Lindolf und sann und sann — — —

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun

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