Читать книгу Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein - Страница 12
7.
ОглавлениеAls die Sechshundert wieder antraten, die meisten fluchend und missmutig, nun langsam und sich ekelnd aus dem Alkohol- und Geschlechtsrausch erwachend, da fanden sie statt des Zuges Trümmer vor. Ja, jeder hatte dumpfe Knalle gehört — also Bomben haben die Franzmänner schon auf ihren Zug geschmissen.
Nun standen sie da — das Gepäck war futsch. Die Offiziere eilten mit blassen, aufgeregten Gesichtern hin und her. Der Transportführer, ein Hauptmann, der nur den Ersatz heranbringen wollte, ohne viel Feuer zu verspüren, — auch so bekam er das Eiserne Kreuz — telephonierte aufgeregt mit einem Brigade-Adjutanten. Nach einer Weile kam er aus dem lädierten Bahnhofsgebäude heraus:
„Wir müssen sofort nach Mouzon marschieren! 14 Kilometer! Dort werden wir neue Sachen empfangen. An die Gewehre!“ Die Gewehrpyramiden standen unversehrt jenseits des Bahnhofs. „Ohne Tritt marsch!“
„Ob Tote sind? Verwundete?“ Ein paar waren freiwillig zur Bewachung des Zuges zurückgeblieben.
Nein. Keiner tot, keiner verwundet. Sie hatten alle, einschliesslich der Bahnhofsbesatzung, beim Herannahen der Flieger in einem bombensicheren Unterstand Deckung genommen.
Alle atmeten auf, weil keiner tot war. Denn wenn erst der Tod in die Reihen sich einzufressen beginnt, heute den, morgen den — auch das wird kommen.
Sie sangen. Auch die bei der Dirne waren, sangen hell und froh. Der Fliegerangriff hatte sie wieder von dem Dreck, den sie in ihre Seele geschüttet, gereinigt. Sie taten die Schweinerei mit einer Handbewegung ab.
In Mouzon wurden sie mit neuen Tornistern, Spaten, Handgranaten und Mänteln versehen und dann noch in der Nacht erneut in Marsch gesetzt, weil es kein Quartier hier für sie gab. Nach Brieulles. Zwanzig Kilometer.
Fluchend und schwitzend kamen sie gegen Morgen dort an. Stumm. Lauter murrte die Front hier. Die Kirche, in der sie untergebracht wurden, hatte zersprungene Fensterscheiben und ein durchlöchertes Dach. Aber sie sahen nicht die Bombenlöcher ringsum, sie gingen hinein, warfen sich in irgendeinen Winkel.
Als Lutz schon im Halbschlaf war, erkannte er von ungefähr plötzlich, dass er unter dem Taufkessel lag. Richtig, er hatte ja in die Steinmulde da über ihm seine Siebensachen hineingeschmissen. Er sah zur Seite. Da schaute ihn Maria aus dem Altarbild an und zu ihren Füssen kniend, mit dem Helm auf dem Haupte, Jeanne d’ Arc.
Der Name der Nationalheldin stand auch auf dem unteren Rand des Taufkessels, und beim Schein seiner Taschenlampe entzifferte Lutz, dass die heilige Johanna hier getauft worden ist.
Leben, Leben, was führst du für seltsame Wege. Die Jungfrau von Orleans, diese Schillerfigur, dieses dichterische Phantasiewesen, das sie immer für Lutz bisher war, hier wurde sie ihm erst lebendig. Er dachte an die erste Aufführung der „Jungfrau von Orleans“ in seinem Leben, als Quartaner sah er sich sitzen in dem kleinen Theater — zu Hause — — ach, wie leicht, wie zauberleicht jene Zeiten — — nun schlief er unter dem Taufkessel der Jungfrau, und in dem heiligen Steinbecken, in dem die Jeaune d’ Arc eine Christin wurde, lag sein Tornister, lag sein Helm.
Neue Verwirrungen erfüllten Lutzens Seele. Er träumte, dass er die Johanna gefangen hatte und so lange misshandelte, bis sie aussah wie die Kellnerin von Dun.
Grosses Hallo! Befehle: „Sofort räumen die Kirche! Sachen nicht liegen lassen! Raus! Fliegerangriff!“
Schlaftrunken griff Lutz nach seinen Sachen, stolperte wie die andern sich puffend und drückend ins Freie.
Nur ein leises Surren war in der Luft zu hören. Plötzlich vier, fünf Knalle —
Alle warfen sich zu Boden.
Doch die Kirche stand. Irgendwo auf den Feldern qualmte es und glimmte.
Alles trottete wieder zurück.
„Das fängt ja gut an! Verfluchter Saustall hier!“
Kein Mensch empfand die Lästerung, die in diesen Worten lag, — gelegen hätte, wenn diese Kirche nicht völlig aussah und vor allem roch wie eine Kaserne.
Lindolf fand seinen Platz unter dem Taufkessel frei und schlief nun traumlos bis in den lichten Morgen hinein.