Читать книгу Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein - Страница 8
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ОглавлениеDie Oberleutnants Zecklien und Mucha sahen dem „Theater“ von fern zu.
„Dieser schlappe Betrieb bei Koesel. Ich habe ihn mal vierzehn Tage vertreten, den alten Herrn, ich sage Dir, hatten die Jungens ’nen Fussball mit zum Exerzieren. Wir sind doch keine Tommys,“ schnauzte Zecklien, ein hagerer, finsterer Oberlehrer, dem die Uniform so schlecht sass, wie er sich schneidig dünkte.
„Heda, Lindolf, Sie haben wohl das Grüssen verlernt! Woll’n wohl noch drei Tage in’n Kasten, ehe es rausgeht, was?“
Der kleine Lindolf war in Gedanken versunken an den Oberleutnants vorbeigegangen, er hatte sie wirklich nicht gesehen, nun stand er stramm, aber in sein gutes offenes Gesicht trat der ganze Hass gegen den Oberleutnant, der ihnen „die Hammelbeine geradezog“, als Klösel krank war.
„Sehen Sie mich nicht so unverschämt an, Sie Schlappsuse Sie! Weg! Marsch! Marsch! Los! Los! Laufen, laufen!!“ piepste Zecklien.
„Kanonenfutter,“ sagte Mucha. „Lass sie sein!“ Zecklien wollte schon wieder einen Trupp von Koesel - Leuten anpfeifen. „Lass sie sein, sie gehen bald alle!“
„Rübenschwein —“ knurrten die Muschkoten hinter Zecklien her. „Woll’n wir den Hund heut nacht verhau’n?“ — „Ach lass den Dreck — wir fahren noch einmal nach Berlin. Hier im Lager ist ja nichts los!“
Fast alle verliessen noch einmal das Döberitzer Lager. Die letzte Nacht, in Freiheit dressiert — Kinder, es war schon vier Uhr. Dies verfluchte Döberitz, da kann man für seinen Zaster jetzt noch eine Stunde nach Berlin gondeln. Aber die Nacht mussten sie sich um die Ohren schlagen. Nur nicht nachdenken.
Lutz Lindolf sann die ganze Fahrt lang nach Berlin: Jetzt, wo sie nach Hause gekommen ist, muss ich fort. Die Kameraden, die mit ihm im gleichen Abteil sassen, neckten ihn: „Lindolf, haste Angst?“ Lindolf sah sie an: „Vor der Front?“ Und er lächelte, — was ging ihn heute die Front an — die war weit — noch einen ganzen Tag, der Transport war erst für übermorgen angesetzt — ach, Adelheid — —
Wenn er die eine Nacht bei Adelheid verbringen dürfte! Mit seiner reinen feierlichen Jungenliebe. Sie anbetend. Wie gern stürbe er dann. Ja, diese Liebesnacht sollte ihn jäh in ihrer aufjubelnden Erfüllung zum Manne machen. Keiner dürfte die unermesslich grossen Gefühle, die mit jedem Schritt zu ihr wuchsen, belächeln. Er fasste in Gedanken zum Seitengewehr, wehe! einer sah in seiner Liebe zu Adelheid nicht die tiefste und schönste Liebe seit Anbeginn.
Jeder dritte Mensch, der ihm auf dem Weg zu Adelheid begegnete, trug Uniform. Dauernd musste er — Unteroffiziere, Offiziere schritten vorbei — die Hand an die Mütze werfen. Ein Mann in Zivil erregte Aufsehen, alle sahen ihm nach. Als wäre es ganz in der Ordnung, dass die Männer sich feldgrau kleideten zum Zeichen, dass sie alle nur noch das Handwerk des Todes kannten. Eine Frau mit zwei Kindern lief ihm nach, klopfte auf seine Schulter: „Adolf?“
Er wandte sich um.
„Entschuldigen Sie, ich dachte — Adolf wäre plötzlich zurück — Sie haben ganz die gleiche Figur —“
An einer Strassenecke war eine Feldküche vom Roten Kreuz aufgefahren und verteilte Suppenbrei an zerlumpte Kinder, abgehärmte Frauen und kopfwackelnde Greise.
Frauen steckten dort vor dem Fleischerladen erregt die Köpfe zusammen. „Die im Felde haben doch wenigstens zu fressen — schon wieder zehn Pfennig teurer — wenn das so weiter geht —“
Sie sahen Lutz feindselig an, als wäre er mitschuldig an der alltäglichen Not des ewigen Krieges.
Kinder kamen jetzt am Abend aus der Schule. Es gab zu wenig Lehrkräfte, da wurde morgens die eine, nachmittags die andere Klasse von den Lehrerinnen und den reklamierten Lehrern schlecht und recht unterrichtet.
„Voriges Jahr war noch oft siegfrei — dieses Jahr — —“
„Das letzte Mal: Verdun —“ sagte ein Junge. Werduun — sprach er den Schlachtennamen aus.
Da sollst du auch hin, nach Werduun — o Adelheid — —
Aus den Mietskasernen des Ostens holte sein zärtlicher Blick sich ihr Haus heraus — — jetzt sah er schon ihr Fenster — —
Krieg — Alltagsnot — die graue Strasse am Kottbuser Tor — alles überlichtete sich mit dem Schimmer seiner liebenden Seele —
Als er an ihrer Eltern Tür klingelte, da hatte er sich in den Traum so eingesponnen, dass er fest an seine Erfüllung glaubte. Für ihn war Berlin nicht die Stadt des letzten Bummels heute nacht, er liebte die lärmende Stadt, weil sie das Allerheiligste für ihn barg.
Adelheid sass am Klavier, als er ins Zimmer trat. Ihre Mutter rief: „Adelheid, der kleine Lindolf —“
Adelheid rasselte weiter ihren Schlager herunter, ohne sich umzudrehen. Der Junge will mir doch nicht den Abend verderben, dachte sie.
„Er ist in Feldgrau, Adelheid“, sagte die Mutter, aber Adelheid spielte weiter. Die Mutter lächelte ihn wie für die ungestüme Tochter um Verzeihung bittend an: „Schade, dass Sie nicht mehr nach Schlesien fahren können, Ihrer Mutter auf Wiedersehn zu sagen —“
Doch Lindolf starrte nur auf das Mädchen. Die trillerte und steppte ihren Cancan weiter. War das nun der Zauber dieser Abschiedsstunde —?
Endlich drehte sich Adelheid mit einem übermütigen Schubbs auf dem Drehsessel um, ein paar Mal rundherum, dass die Stirnlocken schütterten und ihre siebzehn Jahre aus den blitzenden braunen Augen in alle Zimmerecken wie hundert Falter verwirbelten:
„Aber, Lutzchen, deine Uniform ist doch viel zu gross! Du siehst gar nicht schick aus. Weisst du — kannst du dir nicht noch eine schneidige Extrauniform bauen lassen wie Dr. Matzka?“
„Adelheid, ich komme Abschied —“
„I was. Soviele Jungens gehen doch täglich raus. Weisst du, sentimental wollen wir nicht sein.“ Sie klingelte. „Ich lasse ’ne Flasche Sekt kommen, dann besaufen wir uns zu dritt.“
„Zu dritt?“
„Na, Dr. Matzka kommt heute abend.“
„Er kommt wohl öfters?“
„Ja, seit er Unterarzt ist, — siehste, Lutzchen, der versteht’s —“
„Ja, der versteht’s — und du verstehst ihn wohl auch besser als mich —?“
Adelheid ward die tragische Art des Jungen unbequem. Da lachte sie halt — sie wusste, dann ist er wie alle nicht mehr ganz sicher seiner selbst und nimmt den Abschied nicht so wichtig — der war ihr lästig in dieser Stunde, und heucheln konnte sie nicht!
„Wir wollen fidel sein wie als Kinder, Lutzchen! Ich geb dir gern einen Kuss —“ Sie drückte ihn in den Sessel und sprang auf seinen Schoss, legte die Arme um ihn und küsste ihn leichthin.
„Adelheid, nicht so —“
„Na, denn nicht —“ Mit kokett aufgesetzter beleidigter Miene (o wie ist alles aus billigen Romanen und Musikcafés angelernt und abgeguckt, dachte Lutz) sprang sie ans Klavier und spielte elegisch: Weh, dass wir scheiden müssen —
Das Mädchen fragte, was es sollte. „Sekt!!“ schrie Adelheid. „Sekt — der Lutz zieht hinaus in der scheenen, in der grauen, in der scheenen, in der neuen, in der scheenen, in der neuen grauen Felduniform —“ sang sie.
Das alte Mädchen, das den kleinen Lutz schon als Schuljungen kannte, als er in der stillen schlesischen Kleinstadt die kleine Adelheid anschwärmte, und manchen rosa und lila Brief ihm heimlich abnahm — Anna streichelte Lutz über den Aermel: „Wie ein richtiger Feldsoldat siehst aus, Lutz —“
„Na los — Sekt — wo ist der Sekt?“ schrie Adelheid. Und sie schlang ihre Arme um Lutzens Hals und tanzte mit ihm um den Tisch. „Und etwas zu essen, der Junge sieht ganz verhungert aus, klau eine Fleischkarte für Lutz, Anna!!“
„Adelheid, bist du gar nicht traurig —?
„Lutz, lass das. Sei vergnügt. Sei ein Mann.“
„Kann ich gehen?“
„Warum?“
„Sei nicht böse. Ich mag Matzka nicht.“
„Eifersüchtig?“
„Ich liebe dich, ich dachte —“ doch er konnte seine Träume nicht erzählen. Vielleicht war er wirklich ein sentimentaler und verweichlichter Kerl. Stellte seine Liebe auf den Altar. Adelheid wollte aber mit ihm durch Berlin bei Nacht tanzen! Amüsieren, das war ihr drittes Wort. Auch jetzt im Kriege. Wir Jungens sind zu ernst und zu alt geworden für unsere Mädels ... Immer hatte seine Liebe von Träumen und Sehnsüchten gelebt. Das Dasein ihrer jungen gesunden Schönheit in seiner Nähe genügte ihm. Ein Händedruck ward zum tagelang erschütternden Ereignis. Unvergesslich die wenigen übermütigen und flüchtigen Küsse Adelheids bei kleinen Ausflügen und Festen im Frieden. Heute, ja, heut aber hatte er gehofft, dass ihre Liebe in ihrem Tändeln jäh vom Ernst der Stunde überwältigt sich mit ganzer Leidenschaft hervorbrechend hingeben werde — Sinfonien des Himmels umrauschten den Traumgedanken schon — ganz leise, Geliebte, sei die heilige Feier! — ach, nun wollte sie ihn gerade forsch und kühl und weltgewandt vor sich sehen. Er machte sich hart. Auch dies für sie. Sie sollte ihn in gutem Andenken behalten. „Du hast recht, Adelheid —“ Die Stimme zitterte doch voll enttäuschter Wehmut. „Krieg ist Krieg. Na, also, auf frohes Wiedersehn! Ich kam bloss auf einen Sprung. Wir haben eine Abschiedskneipe von der Kompagnie“, log er. „Auf Wiedersehn —“
„So wenig bin ich dir wert, dass du nicht die Abschiedskneipe schiessen lässt —?“ erprobte nun Adelheid an ihm ihre angelernten Koketterien.
„Uebermorgen gehts an die Front, Adelheid. Wenn ich dir noch etwas wert bin, dann komme morgen ins Lager. Mein letzter Tag. Ich darf nicht mehr weg. Aber komme allein.“
Adelheid sah plötzlich, wie ernst und wie tief Lutz sie liebte. Warum geht er fort, Gott, es ist so schrecklich unbequem, über diese Dinge nachzudenken.
„Auf Wiedersehn morgen, Adelheid. Jetzt muss ich gehen. Ich werde die ganze Nacht an dich denken und dich morgen den ganzen Tag erwarten. Komm, wenigstens eine Stunde — auf der grossen Lagerstrasse triffst du mich —“
„Nanu!“ schnarrte es draussen ganz offiziersmässig.
„Das ist Matzka!“ sagte Adelheid verwirrt. „Nun geh! Ich komme morgen, wenn’s irgend sich machen lässt.“
Dr. Matzka, der Unterarzt, erschien in seiner schneidigen Extrauniform, degenschleppend und sporenklirrend einherschreitend. Die Sporen machte er sich immer auf der Treppe erst an, denn es war für ihn im Offiziersstellvertreterrang verboten, Sporen zu tragen. Doch Adelheid fühlte nicht, wie lächerlich dieser Unterarzt zu Pferde war. Sie träumte sich nur an seine Seite als junge Frau Stabsarzt.
Lutz war verschwunden, ehe Matzka ihm gönnerhaft die Hand drücken konnte. Matzka küsste Adelheid, die er als seine heimliche Braut betrachtete. Adelheid gab den Kuss unbefangen zurück und lachte: „Heute warst du nicht der erste, der mich umarmt.“
„Der kleine Lutz — wie kindisch —“
„Er geht ins Feld, verehrtester Drückeberger —“
„Sei nicht frech. Zieh dich um. Wir wollen doch noch ins Kino —“
Lutz wusste: Sie kommt morgen nicht. Und er hoffte doch: Sie kommt. Den ganzen letzten Tag in der Garnison lief er die Lagerstrasse auf und ab, sah viele Bräute und viele Mütter und Schwestern kommen und die beglückten Kameraden am Arm nehmen.
Er war gestern abend nicht in Berlin geblieben, sondern ins öde Döberitzer Barackenlager zurückgefahren. Nur ein paar alte missmutige Landsturmleute und drei oder vier jüngere Kameraden, die sich bereits in der Kantine so vollgesoffen hatten, dass sie nicht mehr den Weg zum Bahnhof fanden, hockten in seiner Baracke, in der sonst um diese späte Stunde das befreite Lachen und Plaudern des nach ewigem Exerzieren und Putzen genahten Feierabends erklang.
Er holte Adelheids Bild hervor, das sie noch als Schulmädel, von ihm selbst geknipst, darstellte, und das Bild gab ihm auf all seine bangen und zärtlichen Fragen die erlösende Antwort.
Mit Lächeln, ein Kindheitsgebet seit langem wieder einmal auf den Lippen, war er eingeschlafen.
Nun schritt er seit morgens die kilometerlange Lagerstrasse auf und ab. Hatte sein Mittagessen nur fix heruntergeschlungen, um wieder hinaus zu eilen und sie zu erwarten. Vielleicht kommt sie wenigstens nachmittags — vielleicht noch schnell mit dem Abendzug — — —
Adelheid aber machte mit Dr. Matzka eine Ruderpartie. Und Lutz blieb allein. Alles war ihm gleichgültig.
Das war die grösste Grausamkeit, die in diesem Kriege begangen wurde, dachte Lindolf. Was können dagegen die Greuel draussen sein?
Und er schrieb ein Berschen in sein Notizbuch:
Auf der Trommel liegt mein Herz,
Tambour, schlag drauf.
Morgen geht es todeswärts,
Heute hört schon die Liebe auf.
Tambour, schlag drauf.