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9.

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Die 12. Kompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments 313 wurde mit dem III. Bataillon dieses Regiments westlich der Maas bei der Höhe Toter Mann in Richtung auf das Fort Marre, zusammen mit andern Bataillonen anderer Regimenter, im ganzen etwa anderthalb Brigaden, am zweiten Osterfeiertag nachmittags zum Sturm angesetzt.

Leutnant Wynfrith, der Führer der 12. Kompagnie, meldete sich beim Major Graf Böchlarn zum Empfang der letzten Instruktionen. „Sie sind die dritte Welle. Angriffszeit 4,13 nachmittags.“

„Wenn noch solch Schlamm ist wie beim letzten Mal, werden wir schwer vorwärts kommen. Wir finden auch keine Gräben vor, wenn wir nicht bis in die Sperrfortkette dringen.“

„Ich hoffe, dass das Bataillon so weit kommt —“

„Das wären zwei Kilometer vorwärts. Wir haben schon um 60 Meter mit hohen Verlusten gekämpft. Ausserdem bekommen wir beim Vorwärtsdringen die Höhe 304 in die Flanke.“

„Divisionsbefehl: nachzudrücken. Sie wissen, auf dem östlichen Ufer sind Douaumont und Vaux schon vor Monaten gefallen.“

„Heute würden sie auch nicht mehr fallen. Forts können nur überrumpelt werden. Die Franzosen erwarten uns.“

„Wir müssen es versuchen, Wynfrith.“

„Jawohl, Herr Graf!“

„’s ist gut. Lassen Sie antreten.“

Leutnant Wynfrith stand tiefernst, aber gelassen mit klarem offenen Blick vor seiner aufgefüllten Kompagnie.

„Seid ihr in Ordnung einigermassen? Der Herr Major will euch sehen — he, Martens, sehen Sie doch die Kerle nach.“

Wynfrith sah gelangweilt der kommissigen Untersuchung zu.

„Alles in Ordnung,“ meldete Vizefeldwebel Martens.

Da kam der Major. Mit seinem knickebeinigen Kavallerieschritt in seiner Ulanenuniform, die Mütze schief über den Ohren — der Herr Graf.

„Stillgestanden. Augen rechts —“ kommandierte Wynfrith ein wenig lässig. Was soll dieser Betrieb?

Dann meldete er. Der Graf nahm die Meldung mit der eingefleischten schneidigen Grussgebärde entgegen. Jetzt schnarrte er: „Rührt Euch!“ und schritt von Mann zu Mann.

„Die neuen vortreten!“

Unteroffizier Liebetanz, Gefreiter Krauss, Lindolf, Töz, Hirschfeld, Pechtler, und alle die dreissig, die gestern so fröhlich hermarschiert waren, traten mit ernsten Gesichtern vor.

„Ihr wisst, dass hier grosse Kämpfe im Gange sind. Vielleicht die Entscheidungsschlacht. Ich hoffe, ihr werdet meinem Bataillon wie alle andern hier Ehre machen. Es ist für uns alle eine Auszeichnung, unter den Augen des Kaisersohnes als Oberbefehlshaber zu kämpfen — in Tod und Sieg. Ein Zurück gibt’s nicht. Die Festung muss fallen. Nun — nun —“ er wurde unsicher, er sah verständnislose disziplin-unbewegte Gesichter vor sich, keine Begeisterung — „nun, ich weiss — die Stunde ist ernst — mit Gott für König und Vaterland.“

Die Kompagnie glotzte unbeweglich geradeaus. „Quatsch nich. Krause,“ flüsterte einer.

Lutz dachte: Das war arg verfehlt. Das waren falsche Töne. Es geht ja um viel mehr als um König und Vaterland. Es geht um den Sieg über uns selbst. Um die Freiheit schlechthin. Dieser Krieg ist ein Fieber. Wir müssen durch alle Krisen. Alle Völker. Nachher werden wir, die es überstehen, um so fester und lebenssicherer sein.

„Stillgestanden! Die Augen links!“ kommandierte müde Wynfrith. Graf Böchlarn verabschiedete sich. „Mein Stabsunterstand der gleiche wie in den letzten vier Wochen.“

Wynfrith grüsste stumm. Der Major ging. Dann wandte sich Wynfrith zu seinen Leuten:

„Rührt euch. Wir marschieren heut abends 7½ Uhr ab. Feldwebel! Gutes Essen! Für die Neuen: Der Marsch in den Graben dauert 4—5 Stunden. Sturmgepäck. Alles Ueberflüssige hier lassen. Ich hoffe, dass wir alle — möglichst alle — in vier Tagen wieder hier stehen. Die Melder —!“

Lindolf und Bernöckel sprangen vor.

„Heisst?“

„Lindolf, Herr Leutnant.“

„Bleiben immer an meiner Seite. Keine Angst, Junge. Es ist halb so schlimm, wie es vorher aussieht.“

„Ich habe keine —“ wollte Lindolf abwehren. Aber er fühlte selbst, wie unecht das klang.

„Ich weiss, ich weiss. Du willst keine haben. Aber bange zu Mute ist uns allen. Immer wieder. Na —“ Er streckte ihm die Hand hin. „Und Bernöckel, alter Knabe? Noch immer kein Heimatschuss?“

„Nein, Herr Leutnant.“

„Wie lange?“

„Seit Langemarck ununterbrochen draussen — 17 Monate.“

„Ich auch — von der Marneschlacht bis heute — und man lebt — — —“

Lindolf wollte seinen Leutnant umarmen.

„Fresst euch satt, Jungens. Vorn gibt’s vielleicht nichts — Auf Wiedersehn.“

„Auf Wiedersehn —“

„Mit dem Leutnant haben wir Schwein, was?“ sagte Lindolf.

„Ja, er ist besser als mancher andre. Darum pfeifen die Kugeln nicht weniger in seiner Kompagnie,“ sagte gähnend Bernöckel.

Plötzlich ein Schuss in einem der Quartiere — —

Alles lief zusammen. Da trug man einen kräftigen rothaarigen Mecklenburger hinaus — beim Gewehrreinigen war dem ungeschickten Hirschfeld ein Schuss losgegangen, er hatte vor der Reinigung zu entladen vergessen —

„So stirbt man auf dem Felde der Ehre,“ sagte ein Gefreiter in lehmgrauer Uniform, also einer von den Alten der Kompagnie. „Vorn kommt man durch, daun knallt einem solch ein Dussel die Bohne in den Rücken.“

Hirschfeld stand zitternd mit halb irrem Blick im Winkel. Schon in der Garnison hatte der kleine Jude dauernd Pech. Alle, vom Kompagniechef bis zum kleinsten Flügelmann, sahen ihn schon in Döberitz als minderwertig an. Nur zu Lindolf hatte er Zutrauen.

Lindolf fragte aber jetzt auch böse: „Warum hast du das getan?“

„Es ging los —“

Da sah ihn dieses grossnasige, glotzäugige Gesicht über der ewig verrutschten Halsbinde schräg von unten an: Verlass du mich nicht auch noch —

Bernöckel schrie: „Verdammter Judenbengel! Das hätte mir passieren sollen — ich hätte dir eine gelangt —“

Da fing alles zu lachen an über die Unmöglichkeit, sich mit der todbringenden Gewehrkugel im Leib zu rächen.

Lindolf sagte zu den andern: „Dem wird immer die Kugel an unrechter Stelle losgehen. Es gibt solche Menschen. Er trägt ja selbst am schwersten daran. Er hat eine gute Seele. Es gibt nur nichts Ungeschickteres auf der Welt.“

Jetzt kam der Feldwebel. Auch der pfiff Hirschfeld an, sprach was von Meldung und Arrest. Und von allen jämmerlich verachtet sass Hirschfeld an einem Pfeiler und weinte bitterlich.

So war dieser letzte ruhige Nachmittag verstört durch Tod und Begräbnis.

Doch so gegen fünf Uhr begann man zu saufen und eine sich immer höher steigernde nervöse Heiterkeit in Gang zu bringen.

Dazu ass man ohne Unterlass. Hastig. Soviel wie möglich. Brot, Zwieback, Fleisch, Nudeln, Schokolade.

Lindolf hielt sich abseits. Er hockte am Waldrand und sah die Sonne sinken. Er liebte die Birken, die vor ihm in erstem Frühlingsgrün sich im Winde wiegten. Er sah über die Dächer des Soldatendorfes hin, wo nicht ein Zivilist mehr wohnte — Frontland — — —

Und doch stille Wolken darüber. Und ein Vogellied.

Er begann zu schreiben: an die Mutter, beruhigend, zuversichtlich, es ist alles halb so schlimm, und an Adelheid: — — Ich weiss, dass du nicht verstehst, worum es hier geht. Nicht um Epauletten und Eiserne Kreuze, es geht um den Aufruhr der Seele. Die Welt fiebert. Wir sind die Bazillenheere, die den Fieberkampf auslösen. Gift und Gegengift, auf dass alle gesunden. Grüss mir Berlin. Ist es noch da? War ich vor einer Woche noch in Deiner Nähe? Ich küsse Dich, heut’ abend geht es nach vorn. Dein Lutz.

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun

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