Читать книгу Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein - Страница 19
14.
ОглавлениеLutz wachte so richtig erst auf, als sie in Stenay, ihrem neuen Ruhequartier, einmarschierten und es plötzlich flüsternd hiess: Da ist er!
„Achtung!!“ erschollen die Kommandos. Mechanisch begann jeder, auf den Kasernenhofton noch genügend eingefuchst, die Beine zu schmeissen: „Augen rechts!“
Der Major Graf Böchlarn ritt auf ihn zu, meldete —
„In Gruppen rechts schwenkt — marsch!“
„Das Gewähre — ab!“
Der Kronprinz ritt die Front entlang. Er sah jedem ins Gesicht. Blieb da und dort stehen und fragte nach dem Namen, und wie lange draussen. Er sah keineswegs so bösartig aus wie sein Name, den er für die Kämpfe vor Verdun und seine Totenkopfhusarenmütze, schief übers linke Ohr, bekam: General Massengrab. Er sah sogar recht gutmütig und harmlos aus. Wie ein etwas verwegener englischer Kapitän, nur Sportsmann in Zivil, sonst nichts. Fridericus-Physiognomie? Ja. Aber als wenn der grosse Friedrich statt Voltaire den Sportteil der B. Z. am Mittag am liebsten läse.
Der Leutnant Beekmann von der 11. Kompagnie hatte seinen ganz grossen Tag, wie er erhoffte. Seine Kompagnie bestand nur noch aus 45 Mann und 3 Unteroffizieren.
Statt zu fragen: Und Sie leben noch? stieg der Kronprinz vom Pferde und richtete die Frage an den stramm zusammenruckenden Leutnant Beekmann: „Arge Verluste gehabt? Wie kam das?“
„Wir haben in meinem Abschnitt den Graben leer gemacht, Kaiserliche Hoheit.“
Der Kronprinz winkte seinem Adjutanten, nahm ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse ab und hängte es dem Leutnant Beekmann an die Seite. Er drückte ihm die Hand. „Die Unteroffiziere und Mannschaften, die sich besonders auszeichneten, erhalten das Eiserne Kreuz zweiter —“ rief er dem Grafen Böchlarn zu.
Da kam ein Auto herangefahren, ein Generalstabsoffizier sprang heraus und meldete etwas mit wichtig flüsternder Stimme.
Der Kronprinz übergab dem nächsten Offizier sein Pferd, zeigte noch einmal allen sein wirklich nettes, liebenswürdiges Gesicht und entschwand im Staub der Landstrasse.
An Wynfriths Kompagnie, die noch gut zweihundert Mann stark dastand, war er achtlos vorübergegangen.
Abends in den Quartieren war von Beekmanns Auszeichnung die Rede.
„Bloss weil das Schwein diesen blödsinnigen, die Kompagnie einfach aufreibenden Angriff befahl, kriegt er jetzt die Blechmarke an den Bauch.“
„Der Beekmann, wisst ihr, wo er bei dem Angriff gesteckt hat?“
„Nee.“
„Keiner weiss das.“
„Erst wie der Salat fertig war — und der Feldwebel Naumann auf seinen Befehl mit der halben Kompagnie im Nahkampf hops gegangen war, da kam er nach. Ein Hund, der aus Angst nicht aus dem Graben herausgeht, um seinen Dreck abzuladen, sondern sich in sein Erdloch von seinem Burschen eine Konservenbüchse halten lässt — — nu hat er’s!!“
„Lass ihm die Rosette!“ sagte Pechtler, der tapfere, gute gemeine Kerl, der bei der 11. zu Gast war. Er suchte nämlich noch immer einen Skatbruder für den toten Wittke. Das erste, was er in Stenay tat, war Spielkarten kaufen. Die hatte Wittke nämlich in der Tasche behalten. Sie waren deswegen, Töz und er, sogar aus dem Graben gekrochen, durch die feindlichen Horchposten durch bis an den Franzosengraben heran, aber nur noch — ein einziger Schlammassel von Draht, Granatsplittern, Lehm und vielleicht Fleisch fand sich jetzt da, wo Wittke gefallen war.
„Lass ihm die Rosette!“ brüllten alle.
„Wenn man so Kaiserliche Hoheit sieht, da hat man doch so — na, wie soll ich sagen, das tiefe patriotische Gefühl, so — die Garde — so — die für ihren Kaiser stirbt und sich nicht ergibt — quasi —“ sagte der Offizierstellvertreter Luchs — zwei Schmisse zierten sein Mopsgesicht. Neidisch sah er Beekmann auf das kronprinzlicherseits angehängte E. K. I. Man feierte auf Beekmanns Bude die Auszeichnung.
Wynfrith sass dabei und der Leutnant van Heusen, Hofschauspieler am Dresdener Theater.
Van Heusen lächelte sein feines Lächeln: „Das ist wie beim Theater. Man spielt zehnmal den Egmont ohne Auszeichnung, dann betreten Königliche Hoheit das Theater, sind leutselig, und da kriegt man für den Striese im „Raub der Sabinerinnen“ den königlichen Hausorden — so zum Halse heraus.“
Beekmann wollte aufbegehren.
Wynfrith drückte ihn, ein Lächeln aber doch nicht ganz hindernd auf seinen Platz: „Er meint Sie ja nicht.“
„Das hoffe ich auch,“ erhob sich die unangenehme schneidige Stimme des Offizierstellvertreters Luchs.
Wynfrith sagte: „Es ist ja so, dass wir alle unsere Auszeichnungen für die tragen, die vorn liegen blieben.“
Beekmann dachte jetzt an seine Toten. Seine Toten — — sie hingen plötzlich schwer an dem Kreuz, das er trug.
Alle schwiegen.
Beekmann dachte: Verfluchter Ehrgeiz — dann aber: schön ist es doch! Wenn ich erst Urlaub hätte! Zu Hause verwischt sich alles. In Evelynes Armen — —
Van Heusen, der Hofschauspieler, erhob nach einer Weise seine immer, noch im leisesten Flüsterton melodiös tönende Stimme: „Wie kommen wir überhaupt in diesem Krieg zu all dem da: Ehre — Schuld — Heldentum — — Wer täte es freiwillig?“
„Ich — selbstverständlich. — Und mit mir jeder preussische Offizier,“ schnarrte Luchs.
„Sie sind’s ja noch gar nicht,“ lachte Wynfrith.
„Lieber Luchs,“ sagte van Heusen ruhig, „Sie mögen glauben, Sie tun es freiwillig — fürs Vaterland und so. Im Grunde wollen wir uns nur nicht schämen. Unsere Väter kämpften fürs Vaterland und starben und bluteten. Also wollen wir nicht feiger und schwächer sein. Obgleich wir da vorn doch ziemlich hilflos in der Schiesserei dastehen. Ob man draufgeht oder sich einrollt in sein Erdloch, immer will man das Ungeheuerliche — überwinden. Ja, aber nicht im Feind, sondern in sich selbst: Die Furcht, nicht zu bestehen. So sind wir wahrscheinlich die grössten Helden, die je gelebt haben. Denn noch nie war solche Hölle aufgetan in früheren Kriegen wie in diesem, und niemals in diesem Kriege so doll wie vor Verdun.“
„Ich fühle nichts Heldenhaftes,“ sagte Wynfrith, „da vorn. Wie ans Kreuz geschlagen ist man und will helfen — — das ist wohl alles.“
„Das ist viel.“
Van Heusen und Wynfrith stiessen an.
Beekmann und Luchs sprachen von ihren Bravourstücken an der Front miteinander. „Selbstverständlich ist der Offizier immer der Letztverantwortliche und Entscheidende — Sie können ganz beruhig das E. K. I. tragen, — im übrigen, mein lieber Beekmann, was Kaiserliche Hoheit tut — dieses blitzende Auge — als wäre der Alte Fritz auferstanden — meine Herren — ich schlage vor, wir erheben unser Glas auf das Wohl unsers hochverehrten Kaiserlichen Armeekommandeurs.“ Luchs stand auf, das Glas hob er mit Korpsstudentenpose empor.
Beekmann sprang begeistert hoch, die andern beiden — na ja, warum nicht auch dieses? C’est la guerre.