Читать книгу Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein - Страница 25
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ОглавлениеIndessen schritt der Leutnant Beekmann, das E. K. I. an der linken Seite, in eleganter Extrauniform, schneidigen Schritts, durch den Tiergarten am Arm seiner Braut. Evelyne Vandersee führte ihren feldgrauen Verlobten durchs Volk. Stolz ging er dahin, jeder Zoll ein Held und königlich preussischer Offizier. Diese Tage fern der Front, wie sie für alle ausgestandenen Qualen und Aengste da vorn belohnten. Er erschrak vor sich selbst: wer redet hier von Angst? Selbstverständlich hat er nach aller Meinung seiner Pflicht genügt. Mehr als dies. Alle sahen sie auf den hohen Orden.
Als er sich zum ersten Mal im Schmuck dieses hohen Ordens im Spiegel betrachtete, prüfte er verstohlen, ob in seinen Zügen die Aengste der Front sich eingeprägt hätten. Doch es war das frühere forsche, nur älter gewordene Gesicht.
Kaum ein paar Tage vergingen, und in all den friedlichen Freuden, die im Hause seines Schwiegervaters noch immer unvermindert Leib und Herz erquickten, verlor er das letzte Nachzittern der Todesnähe in den Nerven.
Immer glückselig lächelte ihn die Braut an. Sie sprach in einem fort so drollig unwichtige und süss verliebte Worte, von denen er vorn glaubte, sie seien mit dem Frühling Frankreichs verwüstet.
Wie weiss, wie duftig gewachsen war die kleine Hand, die in seiner lag.
„Du darfst nicht zurück, Oscar —“
„So bangst du um mich —?“
Im gleichen Augenblick kam ihm der Gedanke, der Krieg könnte eigentlich während des Urlaubs zu Ende sein. Wenn alle Kompagnieführer ihre Leute so draufgehen liessen, ja, immer feste druff, wie Hoheit sagte, dann wäre der Krieg schon längst zu Ende — tja — aber leider gibt es auch Wynfriths an der Front ... Wenn jetzt der Krieg zu Ende wäre, da hätte er alles, was er brauchte: den Ruhm des tapferen preussischen Offiziers, er würde natürlich aktiv bleiben, und ein reiche, hübsche Frau, — und dann so durch die Strassen gehen und die früheren Kollegen vom Wilhelmsgymnasium beiläufig grüssen: „Na, wie geht’s, alter Knabe?“
„Oscar?“
„Ja, Schatz, was gibt’s?“
Was war das schön, grüne, stille Bäume um sich zu haben, Autos auf dem glatten Asphalt gleiten zu hören, aufrecht dahinzuschreiten — —
„Papa kennt einen einflussreichen Herrn im Kriegsministerium. Du hast doch vorn genug geleistet, soll ich ihn bitten?“
Oscar Beekmann, Ritter vom Eisernen Kreuz I. Klasse, wurde rot. Wenn das wirklich möglich wäre; nicht mehr zurück? — Aber er sagte: „Kein Wort davon, Evelyne. Ich verlasse meine Kameraden nicht.“
„Ich wusste es ja. Ich habe es Mama gleich gesagt.“
Warum begehrte sie nicht auf: Ich tue es trotzdem. Warum nahm sie es hin, dass er vorn wieder dem Tode sich preisgab?
„Behieltest du mich gern hier?“
„O ja. Aber über alles deine Ehre als Offizier. Das sehe ich ein. Ich wäre fassungslos, wenn —“
Nein, er durfte nicht weiter darauf hin arbeiten. Hier musste er wenigstens der Held bleiben, den alle in ihm sahen. Und doch — wie schön — hierbleiben. Aber gleichzeitig begann das Hirn nachzudenken, wie es möglich wäre, das Schicksal walten zu lassen, bis es „ehrenvoll“ den „sich furchtbar Sträubenden“ überwand.
Da begrüsste Beekmanns Direktor vom Wilhelmsgymnasium, ein alter, forscher Schultyrann, die Beiden.
„Nun, Kollega, in Urlaub —? Und glücklich, wie ich sehe. Natürlich — eine so reizende Braut. — Würden Sie mit mir ein Gläschen Portwein trinken? — Sie wissen, es ist meine Stunde — zwischen 11 und 12 mein Gläschen Portwein, nein, das muss man mir altem Knaben nun mal gönnen — wissen Sie, Beekmann, das müsste ich selbst vorn haben im Trommelfeuer — so zwischen 11 und 12 — also kommen Sie —“
Sie liessen sich in einer Probierstube Unter den Linden nieder und hoben einander die Gläser zu:
„Heil und Sieg!“
„Heil und Sieg!“
„Heil und Sieg!“ flötete Evelyne. Wie oft seit zwei Jahren klangen die Gläser so aneinander: Heil und Sieg! Sie merkte, wie sie es schon in einem ewiggleichen Tonfall aussprach.
„Na, Kollega, wie ich sehe, tapfer gewesen? Las auch schon im Provinzialschulblatt! Von seiner Kaiserlichen Hoheit dem Kronprinzen bei der Parade im Hauptquartier höchstpersönlich angehängt. — Sagte zu den andern Alten, die wir noch da sind: Meine Herren, da sehen Sie, Beekmann war immer schneidig. Liebe diesen Ton. Kurz, energisch, alles auf eine Karte setzend. Ja, meine Jungens — —“
„Wie geht es ihnen?“
Der Gymnasialdirektor schluchzte auf. Die Forschheit ging eine Weile zum Teufel.
„Beide?“
„Beide. Einer bei Ypern, der andere am Isonzo.“
Nun tritt das berühmte Schweigen ein, dachte Evelyne ungeduldig. Aber dann sah sie Oscar, der verworren vor sich hin sann und die Hand seines alten Direktors streichelte, und sie presste die andere Hand des Liebsten, flüsternd: „Du bleibst hier.“
Der alte Herr richtete sich auf, nahm feierlich einen Schluck — als tränke er das Heldenblut seiner Söhne, kam Evelyne der Gedanke — und sagte, wie er auch schon so oft es ausgesprochen: „Ich bin stolz! Sie ruhen auf dem Felde der Ehre!“
Hast du ’ne Ahnung, dachte es in Beekmanns Hirn. Wer weiss, wie sie die Kugel erhaschte. In irgendeinem Trichter zwischen den Gräben, im Niemandsland, verfaulen sie. Keiner fragt mehr nach ihnen. Zwei von Millionen.
„Ihre Kommandeure haben mir rührende Briefe von ihrer Tapferkeit geschrieben. Mein kleiner neunzehnjähriger Joachim — Sie hatten ihn ja in der Prima — bei einem Sturmangriff da an den Kanälen in Flandern — allen voran — schrieb der Kompagnieführer — —“
Das schreibt man so, wenn ein gequältes Vaterherz fragt. Wer wird Meerfelds Mutter erzählen, dass er durch deutsche Granaten den Tod fand?
„Ein stilles Glas!“ flüsterte Beekmann und verbeugte sich vor dem alten so stolzen Mann.
„Ein stilles Glas, Kollega. Sie ruhen gut, nicht wahr? Sehen Sie,“ er streichelte Beekmanns E. K. I., „das hätte ich auch gern an meinen Jungens gesehen —“
Evelyne dachte: Dieser Ehrgeiz noch über das Grab der Kinder hinaus.
„Die Toten sind die Grösseren! Sie schmückt ein noch schlichteres Kreuz!“ sagte halb emphatisch, halb ehrlich ihr Verlobter. Sie hörte nur seine Stimme und lächelte — im nächsten Augenblick aber liess sie das Lächeln verschwinden — um Gottes willen, wenn Oscar es unpassend findet.
„Ja, wenn der Krieg aus ist, fahre ich nach ihren Gräbern — in Flandern — am Isonzo — —“
Wenn du sie findest — — dachte Beekmann.
Und dann begann der alte Herr, seltsam verklärt lächelnd, mit rauher, doch streichelnder Stimme zu singen:
„Kein schön’rer Tod ist in der Welt,
Als wer vom Feind erschlagen,
Auf grüner Heid’ im freien Feld,
Darf nicht hör’n gross’ Wehklagen.
Im engen Bett, nur Ein’r allein,
Muss an den Todesreihen.
Hier findet er Gesellschaft fein,
Fall’n mit wie Kräuter im Maien.“
„So ist es doch? Sehen Sie: siebzig, da sollte ich gerade an die Front rücken, als die Schweinebande kapitulierte — nun habe ich doch noch eine grosse Zeit erlebt, am eigenen Leibe verspürt — denn so die Söhne hinopfern — — das ist fast mehr — —“
Jeder macht sich hier gross, und wie winzig sind wir da vorn, ein Stück Dreck im Dreck — nein, fort diese Gedanken —
„Auf Ihr Spezielles, Herr Geheimrat!“
„Prosit, Kollega!“
Evelyne fragte: „Denkt Ihre Frau auch so? So — mit Stolz —?“
„Nein, sie weint noch immer. Seit drei Monaten. Sie begreift es nicht. Sie nennt das Opfer sinnlos.“
„Und wenn es sinnlos wäre?“
„Evelyne — —!!“
„Das kann nicht sein. Wir müssen siegen! Sie werden’s schaffen!“ Und Beekmann sah, wie der Alte die Verheissung in seinen Augen suchte. Er liess sie kühn und siegentschlossen blitzen.