Читать книгу Perlen der Demenz - Almut Pfriem - Страница 14

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Kapitel 7

Höre, was das Meer dir sagt. Es erzählt dir vom Ursprung des Seins. Höre auf die Lehren des Wassers, denn es hat eine tiefe Ahnung von der Liebe und dem Glück.

Sarah Fröhlich

HEUTE ODER MORGEN?

Aufgeregt läuft sie in ihrem Zimmer hin und her.

‚Wann kommen jetzt die Kinder? Ob ich Gabriela noch mal anrufe? Heute oder morgen?“

Sie stutzt, schaut hilflos nach oben.

‚Frei-tag oder Sams- …? Was war die Frage? Ich verstehe es nicht. Die Antwort weiß ich nicht, die Frage auch nicht. Himmel Herrgott!‘

Nervös nestelt sie an ihrem Mantel, den sie gerade ausziehen wollte. ‚Warum ziehe ich den jetzt aus? Ich wollte doch raus?‘

Sie schüttelt den Kopf und beginnt ihn wieder zuzuknöpfen.

‚Halt, nein! Die Kinder! Wann kommen die Kinder?‘

Wütend zieht sie ihn aus, den Mantel.

Ich befinde mich einmal wieder auf der Autobahn.

‚Diesmal ist Bernie dabei. Das wird sie freuen‘, denke ich. ‚Irgendwie sind die beiden ein Herz und eine Seele.‘

Mein Blick streichelt zärtlich die Züge meines Mannes. Ich sehe, dass auch er seinen Gedanken freien Lauf lässt.

‚Ich bin so froh, dass er einen so ruhigen und vorausschauenden Fahrstil hat‘, denke ich und mache es mir auf meinem Sitz gemütlich.

„Weiß Gabriela, dass wir unterwegs sind?“, fragt er mich.

„Ja, ich habe ihr eine SMS geschickt.“

„Weiß deine Mama, dass wir kommen?“

„Ja, auch. Ich habe ihr gesagt, dass wir heute Abend bei Gabriela übernachten und dann am Samstag nach dem Frühstück zu ihr kommen. Sie hat es sich aufgeschrieben.“

„Gut.“

‚Wo ist nur dieser Zettel? Almut hat doch gesagt: Schreib es dir auf, Mama! Irgendwo muss doch dieser blöde Zettel sein!‘

Aufgeregt durchwühlt sie all die vielen Zettel auf ihrem Schreibtisch.

‚Ich meine, sie kommt sogar mit ihrem Mann. Ich kann doch jetzt nicht spazieren gehen! Ja, ja, sie kommen, sie kommen bestimmt!‘ Ihr Herz macht einen Hüpfer, hüpft mit der Not ihrer Unruhe um die Wette.

Schließlich setzt sie sich in ihren Sessel. Ihr Blick ist leer, ihr Herz voller Sehnsucht.

„Ich bin gespannt, ehrlich gesagt ein wenig nervös“, fährt mein Mann fort.

„Ja, das war ich auch, als ich sie dort das erste Mal besuchte. Am besten machst du die Nase ein wenig zu. Aber du wirst sehen, sobald du in ihr Vorzimmer kommst, fühlst du dich bei ihr wie zu Hause. Da begrüßt dich ihr Feininger und, wenn du Glück hast, sogar das Läuten ihrer Standuhr.“

„Das ist schön!“

„Ja, das ist schön“, sage ich nur und wische mir verstohlen die Tränen aus den Augen. Wir schweigen wieder.

‚Ui, wie lange sitze ich jetzt schon wieder hier?‘

Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen.

‚Wie lange muss ich jetzt noch warten? Wenn ich wenigstens etwas zu tun hätte! Aber nein! Nichts zu tun. Es gibt einfach nichts zu tun. Haben die sich eigentlich mal überlegt, wie das ist, wenn man nichts zu tun hat? Haben die sich überhaupt etwas überlegt? Wer überlegt sich denn so was? Alles machen diese Schwestern. Alles. Wenn ich nicht meine dreckige Wäsche verstecken würde, könnte ich nicht mal die waschen. Die nehmen sie nämlich immer gleich mit. Ich glaube, sie räumen sie sogar in den Schrank.‘

Es klopft. Endlich! Ihr Herz macht einen Sprung.

„Ja! Herein, herein!“

„Was für eine freundliche Begrüßung heute, guten Tag, Frau Pfriem.“

„Guten Tag? Was für einen Tag haben wir denn heute?“

„Freitag.“

„Und wie viel Uhr ist es?“

Mit großen Augen schaut sie zur Schwester.

„Viertel nach fünf.“

„Oh!“

Enttäuscht senkt sie den Blick.

„Warten Sie auf jemanden?“

„Ja, ich weiß es auch nicht.“

„Auf wen warten Sie denn?“

„Das geht Sie gar nichts an.“

„Ich frag ja nur, um zu schauen, ob ich Ihnen helfen kann, Frau Pfriem.“

„Bei allem wollen sie mir helfen! Gibt es denn gar nichts, was ich auch alleine machen darf?“

„Ach, Frau Pfriem, natürlich gibt es das. Die nette Bastelgruppe zum Beispiel! Warum gehen Sie da nicht hin?“

„Kinderkram, bin ich etwa ein Kind?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortet die Schwester, ‚schade‘, denkt sie, ‚gerade war sie noch so freundlich.‘

„Frau Pfriem“, fährt sie fort, „es ist Zeit für die Spritze. Darf ich?“

„Wenn Sie meinen! Ich kann es ja eh nicht ändern. Ich habe ja nichts mehr zu sagen.“

„Ja, der Doktor hat es so angeordnet.“

„Warum fragen sie mich dann, wenn der Doktor es angeordnet hat?“

„Welche Schulter nehmen wir denn?“

„Aha. Das dürfen WIR entscheiden?“

Sie bleibt bockig und zeigt keinerlei Entgegenkommen.

„Also, dann nehme ich mal die linke Schulter.“

‚Da bin ich mal gespannt‘, denkt sie sich und macht keine Anstalten zu helfen.

„Darf ich?“

„Was?“

„Na, die Spritze, Frau Pfriem“, vorsichtig schiebt die Schwester ihr den Pullover beiseite.

‚Jetzt sag ich gar nichts mehr. Mir reicht’s. Jetzt sag ich nichts mehr‘, denkt sie sich und lässt die Prozedur trotzig über sich ergehen.

„So, das war’s schon. War ja gar nicht so schlimm. Waren Sie denn schon spazieren heute?“

Stille.

„Haben Sie denn schon etwas gegessen?“

Keine Antwort.

„Na, Frau Pfriem, Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Morgen kommt Schwester Annemarie, brauchen Sie noch irgendetwas?“

Nichts zu machen, sie bleibt stumm.

„Na, dann geh ich jetzt, da warten noch andere.“

Die Schwester verlässt wieder das Zimmer, schließt leise die Türe. ‚Was? Da warten noch mehr? Mir soll’s recht sein. Hauptsache, die ist wieder weg! Tütü hier und tütü da, aber nichts Vernünftiges. Bla, bla, bla. Nicht meine Welt. Wenn ich das alles gewusst hätte. Was hat sie jetzt gesagt? Wie viel Uhr ist es?‘

Das Telefon klingelt. Nervös hebt sie ab.

„Hallo, hallo, seid ihr das?“

„Nein, ich bin’s Mami, Gabriela, wer soll es denn sein?“

„Na, die Almut!“

„Ach ne, die sind doch noch unterwegs. Die kommen erst heute Abend und übernachten dann bei mir.“

„Ach so, ich dachte, sie kommen zu mir.“

„Ja, Mami, die kommen auch zu dir. Am Samstag. Da musst du noch ein Mal schlafen.“

„Ach so.“

„Ach, Mami, hast du schon auf sie gewartet?“

„Kind, ich weiß doch auch nicht.“ Sie beginnt zu schluchzen.

„Ich kann mir einfach gar nichts merken und jetzt warte ich schon so lange.“

„Mami, weißt du was? Dafür komme ich gleich vorbei. Ich wollte jetzt nur kurz schauen, ob du auch da bist.“

„Ja?“

„Ja.“

„Das ist gut! Das ist sogar sehr gut.“

„Ja, das finde ich auch, also Mami, bis gleich, ich lege jetzt auf, bin aber gleich da.“

„Das freut mich, dann kannst du …“

„TUUUUUUUT.“

„Gabriela? Gabriela?“

„TUUUUUUUT.“

‚Was hat sie jetzt gesagt? Jetzt weiß ich’s wieder nicht! Gabriela?‘ „TUUUUUUUT.“

Verzweifelt legt sie auf.

‚Jetzt geh ich aber spazieren. Warten lohnt sich wirklich nicht.‘

Als sie zurückkommt, findet sie einen Zettel.

„Liebe Mama,

ich war da und habe auf dich gewartet.

Leider bist du nicht da. Jetzt gehe ich wieder.

Ich rufe dich an, wenn ich zu Hause bin.

Morgen ist Samstag, da kommen Almut und Bernie zu dir.

Schlaf gut! Ich habe dich lieb!

Deine Gabriela“

Erschüttert streichelt sie das Papier. Daneben liegt ein Kalenderspruch. Sie liest:

„Höre, was das Meer dir sagt. Es erzählt dir vom Ursprung des Seins. Höre auf die Lehren des Wassers, denn es hat eine tiefe Ahnung von der Liebe und dem Glück.“ (Sarah Fröhlich)

‚Ja‘, denkt sie, ‚und dann auch noch Sarah Fröhlich heißen …‘

Tränen rinnen ihr über die Wange.

‚Jetzt habe ich einen ganzen Tag dem Meer gelauscht und was hat es mir gebracht? Was sagt sie?‘

Sie nimmt den Kalenderspruch und liest erneut: „… es hat eine tiefe Ahnung von der Liebe und dem Glück …“

Plötzlich strahlt sie und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht. ‚Stimmt! Recht hat sie!‘

Sie nimmt die Nachricht ihrer Tochter und drückt sie an ihr Herz.

Perlen der Demenz

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